Arbeitsjournal. Freitag, der 26. März 2010. Mit einer Einleitung zur kleinen Theorie des Literarischen Bloggens, Zwischenbefund (Fünfter Zwischenbefund) und zur Sexualbefindlichkeit der deutschsprachigen Gegenwart. Sowie mit einem Angebot.

6.30 Uhr:
[Am Terrarium.]
Nachdem ich gestern früh weit über eine Stunde damit verbringen mußte, all die anonymen Kommentare zu löschen, deren Grundlage Geschwätzigkeit, Eifersucht, Neid auf die Freude von Frauen an meiner begeisterten Männlichkeit, sowie eine dumme, das heißt formulierschwache Boshafthaftigkeit und hämische Charactermorphologie, bzw. Spätfolge oder Gegenwartssymptom eines unausgesetzten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gewesen sind, nachdem mir dann tagsüber eine Kurzzeitgeliebte angeboten hatte, die dennoch mir verbunden blieb (wie mir beinahe alle Geliebten verbunden bleiben, und ich ihnen, lebenslang, so denn Intensität bei uns gewesen), – also nachdem sie mir angeboten hatte, sie wäre gerne die zweite Frau, die Erlaubnis & Auftrag erhielte, alles aus Der Dschungel zu jäten, was Geschmack und Geist vermissen lasse, von „Sex” wolle sie da gar nicht erst reden, und nachdem nachts schließlich noch ein Herr Schlesinger (armer >>>> Klaus! daß man Dir das noch antut…), der bereits >>>> bei Aléatorik den kommentierendsten Unfug schreibt, ohne daß er von hier bis zum nächsten Türrahmen dächte, der hier den Eingang zum Flur markiert, – nachdem all dies also geschehen, von der Leberwurstigkeit meines Geschlechtsteils die Rede gewesen, die Entfernung zu jeglicher Literatur, die seriös sei, mir zum Vorwurf gemacht, ja ich sogar noch zum poetischen quasiGeliebten einer Hegemann verkuppelt worden war, da hatte ich, kurz gesagt, die Schnauze voll. Und schaltete die anonyme Kommentarfunktion aus. Nun ist sie wieder an. Das Geschehen, immerhin, entgilt mich heut früh damit, wieder mal einen Satz geschrieben haben zu können, an deren ersten hypotaktischen Klippen, die voller Seeigel sind, sich meine Gegner – nahezu alle Ausbündler von Geschlechtsangst – die Füße schneiden dürften: Sublimierer von Leben in den eingetrockneten Poesiealbumskitsch beckettscher Epigonalabstraktionen. „Kalte fliegende Nacktschnecken” nannte der große Aldous Huxley sie. Und ich freu mich nun um so mehr über des mir an sich eher distanziert gegenüberstehenden >>>> Schnecks fast abschließendes Urteil, das mich zur Formulierung eines Fünften Zwischenbefundes der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens auf eine Weise anregt, die einem neuen Energiezustand gleichkommt. Sie wird also jetzt gleich folgen. (Wenn die Kinder gefrühstückt haben, wenn mein Junge zur Schule los ist, wenn ich am Schreibtisch sitzen werde. Deshalb: schauen Sie, Leser, wieder herein!)

