Frau Merkel, der Fußball und die Macht. Das Arbeits- und Undinejournal am Sonntag, dem 4. Juli 2010. Berlin und Gütersloh.

8.16 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchiato, Morgencigarillo, noch ganz verklebte Augen. Erst um kurz vor acht wachte ich auf, hatte, nachdem ich den um fünf Uhr weckenden Wecker ausgestellt hatte, eine Abfolge ziemlich heftiger, schließlich rauschartiger Träume, die im russischen (Im)Migrantenmilieu spielten; weshalb, keine Ahnung. Jedenfalls wurde nach Abschluß von etwas gefeiert, das mit Glück und Gelingen nur randseits zu tun hatte, das ich aber außer den Umstand vergessen habe, daß es sich um Ermittlungen handelte, und zwar, wie mir träumte: in altem Stil gefeiert, ohne daß ich jetzt noch sagen könnte, was damit gemeint ist. Das Wort rauschhaft trifft es aber, das, sofort, fällt mir ein, wenn ich zurückdenke, und: daß das etwas „Wahres” hatte, etwas vergessen-Wahres, auch Erlösendes. Sehr seltsam. Davon stehe ich noch jetzt wie unter Drogen – dem Nachklang von Drogen, also wie ich mir das, ganz naivm, vorstelle, weil ich mit sowas doch gar keine eigene Erfahrnung mit Halluzinogenen habe. „Du hast so viel körpereigene Drogen”, hat Do schon früher immer gesagt, und die Löwin sagte neulich fast den gleichen Satz, „daß ein Fremdstoff gar nicht gebraucht wird.”
Mich war Unlust – wie ich früher oft schrieb: – angekommen. Gestern nacht. Das lag an der >>>> Melusine-Auseinandersetzung, auf die ich abends so scharf reagiert habe, vielleicht auch überreagiert; in der Sache freilich, bzgl. BettyBs., ist nichts zurückzunehmen; „Du hast auf ihre permanenten Kommentare auf jede nur denkbare Weise reagiert”, sagte die Löwin nachts noch am Telefon, „oft freundlich, dann schärfer, schließlich ironisch, da war dann eben auch d i e Reaktion fällig.” „Sie”, Melusine, „macht sich offenbar gar keine Vorstellung davon, wie das i s t, wenn einem in Zehnminutenabständen die dauernd gleichen hämischen Kommentare eingestellt werden, welche Kränkung das ist und daß man sich überhaupt nicht wehren kann, weil jedes Draufeingehen nur zu weiteren Kränkungen führt oder dazu, daß man die Kommentarfunktion einschränken muß, was ich eben nicht will. Ich lasse mich nicht nötigen, und ich will schon gar nicht, wie das verständlicherweise >>>> Aléa Torik tut, jeden Kommentar, bevor ich ihn freischalte, sichten. Das nähme Der Dschungel die Gegenwärtigkeit, die Schnelligkeit, auch den Witz oft und die direkte Möglichkeit der Auseinandersetzung, ja überhaupt den Character, zu dem unbedingt dieses Kämpferische gehört.” „Ich war über deinen Text auch erst nicht beglückt, aber das geb ich dann nicht mit moralischem Vorwurf in einen Kommentar, von dem klar ist, wie man den dann lesen wird, sondern dann komme ich privat mit meinem Einwand.” „Wie Du’s ja tatest. Normalerweise hat Melusine mit mir für so etwas Twitter verwendet; hier nahm sie öffentlich Partei, und also schoß ich zurück.”
Also das beschäftigte mich, das drückte auf die Stimmung; an Arbeit war nicht mehr zu denken. Ich arbeite nur selten aus der Melancholie, schon gar nicht aus einer schweren Stimmung heraus, meine Arbeit, ich schrieb das schon oft, ist k e i n e Sublimation, ist es jedenfalls in den seltensten Fällen. Aber ich war klug genug gestern nacht, die zweite Flasche Wein, nachdem ich das Drittel einer noch geöffneten getrunken hatte, nicht mehr zu öffnen, sondern nur noch Zitronensprudel und alkoholfreies Bier zu trinken. Ich bin zu angefaßt von solchen Belangen, immer, nach wie vor bin ich verwundbar und habe keine Decke, und will keine, in die ich mich distanziert hülle. Sondern ich will offen bleiben, durchlässig, Kälte spüren und Hitze: nur dann kann ich von ihnen erzählen, nicht aber, wenn ich ein bürgerlich-zivilisiertes Gewand, die Anständigkeit, um mich herumschlage, um sozial kompatibel zu wirken. Dabei ist meine Grundeinstellung herzlich, immer, das hat sich nie geändert, ich gehe offen auf die Menschen zu, ich zeige mich, ich bin freundlich zu ihnen, es gibt gar keine persönlichen Vorbehalte (die gibt es allerdings, wenn sie in Massen auftreten); aber wenn ich angegriffen werde, beiße ich zurück, und es ist mir egal, ob das dann noch guter Ton ist.
Beschäftigt mich. Wie Sie lesen.

