Καὶ συνήγαγεν αὐτοὺς εἰς τὸν τόπον
τὸν καλούμενον Ἑβραϊστὶ Ἁρμαγεδών.
τὸν καλούμενον Ἑβραϊστὶ Ἁρμαγεδών.
Der Ort, an dem sich die Könige – zeitgenössische Millionäre – des Lars von Triers versammeln, sein >>>> Armageddon also, liegt vor einem restaurierten Schloß nahe dem Wald. Es erstreckt sich dort ein Golfplatz mit 18 Löchern. Zu sagen insofern, es gehe den hier Lebenden recht gut, ist eher euphemistisch. Man hat Pferde, mehrere sehr elegante Autos, einen Geländewagen selbstverständlich und sogar einen Cabby. Justine ist umschwärmte und hochdotierte Werbetexterin, ihre Schwester Claire mehr als nur begütert unter der Haube. So weit, so beliebig. Doch dann ist Antares zu sehen, vermeintlich, im Sternbild des Skorpions. Justine sieht ihn zuerst. „Daß du ihn mit bloßem Auge erkennen kannst!“ staunt ihr Schwager. Da weiß man noch nicht, daß der Erde Untergang begonnen hat. Der vermeintliche Antares ist nämlich der Weihnachtsstern, doch invertiert. Sehr bald schon – von wem, das ist nicht genannt – wird er als Melancholia benamt.
Das Sujet ist, von Raumschiff Orions >>>> „Planet außer Kurs“ bis >>>> Michael Bays „Armageddon“ aus dem Jahr 1998 gängig, fast banal. Nicht so, freilich, daß der Untergang gewollt wird. Nämlich ist Justine nicht mond-, sondern sozusagen antaressüchtig, wird es, unmittelbar, kaum daß sie Melancholia, da noch als Antares, erblickt. Der Todesplanet nimmt Besitz von ihrer allerdings bereits von der hochdepressiven Mutter ausgefüllten Seele. Was mit einem FrauImBild-Glück beginnt, der weißen Ziehharmonika-Limousine zur Hochzeit, schlägt unvermittelt in Destruktion um – eine Vordestruktion, die auf einer zweiten, unterlaufenden Ebene von dieser Mutter in Gang gebracht wird, als sie mit wenigen Bemerkungen die ganze riesige Hochzeit schmeißt. Es gibt noch mehr Indizien in dem Film, daß Ursache der schweren Depression, der Justine anheimfällt, durchaus nicht der vermeintliche Antares ist, sondern eine sei es genetische, sei es sozialisierte Disposition Justines (endogene, bzw. exogene Depression). Lars von Trier legt aber nahe, es sei Melancholia Auslöser und die Krankheit nicht Krankheit, sondern Hellsicht. Folgt man dem, dann werden die Menschheit und ihr Planet mit vollem Recht zerstört.
Das ist ungefähr die Fabel, die sowohl >>>> Johannes erzählt, als auch >>>> in der dortigen Diskussion unter dem Strich steht. Es ist das, was diesen Spielfilm offenbar wirken läßt. Liest man ihn hingegen, wozu ich nicht nur tendiere, als das Psychogramm einer Depressionskranken, gewinnt der Film erst an Größe; ansonsten ist er schlicht banal bis in die suggestiven Mittel, deren sich, oft bis zu meinem Überdruß, von Trier hier bedient. Den ich sonst schätze.
Das geht zum einen mit der Musik los, der sich die Wirkung des Filmes in allererster Linie verdankt. Von Trier legt das Vorspiel zum Dritten Aufzug Tristan & Isolde, und selbstverständlich nur auszugsweise und diesen Auszug minimalistisch permanent repetiert, unter seine Fabel – nämlich eben jenen Akkord Richard Wagners, der für Tristans Todessehnsucht steht – aber eines Todes, der die einzig ehrbare Lösung aus einem für die mittelalterliche Lehnsgesellschaft unauflösbaren Konflikt war. Das ist bei Wagner subjektive Objektivität und durchaus nicht für die ganze Welt gemeint, auch dann nicht, wenn Schopenhauer es grundierte, sein freilich buddhistisch geformter Pessimismus. Bei Lars von Trier wird der Tristanakkord, der nach 1859 die gesamte Musikgeschichte des Abendlandes umgeworfen und bestimmt hat, zum eigentlichen Handlungsträger; doch geht er mit ihm ebenso mißbräuchlich wie >>>> Visconti mit Gustav Mahlers Adagietto um, und ebenso schwül. Der Mißbrauch ist sogar noch größer, weil von Triers Film – auf seiner symbolischen Ebene, unter der Johannes‘ Offenbarung versteckt ist – nicht die schwere Melancholie eines alternden Schwulen erzählt, sondern etwas supponiert, das für die ganze Menschheit gerecht sei. Stellt man das infrage und wählt die psychiatrische Lesart, fällt der gesamte Symbolismus von Triers in sich zusammen, und man ist dann ein wenig geekelt besonders von der Schlußsentenz. Denn überhaupt ist zu fragen, den Drehbuchautor, der Regisseur zugleich ist, weshalb denn nicht nach den deutlichen und galoppierenden Zerfallserscheinungen Justines sofort ein Psychiater beigezogen wird. Justine wäre dann nämlich wenigstens medikamentös, wenn nicht sogar stationär behandelt worden. Dann aber wäre der Weltuntergang ausgeblieben, der uns als Strafe des Weltalls unterschoben wird: „Wir sind allein“, sagt Justine und meint die Menschheit, „Leben gibt es nur auf der Erde“ – was abermals testamentarisch gedacht ist, sozusagen ptolemäisch oder, um es ironisch auszudrücken, kosmologisch unaufgeklärt. Dieser voraufklärerische Zug durchzieht den gesamten übrigens nur dort wirklich schwermütigen Film, wo er sich auf die Typologie der Personen konzentriert. Seine Bilder sind hingegen ein Kitsch, den er durch Bildzitate von Breughel bis >>>> Magnolia aufzuwerten versucht. Sie lenken überdies, immer mit dem zum bloßen Gestus erniedrigten Tristan-Akkord, der die Übergänge verschmiert, von sonst allzu offensichtlichen Unglaubwürdigkeiten ab, etwa jener, daß der höchst präsente und agile Schwager, der seinen eigenen Zweifel am glückhaften Ausgang der Planetenbegegnung geradezu hyperaktiv kaschiert und nachher genau das ausgesprochen sinnvoll erklärt: „Es hat doch keinen Sinn, alle verrückt zu machen“ – daß dieser Mann, als ihm das Ende dann als unausweichlich bewußt wird, – daß er da die Todestabletten nimmt, die seine Frau für den Fall aller Fälle verwahrt hat, – daß er sie auf der Terrasse sitzen- und nicht nur das, sondern auch sein von ihm immer innigst betreutes Söhnchen mit der kommenden Katastrophe alleinläßt. Weshalb soll er den beiden zehn Stunden voraussterben wollen, dazu dann noch – das ist nichts als ärgerlichstes Schmierentheater – in einer Box bei den Pferden?
Weshalb? Na, damit von Trier ihn weghat. Nun kann er die Depression Justines auf die anderen ungehemmt übertragen, etwa auch auf den Jungen, den der Film in der Szene eines letzten Fluchtversuchs, nicht nur weiterhin schlafen läßt – die Mutter rennt, den doch schon schweren Achtjährigen immer im Arm, durch den Wald und durch plötzlichen Hagel (Offenbarung 16,21), aber wenn das Kind dann endlich erwacht, ist es nur noch apathisch: Apathie ist ein Merkmal schwerer Depressionen, wie auch Schlafsucht, die in von Triers Spielfilm ebenfalls, ich muß es sagen, abgehakt wird. „Abgehakt“ deshalb, weil es ihm, letztlich, um das Psychogramm einer Depressiven eben gar nicht zu tun ist, sondern Justine wird zu einer Seherin hochstilisiert, die Wahrheit schaue. Diese prophetische Schau wird freilich einzig mit einem so simplen wie suggestiven Trick des Drehbuchs, also rein des Plots, in den Zuschauer hineinmanipuliert: Justine alleine weiß, wie viele Bohnen in einer mit Bohnen drittels gefüllten Glasflasche sind; alle anderen, die rieten, lagen völlig daneben. Deshalb darf sie auch weiterhin, mit schwerem Ausdruck, sagen: „Die Erde ist schlecht“ – und also gebühre ihr der Untergang. Wenn wir uns vor Augen halten, wie viele Geschöpfe es gibt, dann hat die Unterstellung und ihr „Lösungs“vorschlag durchaus etwas Faschistoides, sofern man eben nicht die psychiatrische Lesart wählt, sondern sich von dem zu Schwulst arrangierten Wagner mitsamt den über die derart mißhandelte Musik projezierten Bildern einseifen läßt. Sogar ein Kinderopfer wird plötzlich gerecht. Wie unheilvoll solch ein Disponieren ist, wird unvermittelt jedem klar, der wirklich Kinderelend, und überhaupt Elend, sah. Nun wird auch deutlich, weshalb von Triers Film, wenn er funktionieren soll, das Milieu der Oberen Zehntausend wählt und ihm Bilder sei‘s der historischen Décadence, sei‘s eines übrigen Ästhetizismus zuschreibt und sowohl ein Protest, wie Aufstand überhaupt, geschweige Rebellion Kategorien gar nicht sein dürfen. Zunehmend, angesichts des vor dem Zuschauer ausgebreiteten Luxus‘, fragte ich mich: worunter leiden diese Menschen eigentlich? Darunter, daß Justines Werbechef ein Arschloch ist und sie sinnloser Arbeit nachgeht? Nun wohl, sie hat‘s ihm ja gezeigt, und trefflich – jetzt wäre konsequent weiterzuhandeln. Statt dessen wird sie depressiv. Gut, über die, wie gesagt, Mutter hergeleitet. Und die Vereinigung sucht sie, abermals Wagner-auf-billig, im kommenden Tod. Das scheut auch vor einer D.H.Lawrence (>>>> „Sun“, 1926) entnommenen, dort enorm lebensbejahenden, hier negativ herumgedrehten, nämlich auf passend gemachten, mit >>>> Millais kolorierten Szene nicht zurück, worin sich Justine nackt dem neuen Mond anbietet, also dem Tod; das Ophelia-Motiv taucht denn auch anderswo auf in dem Film. Hingegen die sonst sehr zupackende Schwester, die Millionärsgattin, zittert nur noch vor Angst – und wenn sie dann endlich, von ihrem suizidierten Mann zurückgelassen, in Haltung findet und den Weltuntergang angemessen begehen will, mit Champagner und Stolz ihm sozusagen ins Gesicht sehen, läßt sie sich das, anstelle die Schwester mal angemessen zu ohrfeigen, von ihr zerdepressieren. Und selbst da ist von Trier noch völlig unklar – möglicherweise mit Absicht, denn jetzt will er rühren. Nämlich deckt die melancholische Schwester dem kleinen Jungen den Abschiedstisch dann doch: eine „Zauberhöhle“, nur das Gestänge eines Tipis, worin sich die drei – der Bub und die zwei Schwestern – bei den Händen nehmen, um den gerechten Tod zu erwarten. „Schließe jetzt die Augen.“ Wir aber kriegen ihn zu sehen: kurz und, ja, schmerzlos, muß man sagen: denn man ist wirklich ganz erlöst. Nicht von der schlechten Welt, bewahre! Doch von dem schlechten Film. Wer ihn nun dennoch für ein Meisterstück hält, tut, was der Junge tat– die Augen schließen.
Das Sujet ist, von Raumschiff Orions >>>> „Planet außer Kurs“ bis >>>> Michael Bays „Armageddon“ aus dem Jahr 1998 gängig, fast banal. Nicht so, freilich, daß der Untergang gewollt wird. Nämlich ist Justine nicht mond-, sondern sozusagen antaressüchtig, wird es, unmittelbar, kaum daß sie Melancholia, da noch als Antares, erblickt. Der Todesplanet nimmt Besitz von ihrer allerdings bereits von der hochdepressiven Mutter ausgefüllten Seele. Was mit einem FrauImBild-Glück beginnt, der weißen Ziehharmonika-Limousine zur Hochzeit, schlägt unvermittelt in Destruktion um – eine Vordestruktion, die auf einer zweiten, unterlaufenden Ebene von dieser Mutter in Gang gebracht wird, als sie mit wenigen Bemerkungen die ganze riesige Hochzeit schmeißt. Es gibt noch mehr Indizien in dem Film, daß Ursache der schweren Depression, der Justine anheimfällt, durchaus nicht der vermeintliche Antares ist, sondern eine sei es genetische, sei es sozialisierte Disposition Justines (endogene, bzw. exogene Depression). Lars von Trier legt aber nahe, es sei Melancholia Auslöser und die Krankheit nicht Krankheit, sondern Hellsicht. Folgt man dem, dann werden die Menschheit und ihr Planet mit vollem Recht zerstört.
Das ist ungefähr die Fabel, die sowohl >>>> Johannes erzählt, als auch >>>> in der dortigen Diskussion unter dem Strich steht. Es ist das, was diesen Spielfilm offenbar wirken läßt. Liest man ihn hingegen, wozu ich nicht nur tendiere, als das Psychogramm einer Depressionskranken, gewinnt der Film erst an Größe; ansonsten ist er schlicht banal bis in die suggestiven Mittel, deren sich, oft bis zu meinem Überdruß, von Trier hier bedient. Den ich sonst schätze.
Das geht zum einen mit der Musik los, der sich die Wirkung des Filmes in allererster Linie verdankt. Von Trier legt das Vorspiel zum Dritten Aufzug Tristan & Isolde, und selbstverständlich nur auszugsweise und diesen Auszug minimalistisch permanent repetiert, unter seine Fabel – nämlich eben jenen Akkord Richard Wagners, der für Tristans Todessehnsucht steht – aber eines Todes, der die einzig ehrbare Lösung aus einem für die mittelalterliche Lehnsgesellschaft unauflösbaren Konflikt war. Das ist bei Wagner subjektive Objektivität und durchaus nicht für die ganze Welt gemeint, auch dann nicht, wenn Schopenhauer es grundierte, sein freilich buddhistisch geformter Pessimismus. Bei Lars von Trier wird der Tristanakkord, der nach 1859 die gesamte Musikgeschichte des Abendlandes umgeworfen und bestimmt hat, zum eigentlichen Handlungsträger; doch geht er mit ihm ebenso mißbräuchlich wie >>>> Visconti mit Gustav Mahlers Adagietto um, und ebenso schwül. Der Mißbrauch ist sogar noch größer, weil von Triers Film – auf seiner symbolischen Ebene, unter der Johannes‘ Offenbarung versteckt ist – nicht die schwere Melancholie eines alternden Schwulen erzählt, sondern etwas supponiert, das für die ganze Menschheit gerecht sei. Stellt man das infrage und wählt die psychiatrische Lesart, fällt der gesamte Symbolismus von Triers in sich zusammen, und man ist dann ein wenig geekelt besonders von der Schlußsentenz. Denn überhaupt ist zu fragen, den Drehbuchautor, der Regisseur zugleich ist, weshalb denn nicht nach den deutlichen und galoppierenden Zerfallserscheinungen Justines sofort ein Psychiater beigezogen wird. Justine wäre dann nämlich wenigstens medikamentös, wenn nicht sogar stationär behandelt worden. Dann aber wäre der Weltuntergang ausgeblieben, der uns als Strafe des Weltalls unterschoben wird: „Wir sind allein“, sagt Justine und meint die Menschheit, „Leben gibt es nur auf der Erde“ – was abermals testamentarisch gedacht ist, sozusagen ptolemäisch oder, um es ironisch auszudrücken, kosmologisch unaufgeklärt. Dieser voraufklärerische Zug durchzieht den gesamten übrigens nur dort wirklich schwermütigen Film, wo er sich auf die Typologie der Personen konzentriert. Seine Bilder sind hingegen ein Kitsch, den er durch Bildzitate von Breughel bis >>>> Magnolia aufzuwerten versucht. Sie lenken überdies, immer mit dem zum bloßen Gestus erniedrigten Tristan-Akkord, der die Übergänge verschmiert, von sonst allzu offensichtlichen Unglaubwürdigkeiten ab, etwa jener, daß der höchst präsente und agile Schwager, der seinen eigenen Zweifel am glückhaften Ausgang der Planetenbegegnung geradezu hyperaktiv kaschiert und nachher genau das ausgesprochen sinnvoll erklärt: „Es hat doch keinen Sinn, alle verrückt zu machen“ – daß dieser Mann, als ihm das Ende dann als unausweichlich bewußt wird, – daß er da die Todestabletten nimmt, die seine Frau für den Fall aller Fälle verwahrt hat, – daß er sie auf der Terrasse sitzen- und nicht nur das, sondern auch sein von ihm immer innigst betreutes Söhnchen mit der kommenden Katastrophe alleinläßt. Weshalb soll er den beiden zehn Stunden voraussterben wollen, dazu dann noch – das ist nichts als ärgerlichstes Schmierentheater – in einer Box bei den Pferden?
Weshalb? Na, damit von Trier ihn weghat. Nun kann er die Depression Justines auf die anderen ungehemmt übertragen, etwa auch auf den Jungen, den der Film in der Szene eines letzten Fluchtversuchs, nicht nur weiterhin schlafen läßt – die Mutter rennt, den doch schon schweren Achtjährigen immer im Arm, durch den Wald und durch plötzlichen Hagel (Offenbarung 16,21), aber wenn das Kind dann endlich erwacht, ist es nur noch apathisch: Apathie ist ein Merkmal schwerer Depressionen, wie auch Schlafsucht, die in von Triers Spielfilm ebenfalls, ich muß es sagen, abgehakt wird. „Abgehakt“ deshalb, weil es ihm, letztlich, um das Psychogramm einer Depressiven eben gar nicht zu tun ist, sondern Justine wird zu einer Seherin hochstilisiert, die Wahrheit schaue. Diese prophetische Schau wird freilich einzig mit einem so simplen wie suggestiven Trick des Drehbuchs, also rein des Plots, in den Zuschauer hineinmanipuliert: Justine alleine weiß, wie viele Bohnen in einer mit Bohnen drittels gefüllten Glasflasche sind; alle anderen, die rieten, lagen völlig daneben. Deshalb darf sie auch weiterhin, mit schwerem Ausdruck, sagen: „Die Erde ist schlecht“ – und also gebühre ihr der Untergang. Wenn wir uns vor Augen halten, wie viele Geschöpfe es gibt, dann hat die Unterstellung und ihr „Lösungs“vorschlag durchaus etwas Faschistoides, sofern man eben nicht die psychiatrische Lesart wählt, sondern sich von dem zu Schwulst arrangierten Wagner mitsamt den über die derart mißhandelte Musik projezierten Bildern einseifen läßt. Sogar ein Kinderopfer wird plötzlich gerecht. Wie unheilvoll solch ein Disponieren ist, wird unvermittelt jedem klar, der wirklich Kinderelend, und überhaupt Elend, sah. Nun wird auch deutlich, weshalb von Triers Film, wenn er funktionieren soll, das Milieu der Oberen Zehntausend wählt und ihm Bilder sei‘s der historischen Décadence, sei‘s eines übrigen Ästhetizismus zuschreibt und sowohl ein Protest, wie Aufstand überhaupt, geschweige Rebellion Kategorien gar nicht sein dürfen. Zunehmend, angesichts des vor dem Zuschauer ausgebreiteten Luxus‘, fragte ich mich: worunter leiden diese Menschen eigentlich? Darunter, daß Justines Werbechef ein Arschloch ist und sie sinnloser Arbeit nachgeht? Nun wohl, sie hat‘s ihm ja gezeigt, und trefflich – jetzt wäre konsequent weiterzuhandeln. Statt dessen wird sie depressiv. Gut, über die, wie gesagt, Mutter hergeleitet. Und die Vereinigung sucht sie, abermals Wagner-auf-billig, im kommenden Tod. Das scheut auch vor einer D.H.Lawrence (>>>> „Sun“, 1926) entnommenen, dort enorm lebensbejahenden, hier negativ herumgedrehten, nämlich auf passend gemachten, mit >>>> Millais kolorierten Szene nicht zurück, worin sich Justine nackt dem neuen Mond anbietet, also dem Tod; das Ophelia-Motiv taucht denn auch anderswo auf in dem Film. Hingegen die sonst sehr zupackende Schwester, die Millionärsgattin, zittert nur noch vor Angst – und wenn sie dann endlich, von ihrem suizidierten Mann zurückgelassen, in Haltung findet und den Weltuntergang angemessen begehen will, mit Champagner und Stolz ihm sozusagen ins Gesicht sehen, läßt sie sich das, anstelle die Schwester mal angemessen zu ohrfeigen, von ihr zerdepressieren. Und selbst da ist von Trier noch völlig unklar – möglicherweise mit Absicht, denn jetzt will er rühren. Nämlich deckt die melancholische Schwester dem kleinen Jungen den Abschiedstisch dann doch: eine „Zauberhöhle“, nur das Gestänge eines Tipis, worin sich die drei – der Bub und die zwei Schwestern – bei den Händen nehmen, um den gerechten Tod zu erwarten. „Schließe jetzt die Augen.“ Wir aber kriegen ihn zu sehen: kurz und, ja, schmerzlos, muß man sagen: denn man ist wirklich ganz erlöst. Nicht von der schlechten Welt, bewahre! Doch von dem schlechten Film. Wer ihn nun dennoch für ein Meisterstück hält, tut, was der Junge tat– die Augen schließen.
Danke! Das ist mal ein Verriss, wie er mir aus dem Herzen spricht! So habe ich es gesehen, aber ich hätte es nicht so schreiben können. (Weil ich überhaupt nicht gut schreiben kann über das, was mir missfällt.)
Es stimmt alles: die Stilisierung der Krankheit zur Prophetie, diese Postkarten-Idyll-Apokalypse und „Wagner-auf-billig“. Die Art, wie die Musik hier eingesetzt wurde, hat mich wütend gemacht, während die Bilder mich am Ende sogar langweilten. Ein schmerzloser Weltuntergang, der einen schalen Geschmack hinterlässt.
Augen auf!
@MelusineB zu Melancholia. Man kann sogar ironisch sagen – wenn man aus dem Ärger erstmal wieder raus ist -, von Trier lasse keinen Harry Potter aus: Denken Sie mal an die schlänglichen Energiefasern, die aus den Fingern der Depressiven kommen, wenn sie zum Todesstern sehnsuchtsvoll hinaufsieht. Ich habe viel mit Depressionskranken zu tun gehabt in meiner Zivildienstzeit, aber das mit den energetischen Fingern war bei keiner/m wahrzunehmen, und auch die Kranken selbst, so leidend, nahmen das nicht wahr. Sowas gehört mehr ins Feld halluzinogener Drogen.
Im übrigen, die Krankheit selbst, das, ja, das stellt von Trier ganz ausgezeichnet dar, und da paßt auch, für die Vorform der Melancholie, der Millais.
Er überhöht sie, die Krankheit. Hätte nur noch gefehlt, dass die Seherin aus den Handflächen blutet. Nein, den Augen natürlich.
Sie bringen da einiges auf den Punkt, das mir mein Unbehagen verständlicher macht.
Hatte über Tree of Life ich mich selbst noch ähnlich erregt, so wäre es hier an mir das Gegenstimmchen zu erheben. Für ein Meisterwerk halte ich Melancholia sicher nicht, dennoch geht mir Ihr gerechter Zorn teilweise doch zu weit.
Sie meinen den Mann hätte von Trier wegschaffen müssen, um so weiter sich auf die Steinbrecher-Depressive konzentrieren zu können. Mir erschien es mehr eine feine Pointe: dass hier der Macher-Mann versagt, dass am Ende die wirklich Starken bleiben: Frauen und Kinder (und Depressive). – Das darf doch auch einmal gestattet sein, starke Frauen zu zeigen und männliche Jammerlappen.
