Daß wieder Zeit für Routinen ist. Montag, der 3. Januar 2011. Arbeitsjournal. Nochmals Pettersson. Später Tippett und Gielen.

5.03 Uhr:
[Arbeitswohnung. Tippett, Erstes Streichquartett.]
Die Bedeutung der Routinen für auch kreative Prozesse ist mir in den letzten beiden Jahrzehnten gerade dann, nämlich unglücklich, deutlich geworden, wenn sie zerfielen; glücklich wiederum, wenn sie einfach funktionierten, ja ich muß feststellen, daß auch Phänomene, die sich außerhalb des Routinierten zu begeben scheinen, die man sogar oft für geradezu Antipoden von Routinen hält, sich maßgeblich immer dann erleben lassen, wenn sich diese geradezu gewohnhaft abspulen. Sie haben sogar einiges von einer Voraussetzung für nennen wir’s mal: Inspiration. Möglicherweise ist das in den meditativen Religionen ganz derselbe Effekt.
Ich habe also die >>>> Dts’e wieder aufgenommen, will aber noch nicht so weit gehen, die Tage tatsächlich wieder minutiös vorherzuplanen, denn die lockere Struktur steht ja: morgens Jungenroman, vorher ein Teil des Arbeitsjournals, vormittags noch je die Besorgungen fürs Mittagessen meines Jungen, dann mittagsschlafen (wobei ich stark mit dem Gedanken spiele, mittags auch wieder Sport zu teiben); nachmittags Bamberger Elegien, schließlich Fenster von Sainte Chapelle, dann die Friedrich-II-Lektüren. Aufstehen um halb fünf, am Schreibtisch um fünf, am jeweils poetischen Text spätestens um sechs; ins Bett gehen also nicht wesentlich nach Mitternacht/halb eins, d.h. vier bis viereinhalb Stunden Schlaf nachts und eine Stunde Schlaf am Mittag, das muß und wird reichen.
Latte macchiato, Morgencigarillo, Musik. Unsere Lebenszeit ist begrenzt; will man sie mit etwas Geschaffenem füllen und schließlich angefüllt haben, bedarf es eines Willens, der nicht unbedingt sozial ist, ohne dabei allerdings das Soziale, das ich ein Menschliches nennen möchte, aus dem Auge verlieren zu dürfen; nur selber genießend ergeben darf man sich ihm nicht. Kurz, ich werde Menschen meines nahen Umgangs mal wieder vor den Kopf stoßen müssen; es wird möglicherweise wie Rückzug wirken, was in Wirklichkeit Konzentration ist. Was wir dem Einen geben, ziehen wir von Anderm ab, was wiederum daran liegt, daß unsere Lebenszeit begrenzt ist. Zwar ist diese Begrenzung kein Grund zur Panik, wohl aber für Fokussierung von Zielen. Daß es immer wieder Zeiten gibt, in denen die Routine zerfällt, steht auf einem nächsten Blatt: einem, dessen Text die Notwendigkeit erzählt, Routinen sich überprüfen zu lassen, damit sie nicht kunst- und vor allem lebensfern erstarren. Diese Zeiten lassen sich aber nicht ihrerseits organisieren, es sind keine Ferien, es ist kein Urlaub, der seinerseits ja etwas Routiniertes hat, sondern sie brechen als ein Fremdes, Außengesteuertes in einen ein und werden nicht selten von großen Erleben initiiert: von Lieben, Begeisterungen, Besessenheiten, aber auch von Krankheiten, Depressionen und auch materieller Not.
Spannend, wenn ich so drüber nachdenke. Ich denke aber jetzt nicht weiter drüber nach, sondern geh ans erste Tagesprojekt. Wir lesen uns später wieder. Um acht weck ich die Löwin. (Nicht vergessen, im >>>> virtuellen Seminar zu lektorieren; bereits in der nächsten Woche geht es wieder nach Heidelberg).