Heute also >>>> die Fahrt nach Gütersloh zur bislang letzten Aufführung meiner Undine. Ich möchte gerne sehen, wie sich das Stück jetzt entwickelt hat, freue mich auf die Truppe, werde allerdings morgen sehr früh bereits zurück nach Berlin fahren, um wieder hierzusein, wenn mein Junge aus der Schule kommt. Mein Bahnticket steckt schon gefaltet im Jacket.
Ordnung muß ich hier schaffen, dann mich pflegen. Dann gehe ich wieder an >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle und hoffe, daß ich im IC nach Gütersloh, zu dem ich um 14.19 Uhr die S-Bahn nehmen werde, einen Stromanschluß habe, damit ich während der Fahrt weiterarbeiten kann. Um 18.01 Uhr werde ich in Bielefeld ankommen, dann gleich zur Alten Weberei weiterfahren und mich dort in den Garten setzen, bis die Aufführung anfängt. Es ist einiges an der Erzählung zu tun, sprachlich sowieso, aber auch bei der Beschreibung der Orte, die ich noch einmal alle abgegangen bin, um die Realität mit meinen Fantasieentwürfen zu vergleichen.

9.09 Uhr:
Als ich gestern mit meinem Jungen auf der Terrasse des Schönen Sonntags im August saß, wo ausnahmesweise k e i n Fernseher stand, aber nebenan gleich, da hockten die Trauben von Menschen, und als dann die Tore fielen und jubelnd gebrüllt wurde (die ganze Nacht über dann „Deutschland! Deutschland!”-Rufe), da wurde ich momentan traurig, obwohl so schönes Wetter war. Aber ich war sofort mit den Argentiniern identifiziert, mit der Traurigkeit, mit der Bitterkeit, die sie gehabt haben müssen – und ich sah die jubelnde Menge, in der so gar niemand an den Verlierer dachte und wie ihr Jubel den Verlierer noch weiter betrüben müsse; daß das Glück der Masse i m m e r ein Unglück von anderen ist. Ich dachte: bei einem knappen Sieg:: okay. Nicht aber mehr bei solcher Vernichtung. Das tat mir da weh. Mein Junge war ärgerlich, er ist nicht auf Seiten der Deutschen, sondern erzählte von irgend einer Form des Bestechungsversuchs, der von deutscher Seite gestartet sei. Ganz verstand ich nicht, was er erzählte, aber deutlich war, daß er meinte, es wäre gerecht, schieden die Deutschen nun aus. Ich ließ mir die Angelegenheit zweimal erzählen, aber er warf Merkel und andere Politiker durcheinander, so daß ich bis jetzt da nicht klarseh. Ist auch egal. Aber ich bewunderte das Rechtsempfinden dieses zehnjährigen Knaben, der Fußball zwar mag, sogar sehr, der es aber absurd findet, vor einem Fernseher zu sitzen und andere spielen zu sehen und so zu tun, als spielte man selbst und gewönne auch selbst. „Warum brüllen die so?” fragte er. „Die spielen doch gar nicht selbst. Es sind doch nicht d i e, die gewinnen.” Er ist, aus mir ebenfalls unklaren Gründen, für die Niederlande. Auch dafür den Grund hat er mir zu erklären versucht, ohne daß ich ihn schließlich begriff.
Mich interessierte indes, wer die Reise Frau Merkels nach Südafrika bezahlt. Für mich ist das ein aus Steuermitteln finanzierter Wahlkampf. Wäre es bereits um das Endspiel gegangen, hätte ich knirschend zugeben müssen, daß ein deutsches Regierungsoberhaupt so etwas vielleicht tun muß, aus Gründen der Repräsentation. Aber in einem Viertelfinale? Die Frau ist ja in ihrem sonstigen Leben nicht eben Fußballfan. Da liegt die ganze Show derart offenbar, diese ganze Verlogenheit, politische Manipulation. Für Massen gemacht. Eben. Ich habe die Frau, zum Beispiel, in Klagenfurt noch niemals gesehen, geschweige, daß sie da mitgezittert hätte. Und überhaupt: Gehörten nicht solche Anwesenheiten zu den Aufgaben des Bundespräsidenten? E r ist das Oberhaupt des deutschen Repräsentierens, also wenn schon, denn mit sehr guten Gründen wurden Repräsentieren und Macht in unsrer Verfassung geschieden. Man kann Frau Merkels Anwesenheit bei dem gestrigen Spiel deshalb mit vollem Recht einen Machtmißbrauch nennen.

