[Arbeitswohnung.]
Wegen des zweiten Kinderbuches, dessen Plot-Entwicklung mir zur Zeit ziemliche Probleme bereitet, und weil ich bis zum Freitag die Fahnen der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Weblogs korrigiert haben muß, bleibt mir momentan weder die Zeit, Ihnen von der blauen Nereïde zu erzählen, die mich in der vergangenen Samstagnacht umschwamm, noch kann ich das Arbeitsjournal führen, wie Sie es gewöhnt sind. Sehen Sie’s mir bitte nach und bleiben mir gewogen.
Zudem, >>>> Liliana Ahmeti entschädigt Sie, und zwar auch dann, denke ich, wenn >>>> ein böswilliger Dummkopf das Andenken an den Dichter Wolfgang Hilbig vermittels Anmaßung schmäht, nämlich in seinem, des Dummkopfes Nick. Da hat es ziemlich gut gepaßt, daß mich gestern abend ein junger forscher Mann ansprach; ich saß da im >>>> Einstein des Westens und wartete auf >>>> Dr. No, mit dem ich hernach lange und angenehm causierte. Zur >>>> Bar hinüber, gleich um die Ecke, schafften wir es dann nicht mehr. Das hatte mit New York zu tun, aber ich spreche nicht drüber. Wie auch immer. Jedenfalls stand – also ich saß noch allein da und belutschte meine Pfeife – der junge Mensch am Nebentisch auf und fragte: „Sind Sie Alban Nikolai Herbst?” Ich konnte nicht anders, als wahrheitsgemäß zu bejahen. „Ich bin >>>> Florian Kessler”, setzte er fort, „und habe Sie in der Süddeutschen geschmäht.” „Ah ja”, sagte ich und lächelte, damit ihm seine Furcht verging. Es schien sie aber zu schüren. „Ich setze mich dann besser woanders hin”, sagte er nämlich. Darauf ich, ernstlich überrascht: „Weshalb denn das? Bleiben Sie ruhig.” „Nein, nein, es ist besser, wenn ich mich umsetze.” Sprach’s und tat’s, und zwar so weit wie möglich entfernt, ganz in die hintere Ecke des Gartens, wobei das, weil ich fast hinten saß, ganz ganz vorne rechts war, wenn man aus dem Lokal die hinteren Treppen hinabgeht.
Dachte er, ich würde ihn noch einmal erschießen? Weshalb? Ich tendiere nicht zur Redundanz. Oder mochte er nicht, daß ich sähe, mit wem er sich traf? Oder wollte er seine Verabredung vor meinem nervigen Pathos schützen?
Nun ist es ja nicht so, daß ich mich überall einmischen würde, schon gar nicht in die Rendezvous fremder Jungs. Ich weiß aber auch nicht, ob man von einem Rendezvous hätte sprechen können, das er gehabt; ich guckte nämlich gar nicht mehr rüber. Zumal da lauter Menschen zwischen uns saßen und sowieso Dr. No, unterdessen, gekommen war und von etwas zu sprechen begonnen hatte, das ich ständig – er warf’s mir leise mahnend vor – übersähe: daß ich nicht alles immer voraussetzen darf, weil wir, die dieses Berufes sind, für ein sterbendes Medium leben. Nicht alle, freilich, und nicht nur: Ich zum Beispiel entdeckte, aus Lebensfreude, das Tauchen, ob in die Körper, ob ins Meer. Das hält einen wie Löwinnen aufrecht und tut den Muskeln gut.
(Selbstverständlich erzähl ich Ihnen die Kesslergeschichte, weil ich doch weiß, der junge Mann guckt heut bei Google, ob er vielleicht erwähnt worden ist, und ich mag Menschen nicht enttäuschen.)
16.08 Uhr:
Mühsam, mühsam. Aber ganz langsam klärt sich der Ablauf der Geschichte, die der zweite Jungenroman erzählen wird. Wahrscheinlich kann ich morgen endlich daran gehen, die Kapitelstrukturierung vorzunehmen und danach sofort zu schreiben beginnen: indem ich das, was bisher da ist, erstmal wieder „zu den Akten” lege.
