Vertrautes leuchtendes Fremdland: Die Andere Seite.

Ich war mit >>>> Eigner unterwegs. Wir fuhren in die Dschungel, so weit ich mich erinnern kann, dort in ein Hotel. Uns war das nicht verdächtig. Wir sollten eine Lesung, glaube ich, geben, wurden sehr freundlich empfangen. Doch wurde uns die fremde kleine, tropische Stadt unvermerkt zur Heimat. Ich jedenfalls lebte schon dort und brach von dort zur Frankfurter Buchmesse auf, die aber nicht größer war als einstmals die Leipziger, als sie noch nicht in den postmodernen Hallen, sondern in der Innenstadt stattfand. Zumal schien diese Messe nicht sehr weit von Kiel entfernt zu sein, wo ich >>>> heute Abend die Lesung habe und und auch im Traum hatte, wie ebenfalls bereits nachmittags die Veranstaltung in der Uni. Jedenfalls reiste ich ganz beruhigt mit dem Zug hin, hatte sogar schon an, was ich gleich erst anziehen werde. Eigner blieb in Fremdland zurück.
Ich traf Freunde, Kollegen, Lektoren, schritt die Gänge ab, blieb hier hängen und dort, erinnere mich an eine Frau, mit der ich flirtete; sie war als Begleitung >>>> Stangs mitgekommen. Wir setzten uns, ohne daß mir das auffällig geworden wäre, vor einem der Stände auf den Boden, der dort ein duftender Rasen war, und jemand packte ein Picknick aus. Tassen voll schwarzen Kaffees wurden gereicht. Ich erinnere mich, doch jetzt nur noch blaß, eines lebhaften Gespräches. Die Frau lockte mich an und stieß mich doch immer wieder zurück, verbal und mit Gesten, ich kam da nicht los. Riß mich zusammen. Gab vor, zur Toilette zu müssen. Als ich zurückkam, war die Gesellschaft weitergezogen.
„Wohin?”
Die junge Dame, die für den Verlag Leporelli verteilte, wies mir mit einer Handbewegung die Richtung. Um mich nicht lächerlich zu machen, schritt ich ihr betont lässig nach, verfing mich aber schon gleich in einem System aus Glastüren, dessen Funktion ich nicht durchschaute. Als mir die Kieler Veranstaltung einfiel. Um Gotteswillen! Wie spät war es?
Zu spät.
17 Uhr.
Das war auf keinen Fall mehr zu schaffen, jedenfalls nicht zur Nachmittagsveranstaltung. Aber, wie ich jetzt erst begriff, auch für den Abend nicht. Ich hatte nicht einmal daran gedacht, die richtigen Zugverbindungen herauszusuchen. Wieso war ich morgens überhaupt erst auf diese Messe gefahren? Ich hätte doch wissen müssen, daß zeitlich nichts so wäre kombinierbar gewesen; mir war, als hätte ich schon morgens die Kieler Veranstaltungen vergessen. Was aber nicht stimmte, wie ein andrer Teil von mir wußte.
Ich verlöre das ganze Honorar. Vielleicht ließen sich die Veranstaltungen nachholen. >>>> Professor Meiers Mobilnummer hatte ich in meinem Ifönchen gespeichert. Wenigstens anrufen, mich entschuldigen… –
Aber wo w a r mein Handy?
Ich fand es nicht. In keiner meiner Taschen.
Vergessen. Liegengelassen an dem Verlagsstand. Es lag da gewiß noch im Gras.
Mein Instinkt befreite mich aus dem Glastürsystem, und ich lief zurück.
Da lag es ja!
Nur daß keine mir bekannten Telefonnummern mehr drin gespeichert waren. Das Gerät lag auch fremd in meiner Hand, hatte eine unvertraute längliche, oben zu einem spitzen Dreieck zulaufende Form. Daß dies ein ganz falsches Handy war, registrierte ich erst, als ich zurück in die kleine tropische Stadt gefahren war, um Professor Meiers Telefonnummer aus meinem Laptop abzuschreiben. Den ich aber auch nicht mehr fand.
Zwar, mein Schlüssel paßte in die Tür des Hotelzimmers, aber dessen Einrichtung hatte sich verändert. Nichts war hier mehr vertraut. Ich verließ das Zimmer, klopfte eine Treppe höher an dem einer Bekannten, vielleicht auch an Eigners. Ein fremder Mensch öffnete mir, bat mich aber herein, bot mir etwas zu essen und zu trinken an. Ich hatte keine Ruhe, mich mit ihm vertraut zu machen, stand wie gestochen wieder auf, lief aus dem Haus erst auf die Straße, dann in den Regenwald. Sah immer wieder das fremde Handy an und erfaßte allmählich, daß man es mir mit Absicht untergeschoben hatte.
Was sollte ich tun? Ich wußte es nicht. Wußte nur: du hast zwei Veranstaltungen verpaßt und keine Möglichkeit mehr, mit den Veranstaltern wenigstens Kontakt aufzunehmen.
Der Wald wurde dichter. Er war hell und leuchtete, ja glühte. Ich lief über dichtbewachsene Hügel, wollte dann in die Stadt zurück, fand auch den Weg, aber da war auch diese Stadt eine andre. Das Hotel stand noch, aber an anderer Stelle, als ich in der Erinnerung hatte. Das brauchte ich erst gar nicht zu versuchen. Lief weiter. Sämtliche Straßen kamen am Ende der Stadt auf einer Anhöhe zusammen, über deren Felssturz sich ein riesiger, nahezu metallisch wirkender, zur Stadt hin ganz offener Raum erhob, dessen andere Seite, ins freie Land gerichtet, vergittert war. Man sah einen Sonnenuntergang in der Ferne über dem Wald.
Alleine stand ich in diesem Raum, diesem Saal, diesem Kirchenschiff, das sich über mir trotz seiner Kastenform, zu wölben schien. Und hinter mir, stadther, kroch der Wald heran. Er kroch über die Stadt, nahm sie ein wie eine immergrüne Lava, auch in der zähen Geschwindigkeit von Lava. Ich käme aus diesem Raum nicht mehr heraus, dachte ich, und war seelisch völlig gelähmt.
Da klingelte der Wecker.

4 thoughts on “Vertrautes leuchtendes Fremdland: Die Andere Seite.

  1. Alban Nikolai Herbst: „Gab vor, zur Toilette zu müssen.“ Wilhelm Kühlmann: „Herbst hat mittlerweile eine literarische Handschrift
    entwickelt, die ihn meines Erachtens zu einer der Führungsfiguren der
    ästhetischen Postmoderne werden läßt.“ (EUPHORION, Heft 4, 2003)

    Alban Nikolai Herbst: „Als ich zurückkam, war die Gesellschaft weitergezogen.“

    1. Siehe da: Hun-ze kann schreiben UND lesen. Und liest auch mal eine ernsthafte Zeitschrift. Chapeau!

    2. @Henze zu Hunze. Ich möchte Herrn Beckmessers Vorschlag weiterführend aufnehmen und Sie in der Zukunft Hen-Tse nennen. Zum einen möchten Sie sicherlich nicht gern >>> für Suhrkamp gehalten und >>>> verwechselt werden, zum anderen verliehe Ihnen Ihr neuer Nick eine dann schon >>>> fast döblinsche Kompetenz. Vor der nämlich muß sogar ich mich verneigen, so daß Sie zu Ihrem Bückling endlich kämen: tatsächlich und ohne sich und mich weiterhin verbiegen zu müssen.
      Ob Sie sich als Hen-Tse wohl registrieren wollten?

      Das fragt Ihr d/Dichter Herbst.

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