Das erste Kapitel „Justine“, fand ich ein recht gelungenes Portrait einer Depressiven. Es ist der zweite Teil, der mir einige Probleme bereitete; formal und inhaltlich etwas disparat, vielleicht schon unausgegoren. Warum ist er mit „Claire“ übertitelt, wenn auch die Schwester Justine wieder so präsent ist? Wie die depressive Frau Steinbrecher zur Allesdurchschauerin stilisiert wird, erschien mir höchst unglaubwürdig. Inhaltlich: Dass sie vor einigen Tagen zu schwach war ihre Beine in die Badewanne zu heben und darauf die einzige sein soll, die offenen Auges in ihren Untergang blickt? – Aber auch formal, fand ich z.B. dieses Schätzspiel zumindest irritierend: Sagt sie nicht „Wenn Frau Steinbrecher sagt, dass da 687 Bohnen im Glas sind..“ erst nachdem die Auflösung ohnehin schon gegeben worden war? Natürlich kann sie die Schätzung, die sie zu Beginn des Filmes nicht abgibt auch außerhalb der Szenen des Films noch tätigen, das können, müssen wir dann annehmen. Jedenfalls schien mir so die Allwissens-, Allmachtsphantasie schon recht brüchig. (Hier wollte ich schon eine Parallele zu Raskolnikovs Allmachtsphantasie ziehen, die ja auch jäh zusammenstürzt, obwohl, ja gerade weil dieser zur Tat schreitet.) Existiert sie letztlich vielleicht doch nur im Kopf von Fräulein Steinbrecher, die gerne so eisenhart wäre, aber in Wirklichkeit immer noch nicht den Fuß über die Badewannenkante heben kann?
Dies ist genau mein Problem: Der Film scheint sie ernst zu nehmen. Als wolle von Trier sich und dem Zuschauer weismachen, Justine habe die Anzahl der Bohnen wirklich erraten, die Welt ginge tatsächlich unter, dabei ist es doch nur des Depressiven Wunschtraum: Jederzeit könnte ich aus dem Bett, den Fuß heben, alles durchschauen,.. wenn ich nur wollte.
Ihre Kritik, dass schlichtweg nicht ersichtlich werde, warum die Erde untergehen müsse, teile ich. Der Weltekel der Protaginistin hängt ziemlich in der Luft, wiewohl vielleicht eine gewisse (agressive) Negativität den ganzen Film durchzieht. „Der Mensch ist allein.“ Die apodiktische Härte, mit der sie das sagte, ließ mich augenblicklich zweifeln.
Während in „Dogville“ die flammenwerfende Nemesis, den ekelhaften Menschen zurecht auslöschte und Katharsis sich einstellte, war hier die Wirkung nicht so eindeutig. Erleichterung vielleicht für die Protagonistin und für mich, dass der Film endlich vorüber..
PS. Aber gerade, weil ich diese offenen Fragen noch ein bisschen umwenden kann, fällt mein Urteil, sehr viel milder aus. – Warum gab es zum Beispiel noch ein 19. Golf-Loch? (Wegen der überbordenden Zahlenmystik musste ich Johannes-Offenbarung leider im Lachanfall weglegen, aber auch Physiker können der ja anheimfallen – 137)
@Phorkyas, nur kurz zur Zahlenmystik: da lache ich mit, sofort! In diesem Fall, wo die Zahlenmystik nicht einmal formales Spielgerüst des Filmes, sondern immer nur schicke Behauptung ist.
ABER:dass hier der Macher-Mann versagt, dass am Ende die wirklich Starken bleiben: Frauen und Kinder (und Depressive).Kann sein, daß von Trier das ausdrücken wollte, das gehört ja eh zu seiner Ideologie. Aber bei speziell diesem Mann ist das psycho/logisch in keiner Weise vorbereitet, d.h. der Character, der bislang sehr deutlich gezeichnet wurde, hängt einfach in der Luft. Jemand wie der würde auf keinen Fall sein Kind im Stich lassen. Er würde vielleicht anders hyperaktiv aufdrehen, irrsinnigerweise Schutzschächte ausheben, irgend so etwas, würde vielleicht rasen, würde auf die andere Seite der Welt zu entkommen versuchen mit seinem Weib und dem Kind, aber auf gar keinen, gar keinen Fall knappe zehn Stunden vor denen freiwillig sterben. Das ist eine Handlung ex machina, restlos – dramaturgisch – daneben. Der Mann hat ja nicht mal Zeit, seinerseits auch nur den Anflug einer Depression auszubilden, und selbst dann, sähe man seinen freudigen Aktionismus zuvor als manisch an, käme der Bruch nicht auf diese Weise, schon gar nicht verstohlen, also feige. Und was soll er im Stall? Nicht er hatte die enge Bindung an die Pferde, sondern seine Frau; „ich reite ihn“, den Hengst, „aber manchmal auch“, sagte er an einer Stelle, als er sich gegenüber Justine zurückgesetzt fühlt.
Das Wichtigste aber ist, daß einer wie der so spontan sein Kind nicht verläßt. Und von einer manisch-depressiven Erkung wurde auch nie in Andeutungen vorher erzählt, im Gegensatz zu Justine, von der schon bisweilen angedeutet wird, daß es ihr auch vor Melancholias Erscheinen nicht immer gutging. Was eine Schädigung durch die depressiv-aggressive Mutter in Verbindung mit dem sehr weichen Vater abermals nahelegt.
Doch ist die konkrete Lesart überhaupt gemeint? Ich fürchte: Nein. Sonst wäre – bei derart nahem Vorübergang eines Fremdplaneten – auch sonst einiges, eigentlich alles, auf der Erde schon ziemlich anders gewesen. Allein die neuen Gravitationsverhältnisse hätten die Tiden der Weltmeere aufs katastrophalste verändert, und dieses Schloß stünde ganz sicher schon seit Monaten nicht mehr so idyllisch da.
käme der Bruch nicht auf diese Weise, schon gar nicht verstohlen, also feige.
Dass es psycho/logisch vielleicht nicht ganz aufgeht, gerade weil er so ein umsorgender Familienvater war, möchte ich nicht bestreiten (Um diese Feigheit zu begehen, wurde er zuvor doch zu positiv dargestellt?). Aber dieser Planet, der da so krankhaft am Himmel blüht, soll wohl gerade diese Umkehrung bewirken, die Ausnahmesituation: die Lebenstüchtigen sind plötzlich schwach und gelähmt, während die Depressiven völlig ruhig bleiben. – Ganz unvorbereitet ist es ja vielleicht doch nicht, weil man sieht, wie er immer wieder besorgt den Himmel teleskopiert, Vorkehrungen trifft, die zu seinen sonstigen Beschwichtigungen nicht passen. Er muss dazu, meine ich, auch nicht die geringsten Anzeichen von Depressionen haben. Eher im Gegenteil, als Melancholia so nahe rückt, haben ja die Nicht-Depressiven die größeren Probleme. Hier rücken nun einmal nicht wie bei Armageddon musbelbepackte Testosteron-Cowboys zur Weltrettung an. Ich würde vielleicht so sagen: bisher sahen wir ihn nur als Vater und Versorger, Repräsentanten der Familie über sein Innenleben, weiß man eigentlich nicht sehr viel, so dass ich es schon möglich finde, dass er (und das Patriarchat, das eben nur repräsentiert) in der Krise kollabiert.
Doch ist die konkrete Lesart überhaupt gemeint? Ich fürchte: Nein.
Sie meinen, ich zwänge dem Film eventuell eine Lesart auf, die vom Regiesseur nicht beabsichtigt ist? Das mag sein.
PS. Einige Dinge, auch die von Ihnen erwähnten Fingerfunken, waren physikalisch wohl nicht so plausibel (auch die Kollisionsbahn, die ich mal nachrechnen wollte), aber das kann man schon unter künstlericher Freiheit verbuchen, oder?
Ein netter Jack Bauer rettet die Welt nicht – hat das denn irgendjemand geglaubt?
Das Ende der Figur, die Kiefer Sutherland spielt, habe ich auch als völlig unglaubwürdig empfunden. Das ist ein Rationalist ohne die Paranoia seines Jack Bauer, ein Familienmenschen ohne zwanghafte Besitzer- und Beschützer-Pose und ein fürsorglicher Ehemann ohne übertriebene Wachsamkeit. Ein O.K.-Guy. Ich mag den. Und dass er keinen Bock hat auf diese depressiv-manischen Familienangehörigen seiner Frau, die immer alles und alle runter ziehen, verstehe ich auch bestens. Der ließe seine eigene Familie, seinen Sohn zumal, nicht im Stich. Den macht die Melancholia nicht schwächer, als er eben ist. Weil er seine Grenzen kennt. Weil er hofft. Und wenn keine Hoffnung mehr wäre, das Glas heben und anstoßen würde mit seiner Frau. Vielleicht. Oder wütend den Mond anbellen. Aber nicht ins Heu sinken. (Gäule kann ich auch nicht leiden!)
Es ist zweifellos die Figur, die der Regisseur am wenigsten mag. Die blass aussehen soll. Und feige.
Wie das n i c h t gelingt, das ist allerdings interessant. Und mir jetzt erst klar geworden.
Ich mag den.
Ich auch. Sein Ende hat mich überrascht – aber für möglich halte ich es immer noch.
Gegen Ihr Argument
Es ist zweifellos die Figur, die der Regisseur am wenigsten mag. Die blass aussehen soll. Und feige.
würde ich allerdings einwenden wollen, dass die größten Unsympathen in diesem Film doch aber zweifellos Justine und deren Mutter sind. So sehr diese Krankheit hier auch zelebriert werden mag, so wird doch gerade klar, dass es kein Vergnügen wäre, mit diesen beiden Menschen zusammenzuleben.
PS. Aus einigen Antworten scheint mir herauslesbar, dass von Trier fehlgeht: weil er Depression so feiert, verfehle er das Thema künstlerisch (wie auch moralisch?) – ist dies letztlich die Hauptfrage? (die ich doch abweichend beantworten würde)
@Phorkyas: Welcher denn, zum Beispiel? Eher im Gegenteil, als Melancholia so nahe rückt, haben ja die Nicht-Depressiven die größeren Probleme.Außer dem unglaubwürdigen >>>> Selbstmord Jack Bauers wird keines anderen „Aktiven“ Leben mehr gezeigt. Der Schwestern Vater verdrückt sich schlichtweg, was er wahrscheinlich immer schon so gehalten hat, der Romeo-Fastgemahl wurde abserviert und verschwindet ebenfalls; da sind allein noch Mr. Bauer und sein Angestellter, der aber auch nicht sonderlich überfordert zu sein scheint. Im Gegenteil, beide bunkern Lebensmittel und Energie für den Notfall. Der Angestellte kommt dann gar nicht weiter vor. Die einzig vormals aktive Person ist tatsächlich Claire, die vor Angst nur noch vergeht. Soll also sie, die „aktive“ Schwester, für das Patriarchat und einen als falsch diskriminierten Aktivismus stehen?
Ich fürchte, lieber Phorkyas, dieser Film ist tatsächlich in keiner Weise zu retten, jedenfalls für niemanden, der über die der Pubertät zugehörige Phase einer libidinösen Besetzung von Unheil hinausgereift ist. Herr von Trier, jedenfalls, scheint mir mitten darin steckengeblieben zu sein. Schauen Sie sich nur das Bild aus dem Film an, das ich über meinen Beitrag gestellt habe: wie wir da tatsächlich bei Harry Potter immer wieder zurücklanden.
Soll also sie, die „aktive“ Schwester, für das Patriarchat und einen als falsch diskriminierten Aktivismus stehen?
Mit dem heubedeckten Jack Bauer ist das Patriarchat doch schon diskret entsorgt, ihm alle Luft entwichen (die von Kienspan gezogene Linie zum [Finanz]kapitalismus finde ich allerdings etwas gewagt bzw. nicht nötig). – Von dem Angestellten, Typ perfekter Butler, wird nur behauptet er sei merkwürdigerweise nicht zur Arbiet erschienen, was nie geschehe, glaube ich. Dies mag eine der doch häufigeren Stellen im zweiten Teil sein, in welchem der Regisseur seinem Stoff seinen Willen aufzwingt, als dies möglicherweise gut ist, dass er das Personal z.B. so leerräumt, dass am Ende eben nur noch diese 3 Personen da sind, das wäre doch gar nicht nötig gewesen. (Auch er selbst sollte sich ja an die von ihm geschaffene Versuchsanordnung halten und sie nicht zwanghaft auf die parabelhafte Endung steuern, die ihm verschwebte.)
Dass der Film nur eine der Pubertät zugehörige Phase einer libidinösen Besetzung von Unheil darstelle, wäre doch schon etwas. Die Pubertät ist doch immerhin die Phase der Individuation (und alles spätere Werden, Reifen auch nur Wiederholung dieser?) – Sie sehen die verkitschte Musik, die Bilder (immerhin keine Waschmittelwerbung wie bei Tree of Life, würde ich sagen), für mich war es noch künstlicher, künstlerischer Ausdruck.
„merkwürdigerweise“. Es reicht dieses Wort.
Zu den Bildern: Nein, da geht über die Harry-Potter-Fantasy bei von Trier nix hinaus. Es sei denn, er zitiert historische Ästhetizismen. Ein wirkliches Bild fand Magnolia, ja sogar in >>>> Das siebte Zeichen gab es welche, hinter deren Kraft sich diese Melancholia nur verstecken kann – und da wäre niemand auf die Idee gekommen, von einem „Kunstwerk“ zu sprechen, noch ward der Anspruch gestellt.
Weil ich es eingeführt habe, zur Klarstellung: Der Jack Bauer (aus 24h) ist ein Arschloch! Seine „Entsorgung“ (symbolisch als Patriarchat oder schlicht mit einem Tritt in der Arsch) bereitete mir Freude. Das Bösartige, finde ich, ist ja, dass von Trier die „anständige“ Variante eines solchen Mannes sich so feige im Heu verstecken lässt. Das ist doch einfach nur dumm. Erst wird er entschärft und dann entleibt er sich, aber leise, bitte schön.
Denn die Moral von der Geschicht´ wär doch – wenn man sie jetzt mal nur von dieser Figur her (also meinetwegen: vom männlichen Standpunkt her) sieht: nur Arschlöcher sind interessant und sterben mit Schmackes. Wenn schon…
Ich traue von Trier so eine Aussage zu. Den Film macht das nicht besser.
Es ist halt alles so abgeschmackt: die Dekadenz der „höheren Stände“, das ganze Glück im Sattel der aufmüpfigen Pferde (die Kehrseite vom missglückten Sex?) und die Sehnsucht nach dem gerechten Weltuntergang.
Es ist traurig, dass einer so traurig ist. Und dass er es zeigen kann, ist der Grund dafür, dass einem der Film dann doch nicht g a n z kalt lässt (sonst hätte ANH nicht mal diesen Verriss darüber geschrieben). Aber die Schuld für die Traurigkeit mit Verve den üblichen Verdächtigen: dem Patriarchat, der Dekadenz, dem Kapitalismus, der bösen Mutter usw. in die Schuhe zu schieben, das ist öd.
OK. „Kunst“ war vielleicht schon etwas zu hoch gegriffen.
Aber die Schuld für die Traurigkeit mit Verve den üblichen Verdächtigen: dem Patriarchat, der Dekadenz, dem Kapitalismus, der bösen Mutter usw. in die Schuhe zu schieben, das ist öd.
Das wollte ich nicht – und der Film tut es hoffentlich auch nicht. Derjenige der diese Traurigkeit an sich selbst am wenigsten ausstehen kann ist doch vielleicht der Depressive selbst – und dass eine ähnliche Agressivität beim Schauen auch zu spüren ist, kann vielleicht auch zu den heftigen Abwehrreaktionen führen..
Dieses Polarisierende überhaupt: Die Unterteilung in die Lebenstüchtigen, die Gesunden und jene Melancholiker, ist schon schematisch. (Sie nervte mich schon bei Thomas Mann, wo ich sie im ironisierten Bohemien besonders eklig fand.) – Indem sie nun von Trier so vehement bemüßigt, könnte er das Publikum zur Reaktion zwingen, genau in solche Gruppen spalten.
@Phorkyas Dass Sie die Schuld nicht (ver-)schieben wollten, in irgendwelche Schuhe, das habe ich verstanden. Der Film aber, denke ich, tut das durchaus – oder legt es zumindest nahe.
Auch, indem er die Krankheit überhöht und „sinnvoll“ macht. Ich sprach gerade bei einem Spaziergang im Herbstwald mit Morel darüber. Er erinnerte mich an Susan Sontags berühmten Aufsatz „Krankheit als Metapher“. Die Polarisierung, die eine solche schematische Allegorisierung auslöst, ist für „Gesunde“ und „Kranke“ gleichermaßen gefährlich und falsch. Weder ist der Lebenstüchtige per se verwerflich, noch die Krankheit per se erkenntnisbringend; diese Umkehrung ist so falsch wie das faschistoide Original, das die Kranken ausmerzen und die Gesunden wie Karnickel vermehren will. Und genauso unmenschlich.
@MelusineB zur melancholischen Krankheit und Krankheit des Geistes überhaupt. Ich bin aber auch sowas von einverstanden mit Ihnen! Krankheit als Erlösungsmodell zu begreifen, kann nur seinerseits einer tiefen, wenn auch verschobenen Depression entspringen – bzw. einer naiven Befindlichkeit, die Krankheit als Krankheit nicht begreift und darum nicht erkennt; das gibt es quasi nur bei Geisteskrankheiten, bzw. -erkrankungen. Nicht einmal ein s e h r einfacher Mensch käme nämlich auf den Gedanken, einen darniederliegenden Fieber- und/oder Krebskranken für besonders seherisch oder überhaupt als einen anzustrebenden Gegenentwurf zum in den normalen Alltag eingebundenen Menschen zu sehen; nicht einmal bei schwerem grippalen Infekt täte man das. Es steht hinter der Verklärung der Geisteserkrankung nichts anderes, als daß man seine solche immer noch nicht als eine Krankheit zu akzeptieren bereit ist.
Aber eine Szene gibt es, die großartig ist: nämlich die der Untreue in der Hochzeitsnacht. Justine (wer, übrigens, gibt einem Mädchen >>>> diesen Namen? schon da fragt man doch nach den Hintergründen) nimmt nämlich – in der symbolischen Terminologie gesprochen – dort das Böse an, für das die Welt schließlich bestraft werden muß. Sie läßt ihren ja wirklich lieben, wenn auch etwas zu weichen Frischgatten im Hochzeitszimmer alleine zurück und setzt sich auf den nächsterreichbaren Schwanz. Das hat, wenn man sich das Jüngelchen anschaut, durchaus etwas von Vergewaltigung. So wild reitet sie ihn auch. Was wiederum zeigen könnte, daß der Junge ganz unfähig war – nachvollziehbar in dieser Situation. Und nachher spricht er dennoch ihr gegenüber von „gutem Sex“, den sie gehabt hätten. Wer guten Sex kennt, weiß, daß das nicht stimmen kann – so und/oder so nicht. Es kann insofern sein, daß man von Triers Geschichte – und damit Justines – ganz anders erzählen müßte, daß da etwas untendrunter mitläuft, das er aber kaschiert. Bzw. passiert es ihm, unbewußt. – Das herauszuarbeiten, wäre eine analytische Arbeit, die mich zeitlich im Moment überfordert. Aber ich würde bei dem vermeintlich guten Sex anfangen und den mit dem Todesplaneten parallelisieren. Dann würde man auch den ganzen Esoterikkitsch los.
Ich nehme „Melancholia“ als eine Allegorie auf das vorherrschende Wirtschafts- und Finanzsystem wahr. Die Feigheit der wenigen Wohlhabenden wird in diesem Film auf eindrucksvolle Weise vorgeführt. Was im ersten Teil noch als lächerliche Oberflächlichkeit und Dummheit von außen angestrahlt wird, erfährt im zweiten Teil mit dem Suizid des Repräsentanten dieser seifenblasenartigen Scheinheiligkeit von innen her, als implodierendes Vakuum gewissermaßen, seine endgültige Auflösung. Ich hielte es für eine Kurzsichtigkeit, die Parallelen zu den sich überschlagenden Ereignissen in der Finanzwelt auszublenden.
Blutadel, Geldadel, Wissensadel. Was könnte überleben? Bildung vielleicht? Dass von Trier diese Frage offen lässt, halte ich geradezu für zwingend logisch. Damit fordert er die Imaginationsfähigkeit der (Film)Konsumenten heraus.
PS: Man tausche „Finanzwirtschaft“ nach Belieben aus gegen explodierenden Ressourcenverbrauch, gegen wachsende Umweltbelastung (vlg. „Klimawandel“), gegen angewandte Genmanipulation, etc. pp.
@Kienspan. Die Feigheit der wenigen Wohlhabenden wird in diesem Film auf eindrucksvolle Weise vorgeführt.Aber nur, weil der Film in diesem Milieu verbleibt. Was meinen Sie, wie die Feigheit vieler derer aussähe, die da n i c h t hineingehören? (Abgesehen davon, daß „Feigheit“ bei berechtigter Todesangst ein problematischer Terrminus ist. Ich verwendete das Wort „feige“ lediglich in Bezug auf einen Vater, der sein Kind alleinläßt.)
Tatsächlich hätten wir’s außerhalb dieses begüterten Kreises mit Massenpanik, Plündereien, jederlei Form von Vandalismus, galoppierenden Vergewaltigungen, permanentem Morden zu tun und was der begeisterten Volksbelustigungen in als apokalpytisch erlebten Zeiten mehr sind. Die Frage der Haltung ist keine der Klasse, bzw. des kapitalistischen Systems. Man kann geradezu von einem Glück reden, daß in von Triers Welt die übrige Bevölkerung ganz offensichtlich nichts mitbekommen hat; jedenfalls dringt von der in die heile sterbende Welt der Reichen nicht einmal eine Nachrichtenstimme. Auch das von Claire oft genutzte Google schweigt sich da ganz vontrierisch aus.
@ANH Massenpanik, Plündereien, jederlei Form von Vandalismus.
Das kann bereits IRL beobachtet werden – und nicht bloß in Ansätzen.
Haltung lässt sich gewinnen aus Bildung und/oder aus dem lastenden Bewusstsein um das eigene Ende. Letzteres zeigt v.Trier meines Erachtens in der Figur der „Justine“, die die Schwächung durch ihre Depression am Ende umzuwandeln imstande ist. Die Umwandlung in Stärke ergibt sich aus der Akzeptanz der Endlichkeit, der Unausweichlichkeit. Das könnte theoretisch auch als therapeutisches Ziel formuliert werden, wollte man Justine noch zu Beginn des zweiten Teils eine Therapie angedeihen lassen. Doch sie schafft es ohne. Ihren Wendepunkt sehe ich in der nächtlichen Szene im Garten/Park, in der sie sich zu ergeben scheint.
Mag sein, dass Familienmenschen die Darstellung jenes „John“ als irritierend wahrnehmen; ich selbst habe keine Nachkommen. „Justine“ hat auch keine. Dennoch gelingt gerade i h r die engste Beziehung zum Jungen. Aus meiner Perspektive ist das keineswegs abwegig.
Allerdings räume ich ein, dass ich zu dieser Interpretation erst kam, als ich all jene unvermeidlichen Unplausibilitäten (da mischt sich auch großer astronomischer Quatsch hinein) ausgeblendet hatte. Müsste der Film halbwegs realistisches Geschehen abbilden, würde er damit auch eine gänzlich andere Geschichte erzählen. Ich denke, das muss man v.Trier lassen. Ob er damit bei den Sehern ankommen, landen kann, bleibe dahingestellt. Das ist ausschließlich sein Risiko.
@Kienspan zu dem Jungen. Dennoch gelingt gerade i h r die engste Beziehung zum Jungen.Das ist eine reine Behauptung des Films, also von Triers. Sie wird suggestiv unterstellt. Aber man kann sagen, daß sich, wie ich oben schon andeutete, die Krankheit auf den Jungen überträgt: das ist übrigens bei Depressionen de facto möglich; man kann sich daran anstecken wie an einer schweren Grippe.