Immerhin, Nachricht vom WDR: Mein nächstes Hörstück wird über >>>> Helmut Krausser gehen; viel Puccini also diesmal. Er weiß aber noch nichts, ich werde ihm gleich mailen. Für das Stück hätte ich gerne eine Idee, wie man ein Backgommon-Match akustisch umsetzen kann.
Weiter mit dem Plot. In zwei Stunden kommen die Zwillingskindlein hierher, mit ihrer Mama und auch unserm Jungen: gemeinsames Spaghetti-Essen.
Sterbendes Medium. Selten mit solchem Einverständnis darüber mit jemandem gesprochen, der Literatur ganz so liebt wie ich selbst. Was ich zu sagen vergaß, war, daß es ein ausgesprochenes Vergnügen ist, am scharfen Abhang n o c h das Gleichgewicht zu halten. Daß es in dieser Situation zudem darauf ankommt, noch einmal aufzubieten, was nur dieses spezielle Medium aufbieten konnte und nach wie vor kann. Es ist, für die Dichtung, ein Fehler, sie zu simplifizieren. Denn der simple Plot, wie spannend auch immer dargestellt, ist längst von anderen Medien überholt worden, von zeitgemäßeren, die schon in Hinsicht auf die für unser aller Lebenswirklichkeit immer bedeutsamer werdende Schnelligkeit der Dichtung überlegen sind. N i c h t überholt sind sie in den Fäden, mit denen unser Lot ins Tiefe reicht.
…und weit entfernt von den Gerüchen der Garküchen, in einem Universum eisiger Gefühllosigkeit im außermoralischen Sinne. So sehe ich das auch.
@Ursel. Dennoch unterscheiden wir uns – schon deshalb nämlich, weil in einem Universum eisiger Gefühllosigkeit ein ziemlich schlechter Nietzsche ist. Und sowieso, in dieser mauen Wiederholung.
Weit entfernt von den Gerüchen der Garküchen allerdings auch nicht, nicht immer, da die Küchen uns nähren. Zwar gilt Jüngers „Es geht sich besser auf gefrorenem Schlamm“, indessen zeugt der nicht mehr.
Intensität ist kein Gefühl, so begriff es Nietzsche.
Und die anderen, die sich mit dem wimmelnden Leben im Schlamm wieder anfreunden brauchen wenigstens nicht wahnsinnig zu werden.
Benn zu Ursel. „oben Bläue
doch unten wimmelndes Getier“
– auch dies leitmotivisch meine Arbeit durchziehend… oder durchwimmelnd, wenn Ihnen das lieber ist.
Wobei mir „wieder anfreunden“ höchst unrealistisch vorkommt – als wären wir jemals davon weggewesen, als hätte es uns nicht immer wieder gerade dort eingeholt und uns den Boden bis zur pursten Unmenschlichkeit weggezogen, wo wir meinten, es überwunden zu haben. Allein der Gedanke, es überwinden zu wollen („Reinheit“), ist inhuman religiös.
Ja, „wieder anfreunden“ ist falsch, denn sie waren ihm (dem Wimmeln) nie Feind. Es müßte eigentlich heißen: im Wimmeln sich wohlfühlen. Aber nicht wie Fausten (hier bin ich Mensch, hier kann ich sein), sondern korrupt!
@Ursel zu Fausten. Wie kommen Sie jetzt, und ausgerechnet bei mir, auf Korruptheit? Ich habe auch an Herrn Kessler nichts Korruptes finden können; er hat, nehme ich durchaus an, >>>> einfach seine Meinung geschrieben. Daß die den Interessen anderer entspricht oder -sprach, kann auf einem völlig anderen Blatt stehen. Sie bringen mich jetzt wirklich dazu, den jungen Mann zu verteidigen, und zwar sehr entschieden.
Wissen Sie, eigentlich möchten Sie ja gegen m i c h etwas schreiben, aber kriegen es leider nicht hin. So daß nun jemand die Finger hinhalten muß, der mit uns zweien a l s zweie gar nichts zu tun hat. Allerdings weiß ich genauso wenig, was denn i c h mit Ihnen zu schaffen habe. Immerhin arbeiten Sie sich zu >>>> Edith-Qualitäten vor.
