Sebastian Baumgarten inszeniert Mozarts Requiem. Komische Oper Berlin. Wiederaufnahme, 9. Januar 2010.

Die Absicht, eine gute, sehr gute, kluge Absicht ist deutlich, aber die Klage nicht neu, ja bekannt; freilich als Lippenbekenntnis, so schnell und notwendigerweise gehen wir zur Tagesordnung der production über: daß die moderne Leistungsgesellschaft den Tod, daß sie das Sterben auch der Nächsten… wie wir leichthin sagen: verdrängt. Tatsächlich schiebt sie es in einer der industriellen Massengesellschaft völlig entsprechenden Prozedur aus dem direkten Erleben der Verwandten und Freunde in Sterbefabriken ab, auf den Palliativstationen gehen Humanität und Kälte dabei durchaus Hand in Hand. Das Sterben wird entfremdet, mit dieser Entfremdung höhlen sich die Rituale aus, die es immer begleitet haben; vor allem werden die Sterberituale auf ein Privatestes zurückgedrängt, die den Fortschritt des öffentlichen Lebens nicht mehr stocken können.
Ein Requiem ist eine Totenklage, die zugleich den Verbliebenen Hoffnung geben soll und dies tatsächlich auch geleistet hat, dabei nimmt die Totenklage als Musik diese Hinterbliebenen in ein Allgemeines auf, das ein Gesellschaftliches i s t: alle sind wir vom Tode umfangen, und alle nehmen wir uns in der Musik an den Händen. Das ist im blochschen Sinn Utopie, sie gibt Lebenskraft, gerade i n d e m wir uns dem Tod vors Angesicht stellen, und nicht nur er sieht uns an, sondern vor allem wir, wir alle, sehen i h n an. Und ist’s nicht, daß er den Kopf senkt, wenn er diese Musik hört? Ja, er kommt dennoch, aber er hat dann eine weiche Hand und ist menschlich geworden.
Indem das Sterben in die Krankenhäuser verschoben ist, verliert der Ritus diese gute Macht ganz ebenso, wie es selbst uns aus dem Blickfeld gerät, bzw. zur handelbaren Sensation wird. Dabei verliert es sein Pathos; der Umgang mit dem pathetischen Glanz der Liturgie und ihrer Sterbemusik wird dabei leer: Oberfläche ohne Herzschlag. Requien werden zur Konzertmusik, noch die einfachste, schlüssigste Haltung zu ihnen – daß man nach der Aufführung eines Requiems selbstverständlich so wenig klatscht wie nach dem letzten Gruß an einem Grab – ist vergessen. Sie werden zu Konzertbesuchererfreuungsdingen; restlos des Kontakts zum täglichen Leben verlustig gegangen.
Bamgarten versucht, dies zurückzunehmen, indem er die entfremdeten Sterbeorte – Palliativstation, Beerdigung, vor allem die Formalitäten beim Bestattungsunternehmer usw. – mit Mozarts berühmtem Requiem konfrontiert und zwischen die der katholischen Liturgie folgenden Partien Spielszenen aus dem „modernen” Sterbe-, bzw. Vorsterbealltag schiebt. Die von Franz Beyer und Jan Kauenhowen verfaßten Szenen sind auf der Grundlage von Interviews geschrieben worden, die mit Sterbenden geführt worden sind. Dahinter mag der Gedanke gestanden haben, daß so etwas „dokumantarisch” sei, daß man also durch Befragung Sterbender dem Tod näher komme. Tatsächlich zeigen die kleinen Theaterstücke, die allesamt Boulevardtheater sind, daß die Verdrängungsmechanismen bei Sterbenden einfach weiterlaufen, ja vielleicht noch umfassender als bei denen sind, für die der Tod noch entfernt ist oder doch zu sein scheint. Sie flüchten sich – jedenfalls diejenigen, deren Interviews hier theatralisch aufbereitet wurden – in die „schöne Erinnerung”, die jedoch von einer solchen Banalität ist, daß ich streckenweise nur den Kopf schütteln konnte: derart viel Klamotte hat Baumgarten daraus gemacht; es blieb ihm mit solchen Textvorlagen vielleicht nichts anderes übrig; sie schäumen vor Geschwätzigkeit und bewirken entweder Gelächter, wenigstens ein permanentes Amusement im Publikum oder aber das Gefühl unausgesetzter Langeweile. Grotesken wie jene, bei der der sterbenden alten Frau ihr Tod in Gestalt eines wilhelminischen Militärhampelmanns erscheint, mit dem sie dann den Tango tanzt, helfen aus dem Dilemma ganz sicher nicht heraus. Im Gegenteil bedient Baumgarten unwillentlich, was er kritisieren wollte. Er ist, so mein Eindruck, der Liturgie ganz selber fremd, vor allem: er hat Angst vor dem Requiem, läßt sich nicht eigentlich ein, so daß es zu einer wirklichen Zwiesprache zwischen Musik und Szene nicht kommt. Dabei ist die Idee, den Chor zum Introitus in die ersten Reihen vors