Das Ungeheuer Muse (6). Orpheus & Eurydike. DIE ERSTE PROBE: Dienstag, der 26.1.2010. Direkt aus dem Konzerthaus Berlin. Und weiter im Libretto.

9.45 Uhr:
[Konzerthaus, Großer Saal.]
Pünktlich zur ersten Orchesterprobe, Konzerthausorchester, Lothar Zagrosek. Mein Aufnahmegerätchen aufgestellt, ich will auch sehen, was die Webcam – und ob sie überhaupt – Ergebnisse bringt.
„Bitte noch einmal, erste Geigen… machen wir es ganz langsam.”

„Nochmal: Sechzehntel.”

(Anders als sonst, schreibe ich hier d i r e k t in das Weblog; es ist die Idee der Direktheit. Auch die Texte werden anders laufen, als Sie es gewohnt sind: Ich werde zwischenschreiben, vor allem auch, wenn der nächste Librettoteil eingestellt ist. Der Text wird sich ergänzen innerhalb der Pausenabschnitte. Das Reizvolle könnte dann sein, wie die Einwürfe auf der Musik, die Sie – noch – nicht hören, schwimmt… und ob sich etwas davon überträgt, ganz abgesehen von den Assoziationen, die bei mir in Gang gesetzt werden. Es ist, selbstverständlich… nein: sowiesoExperiment.)
Die dunklen Bässe mit der Kurve hinauf, dann das erste, das Eurydike-Thema.
„Bißchen mehr Harfe…“

ERSTE SZENE, 3.
Eurydike Sag noch, wer war die Lehrerin?
Psyche Mir hat’s geträumt. – Ich wäre spielen
gegangen mit dem Traum. Da stehen plötzlich drei
fremde Frauen herum, und dann haben mich die
drei Frauen gefragt, wer mein Vater ist.
Eurydike Sie weiß manches und verbirgt,
wofür sie lebt. Du mußt ihr von ihrem Vater sprechen.
Orpheus Zu Psyche, zögernd, ernst: Der
keinen Körper hat, doch mächtig uns bewegt, hat
aus der freien Luft dich, Geist, für eine Weile
entbunden, hier Eurydike zu dienen. Dein Vater! Wenn seine heftige Macht sie bräche, sollst du
im guten Sinn ihr nützen; die du Gestalt wie sie,
Gespielin ihr, Blitze mildern und einherstürmendes
Geschick, das durch dich sich fortflicht, sollst
rückwärts leiten!
Psyche schläft, mit der Schlange im Arm, in den Armen Eurydikes ein._______________________________________________________
Oskar Kokoschka. © Gladys Křenek

„Einen Abschnitt weiter, 148. Jetzt bitte.“
Ich merke, wie diese „Melodik“ in mich hineinsackt, mich auskleidet, füllt. Enorm suggestives Stück… mitunter ist das in Proben mit ihren Wiederholungen spürbarer, als wenn ein unbekanntes Stück im Konzertsaal klingt. Immer wieder: Musik ist Wiederholungskunst; anders als Literatur, insofern sie auf den „plot“ setzt. Je musikähnlicher sie wird, desto stärker wird aber auch das Wiederholungsglück. Das ist am nahsten bei Gedichten zu spüren. (10.10 Uhr).

„So, wir steigen noch einmal ein in den Takt 197.“ Schwungvoll; ich werde am Abend kleine Themenmomente als mp3s hier dazwischenstellen.

…. ah…. Probe (selbst nicht abgehört): HIER … (nicht funktioniert; ich brauche, kurz gesagt, meine schnellere als meine Funk-Netzverbindung, um solch große Dateien zeitnah hochzuladen. Mal sehn, was sich da machen läßt. Mittags werd ich zum Pressechef rüberschauen dazu.)

U N D……—: ABERMALS:: H Ö R E N::: <<<< <% file name="Orpheus-Take-2-Hoeren-2-" %>