Als Vater hätte ich dafür gesorgt, daß diese Frau aus dem Haus kommt. Und zwar schnell. Ohne die vermeintliche Erlösung durch den Todesstern wäre Justine, wenn nicht in der Apathie verbleibend, dort gelandet, im Bittren, wo ihre Mutter sich aufhält. Imgrunde wiederholt sie eine Struktur. Und ich würde als Vater dafür Sorge tragen, eben: darum kämpfen, daß mein Sohn sie nicht eines Tages ebenfalls wiederholen muß. Jack Bauer hat also völlig recht, die Mutter aus der Hochzeit zu feuern; nur war er nicht konsequent genug und nahm nur ihre Sachen. Ich hätte diese Frau mit einem Arschtritt hinausgeworfen und ihr wahrscheinlich schon bei ihrem bösen Auftritt als Rednerin eine geklatscht. Aber ich muß ja auch auf eine „gute Gesellschaft“ keine Rücksicht nehmen. (Davon abgesehen, verehre ich die Rampling, seit ich sie zum ersten Mal sah: da muß ich um die fünfzehn gewesen sein).
Für eine genetische Disposition spricht übrigens auch die panische Hilflosigkeit Claires. Die Krankheitssymptome werden von den Schwestern lediglich verschieden ausagiert. So auch bereits von dem Jungen. Die mütterliche Erblinie, ganz offenbar.
Dass diese enge Beziehung im Film nur behauptet wird, sehe ich genauso.
Allerdings noch zu der Möglichkeit, dass der OK-Guy sich feige verdrückt und die Familie im Stich lässt. Es ist zwar eine andere Geschichte, aber wäre wohl ein ähnliches Mileu: Der Madoff-Skandal ( http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/madoff-skandal-ein-sehr-gutes-gefuehl-11511183.html ) – da handelte der Familienvater wohl genauso. Daher; in der, wenn auch sehr konstruierten, Ausnahmesituation im Film, halte ich ein solche Handlungsweise leider für möglich.
@Phorkyas. Der inszenierte Weltuntergang hat aber, und soll haben, etwas Exemplarisches. Dafür eignen sich dann, wenn es um eine Allegorie geht etwa, sehr subjektive Einzelfälle nicht als Darstellungsmodell. Besondere Ausnahmen findet man für alles und jedes, d.h. mit ihnen läßt sich dann jeder dramaturgische Fehler rechtfertigen.
Gerade das Beispiel Madoff zeigt, finde ich, noch einmal, wie unmotiviert das Verhalten des Vaters/Ehemanns in von Triers Film bleibt. Denn es gibt nicht die geringste Andeutung, dass er ein Betrüger ist. Allenfalls könnte man so etwas herleiten, wenn man behaupten wollte, jeder, der im Wohlstand lebt, sei ein Betrüger. Das ist wohlfeil. Und im Weltmaßstab würde es für uns alle gelten. Das „Vergehen“ dieses Mannes, das der Film ausstellt, ist aber etwas ganz anderes, nämlich, dass er sich auf naturwissenschaftliche Aussagen verlässt. Das ist der Vorwurf, der ihm gemacht wird.
Es wird Sie nicht überraschen, dass ich mich gerade darüber ärgere. Eine Kritik der Naturwissenschaft ist notwendig, ja sie selbst wird vom Motor dieser Kritik getragen. Sie zu „verurteilen“ dagegen ist ein Standpunkt von religiösen und esoterischen Fanatikern, den ich ablehne. Auch hier stehe ich wieder auf der Seite des OK-Guy. Und damit gegen von Trier.
Ich hatte schon bedenken, dieses Beispiel anzuführen, da es schon zu sehr in der Nähe der Finanzen ist, wobei der Film ja aber eine allgemeine Allegorie/Versuchsanordnung darzustellen versucht, der muss man ja nicht Realität kommen. Aber die Parallelen erschienen mir spontan zu frappierend. Aus dem Artikel lässt sich ebensowenig über Bernard Madoff entnehmen. Er scheint genauso ein OK-Guy sein, umsorgender Vater, Familienmensch. (@MelusineB: Er ist nicht einmal der Betrüger!)
An dem Punkt möchte ich nun auch nicht zu hartnäckig sein. Für mich ist es gerade der Mangel an „Daten“ über diese Person, der mich dazu bringt, sein Verhalten für möglich zu halten. Dass von Trier seine Person damit denunziert. Ja. Aber ich würde selbst dann immer noch nicht zu hart über den lädierten OK-Guy urteilen wollen. Wer könnte schon sagen, wie er sich in einer solchen Situation verhält, in dem er dem eigenen Ende ins Auge blickt? Natürlich hoffe, wünsche ich mir so ein integrer OK-Guy zu sein bzw. zu werden, der in einer solchen Situation nicht kneift (aber weiß man’s sicher, bis es so weit wäre?) – weil die Figur im Film so blass ist, konnte ich sie auch nicht idealisieren, im Gegenteil, sehe ich da schon kleine Schwächen angedeutet.. Nun ja, aber Herr von Trier ist sicherlich keine weise, neutrale Maat, die unparteiisch urteilt, vielmehr lässt er die Waagschale der „Gesunden“ einfach leer – da sie ihn wohl auch nicht so sehr interessieren? – Allerdings wäre ja das Gegeneinanderaufwiegen schon ein Fehler (s. Ihre Bemerkung unten).
Das „Vergehen“ dieses Mannes, das der Film ausstellt, ist aber etwas ganz anderes, nämlich, dass er sich auf naturwissenschaftliche Aussagen verlässt. Das ist der Vorwurf, der ihm gemacht wird.
Für Sie ist also mit diesem Mann auch die ganze Naturwissenschaft denunziert, die uns vor dieser Katastrophe weder warnen noch schützen konnte? Hmm.. Das habe ich so gar nicht gesehen oder habe mich nicht daran gestört. Der Film wirkte auf mich gar nicht so esoterisch. Es geht doch um die Reaktion der Personen auf die herannahende Katastrophe, da ginge es ja ohnehin mehr um Psychologie, denn um Physik. Sie meinen freilich, dass auch diese nicht stimmt, die Psycho-Logik (und das möchte ich auch gar nicht in allen Punkten bestreiten).
PS. Ihre Bemerkung, MelusineB:
Die Polarisierung, die eine solche schematische Allegorisierung auslöst, ist für „Gesunde“ und „Kranke“ gleichermaßen gefährlich und falsch. Weder ist der Lebenstüchtige per se verwerflich, noch die Krankheit per se erkenntnisbringend; diese Umkehrung ist so falsch wie das faschistoide Original, das die Kranken ausmerzen und die Gesunden wie Karnickel vermehren will. Und genauso unmenschlich.
Hätte ein passendes Schlusswort sein können, ich möchte mich dem ebenfalls anschließen.
„Van Trier legt das Vorspiel zum Dritten Aufzug Tristan & Isolde, und selbstverständlich nur auszugsweise und diesen Auszug minimalistisch permanent repetiert, unter seine Fabel“
Tschuldigung, aber erstens heißt der Typ Lars VON Trier und zweitens handelt es sich bei dem permanent repetierten Vorspiel um die Tristan-Ouvertüre selbst und nicht um das Vorspiel zum dritten Aufzug (das kommt zwar auch vor, aber nur an einer Stelle im zweiten Teil, wenn ich mich recht erinnere).
@ABC zum Tristan. Das habe ich anders gehört, müßte es noch einmal hören. Aber falls Sie recht haben, wäre es noch viel schlimmer: dann hätte er unangemessen einander sehr nahe Stücke zusätzlich vermatscht; er hat den Tristan in jedem Fall zur werblichen Gebrauchsmusik regressiv heruntergepopt.
Da Sie so genau zu hören verstehen: haben Sie eine Erklärung für die verschiedenen Qualitäten der beigezogenen Einspielung? Unvermittelt klang es immer mal wieder nach einer historischen Aufnahme; im Nachspann wird das aber nicht angegeben. Auch nicht oft, meist nutzt er den satten Klang moderner Technik, wiewohl er eine Aufnahme beizieht, die offenbar nur auf iTunes vorliegt. Das jedenfalls ist so genannt. Sollte da sogar auf eine mp3 zurückgegriffen worden sein, so daß man den Tonumfang gleich aufs massengewohnte Hörverhalten reduziert hat? (Ich könnte es nachmessen, hab aber jetzt nicht mehr die Zeit).
Wegen von Trier: das hab ich eben korrigiert. Danke für den Hinweis.
[Ich habe mich dazu entschlossen, mir den Trailer anzusehen und den Rest des Films aus meiner Phantasie heraus zu ergänzen. Das ist preiswert, spart Zeit und Nerven.]
@Schlinkert
Wenn es stimmt, was einer gesagt hat, der viel klüger war als hier alle zusammen, daß man nämlich aus dem Kino dümmer heraus kommt als man hinein gegangen,- dann haben Sie mit diesem Entschluß auch etwas für Ihr Gehirn getan.
Ein anderer, namens Schmidt, Arno Schmidt, kam zeitlebens schon deshalb nicht ins Kino, weil ihn deren Titel anwiderten. „Melancholia“
Was wäre, wenn Kino und Film, trotz all der Anstrengung genialischer Regisseure und dem theoretischen Wagemut etwa eines Deleuze, es immer noch nicht zur Kunst gebracht hätten?
Zum Problem »Melancholia« Auch ich hatte, als ich gestern das Kino verließ, einen schalen Geschmack auf der Zunge, war zwischendurch eingenickt (was nicht n u r auf den Film zu schieben ist). Übertrieben, leer erschien mir diese Erzählung. Wieso die Welt aller unterzugehen habe, wenn die Welt nur eines Menschen vergehe – fragte ich mich und bedachte die Depression.
Nachdem ich nun diesen Verriss und seine Diskussion wahrgenommen habe, wird mir sehr viel klarer, welches Problem von Triers Film tatsächlich aufzeigt: Nicht das der Depression, sondern das der D a r s t e l l b a r k e i t der Depression.
Es geht vereinfacht gesagt darum, dass die Depression, sofern sie nicht die Ausmaße annimmt, die zu Beginn des zweiten Teils suggeriert werden, nicht ohne Weiteres von außen zu erkennen ist und nur fühlbar wird, indem man sie durchleidet. Sobald klar ist, dass Justine zu Depressionen neigt, beginnt deshalb das Nachgrübeln darüber, wie sie sich in den vorangegangenen Szenen gefühlt haben mag, zum Beispiel bei den Worten der Mutter. Justines Flucht vor ihrem Bräutigam schließlich lässt sich n u r durch ihre Depression erklären – und wirkt damit eigentlich unerklärt.
Das aber ist wieder Teil des genannten Problems: Eine Depression ist in Wirklichkeit unmotiviert und es bringt wenig bis nichts, sie erklären zu wollen. Es mag so etwas wie einen Auslöser geben (im Film könnte ihr Ausbruch, wie schon angemerkt wurde, mit dem Auftritt der Mutter zusammenhängen), es mag aufzeigbare Dispositionen geben, aber letztendlich k o m m t die Depression – so unvermeidlich wie der Weltuntergang.
Ich glaube auch nicht, dass es Lars von Trier mit „Melancholia“ gelungen ist, die Depression zur Darstellung zu bringen (besser: glaube es bis jetzt nicht). Was ich allerdings glaube: Er hat es versucht und zwar mit in ihrer Konsequenz berechtigten Mitteln.
Sie schrieben, Herr Herbst, dass es von Trier gar nicht um ein Psychogramm einer Depressiven gegangen sei, sondern nur deren Einbettung als Seherin ins Szenario einer Apokalypse. Mir scheint der Witz des Films zu sein, dass letzteres g e r a d e der Versuch eines solchen Psychogramms ist.
(EDIT: Ich bemerke gerade, Herr Herbst, dass Sie „meine“ Lesart des Films schon in Ihrer Kritik vorgeschlagen haben – deshalb zur Korrektur: Mir erschiene es angemessen, die psychogrammatische Lesart gegenüber der „banalen“ stark zu machen.)
Natürlich relativiert das nicht die Unstimmigkeiten, den esoterischen Touch und was nicht noch alles bemängelt wurde. Trotzdem kann ich es sehr gut nachvollziehen, dass das ganze Weltuntergangsszenario bemüht wird – eben weil ein strikt realistisches Erzählen der Depression an der Sache vorbeizugehen droht und wahrscheinlich gar nicht möglich ist.
„Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“
berührt im übrigen dasselbe Problem. Sich damit und mit seiner Darstellung beschäftigt zu haben (wenngleich mit einem sanglosen Scheitern verbunden), ist mein Gewinn an diesem Film.
Sie hören Schoeck?! Toll.
Bei Schoeck/Lenau bleibt die Verzweiflung beim Subjekt, wird aber auf die Welt imaginiert. Bei von Trier geht die Welt objektiv unter, und zwar, bevor die Depression überhaupt gezeigt ward: nämlich in der sicherlich nicht von ungefähr an Kubrick erinnernden Eingangssentenz.
Dies würde ich Ihnen entgegenhalten wollen. Wiewohl ich – m i t Ihnen – ein realistisches Erzählen der Depression ebenfalls für untauglich halte.
Mich hatte die Wackelkamera und der teilweise doch recht ostentative Dilettantismus genervt. Auch das Timing (die quälende Langsamkeit, die Leere) war zum Teil recht nervend – was ich aber zubillige.
Außerordentlich faszinierend fand ich den realistischen Aspekt einer klinischen Depressions-Studie. Damit meine ich, dass alle von Justine auf ihrer Hochzeit ständig verlangen, dass sie fröhlich, dankbar, glücklich sein soll und offenbar gar nicht merken, dass sie seelisch krank ist.
Unter welchem Sozialdruck ein depressionskranker Mensch steht, war mir so noch nicht bewusst geworden.
In diesem Sinne habe ich auch den 2. Teil Gar nicht so realistisch oder symbolisch verstanden. Hier wird die Perspektive einfach umgedreht. Jetzt ist Justine in der „richtigen“ Welt, auf der Seite der Wahrheit und die Anderen, vor allem Claire und ihr Mann kommen mit ihrer Angst nicht zurecht.
Für mich hat diese Umkehr der Perspektive etwas mit der Rache des Depressiven zu tun, der sich endlich mal eine Welt imaginiert, in der er „der Gesunde“ und die Andern „die Kranken“ sind. Denken Sie an die Seeräuber-Jenny: die träumt auch vom Schiff mit sieben Segeln „und wenn sie fragen, welchen sollen wir töten? Werd ich sagen: alle!“
Ich muss sagen, dass mir diese Art von poetischer Gerechtigkeit sehr gefällt. Auch das Konzeptuelle des Films, zweimal fast das Gleiche aus entgegengesetzten Blickwinkeln zu erzählen.
Die besteht übrigens aus dem Tristan-Vorspiel des 1. Akts und auch dort meist nur aus den ersten Takten. Mich hat die ewige Wiederholung auch genervt. Aber das sollte ja auch kein Wohlfühlfilm sein, sondern eine Zumutung. Darüber hinaus fand ich die Musik nicht so unpassend. Sie lässt viel Raum für Assoziationen: Man denkt an von Triers leider nicht realisiertes Bayreuth-Abenteuer; man denkt an Tristans Krankheit zum Tode, die tatsächlich etwas von einer klinischen Depression haben könnte; die verquere Harmonik mit den unaufgelösten bzw. sich ständig in Dissonanzen auflösenden Dissonanzen hat etwas Zwanghaft Depressives. Irgendwie hat mich das sehr zum Denken angeregt. Und es lässt mich auch so schnell nicht wieder los, weil es etwas Unauflösbares hat: ein Geheimnis. Etwas Unvollkommenes.
Etwas enttäuscht hat mich der viel gelobte Vorspann, der mich eher an den Kitsch einer Ulrike Oettinger erinnert, mit den Schlingpflanzen und dem Millais etc. Das Einzige, was ich da mochte, waren die zwei bzw. drei Sonnen im Bild.
Herzliche Grüße
Boris Kehrmann
@Boris Kehrmann zu Melancholia. Das ist für mich der bislang schlüssigste Interpretationsansatz für diesen Film:Für mich hat diese Umkehr der Perspektive etwas mit der Rache des Depressiven zu tun, der sich endlich mal eine Welt imaginiert, in der er „der Gesunde“ und die Andern „die Kranken“ sind.Darüber muß ich nachdenken. (Den später, in Teil II, personal inszenierten Millais tut Justine in Teil 1 ja sozusagen auf das Board: das läßt sich dann tatsächlich als symbolische im Wortsinn Pro-Jektion verstehen; den Tristan empfinde ich allerdings, in dieser Redundanz, weiterhin als mißbraucht – auch wenn Sie mit Tristans Depression nicht unrecht haben.)
Die „zwei Sonnen“, in der Tat, waren schön. Aber sie sind derart bekannt aus so vielen SF-Streifen seit „2001“, daß ich einwenden will, sie seien allzu klischiert, um für die Depression – das heißt: für ihre Erlösung – noch stehen zu können.
Ein Wort eben noch zu Ihrer Interpretation: d a n n, ja, dann bekommt Jack Bauers Selbstmord Schlüssigkeit. Da er bis fast zum Schluß aktivistisch bleibt, zumal positiv besetzt, wäre es dann nicht von Trier, sondern Justine, die „ihn wegmacht“ – einfach, um ihn aus ihrer Projektion zu schmeißen. Da fragt man dann wohl in der Tat nicht nach Schlüssigkeiten. Von Triers „Trick“ wäre dann also, daß Justine uns, die Zuschauer, in ihre Depression hineinbekommt und damit entmächtigt. Daraus ließe sich das persönliche Unwohlsein begreifen, daß einige Zuschauer erfaßt hat, von denen ich weiß. Und ebenfalls das Genervtsein solcher wie mir, die gegen fremde Depressionen einen starken Panzer aufgebaut haben und auf ihrem Aktivismus beharren. Daß ein solcher Panzer aufgebaut wurde, hat selbstverständlich Gründe.
Lieber Herr Herbst,
ich will Ihnen gar nicht widersprechen, meinte aber etwas anderes.
Die Erzählperspektive des Films ist, glaube ich, immer eine auktoriale: die, des allwissenden Erzählers. Nur nimmt er im 1. Teil die Perspektive der „Gesunden“ ein, im 2. die der „Depressiven“. Das ist keine Frage der Projektion, sondern eine der zugrundeliegenden Logik.
Im 2. Teil erleben wir, wie den „Gesunden“ die Nerven durchbrennen. Sie haben sich nie mit der Angst auseinander gesetzt. Folglich trifft die Angst sie unvorbereitet. Sie reagieren hysterisch. Justine hingegen hat sich ihr ganzes Leben mit den Schattenseiten des Lebens auseinandergesetzt. Sie ist vorbereitet. Und sie erlebt sogar eine Bestätigung ihres negativen Weltbilds. Das macht sie immer ruhiger.
Jack Bauer bringt sich hingegen um, weil sein Lebensentwurf auf der ganzen Linie gescheitert ist. Seine Wissenschaft hat versagt, denn sie machte falsche Vorhersagen. Er steht, der so Selbstsichere, steht vor einem Scherbenhaufen. Um dieser narzisstischen Kränkung zu entgehen, bringt er sich um. Außerdem sieht er, dass der Tod ohnehin kommt. Angst könnte also ein zweites Motiv sein.
Diese Lesart erklärt auch die Rolle des Kindes, das zwischen beiden Positionen steht. Es ist halt noch nicht voll „ausgebildet“.
Das Millais-Zitat kann ich mit dieser Interpretation allerdings nicht zitieren. Ich halte es symbolistischen Dekor, ein manieristisches Spiel mit Anspielungen, ein bißchen Bildungshuberei, Rätselei, vielleicht hat es einfach eine persönliche Bedeutung für Lars von Trier. In der Bibliothek der Bauers räumt Justine ja auch alle Bildbände um, von den russischen Konstruktivsten (die Jack Bauers „homo faber“-Ideal des Ingenieurs eines ewigen Fortschrittsglaubens reflektieren) zu diesen ganzen Depri-Bildern, vor allem Breughels Winter, Caravaggio und eben den Präraffaeliten. Sie alle deuten auf die schwarze Muse des Melancholikers, des Aussenseiters und Nicht-Angepassten hin.
Letztendlich scheint mir der ganze Film so einem Spiel mit Bildung entsprungen zu sein. Hinter dieser Astro-Fabel, die ich keinen Moment ernst nehme, sondern immer nur als Gleichnis sehe, steht doch die Melancholie-Diskussion seit der Antike: Die Melancholiker sind die Unangepassten Genies, die die Nachtseite des Lebens verkörpern und im Zeichen des Saturn geboren sind. Das kann man alles bei Klibansky/Saxl, Wittkower, Hocke leicht nachlesen. Und dieser Stern, der Saturn, nimmt nun im Meteor konkret Gestalt an.
Ich muss sagen, dass mir diese Münchhauseniade, sich am Schopf der Bildung selbst aus dem Sumpf einer Depression/klinischen Krankheit herauszuziehen, ziemlich imponiert. Ich finde das ziemlich heroisch. Andere Depressive begehen Selbstmord oder Verstummen oder werden Apathisch. Lars von Trier findet eine Sprache dafür. Toll. So nervig der Film auch ist.
Er ist aber auch komisch. Nachdem die Welt untergegangen ist, erscheint auf der schwarzen Leinwand attacca der Name des Stars: Kirsten Dunst. Ätsch. Die Welt ist doch nicht untergegangen. Der Film endet mit einem großen Gelächter wie die drei da Ponte-Opern Mozarts. Natürlich reagiert man erstmal irritiert: nachdem er einem zwei Stunden lang sein quälendes Timing/Zeitgefühl aufgezwungen hat, wird man heiter und versöhnlich in die Welt entlassen, die doch noch einmal davon gekommen ist. Toll.
Ich glaube übrigens auch, dass einen dieser ständig wiederholte Tristan-Akkord nerven soll: Er soll penetrant sein, um uns keine Möglichkeit zu lassen, uns zu distanzieren. Trier zwingt uns seine Depression wirklich auf.
Von daher finde ich es interessant, dass Sie Zuschauer gegen den Film ins Feld führen, denen dabei schlecht geworden ist. Bei unserer Don Carlos-Diskussion haben Sie gefordert, dass die Auto da Fe-Szene nicht nett sein darf. Wir beiden haben jetzt die Rollen getauscht. Aber wahrscheinlich ist es so, dass jeder Mensch andere Hässlichkeiten hat, die er in der Kunst toleriert bzw. nicht toleriert, weil sie ihm ins Weltbild oder Lebensgefühl passen bzw. nicht.
Ich glaube nicht, dass man bei „Melancholia“ mit den Prädikaten „guter Film“/“schlechter Film“ weiterkommt. Er ist ein Stein des Anstoßes, der den Zuschauer ärgern will. Für mich auf eine Weise, die mich nicht wieder los lässt: Die Dinge einfach mal von der anderen Seite zu betrachten. Dass ich diesen ganzen Symbolismus etwas kitschig und die Kunstzitate nicht besonders gut umgesetzt finde, gehört vielleicht dazu. Lars von Trier provoziert ja auch da mit seiner laienhaften Anmutung, wie Fassbinder es auch getan hat. Er kommt mir vor wie ein zutiefst verletztes Kind, das bockig um sich tritt.
Mon Dieu. Schon wieder eine Suada.
Herzliche Grüße
Ihr Boris Kehrmann
Übrigens: Wenn Sie mal ein paar Sachen von mir lesen möchten, auf die ich ein bißchen stolz bin: Schauen Sie mal in dem dicken „Siebenjahrbuch“ der Ära Kirsten Harms (Nicolai-Verlag, 2011) nach. Besonders der Artikel über Vittorio Gnecchi und die Großen der italienischen Oper (Stabile, Barbieri, Sanzogno, de Sabata, Erede, de Fabritiis), die 1943 für die Nazis kulturelle Truppen-Betreuung machten, wird Sie amüsieren. Und die ersten Opernführer nach dem Krieg bestanden aus den Gutachten der NS-Reichstheaterkammer. Oder der Artikel über Walter Braunfels, der mitten im Krieg ausgerechnet das Durchhaltestück von Goebbels‘ Lieblingsautor Shaw vertonte. Das sind so die Widersprüche des Lebens und der Kunst.
Ich muss sagen, dass mir diese Münchhauseniade, sich am Schopf der Bildung selbst aus dem Sumpf einer Depression/klinischen Krankheit herauszuziehen, ziemlich imponiert. Ich finde das ziemlich heroisch. Andere Depressive begehen Selbstmord oder Verstummen oder werden Apathisch. Lars von Trier findet eine Sprache dafür.