10.44 Uhr:
Um 12 Uhr, „Kleine Eiszeit”, Treff mit meinem Sohn und seiner Tante, mit der er grad übern Flohmarkt streift. Ich möcht ihn einfach nur noch einmal sehen, bevor ich aufbreche. Gepackt ist quasi schon alles, ich hab noch >>>> Sizilien eingesteckt, >>>> Orgelpfeifen und >>>> Die Niedertracht der Musik, für die ich grad eine Bestellung fand, die zwischen die Spams geraten war. Außerdem >>>> „Selzers Singen”.
– Jedenfalls. –
Ob ich vor der Abfahrt noch zum Arbeiten komme, ist eher zweifelhaft; ich möchte ja auch noch mit der Löwin skypen, die abermals in Wien ist. Elf Uhr haben wir ausgemacht.

18.23 Uhr:
[Gütersloh. Weberei, im Garten.]Ich bin bereits hier. Im Intercity, worin ich hatte eigentlich arbeiten wollen, gab es keinen Stromanschluß für den Laptop; also begann ich, endlich >>>> Benajmin Steins >>>> Die Leinwand zu lesen, und mochte die Lektüre gar nicht mehr unterbrechen, auch nicht für die anderthalb Stunden Arbeitszeit, die mir mein Laptop-Akku noch zur freien Verfügung stellt. Als ich in Amnon Zichronis Erzählung dort ankam, wo erstmals der Name Jan Wechslers auftaucht, drehte ich das Buch um und begann, nunmehr dessen Geschichte zu lesen; das will ich tun, bis wiederum er zum ersten Mal Zichroni erwähnt, um dort das Buch abermals umzudrehen. Weshalb ich „umdrehen” schreibe, erzähle ich Ihnen später, denn ich werde über diesen Roman ganz gewiß schreiben. Beeindruckend ist er, auch, wenn ich, um das in Zichronis Terminologie auszudrücken, auf den Seiten der Biochemie stehe, und gerne stehe, und überzeugt. „Chemie ist das Wunder”, schrieb ich in den Elegien, die ja nun auch bald als Buch vorliegen werden: ach, wie ich mich freue darüber, ganz weltlich freue und ohne die Demut, Bitul Azmo, von der Zichroni und sein Freund Eli so eindringlich und mit, glaube ich, großem Recht sprechen – zumal einige der gläubigen Formulierungen enorme Kraft haben und meine Neugier ständig wach halten, etwa „die mitunter grauenvolle, poetische Hand des Ewigen”. Aber auch sonst gelingt es Stein… nein, nicht schon jetzt. Denn mein Zug ist ja angekommen, ich wurde abgeholt, sitze im Garten, habe schon drei der Schauspieler begrüßt, die allerdings vor der Aufführung nicht mit mir sprechen möchten, habe Maccheroni alla Pisa bestellt, damit ich was in den Magen bekomme und trinke ein großes Bier.
Ich schau jetzt noch etwas ins Netz, dann lese ich bis zur Aufführung weiter. Bedeckter Himmel, in Gütersloh, aber es ist schwül. Noch eine Stunde und zwanzig Minuten bis >>>> zur Aufführung.