Gestern nacht noch eine Mail an E.B. hinausgeschickt, vorausreservierend: Am 19 September wird der im Todesjahr Gustav Mahlers geborene >>>> Allan Pettersson 100 Jahre alt; dafür schriebe ich gerne einen langen Text. Ist nicht uneigenwillig, übrigens, daß ein achtzig Jahre alt gewordener Mann einhundert Jahre alt werde, mal rein als Formulierung betrachtet. Eine ganze Seite Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wäre angemessen. Mal sehn, gegen welche Widerstände ich einmal mehr werde anlaufen müssen. Und der hr könnte zu diesem Anlaß mein >>>> Pettersson-Requiem wiederholen, eigentlich. Auch darum will ich mich heute, anstoßend, kümmern. Wer schon jetzt an diesem meinen Hörstück interessiert ist, möge sich >>>> übers fiktionaere Kontaktformular an mich wenden.

Sowie sind heute Geldwege zu gehen. Voller Tag. Und abends, hoff ich, >>>> Bar, um mit dem Profi, den ich in diesem Neuen Jahr noch gar nicht sah, nicht einmal sprach, auf dieses Neue Jahr in tiefer Freundschaft anzustoßen.

11.26 Uhr:
Bis eben am Jungenroman gesessen; das geht langsam, aber doch recht sicher voran. Das Schöne an dieser Arbeit ist, daß ich mich nur auf meine Einfälle verlassen muß und ästhetisch-formale Fragen ziemlich im Hintergrund stehen. Wobei ich den Jungenton halten und aufpassen muß, in meinen Formulierungen nicht kompliziert, also auch nicht komplex zu werden. Der Plot selbst ist dabei noch ungefähr; ich kenne die Richtung, aber daß Mennes Mathelehrer Niebel ein Agent von KEN ist, weiß ich erst seit vorhin Aus sowas folgen dann gleich wieder neue Einfälle; das hat etwas Notwendiges. Was KEN ist, verrate ich Ihnen aber nicht. Vielleicht bin ich am Ende dieser Woche schon so weit, meinen Sohn das Typoskript lesen zu lassen, so daß er eigene Ideen beisteuern kann. Vielleicht kriegt er auch raus, wo das KEN in Berlin seinen Hauptsitz hat.
Er liegt übrigens daheim bei der Mama, ist nun doch richtig krank geworden, so daß sein erster Schultag nach den Ferien im Bett stattfindet; ich will nachher mal rüberschauen, spätnachmittags, denk ich. „Bett” ist übrigens auch für mich, gleich, eine gute Idee. Ich koch ja nun nichts zu Mittag, bzw. erst abends für mich selbst. Zwischendurch gefrühstückt hab ich erst nach den Gängen, deren einer widersinnig und ärgerlich fehllief. Ärgerlich ist’s, weil ich’s nicht selbst in der Hand hab, sondern die Sache schlichtweg aussitzen muß.

>>>> Abendschein meldete sich wegen der Kleinen Blog-Theorie; hatte mein Arbeitsjournal gelesen und fürchtete wohl um unser Projekt. Dessen Überarbeitung sich aber spätestens im Februar anschließen wird. Ich konnte ihn beruhigen. Die Publikation ist mir extrem wichtig, schon allein, weil es die erste ihrer Art, überhaupt, zum Literarischen Bloggen sein wird, jedenfalls in deutscher Sprache.
Viel >>>> Michel Tippett zur Arbeit gehört, dem ich mal persönlich begegnet bin. Das liegt Jahre zurück und fand während eines Essens statt, dessen Anlaß ich nicht mehr weiß. Tippett interessierte mich nicht sehr, eigentlich gar nicht. Das wäre heute anders, nur daß er nun schon tot ist. Aber Michel Gielen war da ( >>>> schönes Gespräch in der ZEIT; lesen Sie’s mal eben). Mit dem hätte ich gerne gesprochen, doch fand ich kein Entrée. Ich bin in solchen Situationen schüchtern, was aber, ganz offenbar, wie kühlste Reserviertheit wirkt, wahrscheinlich sogar arrogant. Eine Autorenfreundin schenkte ihm damals den >>>> Wolpertinger, mit dem er aber, das war für mich schmerzlich, nichts anfangen konnte. Ich seh grad, daß man ihn jetzt sogar wieder >>>> als gebundene Ausgabe kriegt. Aber die Exemplare werden rar.

