Mystik und Aufklärung.Wer hat schon immer parat, dass beide zusammengedacht werden müssen. Das kam mir gestern in den Sinn als Condor punktgenau meinte, dass Versenkung eine durchaus ernstzunehmende protowissenschaftliche Methode der Mystik ist. Mir fiel >>>Gottfried Arnolds „ Kirchen – und Ketzerhistorie“ ein.
Der Name Gottfried Arnold, Mystiker und Spiritualist, gehört auf die erste Seite jeder geschichtlichen Darstellung der deutschen Aufklärung!
Der Abend gestern war bestimmt von der Suche nach dem Fehler, der meinen Zugang zum Internet so instabil macht. Erfolglos. Leider. Deshalb kann ich heute erst, danke parallalie, auf den >>>>Übersetzungsversuch der Verse reagieren, den >>>>parallalie eingestellt hat. Das ist ein ganz anderes Gedicht geworden, dem ein wenig die Zärtlichkeit des johannitischen Originals fehlt, dachte ich beim Lesen. Die zur „süßen Liebe“ transformierte Sexualität, die ich aus dem Ursprungstext lese, fügt sich in der Übersetzung parallalies für mich zu einer Trennungsgeschichte. Eine mögliche Lesart , sicher. Ich kann weder Spanisch noch Italienisch und bin ein bissl unsicher um uneingeschränkt ja sagen zu können. Mal sehen, vielleicht setzt sich parallalie noch mal dran. Übersetzen, Nachdichten ist, glaube ich, noch schwerer als selbst Verse zu verfassen.
Lieber Herr Reichenbach, uffpasse! mit voreiligen schlüssen aus condors glitzernden thesen. Arnold ein spiritualist? sicherlich. ein mystiker? nun ja, ein pietistischer allenfalls! und damit himmelweit im doppelten sinn von juan de la cruz entfernt! eben bei arnold würde condor sicherlich seine protowissenschaftliche methode eher wiederfinden, nämlich in einer stets inhärenten weltlichen ziel- und zweckorientierung, die gleichsam einen tauschprozeß zwischen rationalität und zungenrede innerhalb des konventikels initiiert.
daher auch die charakteristischen beifallskundgebungen auf seine historie (die übrigens so „unpartheyisch“ ist wie gibbon’s decline and fall of the roman empire): spener, der religiös nächste, schütelt das haupt, während thomasius, der stylit frühaufklärerischen rigorismus, elogen dichtet.
zu parallalies übersetzung (und damit jetzt auch Sie ansprechend, p.): Ihre ersetzung des ‚dolce‘ am schluß ist durchaus kühn! geht dabei nicht etwas entscheidendes verloren? nämlich: daß diese „letzte“ begegnung unbeschreiblich, unausdrücklich, aber eben zu schmecken ist?
NB: interessant übrigens, daß die italienische version um des reimes willen „tela“ an den schluß setzen muß, was ein gutteil der gewaltsamkeit im spanischen „rompe la tela“ durch die sperrung suspendiert.
Dem Bergbesteiger mit dem Knoten im Stöckchen sei Dank, „der Knoten der Kontemplation“ natürlich, sonst kann man sich das nicht merken, dieses innerliche Zusammenknusen, wie ´s dann die Barfüßigen beschrieben, die ihren angemessenen göttlichen Ausdruck suchten, Erfahrungsquellenwissenschaft folgte ja erst später, Aik, da fängts doch an, oder (da kam ich wegen der Gitte drauf, du weißt schon)? Ich würde das aber auch trennen, Pietismus: fundamentalistisch subjektiv, der Mystizismus löste sich zum Teil vom Göttlichen, auf der Suche nach dem zuvorderst dagewesenem heilen Ganzen, durch z. B.Wortschöpfungen und frühes Dada, das treibt sicher wieder literarische Gattungen voran ist aber nicht unbedingt ein Motor der den Protowissenschaften irgendwas vorausgibt sich zu etablieren, da würde ich eher den Pietismus ansiedeln.
P.S. ich weiß nicht ob der nen Stock dabei hatte, ich aber hätte einen mitgenommen…
das wäre wohl, read An, unser Weg voranzuschreiten.
yes, yes In jedem Fall interessanter Bogen. Fundamentalismus und Wissenschaft.
Wissenschaft und Fundamentalismus. Und zwischendrin rollt die Autonomie der Künste.
@read An. … die es so wenig gibt wie irgend eine andere.
