Nach Heidelberg! Das Arbeitsjournal des 14. Julis 2010, eines Mittwochs nämlich, an dem der Held dieses Weblogs eine anstrengende Drehnacht absolviert hat, wofür ihn der Spott, aber auch ihre Arme, einer Löwin entgelten, die seine Portugieserausfälle leckt.

9.43 Uhr:
[In Nairobi nach dem Dreh von Tsavo Ost.]
Ja, die Portugiesen wollten hierher (wir befinden uns noch in dem kenianischen Dorf, im „General Store”, der auch als Kneipe dient, man bekommt hier mit Ziegenmilch aufgeschäumten Tamarindenschnaps: böswillige Zungen haben behauptet, damit das Zeug maischt, müsse man reinspucken; man nennt das Kinski-Fermentierung. Wie immer auch, das Getränk besäuft einen schnell und bestraft den Suff fast unmittelbar mit Kopfschmerz. Dafür hat man dann drei Stunden später die farbigsten Halluzinationen.)
Meine, also Halluzination, war keine. Ich hatte ja auch nicht mal genippt, sondern das Glas mißtrauisch in der rechten Hand gewiegt, man kann auch sagen: gewogen. Die Portugiesen kamen tatsächlich, und mein Instinkt sagte mir, ich solle mich schleunigst verstecken. Ich begriff instinktiv, die Südeuropäer, weil ihnen koloniale Geschichte im Blut war, würden das Dorf überfallen, nämlich schon deshalb, weil die Löwin und ich ihnen vorgestern so viel weggegessen hatten, daß sie Nachschub brauchten. Es ging bereits los mit der Gewehrknallerei.
Hab ich schon erzählt, daß ich ein Retter Bedrohter bin? Um ein solcher bleiben zu können, durfte ich mich keiner Gefahr aussetzen, mußte vielmehr meine Haut, zumal unbewaffnet, für die Bedrohten retten, und kroch unter einen der Tische. Natürlich hatte ich keine Angst, selbstverständlich nicht. Es war reine Strategie. Strategisch kümmerte ich mich zusammen, krümmte mich zusammen, muß das heißen. Die Tür des Stores wurde aufgestoßen, ich erkannte die Portugieserbrüder am Schritt, na ja, vor allem an ihren kleinen spitzen Schuhen.
„Money!” brüllten sie. Stoisch putzte der schwarze Hüne hinterm Tresen die Gläser weiter; selbst Bierhumpen, in die man hierzulande Elefantenmilch ausschenkt, wirkten in seinen Fäusten wie meiner Omis Teeporzellan.
„Money!” wiederbrüllte der Portugierserbruder, indes der zweite eine Chipstüte aus den Ragalen klaute, dann eine Schwarzwälder Kuckucksuhr, und dort wieder stieß er, anstelle eines Fingers, das ganze Fäustchen in eine ebensolche, nämlich Schwarzwälder, Torte. Der Schwarze putzte, wienerte, hauchte… häuchelte, müßte man schreiben, bestünde nicht Gefahr, daß jemand den Satz laut vorliest und alle ihn dann mißverstehen. Jedenfalls putzte er. Dazu hatte er ein blaukariertes Tüchelein von Küchenhandtuch, das die Portugieserbrüder hätten, freilich, als Badelaken nehmen können. Als der eine bemerkte, welche Beleidigung das war, so rein als Faktum betrachtet, erschoß er den Schwarzen. Der plumpste, und es gab ein Klirrlein von Glas.
