9.01 Uhr:
[Arbeitswohnung.[
Bis halb neun geschlafen, fast nicht zu fassen; gegen zwei Uhr nachts ein Reißen in den Beinen, das deutlich sprach: Nun geh zu Bett. Und ich träumte von den Elegien, träumte von einem unheimlichen Bild, das nicht sein konnte, aber war. Bis ich es akzepierte. Dann war auch keine Drohung mehr dran.
Er hatte das Tischchen auf die Straße gestellt, weiß gedeckt, zwei Stühle dazu, einen Chablis, vier Gläser, zwei davon für Wasser; kleine Teller und geschnittenes Baquette, sowie zwei französische Käse. „Du warst doch grad in Paris”, sagte er. Dann erzählten wir. Zuweilen kamen Nachbarn vorbei, grüßten, plauderten ein wenig mit, so daß ich ganz nebenbei von der Berliner Baugeschichte nicht wenig erfuhr, etwa daß die halbe Gegend dort, nahe dem Sportplatz, „von den Franzosen” bezahlte worden sei, Reparationskosten, 1870, davon wurden die Gebäude hochgezogen bis 1910; es gebe da spannende Pläne. Gewissermaßen s a ß e n wir also in Frankreich, wieder, ich. Er erzählte mir von der Verlagsgeschichte, Heidelberg, ausgerechnet, wo ich nun diesen Lehrauftrag habe, Namen fielen, Bezüge legten sich aufeinander. Wir schauten uns andere Bücher an, französische auch, und an zweien davon wird sich der Band der Bamberger Elegien orientieren: Heller, aber weicher Pappumschlag, eine reine Schriftlösung, kein Umschlagsbild also, stattdessen ein Pergamentumschlag darum: tatsächlich Schutzumschlag. Das Papier innen g u t, ebenfalls chamois-getönt, Serifenschrift und soviel Text auf der Seite, daß man trotz des Blocksatzes die Lyrik spüren wird. Ich hatte die Idee – und hatte sie schon mit Freunden durchgesprochen -, wieder einmal ein Buch zu machen, dessen Seiten die Leser selbst aufschneiden müssen; jetzt überlegen wir, ob wir dies bei der ganzen Auflage so gestalten, oder ob 100-150 Exemplare so gestaltet werden, numeriert und signiert, zur Subskription mit höherem Preis. Das ist eine Ermessensfrage, über die ich nachher noch mit Barbara Stang sprechen werde, die ich um elf bei einem anderen Verlag treffen will.
Dann bald kam das Gespräch auf ANDERSWELT. Ich hatte dem Verleger THETIS mitgebracht und den >>>> Horen-Band; wir wollen überlegen, ob man nicht eine konzertierte Ausgabe ediert, Herbst 2012, für die Elfenbein und >>>> die Kulturmaschinen gemeinsam zeichnen: bei den Kulturmaschinen alle drei Bände Anderswelt zugleich, Paperback in Kassette, und bei Elfenbein, hochpreisig, doch fest gebunden, ARGO allein; die Aufmachung sehr ähnlich wie bei Rowohlt und Berlinverlag. Dafür aber braucht es noch Gespräche. Die Zeit ist nicht lang bis Herbst 2012, mindestens ein Jahr werde ich noch für die Überarbeitung des Typoskriptes, immerhin über 1000 Seiten, brauchen. Knapp 500 Fußnoten sind noch einzuarbeiten, knapp 400 Arbeitsnotaten ist nachzugehen, um von den sprachlichen Kniffligkeiten einmal ganz abzusehen. Aber dann wird das gesamte Projekt endlich doch erschienen sein und die Brücke frei zu FRIEDRICH hinüber, zu FRIEDRICH, wenn Sie so wollen, zurück. (Daneben noch die kleineren Projekte: Melusine Walser, nächste Gedichte, Destrudo, sowie Funkarbeiten und die Oper mit >>>> Robert HP Platz, der vor einer Woche anrief und fragte.)
Um elf Treffen mit Stang bei einem Kinderbuchverlag, abends eventuell >>>> eine Lesung und danach werd ich nun vielleicht doch in diesen Stripschuppen radeln, also sofern die Dotteressa heute auftritt. Und >>>> zu Benjamin Stein will ich heute schreiben. Ich hatte noch drauf gewartet, was >>>> Volltext sagt; dort ist die Rezension aber schon vergeben; es hätte sich auch mit meinem Niebelschütz-Text gebissen. Zwei Seiten hab ich bekommen.
