Lothar Zagrosek kennt diese dreiviertelvergessene Oper gut, 1994 hat er das Stück bereits eingespielt, bzw. aufgenommen; der gegenüber der Aufführung von gestern abend fast zwanzig Minuten längere Mitschnitt erschien >>>> vor drei Jahren bei Decca. Braunfels‘ Vögel waren unters Verdikt der Entarteten Musik geraten, deren Entartung er zynischerweise selber, und zwar im Libretto, beklagt. Nach dem Zusammenbruch der deutschen Barbarei hatte Braunfels aus nun wieder ganz anderen Gründen nicht mehr an seine einstigen Erfolge anschließen können. Vielleicht geht Zagroseks offenbar intensive Beziehung zu Braunfels‘ Werk denn doch nicht über das ehrenvolle Bemühen hinaus, dem aus antihumanistischen Gründen verpönten und schließlich aus ästhetischen mißachteten Komponisten posthume Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Tatsächlich schwimmt die Musik aber, sieht man von den beiden kurzen versprechensvollen Vorspielen sowie dem ersten Duett des Zweiten Aufzugs einmal ab, in einem auf Hochglanz getrimmten Schönklang, der sogar bisweilen ins Operettige rutscht und schon gar keine expressiven Ausbrüche kennt, wie sie den Zeitläuften ihrer Entstehung angemessen wären; anders als bei Franz Schreker gibt es auch kein Graben im Sexuellen; bisweilen unterzieht eine Art Meistersinger-Harmonik, an der das bewußt ausgestellte Bürgerliche schon bei Wagner stört, die Faktur, darüber zwitschern dann die Vögel in großsinfonischem, wohlorchestriertem Gezwitscher, einem durch und durch hochgemetzten Tirili, das einen „Schmetterlingsraum“ der Fantasie meinen mag, aber doch sich auf einem Hawaii ergeht, wo es eben kein Bier gibt. Immer wieder dehnen sich Streicherparts unter untergehende Sonnen, manches ist nach der modernen Erfahrung mit der Filmmusik imgrunde gar nicht mehr anhörbar, sozusagen a posteriori so sehr klischiert, daß einem ziemlich müd zu Ohren wird. Übrig bleiben große, doch ganz entleerte Gesten. Das betrifft, so installiert, sogar Braunfels‘ Katastrophenmusik im Zweiten Aufzug, die sich überdies abermals von Wagner, dem Rheingold nämlich, herausleiht.
Freilich sah dies das Publikum anders, das gestern abend auf die Neuaufführung mit standing ovations reagierte: bloß weiß ich nicht, ob sich nicht auch dies mehr einer internalisierten political correctness verdankt als einem wirklich überwältigenden Erlebnis durch Opernmusik, bzw. ihre Aufführungsnovität. Daß perfekt ausgehorcht musiziert worden ist, bedarf dabei keiner Erwähnung; Zagrosek ist momentan erfolgreich dabei, aus dem Konzerthausorchester wieder eines von Weltklasse zu machen; auch die Wahl seiner Solisten zeugt von präzisem Geschmack. Zu dieser Weltklasse gehört ganz sicher, daß ihm auch Aufmerksamkeit zuteil wird; man muß sich in Berlin deutlich positionieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Dafür sind Stücke wie dieses von Braunfels durchaus geeignet, zumal wenn ein Publikum derartig mitgeht. Betriebsstrategisch ist die Auswahl jedenfalls zu begrüßen, auch wenn die ästhetische Substanz des Stückes nicht ohne Fragwürdigkeit ist. Homoki, an der Komischen Oper, hat sich zu einem ganz ähnlichen Zweck erfolgreich auf Operette und Musical verlegt und wirft mit dem Speckzeug nach Mäusen. Soweit geht Zagrosek nicht. Und schaut auch nach Formen der Repräsentation, die wenigstens ihrerseits neue, zeitgemäße Wege beschreiten.
Hier hat er sich Sabrina Hölzel für die Szene geholt. Sie hat sich für etwas entschieden, das „Operninstallation“ genannt ist: V e r z i c h t auf Szene, statt dessen statisches Aufführen, weil die auf verschiedenhohen Stelen stehenden Sänger eigentlich interagieren gar nicht können. Als eine Art Szene dienen dafür Kohlezeichnungen des Berliner Künstlers Volker März, die auf eine über Orchester und dem riesigen Chor aufgehängte ovale, viel zu dekorative Leinwand projeziert werden, dia-artig, teils leicht animiert, holzschnittartig wie aus der Hand hingeworfen, kaum je wirklich abstrakt, eher volkhaft derb, manchmal nach Art bodenständiger Comics skizziert. Doch will sich ein Zusammenhang nicht tatsächlich herstellen, was weniger an den Grafiken als an dem Hochglanz liegt, der aus dem Großen Saal des Konzerthauses mit seiner umbestuhlten Tribünenhaftigkeit eine Art Carnegie Hall macht. Das Dekorative ist hier durchweg das Problem, weil es auch schon ein Problem der Musik selber ist. Wenn dann unter die Zeichnungen auch mal ein erkenntbarer Soldat gemischt wird, stört das ziemlich den guten Geschmack, denn dann wird, völlig herausgerissen aus dem Zusammenhang des Stücks, der Autobiographie eine Referenz erwiesen, die für die Zeit der Stückentstehung gar nicht angemessen, sondern eben persönliche Referenz der Wiedergutmachung ist. Die Reformidee szenischer Aufführungen, wie Zagrosek sie mit Mozarts La finta gardieniera begann und im >>>> Gluck-Projekt zu solcher Qualität weiterführte, bleibt hier stecken, weil die „Installation“ zum einen der Szene eine so deutliche Absage erteilt und weil zum anderen die „Installation“-als-solche weit hinterm Standard zurückbleibt. Vor allem fehlt es an Schmutz, zu denken etwa an die politische Kunst der Environments Wolf Vostells wie anderer Großer der jüngsten Ästhetikgeschichte. Das grob Handskizzige Volker Märzens reicht nicht hin, ja bekommt etwas Niedliches, Marginales auch dann, wenn je das Einzelbild, als Blatt, Kraft genug hätte, Fantasie zu entzünden. Hölzel wollte, schreibt sie, auf die Perfektionen der Computeranimation verzichten, sie w o l l t e offenbar Erdung; das ist achtbar. Doch verstärken die Bilder auf der Dekorationsleinwand unwillentlich den Carnegie-Hall-Effekt, so daß die sich in ihrem Schönklang immer nur selbst feierende Musik erst richtig zu Glitter kommt. Ein Problem ist dabei das Illustrative: die Sänger auf Stelen zu stellen, verdoppelt eigentlich nur das Zwischenreich der Vögel; ein „Wolkenkuckucksheim“ kommt dabei nicht heraus, zumal des Zeus‘ Vernichtungsunwetter rein nichts zusammenbrechen l ä ß t, sondern das schöne Orchesterbild b l e i b t ideal fürs Plattencover, bleibt eben B i l d, anstelle Installation dann auch zu werden. Was man von solch einer mit Recht erwartete: daß sie den Rahmen der Guckkastenbühne verläßt, stellt sich nie ein, sondern der Guckkasten wird zu einer, zugegebenermaßen edelsten Schaufensterdekoration.
Aber was soll uns das Stück denn auch selber? Eine Allegorie ihrer selbst wegen, rein postmodern selbstreferent? Die Anleihen bei Pfitzner, „Von deutscher Seele“, ohne daß Braunfels je die unfragliche Größer des Palestrinas erreichte, sind unüberhörbar, dieses bürgerlich Biedere, auch ein gewollt Mozartsches, das sich aber breitwalzt, als hätte Stokowsky dreimal mit den Gurreliedern drübergeschmiert, damit es im Fernsehn auch wirkt und auf der Leinwand; eine Melodik, die zu wirklichen Melodien nicht hinreicht, schon gar nicht zu „ewigen“, ein Vogel Strauss, der den Kopf in denselben Sand steckt, der ihn wirkungsgeschichtlich abhaut, anstatt ihn vor dem Sandsturm zu schützen, ja anstatt den Sturm auch nur zu sehen… die ganze Musik ist voll von Verleugnung: Das ist k e i n e Frage traditioneller Harmonien; unter anderem Benjamin Britten, im „War Requiem“, hat gezeigt, wie sich auch tonal und weiterhin nach der Katastrophe mit Katastrophen musikalisch wahrhaftig umgehen läßt. Braunfels lügt sie hinweg: das ist der Makel dieser falschsymbolischen Musik. W e n n man sie denn inszeniert, so müßte genau das deutlich werden. Inszeniert werden müßte im Widerspruch; dann, vielleicht, gewönne man ihr etwas zurück, das auch ästhetisches Recht hat und nicht nur wohlfeil Unterhaltung ist.
[Nächste und letzte Aufführung:
Heute, Sonntag, den 29. März 20 Uhr.
Konzerthaus Berlin. 20 Uhr.
>>>> Karten
>>>> Programmheft als pdf.]