23.33 Uhr:
Nach dem wirklich tiefen Mittagsschlaf und meiner Erweckung durch Espresso sofort an die Elegien gegangen. Sie laufen gut, ich bin wirklich zufrieden, wenngleich immer auch mal wieder hängenbleibe und revidieren muß oder etwas wegnehme, um zu verknappen oder den Rhythmus zu verschärfn. An wenigen Stellen aber breche ich ihn; sie sind nötig. Besonders gefällt mir mein Spiel mit den Spondeen, das mir so richtig erst auffällt, wie sie oft mitten in einer Syntaxe stehen, kurz wieder ein Daktylus, dann erneuter Spondeus: das gibt dem sonst leicht leiernden Lauf ein synaptisches Aufbegehren, das sich über die Prosa-Erscheinung mehr als rechtfertigt, die ich nun für diese Elegien gewählt habe.
Bis inkl. der zehnten Elegie gekommen; vielleicht bekomme ich morgen schon alle dreizehn so weit fertig, daß ich sie ausdrucken kann, um dann noch einmal auf dem Papier dranzugehen. Spätestens am Ende der nächsten Woche, vielleicht schon Mitte der Woche, können sie dann, endlich, in den Satz.
Danach, schon an diesem Nachmittag noch, Stürners Friedrich II ff; auch hier bekomme ich jetzt ein gutes Bild. Dazu meldete sich Oldenburg wegen einer Lesung, auch aus den Elegien, die am 5. April stattfinden wird. Wir schauen, auch Barbara Stang schaut, nach Anschlußlesungen in Niedersachsen, bzw. um Köln und Düsseldorf herum.
Schließlich bin ich zur Familie hinübergeradelt, weil meines Jungen Husten immer noch so hart ist, daß wir ihn besser nicht in die Schule lassen. So wenig mir das andererseits gefällt, weil bereits wieder Anfang Februar die nächsten Ferien sind. Ich frage mich, wie auf diese Weise Kontinuität vermittelt werden kann.

Ich denke, ich schließe den Arbeitstag für heute.

4 thoughts on “Daß wieder Zeit für Routinen ist. Montag, der 3. Januar 2011. Arbeitsjournal. Nochmals Pettersson. Später Tippett und Gielen.

  1. Ihre plurale Verwendung von Routine zeigt allein ja schon auf, lieber ANH, daß die Routine immer wieder neu gewonnen werden muß, nachdem sie letzten Endes zuschanden geritten worden ist. Die Frage ist doch, ob etwas Lebendiges wie unsere Phantasie in einer Manege oder in einem Käfig landet, da sollte man schon Obacht geben – auf daß die Routinen “nicht kunst- und vor allem lebensfern erstarren”, wie Sie richtig anmerken.
    Zunächst aber hat Routine natürlich ein egozentrisches Moment, sie hat ihren ureigenen, ganz individuellen Rhythmus, einen Takt, dem niemand sonst folgen kann, jedenfalls nicht, wenn es um künstlerische Prozesse geht. Ist es erst einmal gelungen, in die eigene Routine einzutreten, so will man zweierlei: sie leben, denn sie ist schön und verläßlich, aber man will sie auch wieder abstoßen, denn sie ist einengend und schließt vieles aus. Nur so wird wahrscheinlich zuverlässig der Druck aufgebaut, um aus der schönen Routine das Kunstwerk zu erschaffen, mit dem man sich die Routine auf einen Schlag (für eine kleine Weile) vom Halse schafft. Und dann geht’s wieder von vorne los …

