traumgeschehen…

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ein schmaler weg. dichtes, nasses, dunkles grün, der regen tropfte von den blättern. es war mühsam, mit den glatten sohlen der gebundenen schuhe auf dem rutschigen lehmboden das gleichgewicht zu behalten. so früh am morgen war es noch kalt, ich fror, hielt mich mit meinen händen immer wieder an den ästen der rechts und links den weg säumenden büsche fest, rutschte aber immer wieder weg, versank dann knöcheltief im matsch. mir kamen zwei gruppen von menschen entgegen, ich erkannte, daß es männer waren, trat beiseite, damit sie ihres weges gehen konnten, sah, daß sie jeweils zu viert eine schwere last trugen, die auf einem holzbrett lag. seile waren an den brettern befestigt, die enden hatten die männer jeweils um ihre schultergelenke gewickelt, niemand sprach ein wort. als sie an mir vorüber gingen, sah ich, was sie trugen. auf den beiden brettern lag jeweils ein menschlicher körper. dem ersten geteerten körper fehlten die arme und die beine, man hatte sie neben diesen und auf diesen gelegt, der kopf war nach links gedreht, der mund weit aufgerissen. die teermasse war auf dem körper erstarrt, zentimeterdick. der zweite geteerte körper hatte noch arme und beine, in ihrem erstarrten zustand abgewinkelt, die beine hingen vorn nach unten über die kante des brettes, die arme standen im rechten winkel an beiden seiten des körpers nach oben. die hände wirkten in ihrem halb geöffneten zustand so, wie wenn sie nach etwas greifen wollten. das gesicht hatte man auch geteert, aber die öffnungen von nase und mund waren zu sehen. diesen körper trug man sehr umsichtig, vermied jede erschütterung. ich konnte nicht erkennen, wer es war. schweigend gingen beide gruppen an mir vorbei, verschwanden hinter der nächsten biegung des weges
ich schritt mit vielen menschen in eine richtung, man hielt mich an meinen armen, ich hatte nicht viel kraft, und die ruhe der weigerung eines empfindens in mir. ich sah an mir herunter, unter dem angeraut dicken stoff meines schwarzen langen kleides sah ich die wölbung meines bauches. sechster monat, dachte ich, legte meine hand auf meinen bauch, ging weiter. alle gingen wir zu einem haus. je näher wir diesem haus kamen, desto mehr weigerte ich mich, etwas fühlen, etwas empfinden zu wollen. die menschen sprachen nicht, sie gingen gebete leise vor sich hin murmelnd mit gefalteten händen, mit zum boden geneigten blick. sie gingen nicht ihren eigenen weg, sie begleiteten mich auf meinem weg zu unserem haus. das schweben einer stille über allen, die dieses ziel hatten. ich ging zwar in dem wissen, zu unserem haus gehen zu müssen, weigerte mich aber weiterhin, das wissen zu wollen. ich war das nicht, die da ihren weg ging, ich trug kein langes schwarzes kleid, und auch kein kind unter meinem herzen, die ganze situation war nicht meine.
