Mit einer kleinen Brust vom Krieg. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 23. März 2011, worin zu Jazz gebissen wird, bevor man sich zu Holmes verkleidet. Abends Tintenfische zu einer Zeitreise mit Hannes Wader.

5.38 Uhr:
[Abdullah Ibrahim, African Dawn.]
Bis gegen halb eins/eins in der Bar gewesen und mit dem Profi geredet, Bier und (m)einen Cocktail getrunken, Pfeife geraucht. Daß ich ein Macho sei, erklärte die Malerin >>>> Ines von Sassen ihrer jungen Freundin, die sie uns zuvor als „atombrüstig” vorgestellt hatte – nach den japanischen Geschehen durchaus zweischneidig, vor allem auch als Kompliment; jedenfalls ist mir jetzt, nachdem ich um fünf aufgestanden bin und fast schon den ganzen ersten Latte macchiato intus habe, nach Jazz zumute gewesen. Selbstverständlich fragte ich wegen der atomaren Brüstigkeit nach; Sie müssen sich das s o vorstellen: Profi und Herbst hocken auf den Bardingern, die genau nach einer solchen Haltung benannt sind, wiewohl man die Beine doch ausgestreckt hat; den Rücken indes halb zur Theke, lässig freilich den rechten Ellbogen noch drauf; zueinander; der Profi und ich sitzen i m m e r zueinander und saßen nunmehr so, daß wir die beiden schönen Damen, nun ja, die Kleinbrüstige war eher junge Frau noch, zwischen uns hatten, wohin(ein) sie aber von ganz selbst gedrängt waren, wir hatten uns, gewissermaßen, öffnen müssen. Die junge Dame legte eine Werbepostkarte auf den Tresen, wozu sie sprach, „>>>> dort findest du mich aber nicht.”Jedenfalls war Ines’ sofort dazugeplauderte Information, sie beide gingen gerne sonnabends ins >>>> KitKat, genug, um mir sofort zu erlauben, meine rechte Hand auf das rechte Becquerel zu legen, das wie das linke mitsamt allen Schultern und halb dem Rücken eng von einem Tuch bedeckt war, doch genügend Durchfühlung gewährte, um mich aus meiner weiter dort liegenden Hand leise protestieren zu lassen, so klein sei die Brust ja nun nicht. Der Profi schwieg, es ist Krieg in Libyen. Sie werde aber nicht mehr größer, versicherte mir die junge Frau und lachte. „Doch”, erwiderte ich, „wenn Sie schwanger werden.” „Früher”, sagte sie, „wurde man erst einmal zum Essen eingeladen. Aber ich will auch gar kein Kind in diese marode Welt setzen” – was ein Satz ist, der bei mir prinzipiell auf Gegenrede stößt, die mal härter, mal weicher ausfällt. „Leben Sie gerne?” fragte ich. „Ja selbstverständlich”, sagte sie. „Und da meinen Sie”, nun wieder ich, „daß es einem Kind anders ginge?” „Das ist ein Macho”, sagte Ines, „da kann man nur beißen.” Ich weiß, daß sie das kann; ich verdanke ihr einiges an Freiheit. Wir haben mal Schoecks Penthesilea inszenieren wollen, Staatsoper Unter den Linden, und die Sache war schon einigermaßen gediehen, es gab bereits Projektbeschreibungen und Rückmeldungen des seinzeitigen Intendanten, fast schon eine Zeitplanung, Ines das Bühnenbild, ich die Regie, man überlegte schon den Dirigenten – da gerieten sich Ines’ – jawohl!: ihrer – und mein Machismo in die Haare, nein, nicht nur ins Haar, sondern wirklich in alle, und das Projekt zerplatzte; mich alleine aber wollte der Intendant nicht, der ein sinnlicher Mann war. Durchaus, ich bin noch immer bei den kleinen Brüsten, Sie sehen, wie eng verzahnt die erotische Lust bei mir mit Musik ist. Wahrscheinlich deshalb zogen die beiden Frauen nun ab, die erotisch strenge, die verspielte ulkig jüngere, aber nur zwei Hocker weiter, wo das Thema der Atombrust vielleicht weiterdiskutiert wurde, freilich bei einem anderen Mann, so daß wir, der Profi und ich, zurück auf Ghaddafi kamen. Zu dem ich gestern >>>> Nachdenkenswertes bei Keuschnig las. Auch wenn ich selbst anderer Meinung als er bin: seine Einlassungen beschäftigen mich, zumal uns beiden, dem Profi und mir, nicht klar ist, weshalb man Ghaddafi nicht von einem inneren James Bond per Tyrannenmord tötet; bei Allende damals hat man weniger Hemmungen gehabt, aber der war auch kein Tyrann, sondern gefährdete nur den Zugriff auf den Rohstoff Kupfer, während der Ghaddafi-Clan, womit ich das Öl meine… und außerdem kann man mal wieder armierte Muskeln spielen lassen, und zwar sichtbar, indes in Afghanistan von einem Spiel längst keine Rede mehr ist. Das hat Frau Merkel ganz sicher bedacht bei ihrer Entscheidung und darum die falsche beschlossen, indem sie stur wie ein Taliban auf diesem Spiel beharrt.