    1. @Schlinkert. nachdem sie letzten Endes zuschanden geritten worden ist. Das unterstellt, man habe das Pferd überfordert oder gar mißbraucht. Das Gegenteil ist der Fall: indem wir es fordern, kommt es zu sich und gewinnt immer mehr Stärke. Tatsächlich werden gute, d.h. funktionierende Routinen immer von außen zerbrochen, eben nicht von innen. Dieses Außen können familiär notwendige Rücksichten sein, es können aber auch Fremdtermine sein, die einem zum Beispiel ein Amt aufzwingt. Es kann ein Urlaub sein, Ferien können es sein, die man macht, weil man Schönes für sein Kind will. (Ich selbst, innerhalb einer funktionierenden Routine, käme gar nicht auf die Idee, sie durch einen Urlaub zu unterbrechen; auf solche Ideen kommt alleine die Ferienregelung von Schulen). Ich halte es auch für mißverstanden, eine Routine für einen Käfig anzusehen. In einem solchen wäre sie erst, wenn sie nicht mehr produktiv ist; dann hätte sie sich aber erschöpft, ausgeschöpft und wäre nicht etwa “zerbrochen”. Und auch da muß man vorsichtig sein: die künstlerische Arbeit kennt Leerläufe; zu deren Überwindung, zu einem neuen Durchbruch der Ideen kann aber gerade diese momentan leerlaufende Routine führen, die man da fälschlicherweise für den Leerlauf verantwortlich macht; vielmehr ist sie, jedenfalls oft, gerade der Schlüssel zu seiner Überwindung.
      Was das “egozentrische” Moment anbelangt, verstehe ich gut, was Sie meinen, ziehe aber den Begriff des Asozialen vor, denn Egozentrik meint immer irgendwie, daß jemand für sich einen Vorteil herausholt. Das Asoziale der Routine läßt das Ich aber ganz außer acht, sozusagen ist es auch ihm gegenüber nicht sozial; das Ich ist ihm Medium, nicht mehr. Allerdings kann sich das Ich, wenn es gut läuft, später im Narzissmusgewinn mit Reparationskosten entgelten; aber nicht oft läuft es so gut. Dennoch beharrt man.
      Ich, übrigens, wollte gute Routinen noch nie abstoßen, sondern allenfalls da – deshalb der Plural -, wo die eine Routine einer anderen, nötigeren, den Weg verstellt. In dem Sinn ist mein dezembriger >>>> Rückzug aus Der Dschungel zu verstehen: die Dschungelroutine aufrechtzuerhalten, hätte nötige Kraft >>>> von dem Hörstück abgezogen und sein Entstehen vielleicht sogar verhindert. Was man sich, wenn man in Routinen steckt, allerdings unbedingt klarmachen muß, ist, wofür sie eigentlich wirken sollen. Wahrscheinlich gilt das ebenso für nicht-künstlerische Routinen, also für alles, das etwas, das einmal Entscheidung war, auf unbewußte Prozesse verschiebt.

      Selbstverständlich liegt unter dem allen eine Entscheidung: nämlich wofür wir dasein wollen. “Ich will einfach nur gut leben und genießen” setzt allesolche Überlegungen bestimmt außer Kraft.

    2. Ich habe schon so manche selbsterrungene Routine zerbrochen, weil in ihr und durch sie etwas entstanden ist, das sie in ihrer besonderen Art letzten Endes überflüssig machte. Eine bestimmte wissenschaftliche oder künstlerische Arbeit hat ihren je eigenen Gegenstand und oft auch Ort, so daß liebgewonnene Routinen nicht bleiben können, etwa weil das Neue nun nicht in einer Bibliothek herzustellen ist. Die (Achtung: böses Wort) Selbstdisziplin, die langwierige Arbeiten überhaupt erst ermöglicht, ist dann letztlich Garant dafür, mit dem Neuen auch eine neue Routine (mit) zu erfinden. Natürlich ist das kein Käfig, eher eine Manege, wenngleich auch das Publikum zunächst fehlen mag, je nach Ansatz. Manchesmal habe ich mich am Schreibtisch (oder sonstwo) wiedergefunden, mit einer neuen Idee beschäftigt, immer und immer wieder – daß dann der Kokon der Routine mich und diese Idee schließlich beschützt und beschirmt, erscheint mir folgerichtig, auch wenn ich aus diesem Kleid dann irgendwann herauswachse.

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