Ich brauche dringend einen zweiten Latte macchiato. Und um 14 Uhr kommt mein Junge zum Essen hierher.
14 Uhr:
Sehr schönes Gespräch mit Barbara Stang, bei Weinschorle und praller Sonne; dafür bin ich für das Gespräch vorher, bei dem Kinderbuchverlag, eher skeptisch. Wenn mir schon jemand sagt: „Wir kennen uns aus Frankfurter VS-Zeiten”; da ich seinerzeit, protestierend gegen die Kommunlinke, aus dem Schriftstellerverband ausstieg, sind solche Bemerkungen deutlich. Nun hat sich seit damals einiges geändert, auch die Ideologien der Beteiligten änderten sich, aber es bleibt meine Wider- und Aufständigkeit gegen Gruppen-Usancen. Na, ich werde sehen.
Mein Bub ist da, wir warten auf die Pizza. Ich hab ihm, weil ich sein Strahlen so liebe, das neue Mickey-Mouse-Heft mitgebracht und wurde auch prompt mit dem Strahlen belohnt. Jetzt liest er’s, und ich fand in der Post >>>> diesen Link, der mich gerade ganz glücklich macht: Zu >>>> DER ENGEL ORDNUNGEN. Nun sitz ich, nur eine Unterhose an, am Schreibtisch; so warm ist es; und grinse, ich gebe es zu, selbstzufrieden vor mich hin.
20.22 Uhr:
Sò: der Entwurf meiner Rezension von >>>> Benjamin Steins Die Leinwand ist fertig. Ich will den Text aber noch etwas „abhängen” lassen und werde ihn wohl morgen erst einstellen. Jetzt noch mal mit meinem Sohn telefonieren, dann mit der Löwin, und dann zur Lesung ab.
Bamberger Elegien Ich bin immer wieder fasziniert von der Energie, mit der Sie sich gegen alle Widerstände schließlich doch durchsetzen. In der freien Wirtschaft sind solche Leute sehr gesucht. Da wären Sie längst ein gemachter Mann, Herr Herbst, und müssten sich um Ihre Finanzen keine Sorgen mehr machen. Aber darauf kommt es Ihnen offensichtlich nicht an. Trotzdem verstehe ich nicht, wieso Sie nicht beides zusammen bringen.
@asics. Ich fürchte, Sie irren sich. Energie war nie mein Problem, sondern daß ich mich an Betriebs-Regulationen nur dann halte, wenn ich sie einsehe. Das wäre – und war – in der freien Wirtschaft nicht anders. Zwar kann man dort einiges über erwirtschafteten Umsatz („production“) ausgleichen, aber sowie es um Machtpositionen und Kompetenzen geht, also personale Interessen eine Rolle spielen, unterscheidet sich das „freie“ Wirtschaftsleben vom Literaturbetrieb nicht. Es kämen, und kamen damals auch, ganz die gleichen Probleme auf mich zu. Schon gar nicht unterstelle ich mich einer Firmen-identity.
Bücher lesen bildet… Ein sehr scöner Artikel der uns wiedermal zeigt wie die Welt ist. Bücher lesen bildet…
@Bücher & Belletristik. … „zu lesen“, B&B, „zu lesen“…
stimmt … geschwätzige popliteratur bildet, zumindest die jenigen, die sich aus mangel an intelligenz keine richtige literatur leisten können
@henry müller ich weiss eigentlich gar nicht, was das ist: popliteratur. populäre literatur? mainstream? hohe verkaufszahlen? oder wie bestimmt sich sowas? und was ist richtige literatur? dann gibt es eine falsche, die dann keine literatur ist oder was? aber was hat das mit herbsts literatur zu tun? der ist doch eher ein konservativer typ, wenn ich lese, worauf er sich was einbildet: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=14582
mit popliteratur matche ich das jedenfalls nicht.
Oha, der ist aber schon neidisch, sonst schreibt man doch nicht so einen Mist, mal abgesehen davon dass diese Literaturkritik alles ist, nur keine Literaturkritik, das hatte ich an anderer Stelle auch schon mal geschrieben, na ja egal.