22 thoughts on “Frau Merkel, der Fußball und die Macht. Das Arbeits- und Undinejournal am Sonntag, dem 4. Juli 2010. Berlin und Gütersloh.

  1. Ja, in Gütersloh könnten Sie auf „die Truppe“ stoßen, jedenfalls auf die britische. Sie meinen sicher das Ensemble, auf das Sie sich schon freuen. Die Militarisierung des Zivilen, schlimmer noch des Kulturellen, läßt sich im IC nach Gütersloh wieder korrigieren. Gute Fahrt (in die Provinz).

    1. @Henze. Es ist auch Ihnen bekannt, daß man von einem Ensemble auch als von einer Theatertruppe spricht. Im übrigen habe ich, da ich kein Pazifist bin, nichts gegen militärische Termini, so sie angebracht sind. Auch „Avantgarde“ stammt aus der Militärsprache. In der Tat geht es dabei darum, an den vordersten Linien, sogar noch v o r der Frontlinie, etwas durchzukämpfen.
      Das Zivile wird durch meinen Sprachgebrauch nicht militarisiert, im übrigen; sondern: das Zivile i s t militärisch, a u c h; es ist nur eine Decke angeblicher Gewaltfreiheit darübergedeckt; tatsächlich ist aber Gewalt lediglich verschoben, bzw. verdrängt.

      Ich meinerseits bin vorsichtig bei Begriffen wie „Provinz“, jedenfalls wenn man sie affirmativ verwendet.

    2. „In der Tat geht es dabei darum, an den vordersten Linien etwas durchzukämpfen.“ Mir ist durchaus bekannt, daß man in der dortigen Provinz beste avantgardistische Fronterfahrungen gemacht hat. Gehörte doch ein gewisser Verlag mit sogenannten „Feldausgaben“ zum wichtigsten Buchlieferanten der Soldaten an und vor der Frontlinie.

  2. Ich muss mich da einmischen, lieber Alban, in deine Auseinandersetzung mit Betty B. und Melusine.

    Das ist nicht einfach, weil ich nicht jeden ihrer Kommentare präsent habe. Von der Sache her habe ich nichts zu kritisieren, deine Reaktion auf Betty B. war hart, aber du hast lediglich die Mittel gebraucht, die sie dir gegenüber auch anwendet: sie macht dich zu einer Sache, nämlich dem Ziel ihres Hasses und ihrer Verachtung (wie es dazu gekommen, ist, darüber kann ich mir kein Bild machen, ich weiß nicht, was euch da verbindet oder trennt, hast du der mal den Mann ausgespannt?, haha!). Du machst sie in deiner Replik dann zu einem, im niedersten Sinne, Sexualobjekt. Weil sie vermutlich gerade da die größten Schwierigkeiten hat. Ich denke dennoch, dass du sie damit nicht triffst.

    Wenn Melusine sich anschließend abfällig über die Art und Weise deiner Reaktion äußert, dann verstehe ich das auch nicht ganz, weil sie sich offenbar nicht abfällig über die Trolle geäußert hat (wie gesagt, ich kenne nicht alle Kommentare). Offenbar aber hast du sie mit deinem Kommentar getroffen. Dann ist sie verletzt und äußert das auch. Das allerdings muss man sich erst einmal trauen, Widerspruch beim Herrn Herbst (die Worte der Trolle sind kein Widerspruch, das ist nur Kotze). Sie traut sich das. Und dafür zolle ich ihr Anerkennung. Das ist Mut und Courage, sich dir, auf deiner eigenen Seite entgegenzustellen. Und ich glaube, dass du das auch schätzt, weil das dein eigener Charakter ist. Du bist im Grunde genommen überrascht und ebenfalls verärgert aber auch beeindruckt, dass da eine/r ist, der genauso couragiert reagiert wie du selbst oft reagierst.