Auch wenn ich mich mit meiner eigenen Interpretation vermutlich schon zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, möchte ich gerade hier eingreifen. Wenn Sie von einer Münchhauseniade sprechen verquicken Sie so nicht die Depression des Regiesseurs/Autors mit der im Film dargestellten? Und wenn es so wäre, dass da schöpferisch und durch Bildung die Depression überwunden würde, wäre das nicht sogar Täuschung, Verrat (so weit ich weiß, ist man eine solche Krankheit meist nie wirklich los, brechen solche psychischen Gebrechen immer wieder aus und man sollte nicht vorschnell an Heilung glauben).
PS. Sonst stimme ich sehr mit Ihnen überein: Dass dieser Film so diskussionsfördernd war, ist toll. – Und tut mir leid, dass ich hier ganz ohne Suada in Ihren Briefwechsel ein paar Worte einwerfe…
@Kehrmann&Phorkyas. Oh, ich bin Ihnen, Phorkyas, dankbar dafür, daß Sie das taten – weil ich Herrn Kehrmann noch eine Antwort schuldig bin, aber dermaßen viel über mich hereingestürzt ist, rein an Arbeit, daß ich sie noch verschleppen mußte (ich habe am 1.12. einen einstündigen Sendetermin für ein Hörstück, von dem noch grad mal eine Seite Typoskript steht).
Liebe Phorkyas,
ja! Auch meiner Meinung nach ist diese Münchhauseniade eine „Täuschung“. Das ist die bittere Ironie dieser gewaltigen Kunstanstrengung: Der Film unternimmt sie, ohne dass die Depression geheilt wird. Das meiner Meinung nach „Heroische“ ist, dass der Film sie unternimmt, obwohl sie sinnlos ist. Das ist ja auch das „Moderne“ an dem Film: die Suggestion, dass wir die Probleme nicht lösen können. Die Katharsis-Dramaturgie (durch Nacht zum Licht) ist vormodern. Problemlösungen versprechen nur noch Lebens- und andere Berater. Sie enden so wie der unverbesserliche Optimist Jack.
Dass ich dem Autor da was in die Schuhe schiebe, was ich in keinster Weise beweisen kann, ist mir bewußt. Es ist ein Bauchgefühl, auf dem ich nicht bestehe und das ich sofort revidieren würde, wenn man eine interessantere Hypothese hat. Ehrlich gesagt: Ich verstehe auch von Triers Hitler-Provokationen in diesem Rahmen. Ich glaube, das ist Autodestruktion: Er will sich fühlen und kann das vielleicht nur noch im Schmerz, in der Selbsterniedrigung, indem er Andere zwingt, ihn zu beschimpfen. Das meine ich nicht besserwisserisch oder witzig: das ist eine Tragödie. Ich fühle Mitleid mit ihm.
Die Frage der Verquickung von Kunst und Autor interessiert mich sehr. Es gibt autobiographische Bekenntniskunst und das Gegenteil und Millionen Nuancen dazwischen. Ich weiss nicht, würde aber gerne wissen, ob man diese Beziehung theoretisch fassen kann oder ob man das jeweils von Fall zu Fall entscheiden muss.
Und noch etwas: Es ist eigentlich schade, so in so bierernstem Ton über diesen Film zu diskutieren. Er hat auch seine grimmige Komik. Allein das Ankämpfen gegen die Depression ist von grausamer Ironie, gerade weil es sinnlos ist. Ich glaube, das macht ihn doch groß: Er führt uns ein bißchen an der Nase herum. Diese „Feier der Krankheit“ hat ja auch viel von Humbug und Huhu und Narrenspiel. Dieser Witz mit der Höhle und dem Drahtinstrument und dem Nachspann nach dem Weltuntergang und die verblasenen Dialoge, das ist ja alles auch zum Lachen und lässt uns dadurch Raum, uns zu distanzieren und darüber zu reflektieren. Das wandert schon sehr auf dem Grat zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen, meinen Sie nicht?
Lieber Herr Kehrmann,
Es gab auch kein Taxi draußen, und ich mochte nicht warten. Es trudelte mich ein wenig voran. Ich sah ja ein glühendes Hotelschild nicht sehr weit entfernt und in der Höhe. Da kam ich an diese Tür.
Daß sie in eine Dependance des Venusbergs führte, wußte ich nicht. Aber ich wehrte mich nicht. Mein Stab trieb grüne Blätter nicht erst nachher; denn die Wahrheit ist ja, daß eben nicht die Versagung uns reift.
Und nun sitze ich hier an einem kleinen Tisch, habe den Laptop vor mir, der USB-Stick für den Netzzugang hat eine Verbindung gefunden, und mir bleiben noch knapp zwei Stunden Zeit, nachdem ich den frühen Morgen bereits >>>> mit Kraussers Puccini verbracht und dann eben sah, Sie hätten >>>> Melusine, die ich sehr schätze, zornig gemacht ; weshalb indessen, das las ich noch nicht – bewußt nicht, weil ich erst einmal die von mir unterbrochene Korrespondenz aufnehmen wollte und weiterhin will, auch wenn sich die Diskussion zu meiner >>>> Melancholia-Kritik ganz von alleine, jedenfalls ohne mich, auf eine Weise weiterentwickelt, wie ich mir das für >>>> die Opernrubrik ganz ebenso wünschte. Dabei ist die Oper, wenn ästhetisch adäquat inszeniert, so viel weiter als beinah jeder Film!
Andere Diskussion, lo so. Doch hebt sich nicht in gelungenen Inszenierungen die Perspektivfrage einfach auf?
Sie stellen Sie in Ihrer letzten Replik auf mich heraus, als eine des auktorialen Erzählers. Da, genau, meine ich, daß eine Schwäche des Films liegt, und zwar insofern, als er, wenn auktorial aus der Sicht der Depressiven erzählt wird, pädagogisch wäre. Vielleicht ist es auch das, was mich mitgenervt hat. Wenn wir nämlich unterstellen, von Trier sei nicht seinerseits depressiv, m u ß die von Ihnen genannte zweite Perspektive Projektion sein, also erzählen, wovon der Regisseur meint, daß Depression so sei.
Ich glaube ihm das nicht.
Wäre wiederum auch er depressiv, hätte er den Film nicht drehen können; allenfalls ist er – danach benennt er seinen Film ja auch – melancholisch. Zeigen tut er indessen eine schwer – klinisch – Depressive und erlaubt ihr affirmativ, mit ihr selbst die ganze Welt zugrundegehen zu lassen, anstelle nach Ursachen der Erkrankung und danach zu schauen, wie man gesunden könne.
Nun schreiben Sie, in Teil 2 werde gezeigt, wie den Gesunden die Nerven durchbrennten. Das kann ich beim besten Willen nicht erkennen, von dem nach wie vor an den Haaren herbeigezogenen Selbstmord einmal abgesehen; aber selbst der wird erst vollzogen, wenn das Weltgeschick objektiv nicht mehr abzuwenden ist. Justines Schwester nimmt indessen einen anderen Weg, und zwar über zunehmende Hysterie. Diese ist, scheint mir, weniger ein Ergebnis des drohenden Weltuntergangs, als mehr der Depression Justines, die, nach Art von Ansteckung, überzuspringen versucht. Im Labor der Weltabgeschiedenheit dieser Protagonisten gibt es dagegen keinen Fluchtweg, es sei denn, man wiese die erkrankte Schwester scharf in die angemessenen Grenzen. Dazu, tatsächlich, ist offensichtlich keiner imstande, sei‘s aus falscher Rücksichtnahme, auf wen auch immer, sei‘s, weil die objektiven Geschehen ihrerseits die Handlungsfähigkeit überschatten.
Daß Justines Depression sie auf das Ende vorbereite, weshalb sie immer ruhiger werde, empfinde ich als einigermaßen billig, und zwar so, wie tautologische Sätze immer recht behalten. Dagegen wäre mit Nietzsche zu sagen: Gott spielt für die Welt keine Rolle; also ist es egal, ob es ihn gibt. Aber auch, daß sich die anderen nie mit Angst auseinandergesetzt hätten, ist eine reine Behauptung. Es gibt viele Arten solcher Auseinandersetzung; diejenige, sie zu akzeptieren und das Unheil schließlich zu wollen, ist nur eine davon – und ganz sicher nicht die erstrebenswerteste. Abfindung ist das nie, prinzipiell. Wäre dem anders, wir hätten heute noch kein Bürgerliches Gesetzbuch und schon gar nicht die Menschenrechte, wir stürben, die meisten von uns, mit sowas um die dreißig, und jeder Zahnschmerz würde Katastrophe.
Ich sehe auch nicht, daß Jack Bauers Lebensentwurf auf ganzer Linie gescheitert sei – nicht mehr als derjenige irgend eines anderen Menschen, von den schwer Depressiven, den geistig Schwerkranken, einmal abgesehen. Im Gegenteil hat sein Lebensentwurf prächtig funktioniert, und zwar bis zu dem Punkt, an dem insgesamt kein Lebensentwurf, der nicht depressiv ist, mehr funktioniert. Es ist ein bißchen hypothetisch, aber was ich gegen Bauer einzuwenden hätte, gegen ihn zu pflanzen hätte, wäre das luthersche Apfelbäumchen. Durchaus aber möglich, daß auch ich schließlich in Panik geriete.
Was nun die Bilder anbelangt: Ich bin alles andere als ein Depressiver, aber liebe die perverse Erotik der Präraffaeliten wie auch besonders Caravaggio, eines Handelnden nämlich, der durchaus auch vor kriminellen Akten nicht zurückgescheut ist. Es ist mir darüber hinaus viel zu einfach, dem Depressiven das Nichtangepaßte zuzuschreiben, indes der Handelnde angepaßt sei; eher meine ich, daß das Gegenteil der Fall ist. Der Depressive verbündet sich durch Passivität mit dem Unheil, das durchaus auch politischer Natur sein kann: er nimmt es hin, egal, wie viele Opfer an ihm zugrunde gehen, gefoltert und mißbraucht werden usw. Wogegen halt Revolution zu machen wäre und ist; da ist der Depressive überfordert und, um das überspitzt zu sagen, genießt das Füllhorn seiner sekundären Krankheitsgewinne. Er ist ein Säufer des Unglücks, süchtig danach, wie nur je eine Süchtige, ein Süchtiger sein kann; und auch das gehört in die Pathologie. Bitte erzählen Sie mir, was an Justine nun so enorm Genie sei. Sie ist vielmehr durchschnittlich, nur halt depressiv erkrankt. Und daß Justine eine Münchhauseniade vollziehe, ist eine Projektion, die ich schon gar nicht mehr nachempfinden kann. Sie zieht sich nicht aus dem Sumpf, nein, sondern bleibt drinnen mit allerdings ziemlich aggressivem Genuß, und sie zieht, was eigentlich schlimmer ist, die anderen in ihren Sumpf mit hinein; ihr eigenes Haar, den eigenen Schopf, rührt sie nämlich besser nicht an. Kann sie auch nicht, denn dazu bedürfte sie einer Therapeutin, eines Therapeuten und vorher sehr wahrscheinlich einer erst einmal sedierenden oder aufhellenden Medikation.
Schließlich aber beziehen Sie diesen Film auf die Realität, rechtfertigen ihn mit ihr. Er sei, schreiben Sie, ein Ätsch, denn nachher lebten wir alle noch. Das finde ich ästhetisch ein allzu banales Argument, das mich an meine Großmutter erinnert, die immer, wenn etwas zu spannend wurde, laut sagte: „Es ist doch nur ein Film, es ist doch nur ein Film.“ Klar ist es nur ein Film, aber wir betrachten in der Kunstbetrachtung ihn und nicht, daß er ein Film sei. Wir sind uns auch einig darüber, daß wir in den Nozze jemanden, der für alle sichtbar ist, sich dennoch unsichtbar hinter einem Stuhl verbergen lassen. Uns eine Nase draus zu drehen, daß wir eine solche Übereinkunft für den Film getroffen haben, ist, poetologisch gesehen, billig.
Ich schätze von Trier, den Antichrist fand ich großartig. Dies nur zu meiner Position. Doch da Sie Faßbinder erwähnen – vergleichbar, allenfalls, wäre >>>> Eine Reise ins Licht, ein Spielfilm aber, dessen Niveau von Melancholia ungefähr soweit entfernt ist wie Alpha Centauri von unserer Sonne; beide freilich gehören derselben Galaxie zu; doch beide Sterne berühren sich nicht anders als über ein Licht, dessen Ursprung schon nicht mehr war, als wir es sehen.
Ich muß zusammenräumen, vielleicht küßt mich noch einmal das Mädchen Manon. Das wird mir Lust auch >>>> für den Nachmittag schenken.
Mit großer Freude über unser Gespräch:
Ihr
ANH
P.S.: Ich sehe gerade, daß Sie mir >>>> ein weiteres Mal geantwortet haben; darauf kann ich jetzt nicht mehr eingehen. Aber auch das werde ich nachholen.
P.P.S.: Der von Ihnen empfohlenen Lektüre werde ich sehr gerne nachgehen.
Gut, es ist kein Ankommen mehr gegen die, die nun die Schwerstkanken und Depressiven ausgemacht haben wollen, was machen wir jetzt mit denen, ach, ja scharf in angemessene Grenzen weisen, wie genau? (Erinnert mich dann leider auch doch ein bisschen an ein Schwester Ratched Gebahren an einer flog übers Kuckucksnest). Ich krieg nen echten Hass und Fön, mit dem Film hat das nicht mehr viel zu tun, das Affirmative ist unterstellt, der Film erzählt etwas anderes, nämlich, wie Menschen angesichts von Untergängen reagieren, ich kann jetzt noch 3000 mal drauf hinweisen, dass man diese Justine auch glücklich sieht, nein, ist sie ja nicht und nie gewesen (das sie es war, wird klar, Claire thematisiert es, aber wohl auch immer in der Umklammerung der Familie, in die sie jetzt unglückseligerweise zurückkehrt, und die alten Mechanismen greifen wieder, kennt jeder in unterschiedlichen Graden und auch, dass man sich von der Familie emanzipieren musste, was einem unterschiedlich schwer gemacht wurde, je nach dem, wie sehr die Familie bereit ist, den neuen Menschen zu akzeptieren, der mit ihrer Hilfe heranwächst, ohne ihm ständig etwas überzustülpen und ihn nur nach ihrem Willen zu formen) und überhaupt, ich meine, hallo, in der Hochzeit verpfuscht ihr die verkorkste Familie ihr Glück, nein, sie ist depressiv, von Anfang an, ich bin es auch und überhaupt alle, die den Film nicht so sehen wie Herr Herbst, mit dem hier gerade die Pferde durchgehen, dann mal los, weisen Sie die depressive Welt mal scharf in die Grenze (die schärfsten Kritiker der Elche?), oder krabbeln Sie mal wieder vom Baum runter, Sie strotzgesunder nimmertrauernder schwermutunfähiger Glücksdichter.
Und klar kann man auf dem Totenbett liegen und rebellieren, als mein Vater sein Schicksal nicht mehr abwenden konnte, war er allerdings vor allem eins, dankbar für 70 Jahre und viele damit mit der Frau, die er liebte, vermutlich schwerstdepressiv, was sonst, ich würde sagen, weise, denn glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.
@diadorim Ich habe zu den Gesprächen hier mittlerweile eine andere Betrachtungsposition gefunden und erblicke darin eine geradezu unheimlich anmutende Parallele zum ersten Filmteil. Daran, wie der erste Teil endete, ist nichts mehr zu ändern. Abraham geht nicht über die Brücke.
Fragen an Herbst „Wäre wiederum auch er depressiv, hätte er den Film nicht drehen können;“
Meinen Sie das ernst?
Falls tatsächlich: Können Sie beurteilen, ob Lars von Trier an Depressionen oder „Melancholie“ leidet? Oder gelitten hat?
Und glauben Sie das dann wirklich:
Depression = nie wieder handeln können?
Heilung von Depression = „Ursachen“ finden und beseitigen/Pillen einschmeißen?
[gelöscht]
Da steckt doch so viel drin, das ist schon unheimlich gut, wie sie da den Suprematismus (die Überlegenheit der anderen könnte man meinen) in der Hausbibliothek rücktauscht gegen die Jäger im Schnee und andere symbolische Konkretionen der Kunstgeschichte. Vieles hat mich an Greenaways Filmaufbauten erinnert, die Location an den Kontrakt des Zeichners, der Golfkurs an Drowning by Numbers. Ich finde es wirklich einen Tunnelblick sondergleichen, den Film allein in die Depression engzuführen, das ist ungefähr so, als wollte man auf Blumenstilleben mit Pollenallergie reagieren und in folgedessen auch nichts anderes mehr als die Allergie thematisieren wollen. Das ist dann aber Problem des Pollenallerikers, für meine Begriffe, und nicht Problem der Stillebenmalerei.
[gelöscht]
@diadorim: Weshalb so aggressiv? Wenn Sie den Kommentarbaum verfolgen, werden Sie bemerken, daß ich in meinem Brief an Herrn Kehrmann eine Interpretation aufgreife, die von ihm, nicht von mir gekommen war, die ich aber für sehr einleuchtend gehalten habe und weiterhin halte. Auf diese gehe ich ein.
Es besteht wirklich kein Grund, mich zu einem naiven Strahlemacho hoch- bzw. hinunterzuironisieren; auch ich kenne dunkle Momente; die sind allerdings immer an Gründe gebunden: Verlust einer Geliebten, Todesfälle, mangelnde Anerkennung usw. Aber fast immer weiß ich sehr genau, weshalb ich „schlecht drauf bin“. Bei einer Depression ist das anders: sie kennt prinzipiell ihren Grund nicht. Das ist furchtbar, gar keine Frage; dieses Furchtbare ist aber kein Grund dafür, es in irgend einer Form zu heroisieren, geschweige ihm ein erkenntnistheoretisches oder ein besonders moralisches Recht zuzusprechen. Hiergegen allein verwahre ich mich. Wer viel mit jungen Menschen arbeitet und wer, vor allem, eigene Kinder hat, weiß auch sehr genau, weshalb.
Was die Dankbarkeit Ihres Vaters angeht, so ist sie mir nah; ich weiß nur nicht, was die in Zusammenhang mit diesem Film zu tun hat; sie widerspricht dem Film sogar. Und noch etwas anderes wäre – Angst. Es gibt Menschen, die Lebensangst haben, ja, vielleicht sogar viele, und vielleicht haben diese Vielen auch einen Grund. Nur ist abermals das kein Grund, die Lebensangst sie nobilitierend zu firmen oder sie besonders zu bewundern; vielmehr geht es darum, wie wir sie überwinden können. Dafür gibt es einige Wege; ihr zuzuklatschen oder sie zu romantisieren, ist keiner davon. Absolut nicht.
Ja, anders gesagt, es gibt kein Schutzschild gegen diesen Eintritt der schwarzen Galle, you have to cope with it, und hier sieht man doch in den Kommentaren sehr anschaulich, wie und welche Schutzschilder aufgefahren werden. Ich würde immer sagen, so, let s face it, nicht abwehren, angehen, und da ist die Kunst eben ein Mittel, nicht das Schlechteste. Ich musste über Frau Rampling auch kichern und ebenso über den Eleven der Werbebranche, der sich dachte, hah, dit war hemmungslos guter Sex, darauf lässt sich jetzt ein Imperium aufbauen, wir zwei sind füreinander bestimmt. Das war Wutvögeln, Abreaktion. Unglaublich gekonnt fand ich einfach diese ständige Wanderung zwischen Realismus und Symbolismus, ein ganz schmaler Grat, den von Trier hier, anders als beim Antichristen, finde ich, tatsächlich schwindelfrei begeht, das macht er eben besser als Greenaway oft, dem ist das noch am ehesten beim Belly of an Architect gelungen, den ich auch sehr liebe.
Erich Kästner
Traurigkeit, die jeder kennt
Man weiß von vorneherein, wie es verläuft.
Vor morgen früh wird man bestimmt nicht munter.
Und wenn man sich auch noch so sehr besäuft,
die Bitterkeit, die spült man nicht hinunter.
Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.
Und man ist angefüllt mit nichts als Leere.
Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.
Es ist, als ob die Seele unwohl wäre.
Man will allein sein. Und auch wieder nicht.
Man hebt die Hand und möchte sich verprügeln.
Vorm Spiegel denkt man: „Das ist dein Gesicht?“
Ach, solche Falten kann kein Schneider bügeln!
Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?
Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.
Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.
Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.
Man möchte fort und findet kein Versteck.
Es wäre denn, man ließe sich begraben.
Wohin man blickt entsteht ein dunkler Fleck.
Man möchte tot sein. Oder Urlaub haben.
Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.
Sie schwand noch jedesmal, so oft sie kam.
Mal ist man unten, und mal ist man oben.
Die Seelen werden immer wieder zahm.
Der eine nickt und sagt: „So ist das Leben.“
Der andre schüttelt seinen Kopf und weint.
Die Welt ist rund, und wir sind schlank daneben.
Ist das ein Trost? So war es nicht gemeint.
„Aber fast immer weiß ich sehr genau, weshalb ich „schlecht drauf bin“. Bei einer Depression ist das anders: sie kennt prinzipiell ihren Grund nicht.“
Ja, und dann schauen sie den Film, ich finde, er liefert enorm viele Gründe, warum die Justine aber so richtig schlecht drauf sein darf. Es gibt unterschiedlichste Formen von Depressionen, der Film verschweigt nicht, dass es Auslöser gibt, für meinen Begriff reichlich viele, mit der Familie meine Hochzeit feiern, würd ich auch sagen, nein, Danke. Leute, die einem ständig ihre Weltsicht aufzwingen wollen, selbst, wenn sie es gut meinen, walzen einen platt mit ihren Zwillinngsreifen an Glücksversprechen und drängen einem dabei aber immer nur wieder ihre ramponierte Psyche auf, egal ob eine bittere Mutter, ein Vater, der nicht da ist, wenn man ihn mal braucht und eine Schwester die alles überorganisiert. Das kriegt man auf der realistischen Ebene vorgeführt, und eine Justine, die dann in eine Verweigerungshaltung zunächst flüchtet, dann fällt. Man muss einfach mal aufhören, immer gleich über einen Kamm zu scheren, hier, guckssu, da, der Phlegmatiker, der Sanguiniker, der Dingens und sein Koch und sein Hund und sein Liebhaber. Diese Reizkreaktionsschemata sind Bullshit, man muss hinschauen, was wird denn gezeigt, es werden jede Menge Gründe geliefert. Da wird nichts grundloses heroisiert. Die Gründe benennen Sie doch selbst. Die Frau ist einfach nicht ganz blöd und durchschaut das manipulative Spiel der anderen, sah für mich eher danach aus, dass man dachte, Fehler, Hochzeit mit denen besser nicht feiern, die einem eh schon ein Gutteil des Lebens versaut haben, die versauens einem eben auch einfach weiter, wenn sie nicht dazulernen und man verfängt sich wieder in den alten Verhaltensmustern.
@Herrn Urian. „Wäre wiederum auch er depressiv, hätte er den Film nicht drehen können;“ – Meinen Sie das ernst?Ja, denn Handlungsunfähigkeit gehört zum Krankheitsbild.
Das weiß ich, übrigens, nicht nur theoretisch. Nach meinem Selbstmordversuch 1981 war ich selbst depressiv – wobei das nicht ganz stimmt, weil der Suizidversuch einen Grund hatte, den ich auch kannte. Sagen wir: ich hatte extreme depressive Symptome. Es war sogar unmöglich, einkaufen zu gehen, und sei es einen Liter Milch. Das ging drei Wochen so. Die zwei Wochen davor, direkt nach dem Suizidversuch, verbrachte ich im geschlossenen Haus der Frankfurtmainer Universitäts-Psychiatrie. Ich zwang mich dort, aktiv zu werden, tat das, was ich wenige Jahre zuvor getan hatte, als ich während meiner Zivildienstzeit ebenfalls in der Psychiatrie, allerdings auf der anderen Seite, eingesetzt war. Nachdem ich nun wieder „frei“kam, ich also nicht mehr aktiv sein konnte (also Pflegerdienste verrichten), nahmen diese depressiven Symptome von mir Besitz.