@ANH daran muss gerüttelt werden, meine ich. 🙂
@ aikmaier schmeckt denn der tod? der süße? den nach gott schmachtenden durchaus. aber sie haben recht: ich hab’s mir hingebogen. statt der reime macht’ ich mir ein lied aus lauter letzte(nde)n dingen. schade eigentlich: statt ‚tela’ ginge auch ‚mela’ (da wäre dann alles drin). und paßte irgendwie zu ihrem ‚uffpasse’. also, ich sehe nicht ein verlorengehen in dem „letzten“, es setzt allerdings die gängige münze des „süßen todes“ voraus. bin mir aber meiner eigenen hand bewußt und des spiels, das sie da treibt. aber doch immer das empfinden, mystiker seien hocherotisch: Du bist min legerkússin, min min[e]ckliches bette, min heimechstú ru[o]we, min tiefeste gerunge, min ho[e]hste ere. Du bist ein lust miner gotheit, ein trost miner mo[e]nscheit, ein bach miner hitze. – Mechthild von Magdeburg. die zwar einer anderen semantischen schicht sich angehörig glaubt, aber sich dennoch der einen bedient der unbedingten sublimierten minne, deren sprache sie dennoch mächtig – nein, bemächtigt.
@Aikmaier
Lieber Herr Aikmaier,
wenn jemand was mit Juan und Gottfried anfangen kann, dachte ich beim Schreiben, dann Sie. Johann vom Kreuz, tatsächlich himmelweit von Arnold entfernt, lasse ich jetzt außen vor. Lallomanie und iberisch-stumme Flagellantenfreuden sind eine gesonderte Betrachtung wert. Condor schiebe ich auch beiseite. Mir geht es um Arnolds Spannweiten zwischen Rationalismus und „Geistkraft“. Ich habe ihn mit Kraussschen Augen gelesen, wie Sie sich denken können, und sehe ihn dadurch etwas positiver als allgemein üblich. Bis zu Arnold beschränkte sich die „mystische Verneinung“ äußerer Zeremonien und kirchlicher Praxis, ein Protestantismus gegen den „herrschenden Protestantismus“ sozusagen, auf individuellem Rückzug in hermetische Innerlichkeit. Arnold dagegen, und das macht ihn für mich wichtig, unternimmt den offenen Angriff auf Institutionen. In Arnolds „Theologie der Gegensätze“(Krauss) verhalten sich radikale Mystik und extremer Rationalismus wie kommunizierende Röhren. Das Spannende ist, dass bei ihm Innerlichkeit jede Symbolik und alles Kultische von sich weist, und dass der Mann nicht fällt, wenn ihm sein eigenes Hineinhorchen auf den Ausgangspunkt Cartesianischer Cogitatio zurückwirft. Sondern steht! Thomasius als Bewunderer erwähnten Sie selbst. Christian Wolff kommt mir noch in den Sinn, obwohl da ein Nachweis schwer fallen wird. Der Gute zitiert sich meist nur selbst. Wolffs Vertreibung aus Halle war ein vorübergehender Erfolg des nun orthodoxen Pietismus, der seinen Patriarchen schnell vergessen hat. Arnold geht es da nicht anders wie anderen streitbaren Geistern in der Geschichte, die Träume und Vernunft eng miteinander verzahnen wollten, sie scheitern an ihren Söhnen und Enkeln. Fakt ist für mich, dass mit Arnold Spinoza besser in die deutschen Lande sickern konnte. Dass dies nur theologisch verrechnet werden kann, ist dem deutschen Misere geschuldet, dass uns in Arnold personalisiert entgegenkommt.
Ich hör jetzt auf, wir haben sicher im „traurigen Monat November“ Gelegenheit zu einem heiteren kleinen Gespräch über Sitten und Unsitten deutscher Aufklärung.