    Ich glaube, dass Kommentatoren wie Melusine, wie auch Phyllis im Übrigen, sehr viel mehr Positives für dein Blog tun, als Betty B. und unzählige andere Idioten, deren einziger Lebensinn offenbar ist, dir deinen abzusprechen, Negatives tun. Wenn du aber die Leute, die wichtig sind, rauswirfst dann machst du im Endeeffekt diejenigen groß, die dir Schlechtes wollen und diejenigen klein, die an deinem literarischen und lebensweltlichen Projekt mitarbeiten. Und dass ist doch auch der Grund, warum du so schnell verletzt bist: weil du (was ich sehr an dir schätze!) deine Literatur nicht auf dem Schreibtisch beschränkst, sondern weil dein Leben ein literarisches ist; weil du Literatur und Leben nicht trennst.
    Melusine rauzuwerfen: das ist kein gutes Ergebnis. Das ist selbst dann kein gutes Ergebnis, wenn die poetologischen Voraussetzungen unter denen es zustande gekommen ist, an sich sehr gute sind, dass nämlich auch Trolle eine Stimme im Chor der Literatur sind, und das diese wie jene, die lobenden wie die kritisierenden, eine gewisse Gleichberechtigung zuerkannt werden muss.

    Was ich bisher von der Löwin gehört habe, ist das ja eine sehr kluge Frau, und die wird dir da schon die richtigen Worte ins Ohr flüstern. Obwohl Löwinnen ja vermutlich nicht flüstern: lass sie dir ruhig ins Ohr brüllen, die richtigen Worte!

    Nimm‘s, wie es gemeint ist, mit Wohlwollen, in freundlicher, beinahe noch jugendlicher Naivität, ein bisschen schmunzelnd und verschmitzt, dennoch mit ernsten Gesichtsausdruck, mahnend und besorgt, lächelnd, aber auch ein kleines bisschen wie eine Mutter zu ihrem Kind, und natürlich wie eine jüngere Frau einem, mit Verlaub, älteren Herrn gegenüber, älter im Verhältnis zu ihr selbst natürlich nur. Und herzlich! Vor allem herzlich!
    Aléa

    1. Liebe Aléa, mein Ärger ist auch längst schon wieder verraucht. Dennoch lasse ich die Dinge stehen, wie sie sind: das gehört zum dokumentarischen Teil Der Dschungel und auch meiner Haltungen. Ebenso, wie ich nicht ein Gegner dessen bin, daß man sich permanent zivilisiert, bin ich dagegen, hinterher zu schönen. Mein Ärger w a r, und ich stehe zu ihm. Darüber decke ich kein Mäntelchen.

      Trennungen und Zerwürfnisse, das habe ich gelernt, sind ein integraler Bestandteil meines Lebens. Ich fürchte mich nicht mehr vor ihnen. Kompromisse gehören in die Politik, nicht in die Kunst.

    2. wieso haben sie sich nicht darüber echaufiert, als maradonna glaubte, bei einer pressekonferenz das podium verlassen zu müssen, weil ein junger spieler der deutschen mit ihm am tisch saß, den er nicht kannte?

