5.13 Uhr:
[Am Terrarium.]
Der nächste Fahnendurchgang DER ENGEL ORDNUNGEN steht an; >>>> Dielmann arbeitete vorzüglich und schnell. Das ist jetzt die dritte pdf. Da wir aus den Gedichten selbst keine Anmerkungen auswerfen wollen, also nichts unten auf der Seite stehen haben, was den Klang stören könnte, auch keine Sternchen oder sonst etwas bei zu erklärenden Zeilen (Namen, manchmal eine Anspielung usw), kam Dielmann auf die Idee, solche Anmerkungen je unter die Nennung im Inhaltsverzeichnis zu schreiben; das ist sehr schön. Des weiteren wird es kein „normales“ Inhaltsverzeichnis geben, sondern am Ende des Buches stehen die Gedichte alfabetisch nach den Titeln, bzw., haben sie keine, nach ihren Anfangszeilen geordnet, und d a hinter dann je die Seitenzahl. Da muß dann noch mal gehörig aufgepaßt werden, daß keine Verwechslung geschieht.
Für die Titel-Typografie bin ich immer noch leicht uneins. Dielmann hat folgende Schrift ausgewählt:Ich dachte eben: vielleicht doch besser eine einfache, klassische Schrift – wie ja die Gedichte dann auch selber typografiert sind, auch keinerlei Anmutung von Schnörkel, weil man mir die bei diesem Titel um die Ohren hauen wird – ABER: wir brauchen etwas gut Abgesetztes für den Umschlag, einfache Schrift ginge in dem Kiefer-Bild unter, und wiederum >>>> in dieses darf auf keinen Fall eingegriffen werden; ich schrieb ja schon in einem der letzten anderen Arbeitsjournale, daß ich mir etwas Gelbes, Sandgelbes vorstelle; ein Leuchten muß darin sein, und Gelb ist >>>>> Fichtes Leidenschaftsfarbe; das ergibt eine schöne innere Verbindung (aber, dachte ich, Gelb wie Sand: der Eindruck muß sein, daß man über die Titelschrift auf dem Umschlag b l a s e n, daß man sie wegblasen kann).
Also ich bin da noch uneins. Aber der Band-selber, die Gedichte, auch und gerade in ihrer jetzigen Reihenfolge – das steht ausgesprochen gut auf der Seite, konsequent, konservativ, geradezu „rein“, wie mir A. gestern abend im Messenger über eines der Gedichte sagte. Diesen Eindruck von Reinheit habe auch ich, was völlig anders ist als in allen meinen erzählerischen Büchern.
Daran gehe ich heute also wieder; dann ist weiterhin der Text für Siegen zu schreiben; ich denke mir, notfalls schreibe ich morgen im Zug und am Montag zur Frühmorgensarbeit im Hotel; es soll ja nur eine Kleinigkeit sein, die ich dann auch gut in Siegen ausdrucken kann. Meine Lesung dort wird am Montag abend sein: ANDERSWELT, ganz sicher; ich will aber auch zum >>>> KYBERNETISCHEN REALISMUS etwas sagen und ein wenig aus der >>>> AEOLIA vorlesen. Da so gut wie keine >>>> THETIS mehr aufzutreiben sind (oder die Bücher sind, siehe hinterm Link, richtig teuer), sondern ich alleine noch etwa 140 Exemplare hierhabe, muß ich Bücher mitschleppen, auch >>>> die horen , die sehr schwer sind; der Buchhandel, erzählte mir Tammen gestern, verlangt bis zu 70 % Rabatt bei Literaturzeitschriften; die sind also nicht über den normalen Handel zu bekommen, weil sich die Zeitschrift das nicht leisten kann, „wir wären binnen eines halben Jahres pleite – die Grossisten wissen das, und sie werfen uns auf diese Weise aus dem Sortiment“. Man kann nur mit den Zähnen knirschen oder drauf hoffen, daß der Buchhandel endlich eingeht. Er ist ja auf dem besten Weg, und der Handel wird sich auf das Netz verlegen.
