Gerufene Spiele, verhallt – ODER (nämlich abends) – Die trainierte Wollust. Das Himmelfahrtsjournal des Donnerstags, dem 2. Juni 2011.

12.18 Uhr:
[Arbeitswohnung. ]
Fast bis neun Uhr geschlafen, nachdem ich im Anschluß an >>>> die schöner Potsdamer Lesung noch auf einen Absacker mit dem Profi >>>> in der Bar war. Es war eine dieser ruhigen Lesungen in kleinem Kreis eines noch kleineren Cafés, bei dem intensive Hörer waren, die ich noch niemals gesehen; den Umstand zweier sehr schöner Frauen dabei noch gar nicht erwähnt, die wirklich lauschten. Was wiederum mich verführte, abschließend aus DER ENGEL ORDNUNGEN drei jener Gedichte zu lesen, an deren Grund es brodelnd rumort. Ich denke, das kam rüber: die Gemeinten fühlten es. Bei sowas entsteht stets eine Spannung im Raum, die nicht allein aus dem Literarischen stammt, sondern worin sich Poesie und Lebensenergie gegenseitig aufladen.
Zwei alte Damen waren zudem da. Und kauften ein Buch. Ich liebe diese Mischung von Hörern, die Generationengrenzen aufhebt und worin lange Erfahrung auf noch frische Willen trifft, denen Täuschung und Ent/Täuschung (und abermals Täuschung) noch bevorstehn. So würden, prinzipiell, Dialoge möglich.

Dann erwischte mich das Testosteron, das ich zurückgehalten hatte schon in Kiel, wo doch >>>> das Hotelzimmer nach einer Spielgefährtin geradezu rief: leise allerdings, so selbstbewußt zwar wie diskret. Das geht, ein diskretes Rufen. Nur wird es nicht immer gehört. Schließlich kam ich auch ziemlich gut mit mir alleine zurecht. Es wäre andernfalls auch kaum zu meinem Aufeinandertreffen mit diesem Pfeifenmacher gekommen. – Was ich da alles erfuhr! Etwa, daß die IRA einige Zeit lang ihre Zündschnüre aus Zigarettenpapieren drehte, denen nämlich ein synthetischer Brennbeschleuniger beigegeben ist. Den der Zigarettenraucher mitraucht. >>>> Motzek verkauft keine Zigaretten in seinem Tabakladen, nur Pfeifentabake und Zigarren; er leistet es sich, auf den anderen Umsatz zu verzichten.


Pfeifenwerkstatt

Daß ich Handwerker liebe, die ihren Beruf mit Leidenschaft erfüllen, dürfte unterdessen bekannt sein. Wir tranken einen Espresso nach dem anderen. Er erzählte von seinen Produktionsmechanismen, vom Tabakimport, von den Schwierigkeiten angemessenen Lagerns, vom Schneiden der Blätter und den Mischvorgängen; höchst pfiffig, wie er seine Manufaktur eingerichtet hat und betreibt. Von manchem würd ich gern erzählen, aber lächelnd bat er mich um Diskretion: schon weil man eigene Ideen in diesem harten Markt nicht gern den andren zum Nachmachen vorwirft. Sein Sie mir nicht gram, wenn ich darum schweige. Doch ich geriet in manche Entzückung, wo andere vielleicht die Stirn gekräuselt hätten – wenn auch nur aus mangelnder Grandezza und dem Wahn politischer Correctness. – Sowas gegen zwei Uhr brach ich dann auf.

Jetzt zurück an meine Lektüren. Und irgendwann nachher geh ich zum Sport: 10-km-Crosslauf, bevor ich mich dusche und umzieh für den Abend. Ich werd wohl Sushi essen gehen. (Eigentlich hatte ich einen Fisch zubereiten wollen, aber völlig vergessen, daß heute alles zu ist, jedenfalls >>>> Mitte Meer).
Grandioser Einstieg Ricarda Junges in „Eine schöne Geschichte”, die ich nun in naher Folge zum zweiten Mal lese:Lieben kann man nur, wenn man nicht an den Tod denkt. Ich meine, l e i c h t lieben. Verliebt sein. Das geht nicht, wenn der andere weiß, daß man stirbt.

19.29 Uhr:
Da ist >>>> ein sehr schöner Text Nellie Nickels, den irgendwie >>>> die Elegien mitbewirkt zu haben scheinen, wenn ich dem Titel folge. Die Autorin hatte ihn schon vorher in mein Facebook-Account eingelinkt, aber ich kam eben erst zum Lesen, weil ich, vom Sport zurück, erst einmal auf mein Lager fiel und tief schlief. Endlich wieder meine zehn Cross-Kilometer unter 50 Minuten gelaufen (49’25’’), aber mit ziemlicher Ermattungsfolge. Zwar lief ich noch zwei Kilometer weiter locker aus und sprintete auch noch mal darin, aber ich war doch hart an der Kante. Dafür, allerdings, liebe ich dieses Training und wurde zudem damit belohnt, daß das auf der Kreuzfahrt aufgefressene Zeug wieder ganz weg ist. 78,5 kg. Fein. Noch anderthalb Kilogramm, und ich habe mein Gewicht von vor zehn Jahren wieder, das meinem Gewicht von vor zwanzig entspricht. Das besonders Gute daran ist die gelebte Erfahrung, schlemmen zu dürfen, rauchen zu dürfen, auch Nächte durchsaufen zu dürfen und manches mehr, und lustbeladen Größeres mehr, zu dürfen, wenn man nur darauf achtet, sich keine Bequemlichkeit durchgehn zu lassen, die sich möglicherweise chronifiziert. Daß man es selbst in der Hand hat. Das gibt mir das Gefühl großer Freiheit: nach eigener (Wol)Lust leben zu dürfen. Und es ist nicht selten, daß ich denke, man m ü s s e so leben, wenn man denn l e b e n will.

In etwa einer Stunde erwartet mich Frau v. Samarkand fürs Abendessen. Der Teufel trägt Prada, wie Sie wissen. Wozu die Löwin eben am Telefon sagte, es gebe Schlösser, die heilsam vor den Türen der Wahrnehmung hingen – ein Satz, über den sich’s ausgebig meditieren läßt. Denn für die meinen gilt er auch.

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