Und glauben Sie das dann wirklich: Depression = nie wieder handeln können?Das habe ich nirgendwo gesagt. Doch während der Depression ist man handlungsunfähig. Meist geht das mit Schlafsucht einher – weshalb eine therapiebegleitende Maßnahme Schlafentzug sein kann.
Heilung von Depression = „Ursachen“ finden und beseitigen/Pillen einschmeißen? Ihre Formulierung zeigt, wie wenig Ahnung Sie haben. Medikamente sind vor einer Therapie, bei schwerem Krankheitsverlauf, notwendig, damit eine Therapie überhaupt eingeleitet werden kann.
Seltsam, nach wie vor, daß sich niemand groß entrüsten würde, wenn ein Krebsleiden oder Malaria oder selbst nur Diabetes medikamentös behandelt wird. Krankheiten des Geistes sind nach wie vor offenbar als Krankheiten nicht akzeptiert; die Menschen möchten sie immer noch irgendwie für göttlich halten. Täte man‘s mit einem Schnupfen, allewelt bräche in Lachen aus.
Ja, Sie Unbelehrbarer, und ich sag Ihnen jetzt auch mal, warum das so ist, weil die Erfolge solcher Medikamente nicht unumstritten sind, und eingreifen in den Gehirnstoffwechsel kein Kinderspiel ist, über kurze Zeit steckt ein Körper vieles weg, aber schauen sie sich mal die Nebenwirkungen an, jeder weiß um die Abhängigkeiten, und meine Tante hatte neulich einen Darmdurchbruch, die hat jahrzehntelang Pillen geschmissen, möglicherweise das kleinere Übel, aber möglicherweise auch die falsche Therapie!!! Sie können sich ja schmeißen, was sie wollen, aber die Medizin geht auch dazu über derzeit, zu sagen, nicht sofort und alles operieren, dass man gleich wieder fit sein soll, liegt auch einem Arbeitsmarkt, der das fordert, und auch beim Krebs sind viele Therapien umstritten, das Vorsorgescreening gerät immer mehr unter Beschuss. Meine Ellenlux wäre 20 Jahre vorher auf jeden Fall operiert worden, wie jeder Bänderriss, heute vermeidet man es eher, so lange nicht alle Bänder gerissen sind, weil die Beweglichkeit hinterher ohne OP schneller wieder gegeben ist. Es gibt eben Erfahrungswerte, die sind nie absolut und neben denen probiert man Neues, und DAS gilt auch für die Krankheiten des Geistes. Was Sie für so zweifellos ausgeben, ist es nur auch in den anderen Fällen überhaupt nicht, sondern unterliegt ständig neuem Erkenntnis und Behandlungsstand. Und, Sie irren, ich entrüste mich bei allem, was mir nur nach Schema F was überbügeln will, auch bei der Krebsvorsorge, da steht nämlich Meinung gegen Meinung, sagt mir der Ultraschallspezialist, die können ihnen ja viel erzählen, bei dem dichten Gewebe Mammographie, ist zwar üblich aber wenig hilfreich bei ihnen, kommen sie das nächste mal wieder her und lassen sie sich nichts erzählen. Mammographie wird halt bezahlt von den Kassen, hochauflösender Ultraschall noch nicht und im interpretieren solcher Bilder sind auch nicht alle gut. Und man darf undsollte sich natürlich fragen, was, warum bei einem angewendet wird, und was das für Folgen haben kann, das machen Sie ja auch, und erkundigen sich und fahren bis Düsseldorf oder sonstwo, weil Ihnen Iher Gesundheit lieb ist und sie sich nicht einfach irgendwas verordnen lassen.
Eine schöne Lesung in Paderborn wünsche ich! Ich war noch nie in Paderborn, aber mit Paderborn verbinde ich eine Anekdote, die ich mir gemerkt habe, weil ich den Vergleich so ungewöhnlich fand und mich bis heute frage, wie kommt man dabei nur auf Paderborn.
Bei Lesetagen gab es abends ein erstes Versammeln bei Speise und Umtrunk, neben mir setzte sich ein geschätzter Autor, der mir damals noch komplett unbekannt war, ich erzählte von meinen Projekten und auch, dass ich bald mit meinen Mann nach Sao Paulo ginge, da geriet das Gespräch etwas ins stocken, beide dachten vermutlich, och, schade, und dann kam dieser Satz: Oh, Sao Paulo, äh, ja, ist ja nicht gerade Paderborn. Und, ich kanns nicht mal bestätigen, ich war ja noch nie in Paderborn;-). Ich antwortete damals meine eigentlich typischen Relativitätssätze: Ja, aber ist schon noch auf diesem Planeten. Stimmt ja auch.
[gelöscht]
@aikmaier Danke, dass Sie für eine Trennung sorgen der Diskussion um den Film und der um die Depression. Das ist zweifellos notwendig.
Der Film selbst hat bei mir keinerlei Abwehrreaktion ausgelöst. Ich fand ihn einfach uninteressant. Und durch Ihre Interpretation wird mir auch klar, warum. Es stimmt wohl, dass diese Figuren als Symbole zu begreifen sind. Damit kann ich fast immer wenig anfangen. Ich hab´s mehr, um es ganz flapsig auszudrücken, mit dem Allegorischen, also der Lücke, dem S p i e l raum zwischen Bild und Sinn, Wort und Bedeutung, statt mit der Anstrengung, sie zur Deckung zu bringen. Das ist Geschmacksache. Vielleicht. Wiewohl es natürlich auch um ästhetische, begründbare Entscheidung geht. — Das hier auszuführen, führte zu weit.
Eine Abwehrreaktion ausgelöst hat bei mir die Reaktion mancher Menschen auf den Film, auch in meinem persönlichen Umfeld, die in nuce hier im Kommentarstrang abgebildet wird, wo es nicht mehr um den Film, sondern um Depression und Depressive geht. In der Tat halte ich das meiste, was dazu gesagt wurde, für gefährlichen Unfug, aber nicht, weil mir Traurigkeit fremd wäre oder mich nie die Melancholie erfasste (und durchaus auch beschenkte), sondern weil ich schmerzhaft habe erfahren müssen, dass die Depression als Krankheit etwas ganz anderes ist. Und dass die Frage nach Ursachen zurückstehen muss hinter dem Bemühen, das Leben des Kranken zu retten, ja, dass sie kontraproduktiv sein kann.
@anh Ihre persönliche Vorgeschichte zu dem Thema ist mir bekannt.
Aber nur weil Sie Ihre Depression überwunden haben und „gesund geworden“ sind, heißt das noch lange nicht, dass das immer so läuft.
Ich empfinde es als respektlos, in dieser Weise von sich auf andere zu schließen; in diesem Fall, von Trier zu unterstellen, er könne selbst gar nicht (mehr) depressiv sein.
Da ich Ihrer Meinung nach nicht einmal über medizinisches Trivialwissen verfüge, wird es Sie sicher freuen, dass ich jetzt schweige.
„Und dass die Frage nach Ursachen zurückstehen muss hinter dem Bemühen, das Leben des Kranken zu retten, ja, dass sie kontraproduktiv sein kann.“
Hm, bedenkenswert, aber auch richtig? Wieso muss die Frage denn zurückstehen und ist kontraproduktiv? Dass erst mal akkut Hilfe her muss, ist irgendwie logisch, aber dass man nicht nach Ursachen suchen dürfe, finde ich seltsam, wieso nicht? Weil es per se keine gibt, weil eine echte Depression nun mal ursachenlos ist? Also die Fälle, die ich kenne, sind es in meinen Augen nicht, und die zunehmden Erkrankungen auf dem Sektor in den Städten, ich weiß nicht, ob die nicht auch eine andere Sprache sprechen, nämlich die, dass ein Organismus sehr wohl davon affiziert wird, wenn er krankmachenden Bedingungen ausgesetzt ist. Aber, nun gut, ich hab auch noch nie jemanden von Selbstmordversuchen abbringen müssen. Vielleicht würde ich dann auch denken, schmeißt dem sofort nen Stimmungsaufheller ein, ganz sicher würde ich das, aber dann würde ich doch anfangen zu forschen, wieso, weshalb, warum, und von den Pillen wieder wegkommen wollen, wenn eben möglich. Wie ich auch nicht scharf drauf bin, mir sonst wegen irgendwas welche zu werfen, wenn ich nicht muss. Irgendwie findet man sicher immer ein paar gute Gründe, die den einen halt fertig machen und den anderen kalt lassen. Fragt man sich dann natürlich hier, ist das ganze Herbstsche Exerzitium eine einzige Antwort auf die eigene Depressionsangst, der wenige Schlaf, dass nie pausieren können? Ich hoffe mal nicht. Wenn doch, dann hat da jemand in Abgründe geschaut, die mir bislang fremd sind, auch wenn ich sofort ein paar Gründe zu nennen wüsste, die mich mit Sicherheit auch dahin brächten, und da kann ich schlichtweg gar nicht sagen, wie ich dann reagierte. Mein Charakter legt allerdings bislang keinen strukturbasierten Lebenslauf nah, mich nervt es nämlich total, andauernd mein Leben zu planen, ich bin eher die vor sich hin Wurstlerin, und auch eigentlich nur dabei wirklich glücklich, wenn man mich wursteln lässt, müsst ich mein Schreiberleben so streng organisieren, wie Herr Herbst, ich hätte umgehend keine Lust mehr dazu, vermutlich, auch wenn ich dann mehr zuwege brächte, dass mich dann ja glücklich machen könnte, aber ich muss mich heut schon manchmal mühsam an Texte erinnern, wo ich dann denke, ach, stimmt, das hast du ja auch geschrieben, lauter verstreutes Auftragszeug, das ich dann meist schnellstens wieder vergesse, wenn ich es dann hervorkrame und lese, denk ich oft, och, gar nicht mal so übel, aber offensichtlich will mein Schreiberich sich damit nicht so richtig identifizieren, denkt weiter über sich, dass es ja nur wenig von ihm gibt und vergisst dann lieber das über das Wenige hinaus gleich wieder. Gibt Autoren, die listen alles fein säuberlich auf, ich kriegte es vermutlich nicht mal zusammen, was es alles gibt, wobei das nun wahrlich ein Pups ist im Vergleich zu manch anderem. Offenbar steigert bei mir die eigene Menge nicht die Wirkung, mich dann besser zu fühlen, eher das Gegenteil, ich denk dann oft, darüber hast du doch noch gar nicht genug nachgedacht und nachgelesen, als dass du da was Ordentliches zu zu sagen hättest, so gesehen dürfte man nur seine Klappe gar nicht mehr aufmachen, und das ist mir auch wiederum nicht ähnlich;-), aber das senf ich dann lieber ins Vorläufige, also dahin, wo ich denke, da hat es seinen Platz, und vermutlich liegt es mir darum, das Internet, da ich mich eigentlich komplett im Stadium der Vorläufigkeit wähne, eine ewige Ouvertüre. Gibts das schon irgendwo in der Oper, ein Vorspiel ohne, dass was folgte, das schiene mir sehr sinnig, sowas würde ich komponieren wollen, wäre ich ein Komponist.
[gelöscht]
.
@Ursachenforschung kontraproduktiv @Musik Nach meiner Erfahrung (aber es ist eben nur meine, wenn sie sich auch auf Gespräche mit Fachleuten stützt) hilft dem Depressiven Ursachenforschung nicht, weil er (es kann natürlich auch eine „sie“ sein) in der Regel ein sehr klares, in sich schlüssiges Erklärungssystem etabliert hat, an dem er festhält, das ihm stets erneut bestätigt, dass seine Sicht „richtig“ ist, also das Leben nicht lebenswert, die Welt schlecht und ungerecht (ich möchte das jetzt nicht flapsig klingen lassen; es ist natürlich in jedem Einzelfall komplexer, läuft aber doch darauf hinaus). Dieses System ist in sich (wie die meisten Wahnvorstellungen; ich weiß das, ich kann selbst gut welche produzieren) wie gesagt sehr schlüssig und kaum zu knacken. Der Kranke entwickelt in der Regel heftige Abwehr gegen alle Erklärungsmuster, die nicht in das System passen. Viel leichter ist er zu erreichen durch verhaltenstherapeutische Ansätze. Ich möchte nicht indiskret konkrete Beispiele hier nennen. Ich versuche es an einem fingierten. Wenn ein Kranker nicht hinaus gehen möchte, um Milch zu kaufen, können Sie mit ihm darüber reden, warum er das nicht will. Er wird ihnen viele – für ihn, vielleicht für Sie bedingt auch – gute Gründe nennen: weil Milch…, weil draußen…usw.usw. Ich bin auf solche Strukturen früher eingegangen; das war kontraproduktiv, weil es nur bestätigend und verstärkend gewirkt hat. Jetzt lasse ich das einfach stehen. Ok, er will nicht rausgehen und Milch kaufen. Soll ich also welche mitbringen? Wollen wir was anders kaufen? Es geht darum, etwas zu machen. Vielleicht sogar aus dem Symptom selbst – statt über die Ursachen zu räsonnieren. Verstehen Sie, wie ich das meine?
– Auch jenseits der Krankheit glaube ich inzwischen (im Alter ;-)) immer öfter, dass es sich mehr lohnt, zu schauen, was man aus seinen Idiosynkrasien machen kann, als wissen zu wollen, woher sie kommen. Meist weiß man´s ja auch so ungefähr. Ich lese gerade „Some hope“, einen autobiographisch „gefärbten“ Roman von Edward St. Aubyn. Horror-Familie. Er schont nix und niemand. Aber: Er macht etwas draus. Das ist spannend. Und für ihn sicher besser, als sich ewig als Opfer dieser Familie zu verstehen. Man entkommt den Zwängen nicht. Aber man kann sie zu etwas formen. Manche jedenfalls. Es muss nicht Kunst sein. Ein Patient, den ich kennenlernte, bastelte an Radios. Hier gewann er die Kontrolle, die ihm sonst fehlte.
Ach, das mit dem Internet und überhaupt diese Einstellung möglichst nichts „fertig“ zu kriegen und lieber mal einfach was so vorläufig „hinzurotzen“, so unabgeschlossen und sich auch davon wieder ganz zu lösen, bis zum Nicht-mehr-dran-Erinnern-können, das geht mir genauso. Ich glaub´ ja, dass das auch mit dem Geschlecht zu tun hat, der „Unwille zum Werk“, aber damit machte ich jetzt ein Fass auf, das eh schon überläuft. —
@Musik – Lieber Aikmaier, ich verstehe viel zu wenig von klassischer Musik, als dass ich dazu was sagen könnte. Aber Morel, mit dem ich den Film gesehen habe, hat das so ähnlich empfunden, wie Sie es beschreiben. Da könnte also etwas dran sein.
Ja, das leuchtet mir komplett ein, das mit dem nicht zu knackenden Weltbild, haben aber auch oft Nichddepressive, (siehe Betreiber dieses Blogs;-). Und auch dann die Pragmatik mit der man drauf antwortet, könnte aber auch verstärkend wirken, ich würd keine Milch mitbringen zb, ich würd denken, na, irgendwann kommt er schon von selbst drauf, wenn er Milch will. Herzlos, ich weiß, bin ich eigentlich sonst nicht;-). Ich meinte auch eher, nicht unbedingt nur den Erkrankten dann zu fragen, sondern vielleicht nach den Ursachen suchen, warum er wohl so ein Weltbild erschaffen hat, indem Milch holen ein Problem ist, denn dass er es sich erschafft, steht ja außer Frage, und ich glaube nämlich, damit antwortet er auf was, und das muss man aufsuchen, und eventuell verändern, wenn es sich verändern lässt, dann ändert sich auch vielleicht dieses Weltbild. So wie man auf Stromausfall mit Kerzen antworten kann, oder aber die Ursachen klärt. Beides ist hilfreich, akkut sind Kerzen total sinnvoll und wichtig, welche im Haus zu haben, aber dann dauerhaft auf Kerzenbetrieb umstellen vielleicht doch etwas mühsam, so für einen Mitteleuropäer, der es auch anders kriegen könnte. Deshalb möchte ich meist wissen, was sind die Gründe, nicht um am Depressiven rumzudoktorn, sondern ihn zu verstehen, womit er darauf reagiert, sprich, das depressiv machende Moment empfinde ich als etwas, das zu einem Gutteil außerhalb der. Person liegt, darum würd ich Sie allein auch nicht verantwortlich machen. Ansonsten bin ich auch schon fürs machen, aber auch mal fürs nicht machen, ich kann auch mal auf die Milch verzichten, wenn ich sie nicht holen mag zb, ich finde das zwanhafte Regeln von allem manchmal viel unerträglicher, ich kann eine Wohnung in einer Woche komplett verwahrlosen lassen, genieße es dann aber auch, es so zu tun, und räum dann nach einer Woche auf und fang an zu spülen, ich hab Aufenthalte in Berlin gehabt, da hab ich 2 Wochen meine Koffer nicht ausgepackt, so what, dann find ich es wieder schön, wenn alles an seinem Platz ist, und dann sumpf ich wieder ne Weile rum, aber was ich ein bisschen scary finde, immer einen strukturoerten Charakter abgeben zu müssen, der es immer sauber und aufgeräumt will, oder immer früh aufstehen mag, oder immer schreiben will, nein, will ich nicht, ich will mal dies und dann will ich auch mal wieder das. Ich will auch nicht 20 Sommer lang immer ins selbe Ferienhaus fahren müssen. Sich als Opfer sehen vermutlich so viele auch gar nicht, sondern eher als Schuldige, bei Depressiven, wenn ich das richtig verstehe. Ja, der Familienroman ist ein beliebtes was draus machen, das stimmt, ich mochte nur irgendwie Familienromane noch nie so wirklich, dann lieber an Radios basteln, ja, Wiedergewinnung der Kontrolle, denkt man sich aber auch, also wenn man so wie ich denkt, Kontrolle selbst ist aber eben auch the evil thing bei Vielem, ein ständiges ausbalancieren ist das alles. Und, ja, Frauen nehmen sich meist nicht so wichtig, Männer sagen ihnen, ist ein Fehler, mach das richtig, das Zeug dazu hast du und als Frau denkt man dann über die Männer, nö, wieso, du bist doch schon an der immer alles richtig machen Stelle, ich will meinen eigenen Platz, mach du dann doch mal lieber weiter alles richtig in deiner alles richtig machen müssen Welt, ich geh ma etwas Neuland entdecken auf falschen Pfaden, tschüssikowski und, ich schick mal ne Postkarte;-), so denk ich dann ganz leicht, ich kann das hassen, wenn ich vorgebetet krieg, wie ich was als Autorin zu machen habe, was ich zu lesen und wo ich fernzubleiben habe, kotzt mich sofort und komplett an, und das schaffen ausschließlich Männer, immer irgendwie erziehungsberechtigt bei mir ein einwirken zu müssen, nein, stimmt nicht, Männer mit geschlossenem Weltbild;-).
Ja, Erziehungsberechtigte sind echt schrecklich – mein Pech, das ich jetzt doppelt eine bin ;-). Und nicht zu knapp. Hab immer was zu meckern und anzuschaffen. Die verkraften das scheinbar ganz gut, meine Söhne, weil sie die Schubladen von innen gesehen haben, was sich im gemeinsamen Haushalt nicht verbergen lässt. Bei mir sieht´s meist einigermaßen (nicht gemessen an den Maßstäben meiner Mutter oder so, aber an so durchschnittlichen) ganz ordentlich aus. Man darf nur nie nicht eine Schranktür öffnen oder eine Schublade aufziehen. Ich stopfe alles immer irgendwo rein, Hauptsache außer Sicht. Im Grunde glaub ich, dass mein Kopf genauso funktioniert: er muss vollgestopft werden, damit was rauskommt. Ich brauche den Überschuss; sparsam wirtschaften, das geht nicht. Und Chaos. Aus dem wirren Zeug wird dann was. Indem ich herum renne. Aber Listen schreibe ich auch. Die hänge ich auf. Sonst folgt meist nix daraus. Ich vergesse auch immer die Milch zu kaufen ;-).
Wegen der Ursachen: Vielleicht antwortet der Kranke auf etwas außerhalb seiner selbst. Aber es ist ganz seine Antwort – keine zwingende, das muss man auch mal akzeptieren. Es ginge auch anders, vielleicht sogar für ihn. Und meistens kann man das nicht ändern, worauf er antwortet. Wenn man eine bescheuerte Mutter hatte, die mit einem Halbwüchsigen im Bett schlafen wollte (nur mal als Beispiel), dann kann man die Vergangenheit nicht ändern. Die Mutter meist auch nicht, wenn sie noch lebt. Nur sein Verhältnis zu ihr und zur Vergangenheit. Manchmal hilft ein totaler Bruch. Ich glaube, dafür muss eine/r schon stark sein. Von jemandem, der sehr krank ist, kann man das nicht erwarten. Da müssen andere für den brechen. Das ist eine Gratwanderung. Wie viel kann man einem Kranken abnehmen, ohne ihn zu entmündigen? (z.B. durch Milch holen). Es gibt keine einfachen Antworten. Furchtbar traurig ist das, wenn ein Mensch, der ein Freund ist, plötzlich zu jemandem wird, bei dem man sich solche Fragen stellt/stellen muss. Es beschädigt die Freundschaft auf jeden Fall, es bringt sie aus der Balance. Ich hoffe halt, dass es einmal wieder anders wird.
Nur: Es gibt bessere und einleuchtender Gründe gegen das herrschende Wirtschaftssystem und die Arbeitsweise einzutreten, finde ich, als die Erkrankung mancher Menschen, die sich so eindeutig ursächlich wohl nicht darauf zurück führen lässt. Mir reichen diese anderen Gründe.
Ich denke gerade sehr darüber nach, warum ich Dogville so beeindruckend fand und mich bei Melancholia so langweilte. Vielleicht hat so was sogar – auch – so banale Ursachen, wie dass ich Nicole Kidman wunderschön und Kirsten Dunst uninteressant finde. (Oweia, das Geständnis wird mir jetzt sicher Ärger einbringen.) In Charlotte Gainsbourg dagegen könnt´ ich mich direkt verlieben (wenn sie ein bisschen älter wäre.)
@aikmaier zu „aber wo bitte, sinnt Ihnen dieser film solch eine therapie an?“ Nicht der Film. Sondern mein Argument bezog sich auf die Auseinandersetzung über ihn. Den Film selbst empfinde ich, kurz noch einmal gesagt, als Zumutung für Leute mit Geschmack, kitschig, verquast schlecht in den meisten Bildern, überdies billig, weil in einem Labor, das keine Existenzangst kennt außer der, die vom eigenen Bauchnabel imaginiert wird. Darüber hinaus finde ich ihn, die Depressionskranken vor Augen, die ich erlebt habe, auch anmaßend und übergriffig. Je länger ich über ihn nachdenke, desto stärker drängt sich ein Begriff in den Vordergrund: Mißbrauch. Dieser Film mißbraucht Kranke für eine halbgare Anti-Leistungs-Ideologie. Das unterscheidet den Streifen immens von dem von diadorim herzitierten Kuckucksnest: dort nämlich wurde versucht, Ausgesonderte ins Leben zu bringen. Hier wird versucht, alle zusammen zu Tode zu bringen und das auch noch gut finden zu lassen. Ich meine: Wir werden alle früh genug sterben, und zwar jeder für sich allein. Wenn das auf mich zukommt, will ich nicht, daß andere mitgehen, sondern will, vor allem auch meine Kinder, daß sie weiterleben – so intensiv wie nur möglich. Bis die Zeit auch für sie gekommen sein wird. Aber keine Zehntel-, keine Hundertstelsekunde vorher. Vielleicht liegt der Unterschied darin, daß ich nicht nur gerne lebe, das tun ja viele, sondern nach wie vor verliebt bin ins Leben. Wie ein Pennäler. Wenn da ein idiotischer Alter kommt, um mir zu sagen: auch ich stieße mir meine Hörner noch ab, so hat er nicht nur Pech, sondern muß damit rechnen, daß ich ihm sage: Dann geh doch.