Die Ladenmami erschien; sie war noch kompakter als ihr jetzt toter oder doch wenigstens verblutender Ladengehilfe. Hörte ich ihn noch stöhnen? „Money” brüllte der einer Portugieser wieder. Draußen krachte die erste Explosion. Mir war klar, daß die Portugieser in Wirklichkeit kei8ne Köche, sondern daß sie Söldner waren, die mit den benachbarten Warlords zusammenarbeiteten, wenn man das, verzeihen Sie, eine Arbeit nennen darf. Die Revolution des Volkes sollte in alle Länder Afrikas wie Flächenbrand getragen werden; damit das flutscht, braucht man die Angst. Es ist ja auch nicht ungeschickt, Weiße dafür vorzuschicken; hintennach erscheinen die dunklen Befreier und machen dem Terror ein Ende, indem sie das Land feste umpressen und allen Unrat hinauswringen.
Ich durfte auf keinen entdeckt werden, machte mich immer kleiner. Um meine völlige Harmlosigkeit vorzutäuschen, für den Fall, daß man mich dennoch entdeckte, zitterte ich und fing sogar zu weinen an.
Deshalb aber entdeckte man mich. Nämlich kam von draußen der dreizehnjährige Knabe herein, warf mit spitzen Ohren einen Blick, lächelte fies, unsere Blicke trafen sich, ach welch eine zarte Haut! Er legte die MP an, auf mich gerichtet, ich hörte schon das ohrenzerfetzende Knattern, als Scorsese rief: „Cut cut cut! Fine, that’s it for now! Let’s have a break!”
So daß ich wieder unterm Tisch vorkriechen mßte.
„Ochchen”, machte der Portugieserknabe, „ich hätt den so gern noch gekillt.”
Ich klopfte mir den Staub aus den Klamotten. Hannelore Elsner kam.
„Toll gespielte Feigheit”, sagte sie, „echt toll gespielt, das hat man richtig geglaubt. Ich steh auf weinende Männer.”
Hört man ja gern als Nebenrolle, die im Film nur drei Minuten zu sehen ist: zufälliger Kunde im Store, der sich mit den Kinskifermenten zuknallt, dann kommen die Killer, er kriecht untern Tisch, wird entdeckt, Pengpengpengpeng, und hundert Dollars in die geöffnete Hand. Die brauchte ich, also die Dollars, fürs Katzenfutter. Denn wir wollten nach Nairobi weiter, die Löwin und ich, und in Städten, auch afrikanischen, ist das mit der Menschenjagd nicht so geraten. Jetzt, wegen dieser Unterbrechung, würden es sogar 200 Dollars werden, wußte ich: ich müßte abermals untern Tisch kriechen und würde d a n n erst erschossen. Als mir einfiel, daß das mit den 200 Dollars nicht stimmt, auch mit den 100 jetzt nicht mehr, denn ich mußte ja zusehen, irgendwie heute >>>> nach Heidelberg zu kommen, so daß ich ganz unmöglich für den Nachmittagsdreh zur Verfügung stand. Damit galt ich aber nämlich als überhaupt nicht zur Verfügung stehend. Imgrunde eine Rechtsfrage, die zu klären mein Anwalt, der Berliner, aber zu weit weg war. Zwar, ich rief ihn übers Ifönchen an, aber er winkte telefonisch ab: „Außerdem, Herrn Herbst, haben Sie das nötig? Bei allem, was Sie mir >>>> von dem Gräfin erzählt haben?” Nein, eine juristische Terracotta war da nicht zu gewinnen, eher im Gegenteil zu befürchten, Scorsese, bzw. seine Produzenten, würden mich zu einer Konventionalstrafe verpflichten wollen… nein, unterschrieben hatte ich nichts, die hatten mich bloß aufgegabelt. Da war ich schon heilfroh gewesen, daß sie die Löwin nicht gesehen hatten, von wegen Sodomie und so, vierzig mal dreißig Sekunden am Tag.
Kurz: ich haute ab.
Die Löwin lachte sich schief. „Scorsese, soso”, sagte sie, „und Robert de Niro hat die schwarze Mama gespielt.” „Ja”, sagte ich, wollte das aber nicht ausdiskutieren. „Aber nun laß uns los, ich muß mein Flugzeug kriegen. Schade nur um die 200 Dollars.” „100.” „200, mit dem Dreh heute nachmittag.”
Da kicherte die Löwin.