11.16 Uhr:
Also: eine halbe Stunde Pause war. Ich geh bei sowas (während ich den Laptop nachladen ließ) ja gern durch die Reihen, auch vors Haus, um zu rauchen mit den Musikern, die rauchen… es ist, wie so oft, wie bei sehr vielen Orchestern, die ich kenne, daß ein Teil der Musiker mit Neuer Musik g a r nicht einverstanden ist, auch dann nicht, wenn sie bereits achtzig Jahre alt ist, aber nach wie vor das auf Harmoniebastarde abgerichtete Ohr stört, die Dressur stört, die man uns angedeihen ließ. Man kann durchaus sagen: Identifikation mit dem (Erziehungs-)Aggressor, obwohl doch gerade in d i e s e m Stück, diesem Krenek-Orpheus, derart viel an Überwältigung und Hörrausch ist, eine schlagende Parallele zu Alban Bergs Violinkonzert. Jedenfalls: Begeisterung war n i c h t vor den Türen. Allerdings gibt es eine Tendenz: die jüngeren Musiker, fast durch die Bank, sind neugierig, sind sehr offen, w o l l e n. Dazu kommt eine spürbare Differenz zwischen solchen Musikern, die von der DDR geschult wurden, und anderen aus dem Westen. Wenn man sich klarmacht, welch eine Rolle Prägungen spielen, wird die hochgespannte Binnensituation eines solchen Orchesters unmittelbar klar. Das muß kein Nachteil sein. Im Gegenteil: Gerade für diesen Krenek (dauernd singe ich, während das Orchester nun wieder probt, in mich hinein ganze Komplexe mit) läßt sich die Spanung in Bewegung setzen und in die Handlung umleiten. Was genau die „Aufgabe“ des Dirigenten und später dann (ab Freitag) des Regisseurs ist: Erspüren, welche Kräfte in den Musikern wirken und diese Kräfte dann bindend entbinden. (Heitererweise hat Zag meine Gegenwart gegenüber dem Orchester soeben als „dramaturgische Mitarbeit“ begründet.)

„So, weiter geht’s: vierundsechzig zwanzig.“
(Mal sehn, ob ich direkt in den Laptop mitschneiden kann…..
….. ahhhh! klappt.)

„Das bitte jetzt ein bißchen wie ein Trauermarsch“: Zag.
Der erste Cellist zu mir, in der Pause, wir trinken Maschinen-Capuccino: „Diese Musik… sie klingt, als explodierte da jeden Moment etwas. Und es ist solch eine Zerbrechlichkeit. Man geht über einen Vulkan.“

Kurz danach in Skype:
[11:26:14] UF: lustig. klingt aber wie aus nem u-boot
[11:28:04] ANH: Wie, Du kannst was hören? (Ist doch gar kein Mikro
dran… oder hat die Cam eines? Hm.)
[11:28:36] UF: klar – aber ein genuß is das nicht.
[11:29:27] ANH: Witzig… neee, das k a n n kein
Genuß sein. Aber tust Du mir mal den Gefallen
und hörst die mp3 ab, die ich eben in Die Dschungel
gestellt habe? Wie klingt das?
[11:32:57] UF: ebenso. als hätt ich den phaser überdreht
[11:34:23] ANH: Na gut, das sind die Aufnahmen, die
direkt mit dem Laptop gemacht werden, ohne meine
extrerne Soundcard. Parallel läuft aber das Aufnahmegerät;
daraus werd ich dann heute abend die üblichen
schönen Aufnahmen herausholen. Jedenfalls kann
ich mir dann jetzt diese Laptop-Aufnehmerei sparen.
Dank Dir.
[11:35:23] UF: oh ja. aber macht schon was her,
dir auf einmal über die schulter zu horchen
[11:38:47] ANH: Ich denke, ich weite mal wieder
die Möglichkeiten eines Weblogs aus… d a s ist das
eigentlich Spannende an der Aktion, neben den
Assoziationsketten, die ich protokolliere oder
doch teilprotokolliere. Und neben der Aufmerksamkeit,
die die Aktion dieser grandiosen Oper bringt.

Mit ein paar Worten hat Zagrosek dem Orchester den, sagen wir, seelischen Grund des Stücks erzählt: die obsessive Liebe Oskar Kokoschkas zu Alma Mahler-Werfel-(Gropius-usw.) – Ich selbst werde darauf für Sie ebenfalls eingehen, halte es aber für falsch, wenn man diese Musik allein auf die Biografie Kokoschkas bezieht, sowieso, da die Musik ja von Křenek stammt, der aber, wiederum, eine Zeit lang der Ehemann Anna Mahlers, der Tochter Alma und Gustav Mahlers, gewesen ist. Es gibt Muster.12.06 Uhr: PAUSE.
Ich werde die Zeit nutzen, um die aufgenommenen Töne aus dem Gerät in den Laptop hinüberzuspielen, und dann weiterhören, wie die Stimmung ist. Fast bin ich mir sicher, daß diese Musik im Lauf der Probenwoche mehr und mehr in die Körper der Musiker einfließen wird, sie zunehmend füllen. Wir werden sehen.

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13.07 Uhr:
Die Pause endet mit einer Hiobsbotschaft: zum zweiten Mal hat jemand für eine der Hauptpartien abgesagt. Die Sänger schauen in die Partitur und denken: „Um Gotteswillen, und nur zwei Wochen Vorbereitung und nur zwei Vorbestellungen“ und einer sagte zum anderen: „Was wollte Sie dem CCC zahlen? Da habt ihr euch die Absage schon g l e i c h geholt.“ Na, eben n i c h t gleich. Die Bömbchen platzen während der laufenden Proben. Spannung garantiert. Dabei ist dieser Křenek nun tatsächlich ein absolutes Referenzprojekt; es ist nicht unmöglich, daß das Konzerthaus mit dieser Aufführung zeitgenössische Musikgeschichte schreiben wird.