8.21 Uhr:
[Arbeitswohnung. Heinz Holliger, Tonscherben.]
लक kam morgens um halb sechs heim. Nachdem ich mich gestern heftig ent- und >>>> bei Elfenbein die Elegien abgeladen habe, bin ich jetzt auf Arbeit aus: das Theoriefragment formulieren, wobei Theorie bei mir immer auch Praxis meint: praktische Erfahrung, dann die Kritik zum Konzert von vorgestern schreiben, wozu ich soeben abermals die Musik höre, dann muß ich Tschaikowskis „Eugen Onegin” hören, um meine Ohren auf >>>> heute abend und die kleine Arbeit für die Frankfurter Sonntagszeitung vorzubereiten, die bis morgen vormittag um elf abgegeben sein muß; man muß einfach wissen, daß >>>> die Kulturmaschinen auch keine Freude meiner Idee sind, Google ohne jede Gegenleistung die Netzrechte, aber n u r die, für die ANDERSWELT-Romane zu geben, mit der einzigen Einschränkung, es müsse immer dabei auf meine Verlage und auf Die Dschungel verlinkt sein; ich selbst halte die Idee nach wie vor für genial; es hat absolut keinen Sinn, sich noch auf den Buchhandel zu stützen: der stirbt. Es werden Leichenverwalter bleiben, wenige, doch massive Multi-Unternehmen, Ketten halt, die alles sonst in Ketten legen. Dabei sind im Stürzen längst schon die Flügel erfunden, die uns vorm Aufprall bewahren; das aber will niemand wissen, man w i l l die Sentimentalität wider alles Wissen und geht für sie in den Tod. Da es mir aber ums Leben geht, ums Leben meiner Dichtung, gehe ich nicht mit. Das ist das eine, was eine solche Wut auf mich schürt. Das andere ist, was شجرة حبة gestern sagte: „Die halten es nicht aus, daß du g e r n e Mann bist und daß du das zeigst und zugibst, ja sogar noch feierst.” „Es ist ein Kompliment an die Frau”, antwortete ich, „es ist eine Feier der Frau. Man will aber die Hybriden, man will die Hermaphroditen, man will, kurz: die Gentechnologie, die man zugleich abwehrt, der sie alle aber zuarbeiten mit ihrer gender correctness und diesem Sex auf Zehenspitzen.” Dabei mache ich überhaupt keinen Hehl daraus, daß selbstverständlich auch ich Schwächen habe, zum Beispiel kann ich nie, wirklich nie, mehrfach hintereinander; geht einfach nicht. Das hat Gründe, das hat Nachteile, das hat Vorteile, große, weil Orgasmen Erschütterungen bei mir sind; Frauen, die mit mir schliefen, wollten durchaus schon mal den Krankenwagen rufen. Der r i c h t i g e Vorteil aber ist, daß ich, wenn ich will, über Stunden strecken kann, bevor ich mich dann loslasse. Schon klar, daß ich auch das nicht schreiben darf, ohne daß wieder irgendwer aufheult (warum lesen die nicht weg? warum kommen sie immer wieder her?). „Erstaunlich”, sagt شجرة حبة, „welch ein Tabu da wirkt; man wird immer dann sauer auf dich bis in die mieseste Unterstellung, wenn du aus diesem Bereich erzählst.” „Es ist gar nicht möglich, Löwin”, sagte ich, „über Dichtung zu schreiben, wenn man nicht zugleich über den Eros schreibt. Er bewegt a l l e s, vor allem aber sie. Und da geht es n i c h t um ‚Beziehungen’, was ein Unwort!, sondern um Seismografie: sie zeigt uns an, wo Potenz ist in der Erde, unter der Haut, Zerstörung, ja, doch eben auch Fruchtbarkeit, die wir halt ohne Zerstörung gar nicht erleben könnten… Ich habe”, sagte ich ihr, „gestern viel über den Tod nachgedacht und über seine Notwendigkeit, seine Güte gegenüber jenen, die uns und dann wieder denen folgen: daß sie uns folgen k ö n n e n.” Wann immer, wirklich immer, ich einer Frau begegne, die mir gefällt, schwingt d a s, wenn auch ich ihr gefalle, sofort mit. Das hat mit „Correctness” absolut nichts zu tun, die ist da überhaupt keine Kategorie, die sich anwenden ließe. Sondern es geht um Lebensgewalten. Daß wir sie kultivieren, aber, das steht auf einem anderen Blatt: worauf wir dabei achten müssen, ist, daß solche Kultivierung nicht zivilisiert. Hier ist ein Unterschied zu machen. Ich habe ihn immer im Auge.

Keine Zeit fürs Cello. In meinem Kopf r a s t es: rast ES.

12.09 Uhr:
So, >>>> die Kritik steht drin. Hunger. Hab immer noch nichts gefrühstückt, es ist auch gar kein Brot mehr da. Das muß ich eben einkaufen gehen. Danach setze ich mich an die Antwort, die ich >>>> Melusine immer noch schulde. Die s c h ö n sein soll, ich beharre, beide, Antwort und sie: die Antwort für Melusine und Melusine für mich. Ich bin, und gerne, Eigennützer. Wiederum ungern, aber es steht an, nehme ich >>>> die Banater Emmanuele noch heute von der HauptSite herunter; im >>>> Tagebuch bleibt sie selbstverständlich erhalten.