[Abdullah Ibrahim, Tintinyana.]

Noch aber stand die junge Dame bei dem Nebenherrn, und ich wollte aufbrechen. Unter anderen Umständen hätte das Geschehen direkt in ein Bett geführt; es hätte aber eine Nacht ge‚kostet’ – weshalb Sie mit Fugen & Rechten behaupten können, einmal mehr habe einem meiner Abenteuer der Workoholismus im Weg gestanden, denn ich säße andernfalls ganz sicher noch nicht hier, um für Ihre Lektüre zu sorgen; außerdem bin ich löwinnentreu. Ganz auf sich beruhen lassen mocht ich es aber nicht, denn Dichter werden von sowas entzündet.
Verabschiedung also. Und weil ich an die Löwin dachte, biß ich der jungen Dame in den Hals: Seit Anne Rice solch einen Erfolg damit hat und die Bewegung über allerlei Mitternachts-Boygroups auch den jugendlichen Pop ergriffen hat, kommt mir das eher angemessen vor als Küßchen hier und Küßchen da. Und denken Sie bloß nicht, ich hätte nur geknabbert! Ich b i ß. Punkt. – Nein, kein Punkt. Denn zugleich hatte ich meine rechte Hand um ihren hinteren Hals. „Und dann noch dieser Griff!” rief sie aus. Einmal mehr steht Europa in einem Krieg, und wir stehen mit, auch wenn Frau Merkel meint, uns dies und die Schuld durch bloßes Ab- und Zubezahlen verdecken zu können. Wenn ich „Frau Merkel” schreibe, meine ich aber kaum sie, sondern meine sie-als-Prinzip.
Wir traten in die stille Nacht. Wir umarmten uns. Ich stieg auf mein Rad. Meine Schenkel zogen noch von dem Elf-km-Hürdenlauf mittags. Jetzt motzen ein bißchen meine Knie. Möglicherweise muß ich die Streckenlänge reduzieren. Ich mag aber nicht.

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. Bevor ich mit dem Hörstück zu Ricarda Junge anfange, will ich diesen Text fertighaben. Wiederum Die Fenster von Sainte Chapelle habe ich >>>> gestern annonciert, heute sind >>>> die Elegien dran. Ein den beiden Becquerels zugrundeliegendes Motiv durchzieht auch die Chapelle-Erzählung. Denn >>>> Phyllis Kiehl, als sie in Leipzig, nach meiner >>>> Gohliser Lesung, wir saßen da beim Gruppenessen, in den Elegien las, erstaunlicherweise immer wieder dieselben zwei Seiten, sagte: „Meine Güte, du schreibst ja dauernd über Sex.” Pathos. Ja.

Übrigens kam gestern der erste Entwurf für das Umschlagsbild des Kinderbuches an, zusammen mit Bildern meiner ersten Maskierung. Da ich den „Jungenroman” unter anderem Namen publizieren werde, brauche ich selbstverständlich ein anderes Gesicht. Auf >>>> der Messe probierte ich es aus, was bei denen, die mich dann doch erkannten, zu einem riesigen Gelächter führte. Es wurden auch Bilder gemacht, die ich hier aber aus Ihnen sofort so einsichtigen Gründen der Diskretion, daß ich sie nicht erklären muß, leider nicht einstellen kann. Das Problem ist ja, daß mir sehr viele öffentliche Lesungen angekündigt wurden, und wenn ich da hinfahr, darf ich nicht aussehen wie ANH. Ich will aber auch nicht die ganze Zeit in Maske rumsitzen, die Veranstaltungen werden ja nicht alle gleich nebenan sein; also muß die Verkleiderei schnell gehen können und dennoch wirkungsvoll sein. Als Orientierung, mit der ich mir einen Jungentraum erfülle, dient mir >>>> Jeremy Bretts Sherlock Holmes, selbstverständlich >>>> Bretts, auch wenn ich ihm erst als Erwachsener begegnet bin als der, filmisch, wahren Verkörperung dieses Characters. Was aber das Umschlagsbild anbelangt, so gibt es noch ein paar Einwände, teils von UF, der das Buch lektoriert, teils von mir selbst, und auch die Löwin hat eine dezidierte, mir sehr hilfreiche Stellung bezogen. Die von der Illustratorin vorgegebene Richtung aber stimmt ganz wunderbar.

