[Arbeitswohnung. Lalo, Trio a-moll.]
Daß Edouard Lalo ein begnadeter Bratscher gewesen sei, erzählt mir meine Aufnahme aus den Achtzigern, nachdem sie den >>>> Roi d‘Ys beschloß; gestern hatte ich den Mitschnitt anzuhören begonnen, der meinen schweifendem Blick am Cassettenregal hatte anhalten lassen: Was hab ich denn d a? Das ist die Crux einer großen Sammlung, daß man manche Stücke über die Jahre vergißt. Doch daß man nun den – kopfbewußten – Tag damit beginnen muß, einen Hemdknopf wieder anzunähen, weil einer Dame der sexuelle Geduldsfaden riß, und daß man dann den Faden nicht durchs Ör kriegt! Immerhin hat man den Knopf erstaunlich zufälligerweise auf dem Parkett liegen gefunden, und das, obwohl einem noch die Zeitreise der Nacht durch den Kopf geht. Wie hat das geheißen? Ah ja!: Hypno-Rock. Eine wirkliche, ja emphatisch wahre Spelunke war es und man selbst wieder sechzehn gewesen und hat nachher die höchst sinnliche Erinnerung ans taube Ohr, von all dem WummWumm so taub, die jaulende E-Gitarre obendrauf; immerhin war einmal im Drumming ein Bolero zu erkennen gewesen, und umher hatten lauter Rednecks gesessen, >>>> -neckinnen natürlich auch, Verzeihung, die, wie ihre Necker, aber nicht tanzten. Anders ich. Und dann die Frau in Samtrot, der der Barkeeper zwischendrin vorhielt, daß sie stark exhibitionistisch sei. Was selbstverständlich stimmte, nur daß des Vorwurfs Ton, anstelle voller Hochachtung zu sein und, das wäre angemessen gewesen, dankbar, schlichtweg abfällig war, sauer wie dem Fuchs der hohe Wein, um den es ja auch geht in übertragenem Sinn: an die auf Ottomanen liegenden Römer zu denken und die Trauben, die sie an ihre Lippen führen. Ich jedenfalls tat lieber das als jenem zuzustimmen. Das verbesserte die Stimmung allerdings nicht. Die Rednecks saßen verbohrt und verdübelt auf ihren Hockern, und in den Sesseln und Sofas saßen sie auch. Aber es waren nicht viele.
Ach, wie ich da hineingeraten? Ich darf das nicht erzählen, andernfalls niemand mehr meinen Operntext für seriös nehmen würde.
An dem sitze ich seit morgens. Seit ich morgens durch ein Wunderberlin aus hellestem Herbst hergeradelt bin, verschwitzt noch, aber staunend: welch eine andre Stadt ich sah! So selbstverständlich, daß man‘s schon ‚natürlich‘ nennen könnte, vergurkte ich mich zweimal und mußte, auf mein kopfstehendes Ifönchen blickend, richtiggehend denken. Es focht mich allerdings nicht an, sondern machte eine späte, ja: eine Freude des Altweibersommers. Dazu die Erweiterungs- und Detaillierungsideen zu meinem Aufsatz. Ich meine, so lange mich die Frauen, >>>> von Edith abgesehen, mögen, hat es zur Klage keinen Grund. Wie mir die Löwin angemahnte, auf deren Anruf aber ich rein vergeblich warte. Ich selbst wurde verpflichtet, mich nicht meinerseits zu melden heute früh. Als diskreter Mann fragt man nicht nach den Gründen, sondern füllt in Ruhe seinen Morgentabak ab, ein Granulat, kein Grobschnitt, den ich ihn des übrigensTags präferiere.
Noch einen Latte macchiato.
Tagesplanung: – den Aufsatz fertigstellen; – den zu rezensierenden Roman weiterlesen; – dabei zur Vorbereitung meiner Ohren ein viertes Mal Janáčeks Schlaues Füchslein hören; – und mir >>>> in der Komischen Oper heute abend Das schlaue Füchslein anhören. लक् wird mich begleiten. Es wird der erste gemeinsame Opernbesuch seit, glaube ich, Geburt unseres Jungen sein. „Zunächst“, sagt soeben die Radiomoderatorin (also hat sie‘s irgendwann in den Achtzigern gesagt), „zu Léo Delibes, dessen Oper Lakmé im fernen Indien spielt.“ Dabei, mir das anzuhören, werden Sie mich nicht ernsthaft stören wollen, n‘est-ce que pas? *******
[Und ANH >>>> zieht sich wieder zurück.]
16.14 Uhr:
[ Janáčeks, Příhody lišky bystroušky.]
Eigentlich laboriere ich jetzt nur noch am letzten Satz dieses Aufsatzes herum. Immerhin habe ich einen Tag gewonnen: ganz vergessen, daß morgen Feiertag ist. Dabei ist seit vier Tagen bereits wieder das Brandenburger Tor fast abgesperrt und steht der Platz dahinter voller Imbißstände und einer aufgeblasenen Riesenhalle, in der morgen ganz gewiß so Gewichtiges von noch Gewichtigeren gesagt werden wird, daß wir getrost den halben abendländischen Kulturschatz dagegen eintauschen können. Wenn ich morgen abend zur Staatsoper im Schillertheater radeln werde, sollte ich vorher die nötigen Umwege mit einschätzen.
die samtrote träumt noch von der nacht und versucht, die rednecks zu verdrängen (die überall lauern, nicht nur in der erwähnten spelunke. nicht umsonst wechselt man/frau wohl seine stammkneipen über die jahre.)