Ja, und mein Cello will ich morgen ebenfalls mitnehmen; ich habe den Montag vormittag frei, da kann ich im Hotelzimmer üben. Die eine Woche Pause während der Buchmessenzeit hat mich deutlich zurückgeworfen, ich hole das gerade auf und will nicht abermals zurückgeworfen werden. Drei Stunden Üben m ü s s e n täglich drin sein, mindestens. Ich habe ein Ziel, und wer über See fahren will, braucht ein Boot und die Kenntnis, es zu führen.
Der aus dem Ruder gelaufene Vierzehn-, jetzt Fünfzehnjährige eines Freundes schlupfte gestern abend bei uns unter; *** ging dann mit ihm ins Kino; er blieb auch über Nacht hier, obwohl er eigentlich auf eine Punk-Party wollte. Man hat den Eindruck, er sucht Schutz. 8 bis 12 Monate Jugendgefängnis hat er zu gewärtigen; mir wird elend, wenn ich mir das vorstelle. Er ist ein sehr schöner Junge, man wird ihn da nicht resozialisieren, sondern endgültig brechen; jemanden wie ihn werden die Mithäftlinge so lange anal durchficken, bis er blutet und vergißt, daß er jemals geweint hat. Ich habe keine Ahnung, wie man ihm dieses Schicksal ersparen kann, aber er macht auch j e d e Scheiße, die sich bauen läßt, wirklich jede. Lebt jetzt in einer Wagenburg ohne wirklich eigenen Platz, geht nicht zu Therapien, verweigert die Schule usw usw. Und greift auf Demos Polizisten an. Die Eltern haben nichts mehr im Griff, es geht de facto nicht.
Jetzt schläft er in meines Jungen Zimmer, der bei seiner Freundin übernachtet und mit ihr den Abend über – „Süßes oder Saures!“ – durch die Straßen gestreift ist. À propos Halloween; da war ich gestern dann wirklich baff. >>>> Cellini schrieb vorgestern über die jungen Leute, die keine Verhältnismäßigkeiten kennten, denen man das irgendwie nie beibringen konnte, obwohl man es doch tat… jedenfalls, eine Kleinigkeit nur, aber aberwitzig genug ist das d o c h – also: Es klopft bei uns an der Tür und davor stehen drei tüdelig verkleidete junge Frauen, keine unter fünfzehn, die älteste vielleicht sogar neunzehn. „Süßes oder Saures!“ rufen sie. Ich war völlig baff. Bin zu ***, die in der Küche war: „Du, da sind drei junge Frauen… ich fasse es nicht… die wollen Süßes oder Saures…“ „Wie?: Frauen?“ „Ja, Frauen. Kinder sind das n i c h t mehr. – Guck dir das an, gib D u ihnen die Bonbons.“ Was sie tat, und zwar mit der süffigen Bemerkung: „—für euren kleinen Geschwister.“ Es gehört zum Aberwitz, daß die drei überhaupt nicht kapierten, weshalb sie so angekanzelt wurden. Ich mit fünfzehn, ja mit dreizehn schon, hätte mich in Grund und Boden geschämt. Welch eine Regression! Sie hören schon auf, bevor sie angefangen haben: Godard, Prénom Camen.
6.28 Uhr:
Der schmale Ring den ich mir mit einen kleinen, sehr kleinen Smaragd vor bald dreißig Jahren hatte nach einem eigenen Entwurf anfertigen lassen und seither am linken kleinen Finger trug, ist tatsächlich weg. Vor zwei Wochen merkte ich es, als ich aufs Rad stieg. Ich hatte ihn nicht abgezogen, ich habe ihn n i e abgezogen. Aber er war weg. Wie geht das: einen Ring verlieren?