Aber im Netz kann ich alles behaupten, es interessiert ja keinen ob das stimmt oder nicht
@ jackson, müller Dietmar dath hat das am deutlichsten ausgesprochen: „Popliteratur ist Literatur, die unter kulturindustriellen Bedingungen hergestellt und wahrgenommen wird; das Wort bedeutet also besser nicht „Bücher, in denen Platten vorkommen”. In meinem Sinn ist heute alle Literatur aus den reichen Ländern, die sich mit dem auseinandersetzt, was hier tatsächlich los ist, Popliteratur.“ Ihr müsst euch einfach mal den wikipedia-Artikel angucken. Nach dath hat müller recht und anh ist ein popliterat. Aber das hört er bestimmt nur ungern. „Pop“ ist damit wahrscheinlich auch etwas zu weit gefasst.
@Brotlos In Zeitungen und Büchern ist das anders? Also das ist im Internet nichts Neues, daß man alles behaupten kann. Bücher machen seit Jahrhunderten dasselbe, davor die Handschriften und die orale history sowieso. Geschichte ist die Geschichte der Machthaber. Immer gewesen.
@ SabineA: Nein, ich bin sicher k e i n Pop-Literat, schon weil ich auf einem qualitätiven Unterschied zwischen E- und U-Kultur strikt beharre. Auch das trifft auf meine Arbeit sicher nicht zu, schon aus Altersgründen: Die Autoren der 1990er wollen mittels einer am Alltag orientierten Sprache das Lebensgefühl einer gesellschaftlichen Gruppe wiedergeben, die zwischen Adoleszenz und Familiengründung steht. Verbindungen gibt es aber, indem auch ich immer wieder und mit Nachdruck Alltagsphänomene, Werbung usw. in meine Romane mit hineingenommen habe – unabdingbar, wenn es einem auf einen Realismus ankommt, der das auch ist; unabdingbar ebenfalls, die Neuen Medien einen zentralen Raum einnehmen zu lassen.
Ich fürchte nur, Sabine, wir werden vergeblich auf argumentierte Erwiderungen von Brotlos, Müller & Co warten müssen, weil es diesen Kommentatoren auf eine sachliche Auseinandersetzung nicht ankommt. Etwa würde mich interessieren, weshalb >>>> diese Besprechung meine Gedichtbands keine Literaturkritik sein soll, wie Herr Brotlos suggestiv behauptet. Aber das gehört dann sicher >>>> dort hin.
Die Seite gewechselt, La Lune?
Doch in der Tat! >>>> „Fotos der gefäschten Ostraka sind im Museum der Festung noch immer zu besichtigen. Ich hatte von dem Mythos schon lange vorher gehört. Der falsche Fund hatte ihn gestärkt, und die Aufdeckung des Schwindels konnte ihn nicht beschädigen. Ich nahm es als Bestätigung, daß das geschriebene Wort selbst über Jahrtausende noch stärker ist als jeder wissenschaftliche Beweis – oder auch sein Fehlen. Die erzählte Geschichte ist, was am Ende zählt.“ (Benjamin Stein, Die Leinwand).
Am ende von was?
An Ihrem, meinem, unserem. „Am Ende“ bedeutet zudem: „schließlich“, „faktisch“. Wenn wir über die Worte nachdenken und nicht nur rhetorische Fragen stellen, um sie – also ihre Inhalte – von uns abzuwehren, öffnet sich ein riesiger Raum. (Ich schreibe bewußt nicht „Wörter“).
Das ist allerdings schön…eine schöne Erklärung
Mir ging es nicht um ihr Gedichtband, das kenne ich gar nicht, mir ist nur aufgefallen, dass es tatsächlich dort nur Lobeshymnen über Bücher gibt und das finde ich seltsam, wo es doch Literaturkritik heißt und Kritik heißt doch nicht immer Lob.
@ Brotlos. Oh, ich habe da auch schon Verrisse gelesen. Andererseits ist es so, daß ich selbst Verrisse nicht schreibe oder in den seltensten Fällen. Ich biete meinerseits Rezensionen nur dann an, wenn mir ein Buch gefällt. Weshalb sollte ich derart viel Zeit für eine Besprechung von etwas aufwenden, das mir Lebenszeit stiehlt? Ich habe schon Bücher zurückgegeben, die ich hätte verreißen müssen; der Platz, der für Buchveröffentlichungen zur Verfügung steht, ist vor allem in Zeitungen eng genug bemessen. Leute, die gern Verrisse schreiben, haben ein Profilierungsproblem: Sie wollen Macht ausüben oder halten. Das finde ich kein poetisches Handeln.