    3. @ach ja. Weil ich davon nichts wußte. Mich interessiert Fußball ja nicht, werde nur dauernd damit konfrontiert, wenn ich bei diesem schönen Wetter hinausgeh.
      Echauffiert habe ich mich noch über diese Fehlentscheidungen der Schiedsrichter: also daß einfach entschieden bleibt, obwohl das Fehlurteil sofort immer klar ist. So etwas ist mir unverständlich. Wäre ich Schiedsrichter, ich würde das Spiel für fünf Minuten unterbrechen, mir die Sachlage anschauen und dann noch einmal entscheiden. Es käme mir auf Gerechtigkeit an, nicht auf die Regeln. Würde das nicht akzeptiert, legte ich mein Amt in derselben Sekunde nieder. Mir ist des weiteren unklar, wie man Fan bleiben kann, wenn ein anderes Verhalten unwidersprochen durchgeht. Für mein Gefühl kann dann etwas mit der Veranstaltung-an-sich nicht stimmen.
      Und, wie meinem Sohn, ist mir unklar, wieso man rufen kann: „W i r haben gewonnen“ – Leute rufen das, die weder trainiert haben noch überhaupt anders denn als Schreier und solche dabei sind, die sich saufend sie Kante geben. Mich stört das gruppige, aus den Gesetzen des Markts und der Massenpsychologie gehämmerte Possessivpronomen. Es stört mich nicht nur, nein, es macht mir Angst, zumindest ekelt es mich. Das ist bei mir eine physiologische Reaktion.

    4. wird es nicht langsam zeit zu akzeptieren, das die wm nun einmal davon lebt, dass sich fans mit einer mannschaft identifizieren, und das überhaupt keine form von vergesellschaftung möglich wäre, wenn es nicht identifikationseffekte gäbe. ausserdem ist das anfeuern und mitfiebern mit „seiner“ mannschaft ein teil des spieles, der fan ist der 12. mann. deshalb darf er auch sagen: wir haben gewonnen.

    5. @ach ja. Diese Art der Identifikation ist mir aus politischen Gründen, für die ich aus familiärer wie schlimmer eigener Erfahrung hoch sensibilisiert bin, unangenehm. Wie gesagt: es ist eine körperliche Reaktion, die bis zum Schlechtwerden gehen kann und bei mir in jedem Fall Depressionen auslöst. Ich habe gelernt, solchen Erscheinungen zutiefst zu mißtrauen. Mag sein, daß ich damit allein stehe. Allein zu stehen ist aber keine Schande. Mögen die anderen sich’s in der Masse bequemen. Wenn auch sie wieder für sich sind, sind das ja meistens sehr freundliche Menschen. Mein Problem ist nur, daß ich die Massenerscheinung derzeit nicht fliehen kann, ich müßte mich denn einschließen hier – und das bei einem Wetter, das ich liebe. Hätte ich mehr Geld, ich reiste einfach an einen einsamen Ort. Hab ich aber nicht.

  3. Wenn es gestattet ist, Melusines Kommentar mit dem Titel „Selbstachtung“ erschien mir als Anknüpfung an die im Journal protokollierte Mahnung der Löwin: „zu hart!“. Ich las darin den Appell an Sie, werter ANH, die Selbstachtung nicht zu tief zu hängen. Eine persönliche Schmähung will sich mir daraus nicht recht erschließen. Mir fällt dazu spontan das >>>>> Bild von Phyllis ein, das ich scherzhaft interpretierte mit: „Die tiefsten Schubladen dem Zugriff entziehen in Verwahrung nehmen“.

    Bitte verstehen Sie mich recht: ich sehe ohne Mühe ein, dass die konzeptbedingte Auseinandersetzung mit Trollereien sehr beansprucht. Auch will ich keineswegs Partei ergreifen. Meine Einlassung will bloß eine Perspektive eröffnen.

    respektvoll
    H.