Titel-Typographie falls denn an dieser Stelle überhaupt Meinungen/Vorschläge gewünscht sind (aber warum hätten Sie den Entwurf sonst eingestellt):
1. Die Punkte hinter den einzelnen Textbestandteilen sind reichlich albern, kamen aber leider ja schon häufiger vor. Nojo, wie E.B. sagen würde.
2. Die Typographie des Titels selbst ist in Ordnung und paßt auch zum Kiefer-Bild: die farbliche Abstimmung auf dem Umschlag (h i e r handelt es sich ja um das Titelblatt) kann ohnehin erst in der Gesamtkomposition erfolgen.
3. Der Autorname ist (wie bereits bei MEERE – aber da war ja auch der Titel zu klein) v i e l zu klein gesetzt. (Man muß es ja nicht so weit treiben wie bei manchen „Großschriftstellern“, die neben den Absatzzahlen vor allem dadurch gekennzeichnet sind, daß ihr Name auf Umschlägen größer erscheinen als der Titel. Aber der Autor sollte doch in angemessener Form in Erscheinung treten.
4. Was aber jedem Setzer den Ausdruck des Entsetzens in die Augen treibt: Autorname und Untertitel sind in falschen Kapitälchen gesetzt, und – eine lesetypographische Todsünde, wenngleich sehr verbreitet – sie sind nicht l e i c h t gesperrt. (Eine Grundregel, die jeder Setzer am ersten Tag lernt, ist, daß sowohl Versal- wie Kapitälchensatz i m m e r mit einer leicht vergrößerten Laufweite gesetzt werden müssen (soweit dies im Schriftschnitt nicht ohnehin schon vorgegeben ist. (Und dies ist nicht nur eine aus der Tradition erwachsene Marotte! Machen Sie einmal den Versuch mit Versaltext in unterschiedlicher Sperrung! Und achten Sie bitte darauf, daß dies bei den Gedichtüberschriften – die ja wohl auch im Versalsatz stehen sollen – ebenfalls beachtet wird.)
Sollten Sie jedoch mit allen Entwürfen so zufrieden sein, ignorieren Sie meine Bemerkungen einfach!
@piperigranum. Nein nein, sondern ich danke Ihnen sehr für die Hinweise und werde den Link auf Ihren Kommentar sofort an Dielmann weiterleiten.
Wegen des Autorennamens bin ich anderer Geschmacksansicht. Ich habe ihn bewußt gerne klein. Im Falle dieses Buches möchte ich eigentlich zusätzlich durchsetzen, daß unter dem Titel des Buches n i c h t „Gedichte“ steht. Das sieht eh jeder selbst, und ohne die Kategorisierung bekommt der Titel eine ganz andere Ausdehnung. Das mit den falschen Kapitälchen ist eine harte und klare Kritik. Wie gesagt, ich geb’s gleich weiter (bin soeben im dritten Durchgang der pdf’s mit den Korrekturen fertig geworden, warte jetzt die vierte pdf an, die ich dann ausdrucken und noch einmal auf dem Papier korrekturlesen will – ich habe es gerne sehr genau, und man sieht am Schirm völlig andere Fehler als auf dem Ausdruck, Fehler aber immer).
Noch einmal danke.
ANH.
P.S.: (Das mit den Punkten hinter Autorname, Titel und Gattungsbezeichnung ist m e i n e Macke. Ich pflege sie und setze sie auch fast immer durch.)
Der Buchhandel geht ein??? Der Buchhandel ist nach wie vor eine d e r prosperierenden Branchen in Deutschland. Wie sollte dieser Wirtschaftszweig da eingehen? Das ist Wunschdenken, Herr Herbst, nichts weiter. Selbst Ihr Sohn wird den Untergang des Buchhandels oder dessen Verlegung ins Internet nicht erleben.
Die ebook-Reader konnten sich bisher weder weltweit noch bei uns in irgend einer Form durchsetzen. Warum sollten sie das in Zukunft tun?