16.19 Uhr:
>>>> Mitte-Meer gibt’s jetzt auch bei mir um die Ecke!
Also wollte ich mir für heute abend Muscheln holen, radelte nach dem Sport direkt hin – aber die Frischfischtheke werde erst in zweidrei Wochen fertig sein. Tja. Somit tiefgefrorene Calamari- und Krakenjunge, die grad auftauen, in eigener Tinte, die ich getrennt noch hierhab. Das wird mein Abendessen werden. Zu Mittag gab’s nur Fruchtsalat mit Joghurt, dann war ich so fertig, daß ich schlafen mußte. Ein großer Vorteil meines rigiden Trainings ist, daß ich lange nachher überhaupt kein Bedürfnis habe, zu rauchen, und mir grad eben erst, zum Espresso, wieder die erste Pfeife angezündet habe.
Dafür gehen die Mails hin und her: Vorbereitungen für die Kreuzfahrt im Mai; zum Beispiel: wohin sind welche Bücher so zu liefern, daß sie rechtzeitig an Bord gebracht werden können. Usw. Ebenso Mails mit der Illustratorin des Kinderbuchs und dem Lektor. Ebensoso Telefonate wegen der Lesungen, mit >>>> Volltext usw. Zur richtigen Textarbeit bin ich seit elf Uhr nicht mehr gekommen. So daß ich in den Abend hineinarbeiten will. Vielleicht geht es danach auf ein Bier ins Soupanova. War noch was? Moment… – die >>>> Kulturmaschinen rufen grad an –

20.46 Uhr:
[Hannes Wader, „Auftritt”.]
Die CDs fanden sich im Nachlaß meiner Mutter, nur den „Rattenfänger” hatte ich bislang wiedergehört. Was alles in mir aufsteigt, wenn ich diese schönen Lieder höre! Dazu gekocht. Weil eventuell der Profi und C. nachher noch zum Essen kommen, viel zu viel. Aber fein: Tintenfisch in eigener Tinte, mit etwas Rosmarin daran--dazu, wenn ich allein bleiben werde, Ciabatta; falls die Freunde kommen, werde ich wohl ein bißchen noch Pasta kochen. Die Zucchini backe ich erst, wenn die Freunde dasein werden; noch ziehen sie in Knoblauch und Olivenöl. Aber auf dem Tisch stehen bereits die hauchdünn selbstgeschnittenen Scheiben Spianata romana, sowie ein Prosciutto dolce – beides ebenfalls heute bei Mitte Meer die Spianata als ganze, den Prociutto zu einem Achtel vom ganzen Schinken erstanden, teuer, ich geb’s zu, absolut, nicht aber relativ: Großmarktpreise, die aber auch große Abnahmen fordern. An „meinem” letzten Schinken aß ich ein Vierteljahr.
Der Abend-Talisker und >>>> Motzeks Evening Latakia. Meine Finger sind von der Tintenfischtinte ganz dunkel und duften nach Eiweiß. Ganz gut vorangekommen mit der Litblog-Theorie. Jetzt mag ich einfach nur sinnieren.

3 thoughts on “Mit einer kleinen Brust vom Krieg. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 23. März 2011, worin zu Jazz gebissen wird, bevor man sich zu Holmes verkleidet. Abends Tintenfische zu einer Zeitreise mit Hannes Wader.

  1. Als ausgewiesene Thierfreundin bin ich über die zwei Seiten längst hinaus. Auch wenn die Elegien tatsächlich manchmal so inwärts ziehen, dass man das Umblättern vergisst.

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