Arbeitsjournal. Sonntag, der 6. September 2009. Frankfurtmain und Berlin.

7.42 Uhr:
[Sachsenhausen. Vor >>>> der Lesung.]
Während der Zugfahrt hierher so müde gewesen, daß ich eigentlich nur geschlummert habe, einmal sogar eingeschlafen bin, jedenfalls nix gearbeitet, auch nicht gelesen. Dann abends, Do hatte zum Essen eingeladen, eine der blöden Magenattacken, die mich seit Jugend begleiten, immer mal wieder losgehen, dann einzwei Jahre „schweigen“, dann wieder losgehen. Wenn ich was wegdränge, das aber in mir weitergrumpft, kommen sie mit der Präzision eines chinesischen Uhrwerks. Es hat keinen Sinn, dann nichts zu essen oder den Magen nur sanft zu beschäftigen, sie kommen und bleiben eh – meist, bis ich geschlafen habe. So auch heute: alles weg, ich bin wir frisch. Zu ahnen, daß sowas käme, war es freilich schon vorgestern abend, als ich mit M. und dem Profi zusammensaß.
Okay, um halb sieben auf erst, hier in der Wohnung nach einer Kaffeemaschine oder etwas Ähnlichem gesucht, dann eine Bodoum gefunden, Kaffee zu- und die Lesung vorbereitet. Wenn man eine Veranstaltung hat, die mit Gesprächen durchsetzt sein soll, muß man sich eine gut funktionierende Dramaturgie überlegen, das heißt, im Text herumstreichen und allein über die Auswahl neue Bezüge herstellen, die eine solche Lesung dann rund machen lassen.
In einer dreiviertel Stunde breche ich auf, treffe Do und ihren Partner zum Frühstück in einem Café, das, freilich unter anderem Namen, bereits in meiner ersten Frankfurtmainer Zeit, 1981, existierte und auch immer mal wieder in einer meiner Erzählungen erwähnt wird; damals hieß es „Palmencafé“; ich saß oft mit meinem unterdessen so mies krepierten Freund Rucker da; da auch schrieb ich Teile der >>>> Verwirrung des Gemüts.

Will für Do noch schnell paar Musiken brennen, aber der Brenner muckt. Nach der Lesung, sowas gegen 14/15 Uhr, fahr ich sofort nach Berlin zurück. (Mit einem seltsam weicherlich klingenden >>>> dielmann telefoniert, der selbstverständlich n i c h t bei der Lesung dabeisein wird, und als ich nach den Umschlägen der >>>> Engel fragte, lachte er, als ihm die Seele bis in den Körper zittern würde. Es gibt natürlich immer noch keine, w e n n es welche gibt, so jeweils 10 oder 20, die er selbst gebastelt hat. Peinlich.)

8.24 Uhr:
Ich denk mal, >>>> das „Problem“ besteht darin, daß ich leidenschaftlich in der E-Kultur lebe und mit der U-Kultur absolut nichts anzufangen weiß; sie ist mir nicht nur grundsätzlich fremd, nein, geradezu körperlich unangenehm – was wiederum daran liegt, daß ich auch schon als Jugendlicher mit Jugendkultur nichts anfangen konnte – diese Aufmärsche und Gruppierungen machten mir nichts als Angst – und gaben mir ja auch allen Grund damals. Sie brauchten ihre Außenseiter und schlugen völlig erbarmungslos auf sie ein; mir ist von da ein tiefes Mißtrauen gegenüber „Solidarität“ geblieben, ich spüre bis heute Corpsgeist in ihr. Es ist auch eine Art Reflex, der mich sofort – obwohl ich das unterdessen zu rationalisieren und also zu modizifizieren und in einigermaßen angemessene Verhältnismäßigkeiten zu interpretieren vermag – deutschnationale Gruppenaufmärsche assoziieren läßt. Selbstverständlich hat das eine mit dem anderen inhaltlich nichts zu schaffen, ja scheint sogar dagegenzustehen – aber strukturell hat es das, steht es n i c h t dagegen; man muß nur die Werte ändern, und das Grauen wär wieder da.

So, ich muß los. Bin ziemlich gespannt.

14.18 Uhr:
[IC Frankfurtmain-Berlin.]
S e h r >>>> schöne Lesung, ausgesprochen leicht von dem nervösen und schnellen, ziemlich klugen Martin Maria Schwarz moderiert; Gedichte hab ich keine gelesen, anders, als ich wollte, weil der Focus so genau auf MEERE gerichtet war, daß alles andere dramaturgisch gestört hätte. Hinterher mit Freunden noch ein Bier trinken gewesen, das mich, klar, jetzt etwas müde gemacht hat; aber es ist ja eh Mittagsschlafzeit. Im Ice sogar einen Platz mit Stromanschluß gefunden. Bestens also. Um 19.08 Uhr werd ich am Südkreuz, eine halbe Stunde später an der Prenzlauer Allee und nach weiteren fünfsechs Minuten in der Arbeitswohnung zurücksein. Vielleicht dann schon wieder, spätabends, >>>> Bar. Voll wars bei der Lesung, und Bücher wurden gut verkauft – was immer ein Zeichen ist.

20.18 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Zurück. Während der Fahrt David Foster Wallace weitergelesen und mich diesmal tatsächlich festgelesen. Darüber will ich jetzt aber nicht hier, sondern gleich, bzw. nachher >>>> dort schreiben. Die Bücher und den kleinen Laptop-Rucksack hochgebracht und gleich wieder aufgebrochen, aufs Fahrrad, die kleine Strecke zu meinem Lieblingslibanesen, der, so weit ich die arabischen Küchen Berlins kenne, den besten Hummus der Stadt hat. Bisweilen grüßen wir uns mit Salaam Aleikum, Aleikum Salaam, ich saß auf der Dimitroff vor dem Restaurantchen, futterte, besann den Tag, besann eine gute sinnliche Mail, die mich noch auf der Fahrt erreichte, besann ein paar Brocken Gesprächs, das vor >>>> der Lesung Schwarz und ich geführt hatten, dann ging es, soeben, wieder hierher. Bißchen Wein ist noch da, ich möchte auch weiterlesen, dann für Guido Grafs Kiepenheuer-Site schreiben. Darüber wird es Mitternacht werden.
Zwei Tage war ich nicht am Cello, da will ich morgen als erstes dran – also nach der Früharbeit. Dann werd ich sogleich losradeln, noch vor dem Cello, um die wichtigsten Rechnungen wenigstens teilweise zu bezahlen. Jetzt aber bin ich erstmal hier.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 6. September 2009. Frankfurtmain und Berlin.

  1. Gut, dass Sie die “Solidarität” in Anführungszeichen gesetzt haben. Er ist ein zweischneidiges Schwert, dieser Solidaritätsbegriff. Eine Seite davon möchte ich nicht missen. Die des Einzelnen am Einzelnen, aus welcher Gemeinschaft erst entsteht. Solidus meint hier: stark , echt sein. Ist es dann eine Gemeinschaft, und wirkt das Solidarprinzip in dem Sinne weiter, dass man sich vereint, um gemeinsam (gegen etwas) fest und stark zu sein, droht immer der Verrat am Selbst. Bliebe die Frage: Wieviel Gemeinschaft (v)erträgt der Mensch?

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