Gründonnerstag. 09.04. 2009. Paul Reichenbach liest Louis Aragon.

„Heute betet man die Götter nicht mehr auf den Höhen an. Der Tempel Salomons ist in die Metaphorik eingegangen, in der er Schwalbennestern und bleichen Eidechsen Unterschlupf gewährt. Der Geist der Kulte hat die heilgen Stätten verlassen, indem er sich in Staub auflöste. Aber es gibt andere Orte, die unter den Menschen blühen, andere Orte, an denen Menschen sorglos ihrem geheimnisvollen Leben nachgehen und die sich allmählich einer tiefen Religion öffnen. Die Gottheit bewohnt sie noch nicht. Sie formt sich dort erst, es ist eine neue Gottheit, die sich in diesen modernen Ephesoi niederschlägt, wie von einer Säure zersetztes Metall auf dem Grund eines Glases; es ist das Leben selbst, das hier diese poetische Gottheit ans Licht bringt, an der tausende Leute vorbeigehen werden, ohne etwas zu sehen, die aber für jene, die sie ungeschickterweise einmal wahrgenommen haben, plötzlich spürbar und zu etwas entsetzlich Quälendem wird. Metaphysik der Orte, du wiegst die Kinder ein, du suchst ihre Träume heim. Unsere ganze geistige Materie säumt diese Strände des Unbekannten und des Erschauerns. Bei jedem Schritt, den ich zurück in die Vergangenheit tue, finde ich dieses Gefühl des Seltsamen wieder, das mich, als ich noch ganz Staunen war, in einer Szenerie überkam, in der mir zum erstenmal ein ungeklärter Zusammenhang und seine Auswirkungen auf mein Herz bewusst wurden.“
(Louis Aragon “Pariser Bauern )

Allen schöne Feiertage !

>>>>Bild: „Modern Times: Abendmahl im Lab“ – visual eucharist-poem by Litsa Spathi

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