Niemand liest Bücher am Bildschirm des PC oder MAC. Das wird auch weiter so bleiben.
eine prosperierende Branche Wann wäre das Sterben einer Vielzahl kleiner Unternehmen, eine extreme Konzentration und Monopolisierung jemals Kennzeichen einer prosperierenden B r a n c h e gewesen? Das würde selbst der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nicht behaupten, der sonst die Gesamtentwicklung denkbar unkritisch betrachtet.
Sicher wird es auch in 20 Jahren noch Buchhandlungen geben: Konzern-Filialen in größeren Städten – gern auch mehrer mit dem gleichen mageren Angebot in einer Straße. Und wenn man in kleineren Orten die Taschenbuch-Bestseller-Stapelware in einer Ecke eines Lebensmittelladens als Buchhandel bezeichnen will: bitte sehr. In vielen Städten, gerade auch mittleren Universitätsstädten, könnte nur ein Blinder behaupten, daß der noch vor 15, 20 Jahren existierende Buchhandel nicht tot ist. Und ein Großteil ist bereits seit einiger Zeit ins Internet verlagert. Ich bedaure dies im Unterschied zu Herrn Herbst sehr, doch leugnen kann man dies nun wirklich nicht.
Zur Zeit teile ich noch die Auffassung, daß e-books sich nicht breit durchsetzen werden. Aber auch Wilhelm II. glaubte an das Pferd und daran, daß das Automobil eine vorübergehende Erscheinung sei.
Und was die Lektüre von Büchern am Bildschirm angeht, so wäre ich mit derart generalisierenden Behauptungen sehr vorsichtig. Ich selbst jedenfalls – und ich lebe davon, daß ich Bücher schreibe, mache, verkaufe – lese sehr gern und viel am Bildschirm – und nicht nur Blog-Einträge!
@User Friendly und @piperigranum. 1) So erreichte mich Überraschten die Botschaft, daß ich niemand sei.
2) Sie erreichte Sie offenbar auch.
Was Sie über die Konzentration des Buchhandels erzählen, entspricht der Realität; ich selbst habe es hier ebenfalls schön öfter erzählt. Neben dieser Konzentration gibt es aber auch das Phänomen eines eklatanten Werteverlusts der Bücher, der mit der Massenproduktion zusammenhängt und mit den zunehmend schneller gewordenen Umschlagsgeschwindigkeiten. Hohe Geschwindigkeit ist jedenfalls Dichtungen abträglich; wir wissen nicht, wie viele untergehen, ohne als Dichtung überhaupt wahrgenommen worden zu sein – allein deshalb, weil ständig Neues nachdrängt — oder genauer: nachgedrängt w i r d. Ein einziger Gang durch Wohlthat’s lehrt uns die Realität. Andererseits ist, was mit dem (belletristischen) Buch-als-Gegenstand verkauft wird, ein Fetisch, schlimmerweise einer des Profanen: man redet über etwas, das bleibe, weil man es so gewöhnt ist. Das wird sich ändern. Man wird anderes gewöhnt sein. Bücher mögen dann zu sakralen Fetischen werden, das ist denkbar, aber diese sind dann rar.
Die Unterscheidung von profanen und sakralen Fetischen nähme ich gerne einmal vor, dächte ich gerne einmal zu Ende. Das gehört aber dann in einen anderen Beitrag. Ich habe mir eine Notiz im Gehirn gemacht.
Schau mer mal Der Vergleich mit Wilhelm II hinkt – natürlich. Was das fetische und haptische, sinn – und unsinnige des Buchs betrifft, wurde auf diesen Seiten genug geschrieben. Nur, Hr. Peperkorn, weil Sie gerne am Bildschirm lesen mögen, muss das mehrheitlich nicht auf die Republik zutreffen. Ihre Prognose, meine Prognose. Wir treffen uns hier in zehn Jahren wieder, wenn mich bis dahin der Schlag nicht getroffen hat und besprechen dann weiter. Vielleicht habe ich mich dann geirrt? Mal schaun…