Um es deutlich zu sagen: Die Szene, in der Justine sich dem Todesstern entblößt, spätestens die, war es, wo ich kotzen wollte. Da konnten ihre Titten so schön sein, wie sie nur wollten. Mit der ein Kind zu zeugen, wär ein Verbrechen gegen das Kind. In dem Moment brach der gesamte Film für mich zusammen. Und der Ästhetizismus von Triers decouvierte sich selbst.
Ich kann es auch mit Stephan Sulke sagen: „Die Intellektuellen, bei denen tanzen die Forellen im hausgemachten Apfelmus.“ Ecco.
@Herr Urian: Nein. Es freut mich nicht, wenn Sie schweigen, sondern ob Sie schweigen oder nicht, ist mir schlichtweg so egal, wie es beleidigte Leberwürste immer schon waren. Ich habe eine persönliche unter vielen anderen beobachtenden Erfahrungen mit Depressiven, und diese Erfahrungen benenne ich und führe ich ins Feld. Wenn Sie andere dagegenzusetzen haben, dann tun Sie das, und ich werde zuhören und nachdenken; wenn nicht, dann tun Sie richtig daran zu schweigen.
Bei diesem Thema, ganz offenbar, sind wir alle berührt – nicht von dem Film, sondern von dem Thema, dessen Klaviatur er mißbraucht. Um damit umzugehen, kommen wir nicht umhin, persönlich zu werden – also uns auch persönlich verwundbar zu machen und es dann auszuhalten, wenn gegen dieses Persönliche ein scharfer Wind weht. Der von Triers Justine leider erspart wird.
@diadorim zum schlecht Draufsein. Klar ist Justine mit Recht schlecht drauf,. Sie ist aber nicht nur schlecht drauf, sonderrn krank. Deutlicher als bei der Badewannen-Szene kann man das nicht zeigen. Das ist kein schlecht Draufsein mehr, und der öde Kitsch der Szene, in der sie sich nackt (oder nur, damit wir männlichen Zuschauer ihre Titten sehen können) dem Todesstern anbietet, ist das auch nicht: sondern eine sauschlechte, extrem billige Ästhetisierung von Untergangssehnsucht. Das hätte nicht wenig Faschistoides, wäre es nicht eben ein Ausdruck von Krankheit, bei dem sich moralische Urteile verbieten.
Tatsache ist, daß Justine alle Jahre vorher immer mitgemacht hat, und zwar höchst erfolgreich. Dann, mit Erscheinen des Todessterns, ändert sich das – ganz so, wie sich die Ecvolution mit Erscheinen des Monoliten in „2001“ änderte. Kann man machen. Nur hier: Wozu? Sie sagt ihrem Chef die Meinung, wunderbare Szene. Sie vögelt in der Hochzeitsnacht mit einem anderen Mann, ebenfalls wunderbare Szene. Aber dann fängt sie an, sich zum Opfer zu stilisieren, schlecht christlich: opfere dich, und das Himmelreich wird dein sein. Es leben die Sitzpinkler, klar.
Denn eigentlich hätte es jetzt wirklich losgehen müssen: wie behaupte ich mich gegen all diese Verlogenheit, wie komme ich durch, ohne daß ich mich noch beuge? Da wäre der Film für mich interessant geworden.
Aber nein, er bleibt in der heilen Welt weniger Hochreicher. Das ganze Szenario würde schon nicht mehr funktionieren, spielte es unter Menschen, die sich um ihre Existenz Sorgen machen müssen. Hier muß ja nicht mal mehr gearbeitet werden: fantastische Grundlage zur Pflege einer solchen Melancholie. Schlichtweg luxuriös. Pardon, aber wenn es so ist, dann kann ich nur darum beten, daß uns die Dritte Welt so schnell wie möglich überrennt. Dann haben auch fundamentalste Islamisten recht.
Es ist aber so nicht. Manche finden es lediglich wieder sehr chic, die eigene Pubertät zu reiben und – ohne Orgasmus zu bleiben, weil sonst die Melancholie ihren Grund an sich selber verlöre. Justine ist extrem narzißtisch – auch das scheint wenigen aufgefallen zu sein. Zudem ist sie unproduktiv. Psychoanalytisch könnte man sogar sagen, daß sie der Schwester das Kind wegnimmt, weil sie es selbst nie zu einem gebracht hat. Was ihren Narzißmus quält.
Nur so als These. Damit wir wissen, auf welcher Seite wir stehen. So etwas hilft.
@aikmaier zum Kunstbegriff. wir haben es in ‚melancholia‘ mit einem kunstwerk zu tun, das, allein schon weil es die hier nachzulesenden persönlichen abwehrreaktionen und reflexionen hervorruft, diesen status beanspruchen kann. Das ist wirklich toll. Leichter ist nichts herzustellen, als das, was Abwehrreaktionen hervorruft. Das mach ich Ihnen zehnmal am Tag – und zwar raffinierter. Was meinen Sie, wenn dreiundzwanzig Jungs daherkommen und Ihre Frau niederprügeln, wie enorm Sie abwehren werden! Und wenn ein, sagen wir, Herr Warhol, ins Seminar scheißt, ich meine das wörtlich, wird man sich ebenfalls entrüsten und damit seiner Aktion zum Kunststatus verhelfen. Gar keine Frage.
Ja, die Dinge sind persönlich. Das Kinderopfer zum Schluß des Films, daß darauf auch noch jubiliert wird, macht mich sprachlos. Und wütend. Ich kann nur hoffen, daß Sie eines Tages selbst ein Vater werden, der sein Kind auch liebt (das tun bekanntlich nicht alle). Dann erst, offenbar, können wir über diesen Casus weitersprechen.
Wenn ich schon sterben muß, sollen auch alle anderen sterben. Dann bin ich befriedigt. Wenn ich schon leide, sollen auch alle anderen leiden. Da ich vorbereitet bin und leiden w i l l, bin ich stärker als alle. Daraus ziehe ich meinen Genuß.
Wenns Ihnen hilft, bitte. Ich finde Ihre Argumentation immer abstruser, denn die Dame wurde gerade zur Art Direktorin ernannt, offenbar hat sie was geleistet, nicht im Sinne der Kunst, aber im Sinne der Welt und ihres Leistungsgedankens im 21 Jhdt, dass sie an ein paar Tagen nach der Hochzeit und angesichts des Weltuntergangs unproduktiv ist, nun denn, das kann ich ihr glatt verzeihen. Und das Kind gehört wohl niemandem, es ist ein neuer Mensch, der ganz sein eigenes Recht hat auf sein Leben. So wie jeder es von uns beansprucht. Es ist keine Leistung, die man erbringt! Ich hab mit einer Studentin gelebt, deren Mutter sie jedes Wochenede terrorisiert hat, dass sie auf jeden Fall nach Hause kommen musste, und Juliana tat immer, wie ihr geheißen. Sie tat mir leid. Ja, ich halte die Pflege von Melancholie für produktiv, nicht für jeden, aber bei mir ist sie es, ich höre melancholische Lieder gern und schreibe meinen schönsten Texte, wenn ich melancholisch bin, und ich weiß, damit bin ich nicht allein, denn davon ist die Welt voll, ich habe mich für die Kunst entschieden und damit für die Melnancholie, das eine gibt es nur selten ohne das andere. Die heile Welt weniger hochreicher ist nicht heil, nie gewesen, der Vater scheint kein hochreicher zu sein, offenbar ist es die Schwester durch Heirat geworden, Justine geht arbeiten. Und Melancholie haben sich auch Arme geleistet, Karl Philipp Moritz etwa. Sie reagieren auf Blumenstilleben mit Allergie, und bezichtigen aus diesem Grund dann das Stilleben, schlecht gemalt zu sein.
Ähm Kinderopfer, ich glaub, es ging die Welt unter, das betraf noch ein paar mehr Menschen und Melancholie trat damit in jeden ein. Sie gebärden sich doch voll altchristlich hier, in dem Sie Melancholie behandeln wie eine Todsünde. Wenn sie Melancholie aus der Kunst rausrechnen, dann bleibt nicht mehr viel, Freude schöner Götterfunken vielleicht noch, bitte, damit allein wollte ich nicht weiter müssen, so als Autor, und sie ja wohl auch nicht.
Die Welt schert sich keine Deut darum, es sollen nicht alle anderen sterben,es sterben eh auch alle anderen, so wird ein Schuh draus, und damit muss man irgenwie klar kommen, die einen so, die anderen anders.
@diadorim zu dem, was man will. Es liegt mir – ja, obwohl ich ein Mann bin und das sehr sehr gerne bin – vollkommen fern, Ihnen irgend eine Vorschrift machen zu wollen; vielleicht liegt, daß Sie es nervt, ja an Ihnen und nicht an „den“ Männern? vielleicht haben da S i e eine Projektion? Ich gebe höchstens Ratschläge, Männern w i e Frauen, ich unterscheide da nicht, und gebe sie auch nur dann, wenn mir ein Leiden an der SoUndSoSituation geschildert und gesagt wird, man, ob Weib ob Kerl, wisse nicht mehr weiter. Wenn man den Ratschlag nicht will, dann muß man mir das Leid nicht schildern, denn ich werde es auf keinen Fall mitfeiern, mich also nicht in diese onanistisch genossenen Ausweglosigkeiten hineinziehen lassen. Das aber ist die Struktur. Lars von Trier feiert sie, und alle irgendwie MitUnbefriedigten feiern sie jetzt offenbar mit. Vielleicht ist das chic, kann sein, so, wie No Future eine Zeit lang chic war. Vielleicht ist das auch in bestimmten Kreisen Mainstream. Bitteschön. Nur als Kunst lasse ich mir das nicht verkaufen. Schon gar nicht mit Melancholias abgelutschten Bildern und einer redundant eingesetzten eigentlich großen Musik, deren Urheber sich, weil zu lange tot, gegen die regressive Verwendung einzelner aus ihrem Zusammenhang herausgelöster Motive nicht mehr wehren können.
Aber zurück: wenn Sie Ihren Tag nicht einteilen wollen, dann teilen Sie ihn halt nicht ein. Wenn Sie keine Milch kaufen wollen, kaufen Sie sie halt nicht. Wenn es Sie nicht interessiert, ein Werk zu schaffen, dann schaffen Sie halt keines. Das ist kein Unglück. Ein Unglück aber ist, aus dem IchWillNicht eine Ideologie zu basteln gegen die, die wollen. Ich meinerseits habe es nie als ein Unglück empfunden oder als etwas, das geändert werden müsse, wenn andere nicht, wie ich’s tu, ihre Tage scharf organisieren. Mir ist das schlichtweg wurscht, was andere tun.und das schaffen ausschließlich Männer, immer irgendwie erziehungsberechtigt bei mir ein einwirken zu müssen, nein, stimmt nicht, Männer mit geschlossenem Weltbild;-).Mich jedenfalls könne Sie damit nicht ernsthaft gemeint haben, auch wenn es anders klingt. Meinen besten Freund auch nicht, überhaupt meine Freunde nicht, die männlichen; alle denen wäre das vollkommen egal – bis Sie um Rat bitten. Dann wird man, und würde auch ich, sagen, was man meint. Daraus dann wird von Ihrer Seite vielleicht ein „der will mir sagen, was zu tun ist“ gemacht. Nein. Vielmehr haben Sie gefragt: Was ist zu tun? Und eine persönliche Antwort bekommen.
Justine hat im ersten Teil des Films begonnen, eine eigene Haltung zu entwickeln. Und als sie die Konsequenzen ziehen hat müssen, versagt. Sich nämlich in die Krankheit zurückgezogen. Du mußt nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze und fraß sie.
Es sterben eben n i c h t alle andern. Also nicht zur gleichen Zeit. Wenn Justine sterben will, dann soll sie’s tun. Kein Mensch heult ihr nach, ich am allerletzten. Ich heule dem Kind nach. Der Justine reichte ich die Pistole persönlich, und persönlich – dieser Justine – sähe ich zu, ob sie den Mumm hat. Hat sie ihn, hat sie meine Achtung. Alles andre ist wohlfeil.
Nein, ich rechne die Melancholie n i c h t aus der Kunst heraus, aber ihre Verdinglichung, wie dieser Film sie vorführt in seiner horrenden Warenästhetik. Ich kann es auch s o sagen: Melancholie, hier, ist Pop. Er bedient nicht nur, sondern i s t die Ästhetik des Kapitalismus. Die reine Oberfläche, widerstandslos.
„ich habe mich für die Kunst entschieden und damit für die Melnancholie, das eine gibt es nur selten ohne das andere“. Woher wissen Sie das? Wer setzt diese Norm? Sie? Ich setze eine dagegen. Und nun? Vor allem, wenn Melancholie auch Kitsch sein darf, auch schlecht sein darf. Hauptsache Melancholie.
Ich erlaube mir, diese Position selbstmitleidig zu nennen, und zwar narzisstisch selbstmitleidig. Also, das möchte ich gerne sehen, wie Sie barbusig sich einem neuen Mond darbieten vor alleden Zuschauern, möglichst noch sich räkelnd wie Justine (und immer dieser Name nach de Sade – weshalb wohl?).
Ich h a t t e, diadorim, mein Stelldichein mit dem Tod schon, zweimal. Das genügt für ein Leben. Wenn er das dritte Mal kommt, dann gewiß nicht, weil ich ihn rief. Ich habe mich für die Kunst entschieden und damit für die Melnancholie ist ein, schlicht gesagt, sehr dummer Satz, der von der Kunst nur sehr wenig weiß.
Ich meinte Sie nicht und wüsste auch nicht wo ich einen Rat bekam und wofür? Der Totentanz ist schon chic gewesen, da gab es Pop noch gar nicht, und wir schauen uns das grausligste Zeug der Vernichtung an, Endzeitszenarien, Weltuntergänge, Waden mit Mühlsteinen beschweren und seinen Mann damit foltern, Supersache, prima, spielen Counterstrike, ballern Leuz nieder, aber funktionieren wir wie Justine Claire Leo oder sonstwer in Filmen, nein. Sie können der Justine nix reichen, vielleicht Kirsten Dunst, und dem Kind, dem Sie nachheulen, das wird noch reüssieren in einer Pop Welt vielleicht als der nächste Johnny Depp. Was Sie da anbieten steht jetzt ganz gegen Ihre anderen Forderungen im Umgang mit Depressiven, hier, erschieß dich doch, ist jetzt also Ihre Lösung, interessant.
Ich hab noch ein Leben nun, dann weiß ich eben von der Kunst nix, und sie werden Werke für die Ewigkeit schaffen. Amen.
Den Film selbst empfinde ich, kurz noch einmal gesagt, als Zumutung für Leute mit Geschmack, kitschig, verquast schlecht in den meisten Bildern, überdies billig,
Das mag ich teilweise konzedieren.
weil in einem Labor, das keine Existenzangst kennt außer der, die vom eigenen Bauchnabel imaginiert wird.
Warum immer mit der rhetorischen Axt? – Das wirkt doch so, als wollten Sie sich nicht einlassen. Nicht auf den Film, nicht auf die Versuchsanordnung. (Warum kann man nicht, wie MelusineB schrieb, aus den eigenen Idiosynkrasien Erkenntnisgewinn ziehen? – Wäre die heftige Abwehrreaktionsrhetorik nicht Symptom einer solchen?)
Darüber hinaus finde ich ihn, die Depressionskranken vor Augen, die ich erlebt habe, auch anmaßend und übergriffig.
Je länger ich über ihn nachdenke, desto stärker drängt sich ein Begriff in den Vordergrund: Mißbrauch.
Warum so moralisch? Welche Kunst braucht den Moral? Würden Sie sich bei Ihrem eigenen Werk nicht gegen jeden moralischen, politisch-korrigierenden Einspruch heftigst wehren?
Dieser Film mißbraucht Kranke für eine halbgare Anti-Leistungs-Ideologie.
1) Nein. Weil er Depression verklärt (wenn er das tut), muss er auch Nichttätigkeit verklären? Das Gegenteil ist doch eher der Fall. Genießt der Zuschauer es, minutenlang zu sehen, wie Justine es nicht schafft in eine Badewanne zu steigen? Wird das als eine Heldentat gefeiert? Sieht es in diesem Film wie ein Zuckerschlecken aus, mit jemandem wie Justine oder deren Mutter zusammenzuleben?
2) Selbst wenn es so wäre, wäre das so schlimm? (Auf die Leistungs-Ideologie pfeifen doch auch schon so Postillen wie die Zeit, die sie selbst perpetuieren.)
3) Haben Sie und andere doch immer herausgestellt, dass der Regiesseur so untätig nicht war, immerhin hat er diesen Film fertiggestellt.
Das unterscheidet den Streifen immens von dem von diadorim herzitierten Kuckucksnest: dort nämlich wurde versucht, Ausgesonderte ins Leben zu bringen.
Warum immer diese scharfen Dichotomien? Hier Leben – dort Depression. In ähnlicher moralisierender Weise wie oben könnte ich auch beim Kuckucksnest problematisieren: diese Naivität, mit der da jemand die Kranken aus der Pillen-Elektroschock-Klinik ins Leben holen will, ist das nicht genauso Verklärung, Verharmlosung der Krankheit? Feel-Good-Hollywood, nur die böse Gesellschaft hat weiter ihre fiesen Kliniken? – Wenn Sie es wollten könnten Sie diesem Film so gleichermaßen einen Strick draus drehen.
Ist Diadorin eigentlich „die Weberin“? Das habe ich mich schon oft gefragt.
@Phorkyas zum vorgeblichen mich nicht einlassen Wollen. Das wirkt doch so, als w o l l t e n Sie sich nicht einlassen. Nicht auf den Film, nicht auf die Versuchsanordnung. (Warum kann man nicht, wie MelusineB schrieb, aus den eigenen Idiosynkrasien Erkenntnisgewinn ziehen? – Wäre die heftige Abwehrreaktionsrhetorik nicht Symptom einer solchen?)Was ich meine ist die mir zu banale Billigkeit, eine Versuchsanordnung zu konstruieren, die jede Frage nach der Realität außer acht lassen kann, also: wovon lebe ich morgen, wie verdiene ich meine Brötchen usw. Das ist das, was ich mit luxuriös meine. Wenn der Film überhaupt eine Aussage treffen kann, dann nur innerhalb dieses mir viel zu eng begrenzten und abgehobenen Rahmens. Tut er es für ein Phänomen, das weit über diesen Rahmen hinausgeht, ja das eine Leidensgeschichte von vielen impliziert, reagiere ich ästhetisch so ungehalten, wie man wissenschaftlich reagieren würde, wenn eine Probandengruppe aus sagen wir drei Leuten, möglichst aus dem Forscher persönlich Bekannten, gebildet würde und aus denen dann eine statistische Ausage für viele gezogen. Ich habe so etwas, seit ich schreibe, für poetologisch unlauter gehalten und halte es weiterhin dafür. Ja, das ist auch eine moralische Frage, aber eben auch eine der Erkenntnistheorie, zu der ich die Künste hinzurechne.
Würden Sie sich bei Ihrem eigenen Werk nicht gegen jeden moralischen, politisch-korrigierenden Einspruch heftigst wehren?Gewiß, wenn die an mein Werk angelegte Moral meinen, bzw. den Intentionen meines Werkes zuwiderliefe. Genau daraus aber ergeben sich Erkenntnisgewinne, aus den Diskussionen und Abwehrbewegungen. Moralische Einsprüche erfolgen immer doch dort, wo eine andere Moral sich gefährdet fühlt; bereits Relativierungen sind solche Gefährdungen.
Genießt der Zuschauer es, minutenlang zu sehen, wie Justine es nicht schafft in eine Badewanne zu steigen?Ich hoffe, nicht, wenngleich manch affirmierender Kommentar das, wenigstens als Alternative, nahezulegen scheint. Ich halte Depression nicht für eine Alternative und ihre Konsequenzen, affirmiert, für katastrophal.Sieht es in diesem Film wie ein Zuckerschlecken aus, mit jemandem wie Justine oder deren Mutter zusammenzuleben?Die Mutter hätte ich längst hochkant hinausgefeuert, und wenn Justine nicht bereit wäre, ihre Krankheit behandeln zu lassen, dann sie gleich hinterher. Beide sind erwachsen und überdies nicht unvermögend, so daß nicht einmal soziale Verelendung zu erwarten wäre.Auf die Leistungs-Ideologie pfeifen doch auch schon so Postillen wie die Zeit, die sie selbst perpetuieren.Eben. Sein wir alle mal bigott. Auch Sozialhilfe, übrigens, muß aus irgend einem Topf, der ständig gefüllt werden muß, finaniert werden können.Haben Sie und andere doch immer herausgestellt, dass der Regiesseur so untätig nicht war, immerhin hat er diesen Film fertiggestellt.Unbestritten. Ich glaube ja auch nicht, daß er während der Dreharbeiten depressiv war. Er benutzt Depression, als Material – das ist nicht zu kritisieren, da Künstler, wenn sie etwas bearbeiten, es immer mit Material zu tun haben. Meine Frage, bzw. meine Feststellung bezieht sich darauf, zu was er es benutzt, also was er dieses Material aussagen läßt.
Warum immer diese scharfen Dichotomien?Weil es eine Dichotomie i s t. Und selbstverständlich haben Sie recht, daß sich der Kuckucksnest-Film ebenfalls kritisieren läßt. Ich habe auch gar nichts gegen Verklärung, sondern ich habe etwas gegen eine negative Verklärung, die den Untergang feiert, zumindest will. Ich hätte für so etwas Verständnis, als Verarbeitungsform, wäre von Trier ein tief traumatisiertes sagen wir Folteropfer. Selbst dann wäre mir aber der begeisterte Zuspruch solcher, die es nicht sind, hochgradig verdächtig – und zwar in einer ganz ähnlichen Weise, wie sie Enzensberger motivierte, scharf gegen Adornos Diktum vorzugehen, nach Auschwitz könne kein Gedicht mehr geschrieben werden.
P.S.: Was ich zu von Triers Film-selber zu sagen hatte, habe ich oben in meiner Kritik gesagt; vieles spätere bezieht sich dann auf, und reflektiert sie, die Kommentare. Da nehme ich dann andere Lesarten, etwa >>>> Kehrmanns, ernst, verfolge sie weiter und frage nach den Konsequenzen.
Man möchte hier am Grabe der Melancholie die Faust ballen und sagen, Melancholie, der Kampf geht weiter, denn, wenn man eins von Trier vorwerfen kann, dass er sich in die Tradition von Melancholie, Genie und Wahnsinn mit einschreibt, und die ist so wenig neu, wie sie besonders originell ist. Nach der Melancholie ist vor der Melancholie, wenig Liebeslyrik, die ohne sie ausgekommen wäre und auskommen wird, Erinnerungen an die Marie A und eine Wolke, so ungeheuer oben, etwa. So lang auf Erden an Endlichkeit gelitten wird, wird es sie geben, die Melancholie, nur ein unbeugsamer Melancholieverteufler hört nicht auf ihr erbitterten Widerstand zu leisten. Im Kinosessel des Lasar Segall Kinos war ich von diesem Untergang berührt, und wie Brecht werde ich die Menschen bald vergessen haben, aber dieser wundersame tragisch schöne Planet, kurz bevor er die Erde schluckt, der wird mir wohl in Erinnerung bleiben als eines der schönsten Kinobilder, das ich kenne, und was mich daran erinnert, da draußen, unendliche Weiten und der bestirnte Himmel über mir…
Dies ist nicht das Grab der Melancholie. Sondern dem, der mit Melancholie Kitsch treibt, wird – von meiner Seite – auf die Finger gehauen, nein, Unfug: er kriegt vielmehr eine Ohrfeige von mir, und zwar mit dem Handschuh. Es soll ja nicht wehtun, und die Sekundant:innen stehn ihm zur Seite.