In Nairobi aßen wir persisch zu Abend. Ein türkischer Sultan bediente uns, der alles Farsi verstand, keines aber sprach. Sein Gesicht stammte von René Goscinny. Der Wein war so schwer, daß wir ihn nur nippend tranken, dafür Mengen gespritzten Granatapfelsaftes. Ich hatte eine künstliche Palme, von Fuß bis Wipfel gelb, im Rücken. Die Löwin trug ein solches Weiß, daß niemand das Tier in ihr erkannte.

Ich muß los, in zweieinhalb Stunden geht mein Flieger. Die Löwin will nicht mit: mag sein, daß sie den Gitterkäfig scheut, weil man Großkatzen ja nicht in den Passagierraum läßt; die fliegen, wenn überhaupt, als Fracht; schon durch die Sicherheitssperren läßt man sie nicht. Außerdem gilt für Löwen ein Heidelberger Einfuhrverbot. Weshalb wir noch mal zwei schnelle dreißig Sekunden schieben.Ich denk mal, aus Heidelberg melde ich mich bei Ihnen zurück. Hab eben auf die Schnelle noch mal >>>> virtuelles Seminar lektoriert; das Realseminar wird um 18 Uhr c.t. stattfinden, meine Lesung direkt im Anschluß daran; danach dann die Um- und Zutränke mit sehr abschließendem privaten Umtrunk bei Kühlmann dahein.

12.49 Uhr:
[Nairobi Wilson International.]
Ging schnell, die Sicherheitskontrolle; keine hat mich für einen Islami gehalten, nur die kleinen Bisse am Hals fielen auf. Und mein Schweizer Sackmesser, mal wieder, bin ich losgeworden; ich denke einfach nie dran, daß ich sowas in meinem Laptop-Rucksack habe. Jetzt warte ich aufs Boarding, die nette Dame steht schon bereit an ihrem Gerät. Viele Reisende sind es nicht.
Die Löwin hat mich bis zur Flughafenanfahrt begleitet. Als ich eincheckte, lag eine Nachricht von Scorsese da. Über die ich aber nicht sprechen darf. Zum Ausgleich sei Ihnen erzählt, daß die Löwin Elsa heißt. Wie? Das haben Sie sich gedacht? Völlig falsch. Sondern das hängt mit Lohengrin zusammen. Weil nämlich — upps, ich muß den Computer runterfahren… Es geht los.

18.10 Uhr:
[Universität Heidelberg, Seminarraum.]
Gerade so geschafft, fast hätte der Flieger Verspätung gehabt. Immerhin gibt es auf diesen von-Afrikaflügen den Merdian nordwärts hinan keine Zeitverschiebung. Vom Bahnhof mit dem Taxi direkt vors Palais, das durchgeschwitzte Jackett über die Tür gehängt, den Laptop aufgebaut. Gut war, daß die Deutsche Bahn einen neuen Servive hat, den ich allerdings nicht lange genug nutzen konnte. Immerhin, zwei Gänge.
Sò, es geht los.

5 thoughts on “Nach Heidelberg! Das Arbeitsjournal des 14. Julis 2010, eines Mittwochs nämlich, an dem der Held dieses Weblogs eine anstrengende Drehnacht absolviert hat, wofür ihn der Spott, aber auch ihre Arme, einer Löwin entgelten, die seine Portugieserausfälle leckt.

    1. Mich erinnert er manchmal an Absolem, die blaue Raupe aus Alice im Wunderland, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Pfeife rauchend, auf Salat pfeifend. Aber das werden Sie ihm nicht sagen…

    2. Der Löwe, der Löwe ist los! Er zieht die Oberlippe zurück und öffnet leicht den Mund. Die Seminaristinnen rutschen unruhig auf ihren Stühlen hin und her, die Seminaristen schweigen.

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