9.20 Uhr:
[Arbeitsjournal.]
Abgesehen >>>> davon hätte mich-als-Autor der Betrieb längst beerdigt, wenn es nicht Die Dschungel gäbe. Niemand kennte meine Bücher, weil sie verschwiegen würden, machten sie sich nicht hier bekannt (sie werden anderwärts ja verschwiegen), und wahrscheinlich, eben deshalb, erschienen sie auch gar nicht mehr. Die Dschungel hält ihre Präsenz wach, gegen Mainstream und Betrieb, und sie wirken, wirken bis in die Universitäten hinein, werden Gegenstand der Forschung usw. – und vor allem: die Arbeiten wirken auf andere Autoren mit ein und stellen der Ästhetik Weichen. Das ist der Stachel, den Die Dschungel für einige Leute bedeutet: daß man mich nicht im Griff hat und in den Griff nicht bekommt.
Um kurz vor elf breche ich auf.
11.37 Uhr:
[ICE Berlin-Mannheim.]
So, im Zug. Jetzt erst mal frühstücken.
Die Autonomie eines Künstlers bedeutet ja zugleich seine Satisfaktionsfähigkeit, gegen den Betrieb, in den er nicht (oder nicht mehr) hineinpaßt oder hineinpassen will. Will er nicht bei Hofe den Hofnarr spielen, dem man jederzeit den Hals umdrehen kann, so spielt und ist er der Narr nach eigenem Gusto, richtet sich sein eigenes Reich ein und füllt es aus, jenseits vom Mainstream, mit offenen Türen für alle wirklich Neugierigen. Das ist allein schon gut, weil sonst alles dem Diktat der Konzerne zu gehorchen hätte, und wenn dann auch noch die literarische Qualität hoch ist und der Besuch im Narrenturm sich lohnt, dann ist die Welt weniger arm. Ohne den Dschungel würde das Gesamtklima leiden.
Lieber Schlinkert, mit spätestens 15 gab ich es, und schließlich aus begründeter Einsicht, auf, zu irgend einer Gruppe gehören zu wollen. Ich hatte deutlich erfahren müssen, daß auch die sog. Progressiven ihre Zwänge ritualisierten und zum Selbstkitt machten, indes das Fremde weggestoßen, ja -getreten wurde. Spätestens seither ist beinah alles, was ich tue, mit dem Willen verbunden, Widerstand zu leisten, und zwar gerade auch dort, wo man sich hätte heimisch fühlen mögen. Man bekommt als Außenseiter einen scharfen Blick für Strukturen, wenn es einem gelingt, sich am Leben zu halten, ohne sich zu beugen. Ich meine das mit allem Pathos.
So nur bewahrt sich aber auch Offenheit. Man ist sicher nicht frei von Irrtümern, aber das ist es nicht, was einen unterscheidet. Denn die Menge irrt nicht weniger als ein Einzelner. Was Millionen für gut halten, muß nicht gut s e i n.
Das Eintreten in schon bestehende Gruppen mit all den tradierten patriachalen Mustern wäre mir in jungen Jahren nie möglich gewesen, weil es einer Anpassung bedurft hätte, die ich allein aus Trotz nicht hätte leisten können, mal ganz abgesehen davon, daß mir so das zarte Pflänzchen der eigenen Sprache zertrampelt worden wäre durch die Anpassung an Sprachmuster, was ja mithin die Grundlage für einen Aufstieg in jedweder Gruppe darstellt. Als ich während der Tischlerlehre mit dem Schreiben begann, damals noch wirklich handschriftlich in Ermangelung der Kulturtechnik des Tippens, wußte ich, daß ich damit nie wieder würde aufhören können, aber auch, daß es irgendwo noch andere Menschen geben muß, die dies auch tun, die sich ebenso wie ich in der Literatur „zu Hause“ fühlen. Wenn das eine Gruppe ist, dann war ich dabei, selbst wenn niemand außer mir das wußte.
Überall ausgetreten Das sehen Sie vollkommen richtig, ich bin aus den gleichen Gründen überall ausgetreten, wo man mich mal hineingezogen hatte.
Andererseits gibt es ein paar Leute, denen ich mich durchaus zugehörig fühle. Dem jungen Christoph Martin Wieland etwa, der auf einem Bretterboden über einer Schlachterei seine Übersetzung des Sturms inszenieren musste.
„Sehr geehrter Christian Schlesinger, Sie besitzen, soweit ich mich gerade mit Ihren Texten auseinandersetzen konnte, viel Talent in der Lyrik! Schade finde ich jedoch die umfassende Bitterkeit Ihrer Texte. Und nicht nur aus persönlicher Sicht. Sie steht auch Ihrem künstlerischen Schaffen im Weg. Ohne dies mit Sicherheit als Ferndiagnose formulieren zu können, habe ich doch den Eindruck, dass Ihre Gedichte aus einer sehr depressiven Stimmung geboren sind. Für Sie und Ihr künstlerisches Schaffen möchte ich Ihnen daher empfehlen, sich an dieser Stelle in Behandlung zu begeben. Es würde Ihnen auf vielen Ebenen Gutes tun. Ich hoffe, Sie verstehen diese Antwort nicht als Angriff, sie ist nicht so gemeint.“
So schrieb mir nicht etwa eine wohlmeinende Teilzeitmutti aus einem der großen Publikumsverlage, nein, die Chefin eines Independent-Verlages kam mir so.
Niccolo Machiavelli, wie er seinem Fürsten rät, sich neben offiziellen Organen der herrschenden Gesinnung auch eine Independent-Szene zu leisten: Elitär tuende Zirkel, wo man Monokel trägt und weiße Slipper, wo man von Hofnarren weiß und von Sklavenjobs in der Verlagsbranche, die aber sofort zuschnappen, wenn es jemand an einer positiven Einstellung zum Sozialismus oder zum „Leben“ mangeln lässt.
Nee, oder? Da muß ich aber mal kurz ganz bitterlich auflachen. Hört sich ein wenig so an, als sei überhaupt nur ein „Happy Forever“ möglich, damit die bösen Dichter den Kunden nicht vergrätzen. Und von dem leben ja alle, außer die Dichter, denn die leben von Luft und Liebe – bestenfalls.
Dazu kommt dann noch, daß hier eine Fachfrau wahrscheinlich nicht zwischen Dichter und lyrischem Ich zu unterscheiden gewillt ist, oder es nicht kann (Ferndiagnose). Warum schreibt sie nicht gleich, ‚kommen Sie wieder, wenn Sie innerlich rein sind, dann drucken wir Ihre Ergüsse‘? Das wäre dann wenigstens so etwas wie ein Auftrag.
Nur im Netz da haben sie komische „Fans“, die gerade ebenjener Negativität huldigen?
http://phorkyas.wordpress.com/?s=anti+ideal