@ parallalie: schmeckt denn der tod?
fragen Sie mich nicht. ich tippe nicht von outre-tombe nachrichten in die dschungel. zumindest zu Ihnen würde ich ansonsten den kürzeren weg über mons soracte nehmen…
wer sagt denn, daß juan, spanisch oder italienisch, den tod meint? wer sagt, daß ihm der encuentro/incontro nicht schon hier und jetzt (und erst in zweiter linie: für immer) zuteil werden soll? – übrigens kann ich Ihre übertragung durchaus schätzen, gerade das ‚letzen‘ der flamme im zweiten vers ist so placiert, wie ich es nicht könnte. und doch fehlt es mir, das ‚dulce‘, wie dem don seine dulcinea, weil ich eben auf dem geschmack gottes gern bestehen würde (wie dem don seine dulcinea schmeckte). auf einem erlebnis des göttlichen, das eben – anders als sicht- oder höreindruck – nur ohne die ratio zu fassen ist und sich damit juan vor allen inkorporations-tausch-versuchen von seiten condors bewahren kann. sehen Sie es mir bitte nach…
mechthild sublimiert? umgekehrt: wo der trobador sublimieren muß, da erfüllung nicht in sicht ist, können die verzückten ordenssschwestern auf die vereinigung hier und jetzt hoffen, müssen also gar nicht so sehr verkopfen wie ihre männlich-höfischen kollegen.
NB @ paul reichenbach: im siebzehnten jahrhundert wurde einem etwas schmuddeligen deutschen bei der überfahrt übers mittelmeer von zwei spanischen franziskanern eine lateinische ausgabe juans de la cruz als lesestoff überlassen. der junge mann kam nicht von der lektüre los, übersetzte alles ins deutsche und ließ das meiste in sein hauptwerk, den kühlpsalter einfliessen… Sie sehen: Ihre wahlverwandschaften sind auch untereinander verschwägert.
Lieber Herr Reichenbach, jetzt haben sich Ihre erläuterung und meine anregung überkreuzt. ich ahnte schon, was Sie an arnold fasziniert. doch darin gleich „die“ deutsche misere zu entdecken? er zeugt für die relative gleichschaltung protestantischer religion im achtzehnten jahrhundert, welche der von selbiger beklagten jahrhundertealten katholischen praxis in nichts nachsteht, sie – meine ich – sogar übertrifft. (man vergißt schnell, daß schon calvin in genf scheiterhaufen mit entzüdnet hat.) auswege zeigten nur die „stillen im lande“ und ihre freudlose seelenruhe auf oder ein gewisser pantheistischer naturkult, wie ja auch mancher später nicht unbekannte dichter ihn jugendbewegt pflegte.
eine deutsche misere? kann einem hundert jahre nach arnold auch SO und ungleich revolutionärer entgegenkommen – fahrbare guillotine inklusive!
Danke! Nur so viel:
Kuhlmann – Johann vom Kreuz: Das habe ich nicht gewusst. Hach, es gibt Tage da rollen Welten übers Dach, durchaus angenehm. Wellershoff war Redakteur und Oswald Wiener der Reporter. Ein ganzer Abend Kuhlmann. Das ist Jahrzehnte her.
Der Wechsel menschlicher Sachen löst sich manchmal spät ein.
Bei Gelegenheit mehr, incl. Misere(?)
Guten Abend.
P.S. Ihren Schneider, wenn er auch nicht aus Mainz stammte, sah ich jetzt erst. Ja.. auch der kann Thema sein. 🙂
@ aikmaier das aber sage ich nicht, daß der tod gemeint sei. ich sage nur, das letzte sei gemeint. was dieses letzte ist, weiß der schleier. der sich auf apfel reimt, zumindest im italienischen, das eigentlich ein „velo“ hätte nehmen müssen, aber – weiß der geier – der „melo“ will „grano“, und es hilft alles nichts, a und o bringen nur unheil in die welt. denn grana = die kohle und melo = die granate. „il naufragar m’è dolce in questo mare.“ Leopardi
@Reichenbach Sie haben da schon was richtiges rausbekommen. Ich kann hier auch einmal über den Grund spekulieren, warum es einen Protestantismus gegen den Protestantismus gab.
Der Grund ist sicher der, das die reformatorischen Prozesse derartig brutal in die Seelenlagen eingegriffen hat, dass man schon beinahe von einer elektrochemischen Umformatierung der Gehirne sprechen muss, und noch nicht mal Luther selbst hat es mental wirklich bis zum waschechten Protestanten gebracht. Luther war eigentlich selbst noch Katholizist. Die Zumutungen an das menschliche Gehirn in diesem Bruch sind derartig groß, dass die Prozesse dazu geführt haben, dass viele Menschen die Wunde, die der Protestantismus in das Weltverhältnis reisst, schnell wieder mit einem katholizistischen Pflaster anderer Bauart verkleben.