Melancholie-selbst ist davon unberührt; mit ihr duellier ich mich nicht. – Interessant freilich Ihre letzte Formulierung, in der des Raumschiffs Enterprises Vorspann mit Kant kombiniert wird, und zwar empathisch, nicht etwa ironisch – und auch nicht, um Wirklichkeit zu gestalten. Darüber möchte ich nachdenken, nämlich melancholisch: wäre es nicht ein „Gestirn“, daß da >>>> die Erde vernichtet, sondern, wie bei Pynchon, eine Wasserstoffbombe – ob Sie auch dann noch von „schön“ sprechen würden? („Die Erde und alles, was auf ihr lebt, hat ihre Vernichtung verdient, jedes Kind, jedes Paar, das frisch verliebt ist und noch wagt zu lachen – haut ihm die Fresse weg! -, jede alte Frau, die sich über eine Postkarte freut – verbrennt sie lebendigen Leibes, ich will ihr Schreien hören! -, jede Note Musik sowieso und jedes Gedicht wie jeder Kranke, der noch hofft, das widerliche Arschloch!… danke dem, der den Knopf gedrückt hat und mir nun dieses melancholisch-schöne Erlebnis vermittelt.“)
Na ja, die Wasserstoffbombe wäre ja der selbstgemachte Untergang, mithin ausweichlich, prinzipiell, darum mag ich Pynchon vermutlich auch nicht, da ist immer alles vom Menschen gemacht, wenn, dann ist man wenigstens seines eigenen Unglück Schmieds gewesen, immer noch besser, als irgendwem oder irgendwas anderen/m ausgeliefert sein, was man nicht vorhersehen konnte, selbst im Untergang sich sagen können, wir habens ja gewusst, Kontrollbedürfnis der Menschheit selbst in dem, was sie nicht kontrollieren kann (siehe Fukushima), aber ich seh tatsächlich einen Unterschied darin, von etwas dahingerafft zu werden, was der Mensch gar nicht beeinflussen konnte, als von etwas, dass er sich selbst zuzuschreiben hat, darin liegt der Kern der Melancholie, sie entsteht dort, wo man mit dem Unausweichlichen konfrontiert wird, etwas, das man nicht beeinflussen kann, die Erkenntnis, dass wir letztlich machtlos sind gegen das Ende und das es kommen wird, was man ja irgendwie, wem auch immer sei Dank, so wirklich gar nicht begreifen kann, so lang man lebt, da ist Melancholie vermutlich ein Erkenntnisinstrument, das irgendwie begreiflich zu machen, ohne dass es einen aber schon komplett lahmlegt. Also müsste ich so dem Untergang entgegen gehen,würde ich vermutlich denken, ach der Mensch, er hat immer gedacht, er kann alles regeln und siehe da, weit gefehlt, liegt daran, dass mir auktoriale Perspektiven nicht liegen und mein Kontrollbedürfnis geht gegen Null, ich denke nicht in Strafe und ich denke auch nicht, die Welt ist böse, ich denke, sie existiert und wenn sie irgendwann nicht mehr existiert, ist es eben so, es hat keinen tieferen Sinn, der sich uns erschlösse, ich glaube, das ist der andere Pol der Melancholie, die Sinnfreiheit, denn wir sind ja allem Sinn gebende Wesen, und daneben existiert vielleicht etwas, was sich um unsere Sinngebebung einfach gar nicht schert, das kann schon melancholisch machen. Beim selbstinduzierten Untergang kann man ja immer noch sinnvoll wütend sein und sagen, der böse Mensch. Passt deshalb eigentlich auch nicht so wirklich zur Melancholie bei der Justine, dass sie die Welt böse findet, ist nicht zwinged Teil ihrer Depression, aber passt zur Rache des Depressiven, wenngleich ich glaube, ein Depressiver rächt sich nicht, das wäre ja auch wieder Bezugnahme auf ein System, dem er sich entzogen hat mit der Depression. Und landläufig empfundene Trauer halte ich für Unwahrscheinlich, wenn man selbst ein paar Stunden später ebenso sein Leben los sein wird. Wenn ich den Film anschaue und die Menschen, wie sie auf den Untergang reagieren, dann kann ich sagen, ich glaub ich kann alle verstehen, bzw, ich hab von allen einen Teil in mir, der so reagieren könnte, hysterisch, gefasst, illusioniert und mir meiner eigenen erkenntnisgrenzen so bewusst, dass ich es nicht ertrage, das den geliebten menschen meiner umgebung, die ich sonst immer beschützen konnte, zu eröffnen, hallo mein Schatz, ich hab mich geirrt, und wie du ja mit dem ganz einfach Instrument unseres Sohne sehen kannst, das wars dann gleich, hol schon mal den Schampus raus. Wünschen würde ich mir, die Augen nicht zu verschließen, und noch was mitzubekommen davon, ein letztes Bild, das macht aber nur der Kinobesucher, wie er es immer macht, wenn er lustvoll den Untergang anschauen geht, und das macht er nicht selten und ich halte es nicht für verewerflich, diese, was wäre wenn Szenarien zeichnen wohl unser Menschsein aus.
Ein absolut gelungener Film Gregory Crewdsons Ästhetik hat von Trier wohl imponiert, die Ausleuchtungen, die Endzeitspots. Ich habe die Kommentare nur überflogen, die vom Herrn Kehrmann leuchten mir sehr ein, die Rache des Depressiven, ja, vielleicht. Es ist aber auch eine Antwort auf das ganze Untergangshollywood, wo dann zu guter letzt doch eine kleine Kolonie, eine letzte Familie, eine letzte Keimzelle, bis hin zu McCarthy, wo ja eigentlich auch alles schon verloren scheint, trösten soll und alles wieder rausreißt, zurück auf Anfang, aber jetzt machen wir es besser, versprochen. Siehe, der Mensch ist schlecht, aber er kriegt eine zweite Chance, nachdem er alles kaputt gemacht hat, selbst bei Animationen wie Wall-E, und, Kitsch ist vielleicht auch die Annahme: Das Leben findet einen Weg. Jo, vielleicht, vielleicht aber auch nicht, hat ja wohl auch schon mal ein Kosmosklumpen die Erde getroffen, warum nicht mal ein Planet, mit dem wir nicht gerechnet haben. Und dass wer so eindeutig gemütskrank ist und wer anderes eben auf alles mit Pragmatik antwortet, nun, ich würde sagen, die zweit Seiten einer Medaille, angesichts von Endlichkeit, ob da jeder immer so den Bennschen Luther rauskehrt sein Leben lang und noch mal einen Apfelbaum pflanzt, ich kann mir unendliche viele Situationen imaginieren, wo die Todessehnsucht überhand nehmen kann, und wenn jemand wie Justine auch noch gegängelt wird von Menschen, die sich weder mit ihr freuen wollen noch können, denn offensichtlich, so beginnt der Film, hat das Paar im viel zu großen Hochzeitsschlitten, der die Kurve nicht kriegt (Achtung, Metapher!) noch eine Riesengaudi, nur dann wurd man leider dran erinnert, ach ja, man habe sich ja jetzt im Kreise der Verwandtschaft nach ihren Spielregeln zu freuen, und alle anderen wissen ja mal wieder besser, wie das mit dem Freuen geht (auch Herr Herbst manchmal, was dann ja auch nervt;-), aber das Konzept, jetzt freu dich doch, und weißt du, was das alles gekostet hat, was man für dich hier macht, das funktioniert eben nicht, hat noch nie funktioniert, das: wenn ich an deiner Stelle wäre, dann wär ich aber jetzt sowas von glücklich, ist nämlich der größte übergriffige Bullshit womit man auf Depression antworten kann, und füttert sie nur weiter. Sich der Endlichkeit des Daseins qua Melancholie gewahr zu werden, halte ich für die Geburt der Kunst, und davon, scheint mir, handelt nicht zuletzt der Film, neben zwei großartigen Darstellerinnen, konnt ich sogar einen diesmal gar nicht üblen Sutherland ertragen, ziehe vor Kirsten Dunst den Hut und liebe Charlotte Gainsbourgh. Und, by the way, Depression ist nicht gleich Depression, und manche speist auch einen, wie sagt man, ‚gesunden‘ Realismus.
„DEPRESSIVER REALISMUS
Einige Forscher glauben, dass Depressive in gewisser Weise und in bestimmten Situationen die Welt eigentlich sogar realistischer wahrnehmen als Nicht-Depressive. Diese Einschätzung basiert auf einem simplen Experiment: Versuchspersonen müssen hin- und wieder eine Taste drücken, ab und zu geht eine Glühbirne an. Die Versuchsleiter kontrollieren, ob das Drücken der Taste tatsächlich einen Einfluss auf das Leuchten des Lämpchens hat, und wenn ja, wie groß der Zusammenhang ist. Bei manchen Probanden geht die Lampe einfach in zufälligen Abständen an, der Tastendruck hat keinerlei Einfluss darauf.
Nicht-depressive Patienten schätzen nach einem solchen Experiment ihren eigenen Einfluss auf das Leuchten des Lämpchens regelmäßig zu hoch ein. Selbst wenn es gar keinen Zusammenhang geben sollte, glauben viele, ihr Tastendruck hätte zumindest gelegentlich zum Aufleuchten beigetragen. Sie erinnern sich gewissermaßen bevorzugt daran, wenn ihr Tastendruck mit dem Lichtschein zusammenfiel.
Depressive Probanden dagegen sind in ihren Einschätzungen über den Zusammenhang erstaunlich genau – sie bilden sich nicht ein, etwas zu beeinflussen, wenn sie das gar nicht tun. „Dieses offenkundige Händchen von Depressiven, sich (…) in ihren Einschätzungen nicht irreführen zu lassen, hat man ‚Depressive Realism‘ genannt“, schrieben Lorraine Allan von der McMaster University in Hamilton, Kanada, und ihre Kollegen im Jahr 2007 in einer Studie zum Thema. Dieses präzisere Urteil habe zu der Einschätzung geführt, Depressive seien „trauriger, aber weiser“, so Allan und Kollegen“ (The Quarterly Journal of Experimental Psychology, März 2007).
@diadorim Ihre Ausführungen sind mir sehr nahe gegangen und ich kann sie in allen Aspekten nachvollziehen. Depression könnte zu einem Gutteil auch als Desillusioniertheit bezeichnet werden. Es wird Zeit, dass ich endlich meine eigene Interpretation zum Film aufschreibe,
„traurig, aber weise“: zum „Depressiven Realismus“. [Im Unterwegs notiert, deshalb nur knapp:]
Schon interessant, daß der, sagen wir, Freundeskreis der Depression mit von Triers für mich geradezu unsäglichem Kitsch gar kein Problem zu haben scheint, sondern ihn durch kunstästhetische oder kunstgewerbliche Bezüge nobilitiert, selbst das grob Manipulative daran wird fast begrüßt.
Was aber „traug, aber weise“ anbelangt und das ebenfalls begrüßte DesIllusionierende, so kann ich als Vater nur sagen: wehe den Kindern, die solchem im Elternhaus ausgesetzt würden.; solche Kinder, nämlich, erkranken. Wäre so jemand im Umkreis meines Jungen mit Einfluß auf ihn tätig, würde ich alles, aber auch alles unternehmen, um diesen Einfluß zu unterbinden. Ich bitte, daran zu denken, daß es sich bei einer Depression um eine Krankheit handelt. Kein einigermaßen mit Vernunft begabter Mensch käme auf die Idee, etwa Bauchspeicheldrüsenkrebs für etwas besonders Erstrebenswertes zu halten, auch Polio, zum Beispiel, nicht; den Erkenntnisgehalt von Malaria würde man ebenfalls eher als gering einstufen. Für Krankheiten des Geistes indes scheint es immer noch so etwas wie eine libidinös besetzte Romantik des Siechtums zu geben. Der Hintergrund dafür scheint mir zu sein, daß Krankheiten des Geistes immer noch nicht in gleichem Maß als Krankheit akzeptiert werden wie solche des Körpers. Der Geist ist aber selbst Körper und nichts darüber hinaus: organisch nämlich. (Was er darüber hinaus s e i, ist ein Teil jener Illusion, deren Zerstörung nunmehr begrüßt wird: ein bemerkenswerter Zusammenhang, auf den hier der „Depressive Realsimus“ sein schwarzes Licht wirft.)
Ich stehe vollen Herzens & Geistes auf der Seite der Illusion. Ohne sie gäbe es weder Kultur überhaupt, noch führe irgendwo eine Eisenbahn.
Es steckt in der Depression kein Erkenntnispotential! Mich erschreckt diese Feier der Krankheit, die aus diadorims und kienspans Reaktion auf den Film spricht (oder mir zu sprechen scheint) sehr. Dass Depression Desillusioniertheit wäre, bestreite ich heftig. Illusionen (nicht Fiktionen, die nie!) aufzugeben, kann befreiend wirken, eine Depression ist ein Gefängnis. Wer mit Depressiven Umgang hat, weiß das. Und nichts tut ihnen mehr Unrecht und fügt ihnen mehr Schaden zu, als ihre Krankheit zu verherrlichen.
Der Film hat mich, während ich im Kino saß, fast nur gelangweilt. Die Diskussionen darüber sind tausendmal spannender gewesen. Allerdings auch erschütternder. Der Film kann mir nichts anhaben, aber dass es eine Sehnsucht nach der Krankheit gibt (ich könnte auch sagen: nach der Flucht in die Krankheit), die sich in diesen Bildern ausgedrückt fühlt, tut mir weh. Ein Mensch, den ich sehr mag, ist depressiv. Ich fürchte allezeit um sein Leben. Dieser Film – und das Gerede darüber – hat ihn wieder mal an diese Schwelle gebracht, wo ihm der überhöhte schöne Tod als das erscheint, was seiner Krankheit den Schein der Weisheit verleiht.
Nein, es ist nicht klug, das Leben zu verneinen. Es ist Verrat. (Es sei denn, man ist krank.)
Boah ey, kann ich nur sagen, wer das Artifizielle und die Kunstgeschichte negieren will an diesem Film, der muss halt weiter ununterbrochen von Krankheit und Depression quatschen, hallo, der Film heisst Melancholia, hallo, der Film verfährt symbolisch, da fliegt niemand übers Kuckucksnest, hallo hallo Ground Control. Da scheinen sich ja ein paar Leuz massiv bedroht zu fühlen, von was eigentlich, dass man sich in der Menschheitsgeschichte immer mal wieder Gedanken ums Ende macht? Wer verneint denn das Leben, häh, bringt Frau Dunst sich um, nö, die hat ihrem sehr liebevollen Ehemann noch die Hand zwischen ihre Beine gesteckt und sieht in mehreren Sequenzen mit ihm echt glücklich aus, daneben inszeniert man ihr ein Leben, in dem sie offensichtlich aber nur Gast sein darf. Frau Gainsbourgh hätte gern ihr schönes Leben weitergeführt, hätte ich auch gern, und, by the way, die Tatsache, dass es tausend Dinge gibt auf die man sich täglich immer wieder freut, wenn sie mich darauf verpflichtet, nicht auch trauern zu dürfen, um all das Schlimme, was einem im Leben auch noch passiert, ist das Folter. Was ein hahnebüchener Quatsch, als wenn Kinder iher Eltern nie mal traurig oder nachdenklich erleben dürften, als wenn man jeden Tag gleich gut drauf ist und als wenn der Film eine Art Depressionsverherrlichung sei, so ein Käse, da steht dick und fett MELANCHOLIA, und dann werden Bilderreigen um diese entworfen, mal nachdenken, hmmm. Ich kenn kaum Depressive, meine Tante, eingeheiratet, nicht dass falsche Vermutungen kommen, habe ich als Kind immer als liebevoll und nett erlebt, meine Cousine sagte mir, solche Mutter wünsche sie niemandem, tja, mag sein, sie war nur in den Momenten, wo ich sie erlebte eine absolut liebenswerte Person. Mit den Krankheiten des Geistes ist es tatsächlich etwas komplexer als mit einem Beinbruch, wer das partout nicht sehen mag, hat in meine Augen auch ein Problem, hier, mal ne Runde Dopaminblocker und etwas Belladonna, darunter wirkte mein Nachbar nicht geheilt, sorry, etwas Gips und Chirurgie kann bei Beinbrüchen helfen, aber in Sachen Hirn gibts wohl noch einiges zu lernen, und dieses Geschwafel, hier krank, sieht man doch, und da, gesund, das greift für das, was man 2011 davon weiß, zu kurz, wir sind nun mal nicht aus einem Guß, keiner von uns. Und jetzt machen sie halt alle fein weiter mit ihren Zuschreibungen von schauen sie hier links, der Lebensfreudige und dann hier rechts, die Weltverneinde, time to choose, i would prefer not to…
Zum Freundeskreis der Depression zählen Sie sich mal lieber selber, ich hab noch keinen Versuch unternommen, mich je aus dem Leben zu befördern, sorry Folks, ich schlafe nicht viel länger als 8 Stunden und, äh, ich schaffe es noch in die Badewanne, Grübeln ist noch erlaubt, nicht ganz blöd sein ist erlaubt, sich Gedanken über die Unschönen Dinge im Leben machen und wo sie herkommen, und was es zu bedeuten hat, ist erlaubt, Kitsch ist wohl eher eine shiny happy people Welt, beinahe alle Kunst ist wohl aus dem Grübeln über das weniger Glänzende entstanden, schon vergessen, selbst MEERE ist doch ein tieftrauriger Roman, wenn ich mich recht entsinne, sollte ihr Sohn besser mal nicht lesen;-).
Und was die Eisenbahn anbelangt, äh, wo bitte soll die Illusion gewesen sein? Die fährt ja heut real, und wohl auch nur da, wo sie es kann.
Und für jemanden, der andauernd in die Oper rennt, und die depressive Rührung des Rosenkavaliers süchtig aufsucht, ich will ja nich unken, aber Sie suchen schon auch regelmäßig die Süße Schwermut auf, ganz bewusst.
Ich bitte, daran zu denken, daß es sich bei einer Depression um eine Krankheit handelt.
Auch Psychiater können das durchaus vergessen. So wie Sie sich über diesen Film geärgert haben, so sehr habe ich mich beinahe über Manfred Lütz Bestseller „Irre“ aufgeregt. Schon im Untertitel „[..] Die Normalen sind das Problem“ wird es schon tendenziös, spielt es ins Seichte. Dabei, und wahrscheinlich rege ich mich deshalb so auf, schreibt er soviel Richtiges. Gerade über die dialektische Beziehung zwischen Normalsein und denen, die aus der Norm fallen. Ich glaube, er nahm für letztere bevorzugt, das positiv konnotierte: außerordentlich. (Und zeichnet diese Außerordentlichen in so warmen Zügen, dass man/der Leser sich fast mit ihnen identifizieren möchte; der aufkeimende Wunsch man möge ja selbst auch außergewöhnlich sein)
Und hier wollte ich es zurückbiegen zum Thema: In vielen Beiträgen, von Kehrmann und auch von diadorim, klingt doch das Hadern des Depressiven mit der Ordnung an, dem Bestehenden, dem Normalen. Also eigentlich dem, was für den Künstler Betrieb, Korrumpel sind – und die den Künstler in die Opposition zwingen (bis er wieder vereinnahmt werden kann)?
Diese Parallelisierung ist nicht so glasklar. Aber es schien mir, als wäre sie von Ihnen, ANH und MelusineB, bisher übergangen oder zumindest nicht klar bestritten worden (während „wir, Freunde der Depression“, uns möglicherweise darüber irritieren, dass Künstler sich nicht auf die Seite des Saturns stellen).
@Diadorim und @Phorkyas @Diadorim Von der Depression als Realismus hatten doch Sie „gequatscht“. Dass ich den Ästhetizismus (also das „Sich-Bedienen“ in der Kunstgeschichte) des Films leugnen wolle, kann ich nicht erkennen. Ich finde die Bilder schlicht öde. Wie gesagt, der Film hat mich nicht aufgeregt. Schade um den vertanen Abend. Sonst nix.
@Phorkyas Die Parallelisierung von Krankheit und Widerstand gegen die Ordnung ist es gerade, die mich abstößt (für ANH kann ich nicht sprechen). Um es durch einen Vergleich auszudrücken: Wenn jemand Krebszellen fütterte, weil der Krebstumor so schöne Effekte im Gehirn auslöst, fänden Sie das nicht widerlich? Susan Sontag hat über die Neigung einiger Intellektueller, die Krankheit zum Bild zu machen, schon vor Jahren das Nötige gesagt, finde ich. http://de.wikipedia.org/wiki/Krankheit_als_Metapher
Hier wird es umgekehrt: Im Recht ist die Kranke (als „Realistin“) während die Gesunden „schuld“ sind. Interessant ist lediglich, finde ich, dass wir offenbar in einer Phase leben, in der – wie Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrtausends – eine solche Perspektive Konjunktur hat. Die Lust an der Apokalypse. Mich hat sie damals schon angekotzt.
Im ersten Filmteil wurde nicht die Depression Justines erzählt, sondern mit geradezu mikroskopischer Genaugkeit die Grundlagen für deren Entwicklung aufgeschichtet. Mich wundert tatsächlich sehr, dass offenkundig kaum jemand davon Notiz nahm. Die ergreifende Geschichte spielte sich in den Details ab, nicht in den großen Bildern und Klängen.
Und selbstverständlich, liebe Melusine, enthält Depression Erkenntnispotential. Wollte man dies nicht anerkennen, müssten sämtliche psychotherapeutische Interventionsmöglichkeiten unverzüglich als esoterischer Schmus beiseite gelegt werden. Chemie kann einiges, sicher, aber bei weitem nicht alles. Leicht ist es bestimmt nicht, das Potenzial zu heben. Aber wenn’s mal zum Vorschein kommt, entsteht dadurch eine andere Welt – nicht nur für die Betroffene selbst, sondern für die gesamte interessierte Umgebung.
Depression hat viele mögliche Ursachen, einige davon zeigt der Film eindrucksvoll auf. Sie unter den Begriff „Geisteskrankheit“ zu subsumieren, geht nun gar nicht – gerade wegen des Films ersten Teils.
Depressiver Realismus ist nicht meine Erfindung, das ganze ist ein Zitat! Und das Experiment fand ich sehr lustig, dass sich viele offensichtlich für Verursacher von Dingen halten, die sie gar nicht verursachen, ist schon auch verständlich, man will immer gerne die auktoriale Perspektive haben, hat man aber leider nur in ganz wenigen und sehr überschaubaren Bereichen, that s life, darum muss man nicht gleich depressiv werden;-).
@diadorim @Kienspan @diadorim Das Experiment finde ich auch witzig. Mir selbst geht´s ja eher umgekehrt. Während des Studiums habe ich mir immer ein wenig Geld verdient durch Teilnahme an solchen Experimenten. Einmal wurde man mit verbundenen Augen verschiedenen Reizen ausgesetzt (z.B. Luft ins Gesicht geblasen, Druck gegen den Rücken, Streicheln über den Arm etc.) Man sollte auf einer Skala angeben, wie stark der Reiz jeweils war. Ich habe alles gefühlt, ganz stark! Hinterher kam raus: Es ist gar nix passiert. Alles nur Suggestion. Mir tut auch immer gleich der Zeh weh, wenn von Amputationen die Rede ist. (Ich hab sowieso nix für den Realismus übrig) . 😉
@Kienspan Jetzt können Sie mich alle kreuzigen. Aber ich sage es öffentlich: Ja, ich halte Psychoanalyse für Voodoo! Das wirkt auch manchmal.
Und: Ein Beinbruch enthält auch Erkenntnispotential. (Wie ich mich fühle, wenn ich nicht laufen kann. Interessant. Das meine ich nicht zynisch. Ich finde es gerade ebenso interessant, wie jede psychische Erkrankung).
Im ersten Teil des Films habe ich schon nur noch auf die Uhr geguckt. Über Depressionen und ihre Entstehung weiß ich viel, mehr als mir lieb sein kann, denn ich bin kein Mediziner und nicht per se an Krankheiten interessiert. Depressionen entstehen definitiv nicht, weil „die Gesellschaft“, so „verständnislos“ sind. Das ist eine Deutung, die manchen lieb wäre, weil sie dann die Kranken für ihre Zwecke missbrauchen könnten.
Sie unter den Begriff „Geisteskrankheit“ zu subsumieren, geht nun gar nicht – gerade wegen des Films ersten Teils.
Hier muss ich doch ANH und MelusineB beipflichen. Dass „Geisteskrankheit“ so despektierlich gebraucht wird, ändert an dem Begriff, glaube ich, nichts, der so weit ich weiß darüber definiert ist, dass man eine Krankheit erleidet, aus eigener Kraft also sich aus dem Zustande nicht befreien kann.