    1. @hans1962 zu den Achtungsfragen. Sehr geehrter Herr Hans,
      erst einmal willkommen in Der Dschungel; bei Frau Kiehl habe ich Ihre Beiträge schon oft mit Vergnügen gelesen, und ich mag Ihre respektvolle Art. Ginge es bei BettyB allein um Trollerei, hätten Sie sicherlich auch recht, mir eine Form der Verwahrung anzuraten. Auch mir liegt dergleichen mehr.
      Aber nicht immer. Ich habe >>>> meinen hier und, wie ich weiß, auch anderwärts diskutierten Text jetzt mehrfach wiedergelesen, und je öfter ich ihn lese, desto besser gefällt er mir – und zwar nicht allein, weil er ganz offenbar seinen Zweck erfüllt hat, sondern weil er in sich voll Ironie, Leichtigkeit, ja sogar von einer gewissen Freundlichkeit ist und den Finger auf etwas legt (die Zote erspare ich mir: ecco!), um das es doch zu gehen scheint… im Hintergrund nämlich, den man zwar nicht aussprechen soll, der aber jedem spürbar ist. Dies nun ist etwas, das ich so nicht mitspiele und nie mitgespielt habe.
      Meine Selbstachtung wird von dem Text nicht beschädigt, überhaupt nicht, eher im Gegenteil. Es ist das „on ne fait pas“, das sich krümmt. In Der Dschungel sind derart viele Perspektiven, Sprachstile und -spiele und Modi der Formulierungen lebendig, daß auch ein deutlicher Machismo auf keinen Fall schadet. Nun sind das Geschmacksfragen, aber lesen Sie mal Jean Genet… Nein, es gibt keinen Grund, irgend etwas zurückzunehmen. Um es zu widerholen: Ich bin mit meiner Antwort an BettyB mehr als nur zufrieden. Wann immer ich sie wiederlese – und eben las ich sie ein weiteres Mal – geht mir ein sonnenvolles Lächeln über die Lippen, und in mir drin muß ich glucksen.
      Ihr (>>>> aus dem ICE):
      ANH
      >>>> Herbst & Deters Fiktionaere

    2. naja, von brack, ergibt wohl alles in allem die perspektive eines drogenkuriers für betuchte kreise.
      ( von politik über wirtschaft bishin zum jetset )

    3. @Achtungsfragen Nein, werter ANH, ich wollte Ihnen zu nichts raten, stünde es mir doch gar nicht zu. Mit dem erwähnten Bild und meiner damaligen Interpretation versuchte ich den Eindruck zu illustrieren, welcher sich zu besagtem Kommentar von Melusine in mir durchsetzte – meine schlichte Rezeption ihrer Anmerkung.
      Was Ihre Antwort an BettyB betrifft, fiel mir sogleich der langbärtige Witz vom Jungbauern ein, der eine Kontaktanzeige schaltete: „Jungbauer mit stattlichem Anwesen sucht Jungbäuerin mit stattlichem Trecker. Bild von Trecker erwünscht.„, und musste (typisch Mann?) schmunzeln.

      Es grüßt Sie freundlichst
      H.

    4. @hans1962. Jeder hat halt genau diejenigen Assoziationen, die er sozialisiert bekam. Die meinen sind andere. Ist doch sehr gut, daß wir Menschen uns unterscheiden. Stellen Sie sich mal vor, alle Frauen wären auf einen einzigen Typos geprägt: es wäre für a l l e Beteiligten schrecklich.

    5. Wieso denn ?
      Wir alle bewegen uns doch in einer Art Tradition.
      Wir bewegen uns so lange innerhalb der Tradition bis wir sie in etwas anderes überführten.
      Dieses Überführen allerdings dem Mann alleine delegieren zu wollen finde ich absurd.
      Der Mann kann eben nicht über die Sexualität der Frau entscheiden oder bestimmen ( wollen ), so gerne das manche Frauen wollen.
      Aber eben nicht alle.
      Ich z.b. nehme manchen Frauen eine Art Frigidität ab und verorte das nicht ausschliesslich im Bereich der ( falschen ) Fantasie.
      Wenn aber Frigidität anfängt, für alle zu sprechen, so finde ich das äusserst tadelnswert, weil es nichts gerecht werden kann.
      ( ich möchte jetzt aber hier Alea und die anderen soeben angeprochenen ausgeklammert wissen )

      & ab.