am haus angekommen, empfingen mich noch mehr menschen. sie sahen mich schweigend an, ihre blicke wollte ich nicht deuten. ich betrat unser haus, auch hier standen und saßen menschen, die ich nicht kannte, auch sie schwiegen. die klappe zum keller war geöffnet, man hatte ihn nach unten gebracht, in sein zimmer, welches ich nur ganz selten betreten hatte, wenn er sich in diesem aufhielt. die augenblicke seines allein sein wollens akzeptiere ich bei ihm genauso, wie er meine. ich ging die stufen der treppe nach unten, menschen kamen mir auf halber höhe auf dem zwischenboden dieser entgegen, blieben dort stehen, um nach unten zu blicken, ich hatte keine erklärung dafür. sein schmales bett, das in der mitte des raumes stand, war mit einem frischen laken bezogen, überall auf dem holzboden schüsseln mit dunkler brühe, auf der eine oelschicht schwamm, und zusammengeknüllte schwarz feucht massige stoffstücke. drei frauen waren schweigend damit beschäftigt, das teer von seinem körper zu entfernen, man hatte ihn auf dem bauch gelegt, seine arme hingen jetzt an den seiten des bettes hinunter. sein gesicht war schon frei von der masse, auch sein langes haar war gewaschen, über seine lenden war ein grober leinenstoff gelegt. sein körper trug die zeichen der folter in einem ausmaß, wie ich es selten bei einem noch lebenden menschen sah. auf seinem rücken hatte man mit dem messer geschnitten, es waren schnitte, die man wie ein gitter mit in sich kreuzenden geraden horizontal und vertikal lang und tief in die haut geschnitten hatte, aber da waren auch wunden, die einfach nur in die haut gestochen aussahen, wie punkte, nebeneinander gesetzt. alles war teilweise schon verschorft, brach aber jetzt, wo man ihm den rücken gewaschen hatte, wieder auf, und blutete. das blut lief rechts und links an den seiten seines rückens herunter, bildete rinnsäle, die unter seinem körper das laken tränkten. ich hatte keine erklärung dafür, warum die menschen, die beim die treppe hinunter gehen oben auf dem zwischenboden der treppe stehen blieben, nach unten blickten, dort für eine weile verharrten, dann die treppe ganz herab stiegen, zu seinem bett gingen, dort auch eine weile stehen blieben, sich dann bekreuzigten, um schweigend die treppe wieder hochzugehen, um das ganze zu wiederholen.
ich ging nicht gleich zu ihm, weil ich den menschen, die ihm seine ehre ließen, raum dafür gewähren wollte. den mönch, der mich zu einem stuhl geleitete, weil ich nicht mehr stehen konnte, sah ich fragend an. „gehen sie die treppe hoch, und sehen sie sich seinen rücken von dort oben an, aber erst wenn sie sich dazu in der lage fühlen, sie müssen sich und ihr kind schonen, ich bring ihnen gleich etwas, etwas was sie beruhigen und stärken wird“, sagte er. er bereitete mir am feuer einen tee aus einer seiner kräutermischungen, die zwar sehr bitter schmeckte, mich aber in einen abstand zur situation einhüllte, der mich dann in meinem innen ganz ruhig werden ließ. als ich aufstand, wichen die an der treppe oben und unten stehenden menschen, damit ich diese hinauf gehen konnte. auf dem zwischenboden ankommend drehte ich mich, sah über das geländer nach unten. ich sah das bett, sah ihn so in seinem zustand, wie er da lag, wanderte mit meinem blick über seinen geschundenen körper, ich hatte angst davor, mir seinen rücken anzusehen, meine augen wichen immer wieder aus, um dann aber doch hinsehen zu wollen. ich erkannte dieses in die haut geschnittene gitter, realisierte nach und nach das bild, welches sich aus diesen gestochenen punkten ergab. ich mußte mich am geländer festhalten, den boden unter meinen füßen verlor ich fast. es war ein gesicht, welches man in seinem körper hinter das gitter verbannend, gestochen hatte. das gesicht jesu. ich blieb stehen, konnte nicht reagieren, erstarrte innerlich, konnte mich nicht mehr von dem geländer lösen, fing an zu zittern, bekam kaum luft, der schneidende schmerz durchfuhr nicht nur meinen leib. man löste meine hände von dem geländer, half mir die treppe wieder hinunter, wollte mich wieder zu dem stuhl führen, ich aber wehrte mich. „ich will jetzt zu ihm, er ist mein mann“ rief ich, krümmte mich unter schmerzen. der mönch hielt mich, gab mir noch einmal von dem zubereiteten tee zu trinken, sah mich an. „er ist tot“, sagte er. „nein. er lebt, sehen sie doch“, antwortete ich, kniete links an seinem bett nieder, beugte mich, mein haar fiel nach vorn, ihm auf die linke schulter. rot war es, lang und gelockt. er öffnete die augen, sah mich an, sah mich, und ich sah ihm in seine augen, sah ihn und das glühen. sein glühen für alles das, was er jemals gesagt und getan hatte, für das er gerade jetzt mehr als alles einstand. er sagte nur einen satz: „nicht jesus heilte, sondern der glaube.“