Das Gespräch hier habe ich drüber hinaus gar nicht verfolgt.
Weiß ich wer der Kessler ist? Ich greife niemals Personen an, das ist eine Pöbelambition. Es ging mir um gewisse Schwierigkeiten, denen sich denkende Menschen mehr oder weniger zwangsläufig konfrontiert sehen. Sie eingeschlossen, wie Ihre vorletzte Antwort verdeutlicht.
Blenden Sie einfach die anderen Kommentare aus und Sie werden sehen, wie es sich verhält. Ich bezog mich nur auf den Teil Ihres Artikels, in dem es um die Einstellung zur Literatur geht.
Florian Kessler Seltsam, daß er sich erst vorstellt und sich dann woanders hinsetzt. Er hätte ja einfach incognito bleiben können, Sie hätten ihn doch wohl nicht erkannt. Echt eigenartig.
„Sie hätten ihn doch wohl nicht erkannt. “ Nein, hätt ich nicht. Mich aber gern mit ihm unterhalten. Ich meine: Schlag gab Gegenschlag, damit waren wir pari, und zumindest ein Austausch wäre möglich gewesen, ohne daß man noch hätte grollen müssen.
@cellofreund gell? zeugt irgendwie doch von schlechtem gewissen plus zweifelhafter souveränität…
@Leser. Ein schlechtes Gewissen glaube ich nicht, schon, weil es dafür gar keinen Grund gibt. Und wegen der Souveränität: ich möchte „zweifelhaft“ gern durch „mangelnd“ ersetzen, weil das von Ihnen gewählte Wort moralisch urteilt, wo doch Nachsicht zu üben wäre; es ist halt ein junger Mann. Das wird schon noch werden.
@anh einverstanden!
Glauben Sie wirklich, lieber ANH, Florian Kessler hat sich Ihnen vorgestellt, nur um dann fast zu verschwinden und dann anderntags wieder durch Sie selbst in Ihre Nähe gerückt zu werden? Damit hätte er sich Ihnen, ihrer Wortwahl und allem Spekulativen, ja völlig ausgeliefert, was einem auf Wirkung bedachten Wissenschaftler und Journalisten gar nicht ähnlich sähe. Doch vielleicht war er es nicht selbst, sondern eine Erscheinung Ihres Unterbewußtseins, vielleicht hat Sie ein Sekundenschlaf übermannt, wer weiß. Andererseits schrieb Herr Kessler damals in der SZ ja komisches Zeug, so jemand hat natürlich jedes Recht, sich komisch zu benehmen.
@Schlinkert. Doch, es war so, >>>> wie ich’s geschildert habe. Ich hatte auch noch gar nichts getrunken. Freilich – welch ein pöser Gedanke! – hätte sich s c h o n jemand als Florian Kessler ausgeben können, ohne daß ich das merkte. Weil man in solchen Situationen einfach immer vergißt, nach dem Personal- bzw. dem Presseausweis zu fragen; sogar, Sie haben völlig recht, die Fahrerlaubnis hätte gelangt.
Wenn der junge Mann in etwa so http://www.uni-hildesheim.de/index.php?id=2567 ausgesehen hat, dann war er es vielleicht. Oder auch nicht, denn irgendwie wirkt dieses Photo dort auch nicht besonders authentisch. Rätselhaft, das alles.
@Schlinkert zum „in etwa“. Er sah sogar beinahe ganz so aus. „Ja, ich bin mir sicher“. Aber wir wissen beide, was vom Augenschein zu halten ist.
(auszug aus einer verschlüsselten mail) es gibt keinen florian kessler
Die Mystifizierung eines Doktoranden, der sich schlauerweise nicht zu Wort meldet und sich auch sonst gerne vom Acker macht, schreitet voran. Ihm deswegen Diskursverweigerung vorzuwerfen, was niemand tut, wäre indes ungerecht, selbst wenn es die Karriere des Kessler mehr beförderte als behinderte. Wer weiß, wem er in Zukunft noch erscheinen wird!