Stellen Sie es sich so vor: Rezensenten für Literaturkritik.de, die auch die üblichen Halbjahresfristen, die solche rein des Marktes sind, nicht mitmachen wollen, haben ein Buch gelesen, das ihnen gefällt, und also bieten sie eine Rezension an. Auch ständige Mitarbeiter dort verfahren so. Wenn ich Rezensionen anbiete, ob bei der FAZ, ob bei Volltext, ob beim Funk, tu ich das gleiche. Ich muß mich schon s e h r ärgern – und das ist dann immer jenseits von poetologischem Können oder Nichtkönnen eines Autors oder, in meinen Musikkritken, eines Regisseurs -, um zu verreißen: meist hat das dann politische, auch und gerade ästhetik-politische Gründe. Wobei ich bei unbekannten Künstlern Verrisse prinzipiell ablehne, also Bücher zurückgebe usw.; bei unbekannten, jungen, noch versuchenden Künstlern bedeutet – je nach Bedeutung des Mediums -, einen Verriß zu schreiben möglicherweise Vernichtung. Ich halte es für wichtig, hier Verantwortungsgefühl zu zeigen. Etwas anderes ist das bei längst etablierten und ökonomisch gut situierten Künstlern.
Ob eine Kritik eine Kritik ist oder nicht, hängt nicht davon ab, ob sie bejubelt oder verreißt, sondern allein davon: wie sie und ob sie argumentiert oder ob sie einfach nur behauptet. Das ist, wohlgemerkt, ein strenges Kriterium. Wenn sie verreißt, ist sie auf Argumente sogar verpflichtet.
Ja das ist einzusehen, ich wollte auch kein Buch lesen dass mir nicht zusagt und trotzdem fällt es eben auf, jedenfalls mir dass nur noch gelobt wird und da denke ich, sind die wenigsten Literaturkritiker so authentisch wie sie.
Wenn ich mir „Die Zeit“ ansehen, das ist ein Graus.
Ich sag mal nur als Beispiel dies bUch dass den Leipziger Buchpreis bekommen hat, wie heißt es denn noch…
Na ja immer wenn ich einen Buchladen gehe, blättere ich da mal rein und find es gausam und das verstehe ich nicht, also dass es nicht einen gibt der dieses Buch nicht gut findet, das finde ich seltsam und das kann ich auch nicht glauben.
ich zerstöre gerne schlechte Bücher…genüsslich. Verrisse sind poetisch. Es ist schön ein schlechtes Buch zu vernichten. Allerdings macht es heute keinen Spaß mehr, weil beinahe alle Bücher schlecht sind, und man nur noch vernichten und zerstören müsste. Aber grundsätzlich fehtl ein großer Chefkritiker heute, der die Poesie der Zerstörung und der Ätzung und der Kritik genießerisch vollführt..
@stumpfrichter. Das Problem ist vor allem Ihr Pseudonym; es zeigt aggressive Dummheit (zu der sich die Unkenntnis bloß addiert). Zum zweiten wäre dagegen nicht einmal etwas einzuwenden, auch nichts dagegen, wenn Sie sich selbst in einem entsprechenden Forum, sei es die FAZ, sei es ein Weblog, zu solch einem Richterwerk aufschwängen – allein, Sie müßten Ihren Klarnamen verwenden und zeigen, daß Sie auch einstehen können für das, was Sie tun. Dies scheinen Sie unbedingt vermeiden zu wollen, weshalb man Sie prinzipiell nicht ernst nehmen kann, allenfalls sagen: ah, da ist sie ja wieder, des deutschen Volkes henkende Stimme. Sie behauptet und haßt, aber weiß gar nicht, was und warum, geschweige daß sie’s begründen könnte. Sie erinnern mich an jugendliche Vandalen, die Mülleimer von den Laternenmasten reißen und Fahrräder zertreten, weil sie ihr Unbehagen anders nicht zu fassen kriegen.