13.05 Uhr:
[Nach dem Einkauf.]
Es gibt einen Geruch der Rispen-Tomate, deren bittere Süße mich ganz sehnsüchtig macht, fast rasend macht: so voller Ahnung von Eros ist er… so, wie man als Kind schon Eros heraufziehen ahnte. Dasselbe gilt für Laibe Brots, wenn man sie ganz allein gegessen, über Tage, von der ersten Frische, die weich wie ein aufgeschütteltes Kissen war, bis zur brechenden Härte des letzten Knusts, dessen beim Schneiden abgesplitterte Bröckel verzehrt werden noch, die man mit zwei Fingern nimmt und durch die Butter Furchen ziehen läßt. Dann grobes Salz dazu. Und einen Becher voll kühler Milch trinken. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie jemand nicht ständig jubeln möchte in einem solchen März, der schon die eine heiße Woche, die jeden April füllt, vorherspüren läßt wie bei Eichendorff gefunden Natur, als man vom Busen sprach, den sie erfülle, und die eigene Männerbrust damit meinte.

Mittagsschlaf. Danach mein Bub, der längst ein Rowdy geworden.

16.45 Uhr:
Enttäuschung, daß mein Junge eine 3 als Klassenarbeit in Musik mitbrachte; ich habe plötzlich angefangen zu weinen, er war deutlich schockiert. Mußte mich entschuldigen bei ihm, hab’s auch getan. Denn wozu muß ein Bub wissen, daß der erste Lehrer Beethovens ein Herr Neef war, ein völlig unbedeutender Mann? Er muß auch nicht wissen, daß Beethoven sein erstes Konzert, im Alter von acht Jahren, in Köln gab. Was soll der Quatsch? Ärgerlich aber, daß er die Rondoform nicht näher bestimmen konnte, nicht wußte, daß sie, was der Name schon sagt, aus dem Rundgesang herstammt und später, in der Volksmusik und heute dem Pop, Herkunft des Refrainliedes ist. Ärgerlich wiederum, daß die Kinder als Lösungsaufgabe zu „Beethoven schrieb viele….” statt der „….“ Sinfonien herauskriegen sollten – ein restloser Unfug, da sich „viele” ja nur aufs historisch Vorgängige beziehen kann; d a wäre „viele” nämlich sogar falsch: Mozart schrieb 41, Haydn sogar 108. Die Sinfoniezahl 9 wurde erst n a c h Beethoven quasi-mythisch. Ebenfalls eine Unverschämtheit, dem Jungen einen halben Punkt abzuziehen, weil er „Haydn” mit e schreibt. Ja, ich habe mich bei ihm entschuldigt.

Poetologische Diskussion hierunter. Jetzt aber antworte ich auf Melusine. Und in zwei Stunden geht es zur Oper ab; nach Hause Ans Terrarium fahre ich heute nicht mehr.

1.27 Uhr:
An eine Freundin:
Was mich so verletzt, ist, daß die Freunde nicht v e r t r a u e n… daß ihnen gar n icht erst in den Sinn kommt, es könne da eine Differenz geben zwische dem, was ich schreibe, und dem, was die Absicht dahinter ist. Ich verlange sowas nicht von normalen Lesern, von Freunden aber schon.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 26. März 2010. Mit einer Einleitung zur kleinen Theorie des Literarischen Bloggens, Zwischenbefund (Fünfter Zwischenbefund) und zur Sexualbefindlichkeit der deutschsprachigen Gegenwart. Sowie mit einem Angebot.

    1. Seeigel, Aléa. >>>> Seeigel. (Den Link setz ich rein aus Grandezza: ich teile so gerne, und von Herzen.)

      Gerne, s e h r gerne, lernte ich übrigens Olga kennen. Schon, weil ich, wie Sie sehen, nunmehr dazu übergegangen bin, Frauen vermittels Fotografien zu ehren. Sprechen sie mit ihr? Aber es genügt sicher auch, sie hier lesen zu lassen.

  1. Ins Stammbuch das habe ich gerade bei facebook gelesen und dachte, es könne Ihnen vielleicht gefallen: „Je detaillierter der Dschungel, desto unglücklicher der Affe.“ (Josif Brodskij)
    Herzlich
    AT

  2. Alles hierunter gelöscht. Ich habe weder Zeit noch Lust, mir dieses ganze ängstliche, verkneifte, verkniffene, trockene puritanische Zeugs anzutun. Wer wegbleiben will, soll wegbleiben. Niemand muß sich antun, was ich schreibe; wenn man es trotzdem tut und dann nur zuhackt, kommt das halt weg.Ich werde mir meinerseits, diadorim, nunmehr erlauben, auch auf Ihre Texte einzuhacken. Und tschüß. Es gibt genügend andere Orte, wo man sich – ecco! – verstecken kann. Oder man kriegt es endlich gebacken und schafft etwas Eigenes, das dem poetisch Nüchternen dann vielleicht auch entspricht. Ich selbst bin nur noch angewidert.

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