Publikum zu setzen und unmittelbar aufstehen zu lassen, es also mit dem Requiem im Wortsinn zu konfrontieren, ebenso grandios wie die vier Solisten gleichsam die vier Erzengel darstellen zu lassen – aber selbst die werden auf dem Altar der Profanitäten geopfert und zu ulkigen Marionetten, die das Eigentliche von Engeln, ihre furchtbare Ambivalenz von unnahbar schrecklicher Härte und sedierender Güte, restlos verloren haben. Dazu wird nach Knallchargenart agiert, und dem duften Kumpel ausm Ruhrpott – eine kabarettistisch runtergebrettlte Version Jürgen von Mangers – bliebt schließlich nichts als das billig korrekte Bedauern, daß er mal zu rauchen angefangen und dann halt den Krebs abgekriegt hat: Wenn sich das Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen in einer solchen Erfahrung erschöpft, hat der Tod seinen Stachel offenbar wirklich verloren. Hat er selbstverständlich nicht, doch diese Inszenierung tut so; letztlich macht sie sich mit einem Publikum gemein, das vom Tod ganz ebenso wenig wissen will und sich in billigster Alberei beruhigt.
Darunter leidet die mystifizierende Kraft der berühmten Komposition. Man kann sogar den Eindruck haben, es sei Baumgarten geradezu darum gegangen, sie zu profanieren. Um es so zu sagen: sie irgendwie in den gesellschaftspolitischen Griff zu bekommen. Baumgartens Kritik am entfremdeten Umgang mit Sterben und Tod ist äußerlich-sozial, also funktions-rationalistisch, nicht metaphysisch; das vergißt, daß der Tod für den Menschen, der ihn ja ständig wissen kann und ihm entgegensieht, eben k e i n politisches Phänomen ist und, indem er Seele spürt, auch keines des puren Naturlaufs; es gibt kein Entertainment, das die innere Frage aushebeln könnte, was denn „danach” komme. Auch nicht das rationalisierende Statement, es komme halt nichts, nimmt ihr Substanz; denn zwar läßt sich allenfalls noch d e n k e n, daß ein Nichts sei, fühlen aber nicht.
Die Musik leidet vor allem durch die ständige Dehnung und den plappernden Leerlauf der Szenen; es gelingt keine angemessene Dramaturgie, und selbst die Bebilderung der liturgischen Stationen mißlingt; aber ihr bricht auch die kompositorische Balance; immer wieder muß Baumgarten, um den Szenen einen scheinbar angemessenen Tonraum zu geben, andere Musiken mit einspielen lassen; er versteht die Strenge der Liturgie nicht, die genau das nicht will und nicht wollen dürfen kann; wir halten der Formlosigkeit des Todes ja doch eben die Form e n t g e g e n, die menschliche Form, die der Kunst ist; darin liegt ja gerade die menschliche Größe vor allem dieses Requiems. Es wäre Baumgartens Ansatz dann, aber n u r dann, angemessen gewesen, hätte er Hunderte, ja Tausende Sterbenden-Interviews collagiert, übereinandergelegt, Sprachcluster, in denen das einzelne Banale a l s Banales dann aufgefangen worden wäre; es wäre dann nicht von Belang gewesen, daß die alte Frau sich Kaiser Wilhelm zurückwünscht und ihre schönste Lebenszeit die Zeit bis 1945 gewesen ist… so herausgehoben aber bekommt das einen sowohl denunzierenden wie ganz falsch politischen Akzent. Bei Pylades’ Sterbeklage in >>>> Baumgartens grandioser Inszenierung des Orests von Händel – nach wie vor eine der besten Inszenierungen, die man im Berlin der letzten fünfzehn Jahre überhaupt erleben konnte – ist der Regisseur dem Tod viel näher gewesen; da auch haben die Bilder immer, immer, immer gestimmt; und auch die Hereinnahme anderer Musiken bis hin zum Akkordeonspiel war da von schlagender und in mir bis heute nachhallender Aussagekraft. Nur hatte Baumgarten dort ein weltliches Thema. Am Styx jedoch, der die „weltliche Welt” von einer scheidet, in die sie nicht reicht, ist er gescheitert. Er steht bloß am Ufer, steht schon seit über einem Jahr da, und läßt uns, die wir dessen nur noch müder werden, sinnlos mit ihm warten. Kein Nachen will sich nähern, und Charon… Charon schweigt.

Premiere: 28. 9. 2008.
Nächste Aufführung: 24. Januar, 19 Uhr
>>>> Karten

3 thoughts on “Sebastian Baumgarten inszeniert Mozarts Requiem. Komische Oper Berlin. Wiederaufnahme, 9. Januar 2010.

  1. Hmm Ein seltsam musikfernes Parlieren über Industriegesellschaft und Kaiser Wilhelm. Aber den mit dem Bart – aber den mit dem Bart!

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