Also alles Repressive, dass der schlechte Protestantismus so hervorgebracht hat, ist eigentlich der Versuch, diesen blutenden Seelenstumpf, der sich aus dem Abschneiden der Glaubenspraxis von der Physis ergibt, mit metaphysischen Katholizismen zuzukleben. Der repressive Protestantismus ist metaphysischer Katholizismus. Eine Form der Repression ohne Repräsentanten. Und das reicht bis heute durch eigentlich.
Leute wie Arnold haben das gespürt, das Luther nur die halbe Arbeit getan hat.
Die volle Arbeit würde nämlich eigentlich konsequenter Weise zum Daoismus führen. Nun ist der Daoismus auch eine sehr durchwachsene Erscheinung,
und er ist dort, wo er zu früh eingeführt wird, technisch nicht sehr potent, weil der Daosimus keine Sublimation in „Tüchtigkeit“ hervorbringt.
Die klassische Tüchtigkeit in einem den Arbeitsethos hervorpressenden Protestantismus, Calvinismus, ist eine Sublimierungsleistung des sich „ertüchtigenden“ Ichs. Das ertüchtigende „Ich“ hat eigentlich wirklich mit dem Protestantismus zu tun, der das „Ich“ sehr stark aufwertet, aber es dadurch auch über die Maßen belastet. Der Ausweg aus dieser Belastung ist die Arbeit, die Tüchtigkeit, die schließlich in die modernen Techniken und auch Mobilisierungen und Kollonisierungen münden. Und schließlich die technische Vernunft der Wissenschaften. Warum „Wissenschaft nicht denkt“ – wie Heidegger sagte, hat damit zu tun, dass sie im Abendland unbewusst religiös konotiert ist. In diesem nichtdenkenden Sinne bringt sie auch die Techniken hervor. Aber da sie vom Ich aus bewirtschaftet wird, fehlt ihr heute die rationale Anbindung an das Gesamtrationale eines Philosophierens oder Denkens also eines echten Weltverhältnisses. Das Selbe gilt natürlich auch für die Kunst, die heute auch – zumeist – von einem protestantischen Ich her bewirtschaftet wird.
Ich – Kunst und Ich-Wissenschaft können sich seit dem nicht mehr darauf einigen, dass sie in 1 Welt stattfinden. Das ist peinlich bis tragisch. Und das versuche ich auch immer mal wieder anzusprechen.
Vor einer Weile hatte mir ein promovierter Astronom gesagt, Entropie und Quantenphysik seien nicht sein Spezialthema, da müsste ich andere fragen….
Das finde ich eigentlich recht erschreckend. Aber diese Trennungen kommen von der Ich-Wirtschaft. Das Ich panzert sich mit den pseudokatholizistischen Altären seiner Fachschaft, solange, bis es nur noch einen einzigen Beruf auf der Welt gibt, und dieser Beruf heißt dann „Ich-sein“ Dann gute Nacht.
also es ist mir eigentlich klar, dass der sich in Versenkung begebende christliche Mystiker höchstwahrscheinlich in der Versenkungspraxis eine „daoistische Erfahrung“ macht.
Und diese Erfahrung ist eine Verschmelzung, die mit daoistischen Meditations – und Erleuchtungspraktiken mehr gemeinsam hat, als mit der abendländischen Gott-Konzeption. Der christliche Mystiker steht in seiner religiöen Praxis dem asiatischen Kulturraum plötzlich sehr nahe. Gott Gläubiger und Glaube und Liebe löst sich in der Versenkung erst in ein Wackeln auf und dann ist alles nur noch ein Prozess, eine Verschmelzung…so könnte man sagen, der sich versenkende Mystiker versenkt sich so tief, dass er erst in China wieder aus der Erde guckt.
Diese Erfahrung muss für jeden Mystiker grundsätzlich sehr irritierend gewesen sein. Weshalb die Schriften dann auch oft auch sehr dunkel und mehrdeutig werden.
Der rationalistische Zug der Mystik ergibt sich wahrscheinlich, weil man in der Versenkung die Erfahrung der All-Einheit macht. Diese Erfahrung muss wie Okhams Rasiermesser wirken. es ist also eine tief empfundene Vereinfachung der Verhältnisse…darin vermute ich auch den frühen, eigentlich ja auch richtigen Instinkt der Alchemisten, dass Elemente, Metalle etc..ineinader umgewandelt werden können.
Ein Instinkt, der sich nun im Innern von Sternen und in Atomkraftwerken physikalisch richtig gehend bestätigt findet.
Richtungsweisend…
mit dem arsch auf die tasten wie schon desöfteren gesagt