    6. Aber nein, hans1962! Sie schreiben fair, wir sind nur unterschiedlicher Meinung. Und unsere Assoziationen sind andere, wie ich’s hierüber sagte. Den derben, fast ordinären Witz, den Sie als Vergleich erzählen, bringe ich mit meinem Text nicht zusammen, schon weil er ja keine Kontaktanzeige ist und ich, anders als der von Ihnen angeführte Landwirt, durchaus nach keiner Bäuerin suche; ich bin nicht einsam, sehr viele Frauen mögen und vor allem begehren mich (während einige mich nicht leiden können; das ist aber doch völlig okay und so lange kein Leidensgrund, so lange auch ich sie nicht will); und was ich zu bestellen habe, zu säen, aufzuziehen und schließlich zu ernten, das schaff ich auch allein. Ich habe mich von Zustimmung nie abhängig gemacht, andernfalls wär ich in meinem Leben verloren gewesen. Es gab und gibt allerdings Freunde, ohne die ich ebenfalls verloren gewesen wäre und wäre. Interessant ist für mich freilich, zu welchen Wallungen >>>> meine Antwort auf BettyB geführt hat – eine von sehr vielen Antworten zuvor -, zumal sie doch seither schweigt. Aber vielleicht ist sie auch nur in Urlaub gefahren.

    7. @ANH Ich verstand Ihren Text betreffend BettyB als Persiflage – ich bin mir aber überhaupt nicht sicher, ob das so gesagt werden kann. Insofern tut es mir leid, dass meine „Witzanalogie“ so gründlich daneben ging und nicht den beabsichtigten Sinn offenbaren konnte. Schreibend fühle ich mich im Gegensatz zum Musikmalen gewissermaßen als Kleinkind. Doch bemühe ich mich redlich um Wachstum.

      Erlauben Sie mir folgendes Bild: Menschen nehme ich als Klangkörper wahr, die auf „Berührungen“, geistig, seelisch und auch körperlich sehr unterschiedlich reagieren. Mich motiviert großes Interesse an umfangreichen Klangbildern, neue „Instrumente“ kennenzulernen. zuSehen, zuHören, zuDenken, um schließlich zum Kern zu kommen: zuFühlen.

      Ich habe kein wie immer geartetes Interesse daran, „Instrumente“ nach meinen Bedürfnissen zu stimmen oder gar zu verändern. Es ist die Resonanz in mir selbst, auf die es mir ankommt. Das ist dann mein sich mehrender Reichtum.
      Einander am Ende lustvoll (wieder auf unterschiedlichen Ebenen gemeint, auch simultan) bespielen zu können, mag sich mir als Krönung des Menschseins eröffnen. Gestaltende Macht hin, verordnete Ästhetik her.

    8. @Hans zur „Persiflage“. Danke für diese sehr nachvollziehbare Erläuterung. Tatsächlich liegt „Persiflage“ auf der Linie dessen, was ich im Sinn hatte – nicht völlig freilich, weil ich ja keine Vorlage zu travestieren hatte, sondern einen als solchen sowohl angenommenen wie projezierten Hintergrund. Der wird deutlich, wenn man Bettys übrige Beiträge, sehr sehr viele, kennt; es lohnt sich aber, denke ich, kaum, denen nun nachzu“forschen“. >>>> Dies hier mag für sich sprechen; auch da hatte ich schon, sagen wir: deftig reagiert, weil es des Stalkings kein Ende wurde.

      Das Bild mit den Klangkörpern ist sehr schön und auch mir nah, nur daß ich selbst nicht an einen „Kern“ glaube, also nicht an das Eine und Bestimmte, das einen Menschen ausmacht, sondern ich gehe von flüssigen Prozessen aus, die Menschen je nach ihren Situationen de facto zu jeweils anderen, bzw. verschoben-anderen machen. In Gegenwart unserer Eltern, egal, wie alt wir sind, sind wir w i r k l i c h andere als in Gegenwart eines Postboten etwa oder unserer Liebespartner usw. Ich kann nicht mehr an Einheitlichkeit der Person glauben, also nicht an ein „Wesen“.

    9. @Kern Ich muss eine Präzisierung nachreichen: „…um schließlich zum Kern meines Interesses, oder besser: Bemühens zu kommen: zuFühlen.
      (Manchmal verzweifle ich an meiner eigenen Unvollständigkeit, da mir die „Gefahren“ sehr bewusst sind)

    10. @hans1962. So ist mir das ausgesprochen verständlich. Danke sehr.

      (Auch mir, sogar häufig, unterlaufen Unvollständigkeiten. Ich hoffe nur, daß die Gesamtheit Der Dschungel sie aufhebt.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .