Arbeitsjournal. Sonntag, der 19. Oktober 2008. Frankfurtmain. Vierter Messetag.

8.50 Uhr:
[Bei Leukerts.Mit dazwischengeschobenem kleinen Frühstück.]
>>>> Das ist ganz sicher meine Entdeckung dieser Buchmesse, davon abgesehen, daß ich >>>> Dietmar Dath kennenlernte, der seinerzeit über >>>> BUENOS AIRES. ANDERSWELT ziemlich klug für die FAZ geschrieben hat und mit dem ich heute nachmittag ein wenig plaudern will; es wurde Zeit. Wegen des Samarkand-Buches will ich heute noch an die FAZ schreiben und mich um eine Rezension bemühen, allerdings unter der Voraussetzung, daß man mir einen umfangreichen Platz einräumt: das Buch hat [hier begann ich zu frühstücken, und hier war das beendet:]gute 1000 Seiten in kleinem Druck, eher also 1200/1300, so daß, eine Rezension zu schreiben, wirklich viel Arbeit kostet; ich schätze mal, daß ich drei/vier Wochen dransitzen würde; von dem Abenteuer abgesehen, das die Lektüre fraglos bedeuten wird, muß es sich, einen Text darüber zu schreiben, irgendwie lohnen; rein pragmatisch gesehen. [Kaffee in einer französischen Tasse mit aufgeschäumter Milch.] Doch bereits die ersten Seiten, die ich gestern las, begannen, mich zu berauschen – so sehr, daß mir bereits erste Sätze einfielen, die ich nun halt in meinen Brief an die FAZ hineinschreiben werde; ob heute vormittag noch, denk ich gerade, ist allerdings ungewiß, denn ich will ja noch mal auf die Messe.
Da ist imgrunde alles gelaufen, andererseits; von dem Gespräch abgesehen; vor allem will ich Kinderbücher kaufen; tschüß sagen; auf Wiedersehen sagen; hätte nicht sein müssen, daß wir uns begegnet sind, sagen, z.B. zu Peter Hamm, den ich nun wirklich gefressen hab. Dann meine Begegnung mit dem selbsternannten Großkritiker Soundso, der mich, als er gestern abend, immer leicht vorgebeugt, und zwar nicht, weil er besonders hochgewachsen und hager wäre, sondern weil er, das ist gar keine Frage, erst einmal schnüffelt… – der mich, er ist bekannt dafür, daß er vor laufender Kamera Bücher im Wortsinn wegwirft, als er da wieder so durch die Tür kam, ein weiteres Mal unausweichlich an den >>>> Untertan erinnerte, so sehr, daß mir ein Schauder vom Nacken bis zum Anus lief und ich meinen Eindruck sofort loswerden mußte, was dann zu einer sinnigen Diskussion führte, bei der >>>> der große Paulus Böhmer völlig berechtigt in Schaum geriet, denn er – Böhmer wie sein Schaum – war auch da; man darf das Verb in diesem Fall singular verwenden. Ebenfalls da war Phyllis Kiel, der ich nun ein erstes Mal persönlich begegnete, nachdem es >>>> vor Vierteljahr und Tag auch in Der Dschungel schon eine Begegung gegeben hat. Nun muß ich freilich aufpassen, was ich schreibe, weil sie das hier lesen wird; sagen wir: ich muß, um sie nicht zu enttäuschen, auf eine Weise nicht aufpassen, was ich schreibe, daß ich genau d a b e i aufpasse, was ich schreibe. Sie hat ein Löwinnenlachen, nämlich, von den Fängen einmal abgesehen, sehr gesunde, drohend schöne Zähne. Eine ausgesprochen präsente Person von nicht unaggressiver Intelligenz, wobei ihre spezielle Form von Aggressivität in eine enorme, lachende, dabei höchst leichtfüßige Verbindlichkeit kultiviert ist. Aber ich muß gerecht sein; beschreibe ich weiter, müßte ich auch andere beschreiben, die anwesend waren; hier diktiert die Klugheit, es nicht zu tun. Aber die Freunde, das lohnte; nein, ich zähle nicht auf. Schluß jetzt, Herbst, hiermit. Einmal wenigstens. Duschen, vor allem rasieren, dann geht es langsam hinaus. Und abends werd ich mit Do in der Oper sein… – ah nein, noch was vergessen:
Die Terminkonfusion, von der ich gestern sprach… also… hm… die kleine Rede, von der ich bis gestern morgen gemeint hatte, sie am Freitag erst halten zu müssen, muß ich bereits am Dienstag halten. Hier in Frankfurtmain. Es steht noch keine Zeile. Weshalb ich, nach schneller Rücksprache mit ***, die mit den Kindern zu ihrer nahbei wohnenden Mutter mitgefahren ist, meinen Aufenthalt um zwei Tage verlängern werde. Leider bekam ich Leukerts noch nicht ans Telefon, um zu fragen, bzw. sie zu warnen. Egal. Morgen werde und muß ich den Vortrag schreiben, ihn am Dienstag überarbeiten und abends dann halten; vielleicht finde ich Zeit, für einen kleinen Besuch bei der FAZ vorbeizuschauen, da es dort im Literatursegment einen Machtwechsel gegeben hat, der für mich durchaus nicht ohne Bedeutung sein könnte. Sollte: sò!

(In anderthalb Stunden erhält Anselm Kiefer in der Paulskirche den Friedenspreis. Ich bin, ich schrieb das bei Bekanntgabe schon, höchst einverstanden mit dieser Wahl. Leider hörte ich ein Gespräch, das gestern abend zwischen Tür und Angel geführt wurde und worin jemand im Einverständnis mit anderen monierte, daß Kiefer kein Schriftsteller sei, weswegen man die Wahl nicht akzeptieren könne… leider hörte ich das zu spät und war aber auch gar nicht vorgestellt; sonst hätte es mir große Lust bereitet, Kiefer zu einem Schriftsteller zu machen: es gibt auch unter Bildern Kunstwerke, die Literatur sind; ob das den Fraktiönlern nun gefällt oder nicht.
Ich werde zur Preisverleihung deswegen nicht gehen, weil es sehr voll werden soll und ich ungern in der Schlange stehe. Es wäre eh nur Prominentenguckerei; prominent bin ich selber; wollte ich d a s, genügte ein Spiegel. Und in die Ingroup, so daß ich mit Kiefer sprechen könnte, gehöre ich nicht.)

9.58 Uhr:
[Immer noch bei Leukerts, die jetzt Musik hören dürfen in dem für mich nach wie vor n u r -legendären >>>> Donaueschingen.]
Erinnern Sie mich doch bitte daran… ah nein, ich schreib das, sehen Sie’s mir nach, um mich selbst daran zu erinnern, denn auf Sie ist kein Verlaß… – also erinnere ich mich doch bitte daran, daß ich noch einmal etwas über den Ribbentrop-Komplex erzähle; da wurde mir mal wieder einiges Sinnige hintertragen, das so recht(s) hübsch illustriert, w e r Faschistoides weiterträgt; w e r also von Herzen rechts ist, obwohl er sich links nennt, indem er m i c h rechts nennt: Da kriegt man so richtig einen Begriff davon, wie ungute Strukturen gerade von jenen weitergepflanzt werden, die sie zu bekämpfen vorgeben. Aber d i e Erzählung nicht mehr jetzt. Doch ist auch sie – was sie notwendig macht – zum Erschaudern.

(Ich vermisse mein Cello).

11 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 19. Oktober 2008. Frankfurtmain. Vierter Messetag.

  1. Friedenspreis Der Friedenspreis wird selbstverständlich n i c h t nur und ausschließlich an Buchautoren vergeben. Da waren die Tuscheler und Grabenausheber und ewigen Neider im Irrtum.
    Im Statut des Friedenspreises heißt es: »Die Stiftung dient dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker. Dies geschieht durch die Verleihung des Friedenspreises an eine Persönlichkeit, die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat. Der Preisträger wird ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Bekenntnisses gewählt. Der Preis wird in der Regel jährlich verliehen, er kann auch posthum vergeben werden.«

    Aha. Also doch auch Kunst und sogar Wissenschaft sind preisverdächtig.

  2. herbst – die zeit der preisinflation der marcel hat einen bekommen,
    die elke und auch der anselm
    (für bleischweres). nur unser dichter
    herbst ringt noch um anerkennung.
    meine hat er. aber was ist die anerkennung
    eines schlangenstehers schon wert?

  3. es hieß, wohlmöglich sei es jener soundso gewesen, der meinen band, aber, lassen wir das, ich habe keinen fernseher. es hieß, nein, weggeschmissen habe er ihn nicht, und es war etwas sehr schmales, das ihm zu gefallen schien, zwischen vielem weniger schmalen, was sich türmte. die vorstellung (s)einer lobenden erwähnung, wäre mir gar nicht unangenehm, muss ich gestehen, aber ich bin ja auch nicht prominent. hat es das, den herrn böhmer, schäumen lassen? kaum vorstellbar. aber in gewisser weise ist das alles für mich manchmal sehr weit weg. ich verließ die messe zeitig und ließ mich von einem eletriker, ein cousin von jemandem, den man anrief und der uns frankfurt zeigte, unter die drehbühne von frankfurts schauspiel und hinter die kulissen führen.

    mir schien, jemand, den ich aus den augenwinkeln nur für jemand hielt, floh mich regelrecht, andere blieben noch bei wein.
    und, klassischer fall, ich habe mich mal wieder verlaufen, das sorgt, wenn überhaupt, immer nur andere, weil ich mich ja kenne, weil ich weiß, ich verlaufe mich leicht, aber gehe dabei selten verloren.

    schön wäre es gewesen, wenigstens noch zeit fürs städel gehabt zu haben, oder für die schirn, der letzte szenenwechsel, den ich dort sah, zeigte sturges, den man einmal mit rineke dijkstra zeigen müsste, denke ich jetzt.

    ich hab mich einmal für kiefer begeistert, heute wirkt er auf mich seltsam antiquiert, wie ein früher damien hirst mit anderen mitteln. historische haptik ist mir eher in den aus- und eingestülpten pressspanhöhlen eines henrique oliveiras nah: http://www.youtube.com/watch?v=itUL1MaySMk

    richtig entsetzt hat mich nur die autorenselbstgefälligkeit, mit der man in der zeit den reiseteil gestaltet und titelt. es hätte wahrlich anderes gegeben, als von einem, zugegeben, gar nicht schlechten hotel mit einer herausragenden bar zu schreiben. wahrlich. dabei kreide ich es niemandem an, dass er es gerne auch bequem hat, aber so bequem kann man gar nicht liegen, als dass es nicht auch noch für ein paar unbequeme wahrheiten gereicht hätte, nur das, schien mir, hätte etwas arbeit bedeutet, die man in diesem fall wohl nicht aufwenden wollte, warum auch immer. in deutschland dreht sich halt alles gern lieber selber um sich selbst, und wo sich das spiegeln lässt, spiegelt man es. die größte gated community scheint mir der literaturbetrieb dabei nicht selten selbst zu sein.

  4. autoren unterm buch-markt. fotografiert werden ist oft ein schrecklicher diebstahl am eigenen bild. jaja.
    seit dem kindergarten habe ich ein trauma. ein kindergartenfotograf wollte, dass ich freundlich gucken sollte. unter solchen vorderungen verfinstert sich leicht selbst die miene einer fünfjährigen. das hat bis heute vorgehalten, also, die kindergartenfotografen gibt es bei anderen anlässen auch, wie die miene dieser fünfjährigen. rineke dijkstra käme nie auf die idee, ihre pubertierenden modelle zum lächeln zu zwingen, aber sie versteht ja auch etwas von der jugend im 21. jahrhundert. und ist man über die jugend hinaus, wieso sollte man noch lächeln, denn man hat ja dann endlich einen grund, so schlecht drauf zu sein, wie man schon mit 15 war, um mal frau rois frei zu zitieren.
    ich klickte mich gerade durch einige abgelichteten autoren der buchmarkt-online galerie. und von herrn dath zu herrn regener kann man beobachten, die berliner brille wird wieder größer, oder aber, sie war mal groß und wird wieder kleiner, je nach dem von wo man guckt, auf jeden fall bleibt sie dickrandig kantig und unterstützt den autor bei der barrikadenblickbildung, denn allüberall lauert ja die konterrevolution. tscha, wenn man verstaatlichung der banken schon für revolution hält, ist freilich die konterrevolution auch mit verstattlichung von brillen zu machen. während charlotte roche im bdm-look posiert. herr herbst, neben herrn feyazz ist ihre geste vielleicht nicht originell, aber doch immerhin sehr verständlich. herrn tellkamp berate ich gern bei der nächsten anzugwahl (ich weiß, auch herrenausstatter sind manchmal schlimme menschenverachter), und herr dath hätte ihn gleich zwei nummern kleiner nehmen sollen. und was soll man den fotografen noch raten? vielleicht mit benn: geht doch mit anderen drogen um?

    1. gabi wird opfer ihrer bescheidenheit wenn der dichter von “vorderungen” liest,
      verfinstert sich seine empfindsame seele
      und stößt ein verächtliches “ärmlich” hervor.
      sprechen sie besser von einem “geforderten
      vordergrund”. schließlich beleuchten vordergründe
      hintergründiges. und auf ihre bescheidenheit kam
      es ihnen doch an?

      (vermissen sie auch dieses wunderschöne autorenfoto.
      oder waren es nur drei hochgehaltene bücher vor
      einem umgehängten teppich?)

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