Zag: „So, zweiter Akt.“



„Erste Geige, bitte: da ist ’ne Quintole versteckt, zweimal…“

„Spielen Sie das wie einen vergifteten Choral: hier tritt Eurydike zum ersten Mal auf, nachdem sie schon lange tot war…“ Dann steigt die Musik tief aus den Bässen herauf, darüber die Flöte… um Gänsehaut zu bekommen.


„So, bitteschön: Takt 187. 187 bitte.“
Hochbreit in den Geigen, dann das Erwartungspochen… hier klingt das Stück momentlang wie Busonis Faust.
„Gute Idee! Ah! Ja! Das übernehme ich.“
„Also, es gibt einen zweiten Schlag, und dann geht es so in das nächste Thema.“ – „Also doch so, wie es war?“: Musikerinneneinwurf. – „Tutti bitte, jetzt, wo wir eben anfingen.“ Jetzt der 5/8-Wechsel. Oft verstecken sich die Ergriffenheiten in sehr kurzen Motiven, sie walzen sich nicht aus, man muß sie erwarten, und zwar dort, wo man schon weiß, daß sie da s i n d. Musikalische Arbeit, nicht (harmonische) Manipulation.

14.28 Uhr:
P A U S E.
Und jeder hat im Kopf, wer die jetzt wieder vakante Partie übernehmen kann. Empfehlungen, Bitten, vielleicht auch Hoffnungen. Das Besetzungsbüro arbeitet fieberhaft parallel.

14.49 Uhr:
Wie das Geigenpizzicato den Harfenzupf übernimmt, dann wie vorsichtiges Vorantasten, mit den Füßen im Dunkeln. Dann fiel mir ein:

Schnee fiel, der erste, wie Späne, die weich sind, kristallene Daunen, ein Untergefieder, das über den Corpus, der die Musik ist, gestäubt schneit, den matten, erschimmernden Bauch und die Wölbung darüber, von der nun die Schmelzströmchen fließen, da es von innen zu warm, sostenuto im Canto, und schwer ist, zu breit, largamente, als daß sie sich hielten im Klang: als Verwehungen weder, als Deckel der weißen Entsagungen, milder, gereifter, unter sich Schößlinge spätrer Erfüllungen bergend, als Matrix nicht noch als ein Schmuck, der Entsagungen ausgleichen könnte, wie Wein, mönchischem Leben Ersatz zu beschaffen, es tut oder täte. Die Dichter, darin, glauben es irrtümlich ähnlich, und sündig ähnlich verzichten sie auch. Surrogate statt Haut anbetend, trennen sie Geist blasphemisch von Schöpfung, die ihn erst schafft und von dem er ganz abhängt. Sie stehen zur Seite im sicheren Unmut und schreiben, anstelle zu leben, markieren die Trauer und Mitleiden, wo’s sie politisch bewegt, gehn aber selber nicht hin, um zu kämpfen. Das ist ihr Verhältnis zum Dasein: repräsentativ statt präsent, schicken sie andre, den Stoff einzusammeln und lassen lieben. Singt nicht das Cello davon? und schneit nicht die Klage darob? Aus Leibern, die Zärtlichkeit brauchen, nach Stößen verlangend, die bis ins Innerste erdwärts Organe und Stoffwechsel umrührn? Schmerz kommt auf Wollust zu liegen, wovon erst der Frauen Schreien bei Liebhabern rührt, die es wissen und füllen, es fordern. Auch daher im Holz Vibrationen. Der Klang daher. Der Schmelze dunkelnder Schmelz auf den Saiten, den Händen, das Zittern, ja selbst, wie konzentrierten Cellisten das Antlitz verzerrt wird, ein Ausdruck häßlicher Ungefaßtheiten, scheint’s, selber, erinnert uns stöhnend an Bilder, wie wir sie von uns gar nie sehen.
Elfte >>>> Bamberger Elegie.


„Und jetzt Schlußepisode, Schluß, 797″… krachendes Fortissimo, die Harfenistin zuckt zusammen, hält sich das linke Ohr, schließlich b e i d e Ohren zu. Es muß ein wirklicher Schrecken sein, ist es dann auch. Alma Mahler schickte ihren Liebhaber Kokoschka in den Krieg; so werde er doch mal ein richtiger Mann. Verwundet kam er zurück… und wie das paßt, daß einer der Hornisten Straussens Till-Eulenspiegel-Motiv in das Ende der Probe hineinspielt, als ich doch erzählen will…. aber nein, Leser, von der Puppe vielleicht besser erst morgen. Statt dessen:

KNALL UND AUSKLANG DES ERSTEN PROBETAGES: >>>>> <% file name="Orpheus-Take-3-Hoeren-3-" %>

>>>> Das Ungeheuer Muse (7). Zweite Probe.
Das Ungeheuer Muse (5) <<<<

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