(Sie haben aber recht, dass hier so gut wie gar nicht beachtet wird, dass der zweite Teil „Claire“ übertitelt war)
@MelusineB: Um es durch einen Vergleich auszudrücken: Wenn jemand Krebszellen fütterte, weil der Krebstumor so schöne Effekte im Gehirn auslöst Oder dass jemand bunte Bilder vom Krebs macht, diese schön koloriert, dass die Krebszellen auch schön krankhaft leuchten, und dieses Bild dann ausstellt? – So etwas wäre schon denkbar, müsste dann aber wohl damit garniert werden, dass es auch der Krebs des Künstlers ist. Ich möchte mich nicht gänzlich von der Faszination für solch Abseitiges freisprechen, aber weder würde mich ein solches Bild interessieren, es widerte mich wahrscheinlich sogar an, noch ist es das, was ich an Melancholia bedenkenswert fand.
Wäre diadorims Perspektive nicht bedenkenswert?
Und jetzt machen sie halt alle fein weiter mit ihren Zuschreibungen von schauen sie hier links, der Lebensfreudige und dann hier rechts, die Weltverneinde, time to choose, i would prefer not to…
So sehr der Film sich auch selbst pathologisiert, wenn sie ihm das abkaufen und ihn in die Tumorenecke stellen, dann ist das ästhetische Spiel doch schon vorbei (freilich erlebe ich das auch viel zu oft: dass das ästhetische Spiel erst gar nicht beginnt, weil ich erst gar nicht hineinfinde).
@Phorkyas Der Gegenterminus zur „Geisteskrankheit“, zu welcher beispielsweise die Psychose gezählt wurde, wäre die „Gemütskrankheit“. Beide Ausdrücke sind aber nicht mehr gebräuchlich, es wird allgemein von psychischen Störungen gesprochen, auch, um einer Stigmatisierung entgegenzuwirken.
@MelusineB
Wenn Sie die „Verständnislosigkeit der Gesellschaft“ als krankheitsursächlich ausschließen, begeben Sie sich einer an sich einleuchtenden Erklärungsmöglichkeit für die steigende Zahl von Krankenstandstagen aus psychischen Gründen – nicht zu reden von der ebenfalls stark ansteigendenen Zahl an Erwerbsunfähigkeitspensionen aus diesem Grunde. Dieser Denkansatz führte in eine Sackgasse.
Zum Erkenntnispotenzial des Beinbruchs Wenn ich mich nicht mehr rühren kann und abhängig bin davon, dass mich meine Umwelt mitversorgt und mir bei den einfachsten Verrichtungen behilflich ist, kann ich viel über Beziehungsqualität erfahren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ich mich auf die Frage einlasse, wie Menschen miteinander umgehen und weshalb gerade in einer bestimmten Weise. Bei dieser Untersuchung treten dann durchaus diametral entgegenstehende Zugänge zu Tage. Der hier diskutierte Film verdeutlicht eben das.
Manches verspricht ja auch einen sekundären Krankheitsgewinn;-). Ich find ja Claire viel toller als Justine und viel hilfloser, und glaube eigentlich, das sind eben Schneeweiß und Rosenrot, oder Glücksmarie und Pechmarie, eigentlich zwei Temperamente einer Person, beide kümmern sich ja auch gleich liebevoll um das Kind, denn, man sehe und staune, Justine hat alles andere als einen schlechten Einfluss auf das Kind, Leo scheint sie, im Gegenteil, sehr zu mögen, und sie schafft dem Kind eine Illusion, nämlich die des Magic Cages, und unterlässt es, mit einem Glas Wein dem tatsächlichen Ende entgegenzugehen, wie es seine Mutter vorschlägt, die die Nerven zur Illusionierung nun verständlicherweise auch nicht mehr aufbringt. Ich fühlte mich Claire auch emotional oft viel näher. Ich hab auch ein schönes Leben, was ich nicht verlieren will. Zeigt doch, es braucht immer beide Temperamente, beide sind hilfreich und beide sind wohl in jedem verankert, was dazu führt, dass eins über das andere Überhand gewinnt, die Gründe sind vielfältig und nie monokausal, klar, und müssen im Einzelfall und nicht am Reißbrett bestimmt werden. Justine, die Gerechte und Claire, die Leuchtende, eigentlich ein schönes Paar mit Leo, dem Starken, der ja auch das Instrument bastelt, mit dem Claire den Untergang gewahr wird. Es sind symbolische Charaktere.
Kitsch Lieber Herr Herbst,
kann nicht der Kitsch gerade das Unvollkommene in der Kunst, die die Welt bedeutet, repräsentieren?
Nicht nur der Kitsch in diesem Film ist eine Zumutung. Die Länge ist es auch (der Film ist immer kurz vor langweilig), dieser ganze Seelenschwumpf, das Geschwafel, nicht selten fand ich die Justine im 1. Teil einfach eine dumme Luxus-Kuh und die Claire im 2. eine hysterische Zicke, das penetrante Tristan-Vorspiel, die wackelige Kamera usw.
Aber all das ist ja nicht nur Ausdruck von Melancholie, sondern auch Grund zur Melancholie. Dieser Film zeigt eigentlich permanent das Unperfekte, wozu auch der Kitsch und die blöde Bildungshuberei gehört. Der Zuschauer wird eben nicht getröstet. Nicht gereinigt durch große Kunst, sondern auf die Palme gebracht durch schlechte Kunst. Dieser Film tritt uns ziemlich in den Dreck. Unsere Hoffnung auf „das Rettende“ (Sie erkennen das Zitat) müssen wir uns schon selbst zusammenbasteln, wenn wir die Kraft dazu haben. Den Künstler als Retter verweigert uns von Trier. Ich persönlich konnte mich nur durch Lachen aus der Affaire ziehen. Was mich an dem Film fasziniert, ist, dass da offenbar ein wahrer Kern in dem ganzen Müll steckt. Das hat mich schon beim Zuschauen im Kino gefesselt. Ich hab übrigens nicht nur auf die Leinwand geguckt und versucht, dem Film zu folgen, sondern relativ bald auch auf mich selbst, wie ich reagiere. Ich glaube, dieser Kitsch und die Zumutungen provozieren bei jedem Einzelnen andere Abwehrreaktionen. Ich glaube, diese Reaktionen sind Teil des Films. Es geht nicht nur darum, was man auf der Leinwand sieht, sondern auch darauf, wie man reagiert. Ist „interaktiver Film“ dafür das richtige Wort?
Sie erinnern sich an unsere Diskussion über Pasolinis „Saló“. Da wollten wir auch beide nach 10 Minuten rausrennen, weil wirs nicht mehr ertragen haben. Aber wir sind drin geblieben, weil wir spürten, es geht vor allem um unsere Reaktionen auf das, was gezeigt wird.
Das ist kein Freibrief für Sadismus. Es reicht in diesen schwer zu definierenden Bereich von Kunst, die sich einstellt, aber mit Worten irgendwie nicht zu packen ist.
Nein: Der Kitsch von Lars von Trier soll nicht „nobilitiert“ werden. Er soll uns ärgern. Nur dann funktioniert der Film.
@diadorim Ja. Genau. Das ist es. Man braucht beide Seiten.
@phorkyas & Melusine Die Formulierung „Freunde der Depression“ gefällt mir auch nicht. Man soll eine Krankheit nicht glorifizieren. Sie ist einfach nur tragisch. Gott sei Dank, dass ich noch nicht depressiv bin.
Aber, liebe Melusine, man soll depressive Menschen auch nicht ausgrenzen. (Und vor allem nicht zwingen, glücklich zu sein.) Ich finde es gut, dass Lars von Trier mich (uns?) gezwungen hat, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und vielleicht etwas vorsichtiger im Umgang mit depressiven Menschen zu werden.
Deswegen gefällt mir ja auch diese Rache-Hypothese so gut: Dieses Spiel mit der „verkehrten Welt“ im 2. Teil, in der auf einmal nicht mehr die „Normalos“ recht haben, sondern die Depressiven.
Natürlich ist das ein rein ästhetisches Spiel: eine Versuchsanordnung. Ich würde das nie und nimmer als Behauptung auffassen, dass in der wirklichen Welt (also außerhalb der Kunst) nur die Depressiven recht haben. Diadorim hat das sehr schön gesagt: man braucht beide Seiten – die Licht- und die Schattenseite.
@Boris Kehrmann Ihr Beitrag macht mich wirklich zornig. Hätten Sie gelesen, was ich tatsächlich geschrieben habe, dann wäre Ihnen bewusst geworden, dass ich über Depression nicht theoretisiere, sondern tatsächlich Umgang mit Depressiven habe. Der Vorwurf der Ausgrenzung passt vielleicht eher auf diejenigen, die in den Depressiven „stellvertretende Performer“ ihres eigenen Ungenügens an der Welt sehen. Man kann niemanden zwingen „glücklich“ zu sein. (Glück ist im Übrigen auch nicht der Gegensatz zu einer Depression. Auch in diesem Satz offenbart sich eine völlig Unkenntnis über die Krankheit.) Selbstverständlich kann man den Depressiven in seiner Weltsicht verstärken und ihn sich ins Wasser stürzen lassen. Vielleicht begeht er auch einen sogenannten „erweiterten Selbstmord“. Möglicherweise steckt darin eine tiefere Aussage über die Verkommenheit unserer Gesellschaft.
Die Diskussion über Depression hier hat mit von Triers Film nur noch bedingt zu tun. Den Film fand ich schlecht. Ich könnte meine Sicht vor allem mit den Bildern erklären, die ich als wenig einfallsreich, ästhetisierend und auf unangenehme Weise geglättet empfunden habe. Ich könnte auch zeigen, wie der Film Dichotomien herausarbeitet (viele davon sehr klischeehaft), statt Übergänge und Durchlässigkeiten. Ein solches Verfahren finde ich fast immer weniger interessant. Geärgert hat mich dieser Film nicht, wohl aber Interpretationen hier und anderswo. Gerade, weil ich Depressive nicht ausgrenze, sondern mich um ihr Überleben bemühe. Allerdings tatsächlich nicht, indem ich ihre Wahrnehmung als desillusionierende Klarsicht bestätige.
Trier nennt seinen Film, jemand wies darauf hin, „Melancholia“. Panofsky/Saxl haben über Melancholie (und ihre Verbindung zum Kunstschaffen in der abendländischen Kultur) ein spannendes Buch geschrieben. Trier kennt ganz offenbar diese Tradition sehr gut. Einige überzeugt sein Umgang mit ihr, andere -wie mich – nicht. Ich verstehe Melancholie als ein kulturelles Phänomen, Depression als Definition für eine (behandlungsbedürftige) Krankheit. (Jetzt kann natürlich wieder jemand – wir sind ja alle durch die Schule der Dekonstruktivisten gegangen – einwenden, dass jede Krankheit vor allem ein „kulturelles Phänomen“ sei. Ich persönlich hoffe, dass so jemand nicht auf Kranke losgelassen wird.)
Einige der Thesen, die hier über Depression und Depressive aufgestellt und auf den Film projiziert wurden, vor allem diejenigen, die in der Depression eine „Wahrheit über die gesellschaftlichen Zustände“ erkennen wollen, empören mich. In der Tat weiß jede/r, der/die mit den Erkrankten zu tun hat, dass es primäre und sekundäre Krankheitsgewinne gibt. Diese können (viel öfter ist das aber eben keineswegs der Fall) in wenigen Einzelfällen auch darin bestehen, dass jemand aus einer Krankheit oder einem Leid künstlersiche Produktivität herleiten kann. Edward St. Aubyn, der als Kind von seinem Vater vergewaltigt und von seiner Mutter vernachlässigt wurde, später heroinsüchtig war, hat in einem Interview gesagt, er danke seinen Eltern für „den Stoff“, den sie ihm geliefert hätten, aus dem er sein Leben lang schöpfen könne.
Dass es gelingt, „etwas“ daraus machen zu können – aus den „Licht- und Schattenseiten“ – , darauf kommt es für die Betroffenen an. Man sollte aber nie vergessen: Die weitaus meisten Depressiven sind nicht kunstschaffend. In der Klinik (wo mein Freund mehrfach stationär aufgenommen werden musste) habe ich überdurchschnittlich viele Lastwagenfahrer und Hausfrauen getroffen. Sicher ein Zufall. Aber bedenkenswert vielleicht für alle jene, die in deren Krankheit eine Metapher für den Zustand der Welt sehen wollen.
@ Melusines Zorn vs. Gesprächskultur Liebe Melusine,
jetzt schweife ich wirklich von Lars von Triers Film ab und schwenke auf ein anderes Thema über: Gesprächskultur.
Wenn man dem Gesprächspartner die Äußerung seiner Gedanken suggestiv oder ausdrücklich verbietet („ich theoretisiere nicht“, „ihres eigenen Ungenügens“, „völlige Unkenntnis“), indem man ihn als Deppen hinstellt, dann ist das Gespräch zu Ende. Es beginnt der Monolog, die Verkündigung der Wahrheit urbi et orbi.
Erkenntnis entsteht immer im dialogischen Prozess: in der versuchsweisen und vorläufigen Formulierung, in der sich die Dialogpartner gegenseitig anregen oder widerlegen. Dieser Prozess kann aus simplen erkenntnistheoretischen Gründen nie abgeschlossen sein.
In diesem Sinne haben Sie den Gesprächsfaden grob durchgeschnitten und es erübrigt sich damit jede Erwiderung. Das wäre keiner weiteren Erwähnung wert, wenn dieser Mangel der ständig beschworenen Gesprächskultur ein Einzelfall wäre.
Gegen einen Vorwurf möchte ich Lars von Trier dennoch verteidigen – nicht, weil ich ein „kathartisches Erlebnis“ rechtfertigen möchte, das ich nicht hatte oder weil ich Lars von Trier-Fan sei, dessen Filme ich ebensowenig studiert habe wie klinische Psychologie, sondern weil es eine generelle Unart von Kritik ist:
Sie werfen dem Film „Dichotomien“ vor, also seine dialektische Konstruktion, und verwerfen das, weil Sie „Übergänge und Durchlässigkeit“ interessanter finden. Die will der Film aber nicht zeigen.
Zwingen Sie ihm (dem Film) doch nicht Ihre Wünsche auf. Lassen Sie ihn doch einmal tun und sagen, was er selbst will. Diese Neugier für andere Menschen und andere Meinungen, wie unperfekt auch immer, gehört nicht nur zur Gesprächskultur, sondern zur Kultur überhaupt.
Dieses permanente Daumen hoch, Daumen runter gehört wirklich nur noch in die Werbeindustrie und zu Dieter Bohlen.
Und nun würde mich doch noch interessieren, was eigentlich das Gegenteil von einem depressiven Menschen ist. Ich hab „Glück“ (als Gegensatz zu unglücklich – so sind die vier Menschen meiner Umgebung, die an dieser Krankheit leiten – einer tot) nur geschrieben, weil ich nicht „normal“ sagen wollte.
@Boris Kehrmann Sie hatten behauptet, ich grenzte Depressive aus. Darüber war und bin ich zornig. Denn das Gegenteil ist der Fall. Und das hatte ich auch beschrieben: Wie ich versuche, mich um einen Depressiven zu kümmern. Zorn über so eine Unterstellung halte ich für berechtigt.
Ich ärgere mich schon länger, dass ich mich hier so sehr auf die Diskussion über einen Film eingelassen habe, der mich angeödet hat. Ich schreibe sonst nie über Texte, Musiken, Bilder, die mir missfallen. Dass ich mich hier eingemischt habe, hat einen einzigen Grund: Die Perspektive dieses Films empfinde ich – und daran hat sich auch durch diese Diskussion nichts geändert – als menschenfeindlich. Daher hat es mich verstört, wie viele diesen Film bejubelten. (Wäre er mir nur langweilig erschienen, hätte ich mich daran nicht gestört.) Diese Verstörung bleibt. Sie hat sich durch diese Diskussion hier nur verstärkt.
Das Gegenteil von depressiv ist manisch. Viele Erkrankte schwanken zwischen diesen beiden Extremen. Beide sind lebensgefährlich. Wer nicht krank ist, ist gesund. Und natürlich ist das immer eine Frage der Definition.
Liebe MelusineB,
ich kann diesen Ihren Ärger gut nachvollziehen. Sie haben hier viel Zeit mit dieser Diskussion verbracht und doch nur Verhärten sich die Fronten, trägt es zu Ihrer Verärgerung bei, wenn die Depression hier weiter gefeiert wird, wie es Ihrem Vernehmen nach auch im Film geschieht.
Dass ich mich auch ein bisschen ärgerte, lag aber ebenso daran, dass ich hier viel Zeit investierte und gefühlt auch meilenweit auf Ihre oder ANH’s Position zugekommen bin, Sie von der Ihren Position aber nicht um einen Mikrometer wichen. Die Plastiktüte des Pops wurde schon von Anfang an diesem Werke übergestülpt und meine Hoffnung war es ja auch nur ein paar Löcher hineinzuperforieren, dass darunter doch der ein oder andere Atemzug getan werden könne. Dass Sie oder ANH dies Werk je als lebende Gestalt sehen oder gelten lassen würden, wollte ich nicht hoffen, aber vielleicht, dass sie zulassen, dass andere das ästhetische Spielfeld auch mit diesem missratenen Objekt noch betreten. Zu einem guten Teil kann ich es sogar nachvollziehen, dass Sie es nicht tun, weil ich weiß, dass ich vermutlich ähnlich reagierte, wenn mir jemand begeistert vom „Weißen Band“ oder „Tree of Life“ daherschwadronierte – Werke bei denen ich auch nur achselzuckend oder tief verärgert den Kinosaal verließ.
Eine gewisse Starrköpfigkeit möchte ich auch mir nicht absprechen. Ich bedauere, dass hier nun persönliche Dinge hineinkamen – bei mir rührt die Starrköpfigkeit auch aus dem persönlichen her: mein Vater ist depressiv. Das war für mich auch ein Beleg, dass selbst wenn man einen persönlichen Bezug zu dem Thema hat, man den Film nicht als widerlich-klebrige Abfeierung der Depression wahrnehmen muss.
Herzlich Phorkyas
Lieber Phorkyas, über keinen Ihrer Beiträge habe ich mich je geärgert. Tatsächlich kann ich gedanklich alle Vorschläge, die Sie gemacht haben nachvollziehen – am Ende bleibt allerdings mein Eindruck: einen schlechten Film gesehen zu haben. Dass von Trier sein Handwerk versteht und es ihm durchaus gelingt, eine Bilderwelt zu schaffen, die offensichtlich ausdrucksstark ist (sonst wären ja nicht so viele davon begeistert) gebe ich aber ohne Weiteres zu. (Insgesamt erhält der Film ja fast ausschließlich positive, ja begeisterte Kritiken.)
Nachdem ich alle Ihre und meine Beiträge noch einmal gelesen habe, gewinne ich den Eindruck, dass wir den Film in vielerlei Hinsicht ähnlich gesehen haben. Der Unterschied scheint mir nach wie vor viel stärker in de Reaktion auf die Rezeption des Films zu liegen. Da sind Sie gelassener als ich. Morel zum Beispiel sagt: „Das ist ein bösartiger Witz, den sich von Trier da macht. Und du bist auch drauf reingefallen, indem du dich so reinsteigerst.“ Auch eine mögliche Lesart. Über die ich nachdenke. Es steckt was in der Lust am Untergang und der Wahrnehmung von Krankheiten als Metaphern, was mich tatsächlich unmittelbar in eine auch körperlich spürbare Abwehrhaltung bringt. Das stimmt.
(Nur ganz nebenbei: ANH hat was gegen Pop. Für mich ist das kein abwertender Begriff.)
Dass Ihr Vater an dieser Krankheit leidet, tut mir aufrichtig leid. Von Herzen wünsche ich ihm, dass ihm geholfen werden kann – und Ihnen die Kraft, die es braucht, ihn zu begleiten.
Herzliche Grüße Melusine
(@Melusine: danke)
Ich muss jetzt auch nochmal dazwischenfunken. Als ich bei Herrndorf seine Einschätzung las, war ich still beglückt:
„26.10. 19:45
“Melancholia”, zehn von zehn Punkten. Und noch einen Zusatzpunkt fürs Happy End: Groß und grün und strahlend. So ist das, genauso. Noch nie so erlebte Übereinstimmung zwischen filmischer und subjektiver Realität. Urteil deshalb möglicherweise getrübt.
Aber einmal mit Charlotte Gainsbourg auf einer Terrasse sitzen, über kegelförmig geschnittene Bäume aufs Meer schauen und frühstücken. Oder noch besser stehen. Richtig Gainsbourg ist Gainsbourg ja erst, wenn sie steht.“
Und dann habe ich noch gedacht, warum ich das so mag, was er schreibt und wie er auf die Dinge schaut, darum: Er macht einen Glauben, man habe das genau so auch schon immer gedacht, dabei hat man das denken wollen, um endlich der zu werden, der man sein will, das macht für mich oft die Kunst aus.
Sein Tagebuch ist Ausdruck einer wohl sehr berechtigten Melancholie, die ich so heiter fragil wie trotzend grandios finde, dass ich davor in die Knie gehen kann. Wenig mehr wird gerade geschrieben, was mich wirklich rührt, weil es einen eben mitnimmt auf eine Aussicht und sagt schau, es wird untergehen und ich mit ihm, aber ist es nicht schön und schön gewesen, ohne dabei einem noch im geringsten was voraus haben zu wollen, so stelle ich mir den perfekten Zenmeister vor. Ein Schreiber, der nicht belehrend wird, das ist selten genug zu finden heute, ein heiterer Melancholiker. Literatur, die mich versteht, das ist wahrhaft beglückend als Leser, und das mit wenigen Sätzen, Skizzen, viel mehr hat es für mich nie gebraucht.
@diadorim: Was aber wenn es Menlancholie nicht in homöopathischen Dosen gibt, wenn der Scheißplanet auf Sie zu rast und Ihnen schon das Haupthaar versengt? Dann ist das Scheißding doch mit einem Roundhouse-Kick aus der Bildfläche zu katapultieren – weil man leben will, leben willen muss. Und das tut doch auch Herrndorf und von Trier, sonst schrieben oder filmten sie nicht – und deshalb kann ich die Wut des Hausherrns hier doch gut verstehen, weil das Ende des Films in dem Sinne auch verlogen ist. Weil man dort nicht sitzen darf becirct von der Schlange Ka und der Schönheit des Abgrunds, sondern man hat es ja in der Hand –
(Diese Diskussion läuft nun schon etwas über Gebühr – nicht nur Dottore Schein scheint etwas verdrossen, auch der Hausherr? – Ich weiß auch nicht ob ich auf den letzten Zentimetern noch eine Drehung um 180° vollziehen soll, vom „Lager“ der Melancholie-Toleranten in das der Anti-Melancholiker wechsele – Eher scheint’s mir betrüblich, dass solche „Lager“ sich überhaupt bildeten)
Ja, was ich nur nicht kapiere, ist, dass man das verhandelt, als müsse es mit den Realitäten von Depression kongruieren, hat man je von Märchen verlangt, sie mögen sich doch bitte realistisch verhalten? Hat man je seine Kinder ermahnt, sie dürfen keine pubertäre Todessehnsucht entwickeln, nachgewiesenermaßen denken Jugendliche unter 20 noch am häufigsten über Suizid nach, hat man je Jugendlichen verboten, sich wie Emos zu kleiden und auf Friedhöfe zu rennen des nachts, hat man sie dann bei Seite genommen und ihnen streng ins Gewissen geredet, sag mal, willst du wirklich sterben und sie dann über den Abrund gehalten bis sie Abbitte leisten, als wenn ein spielerischer und künstlerischer Umgang mit den üblen Themen des auf der Welt seins nicht sein dürfe, das ist doch alles quatsch, hat das dieser realistic turn gemacht? Natürlich will ich leben und dies hier schreiben, aber ich will auch in Untergangsstimmung schwelgen dürfen, ohne dass man mir gleich die Knarre hinhält und sagt, dann bring dich doch um du scheiß Deprischlampe, solcher Art Verrechnungslogik finde ich viel bedrohlicher als diesen Film. Ich bin eigentlich relativ wütend auf wen, der einen immer zwingt, Fantasie und Leben in gelebte Übereinstimmung zu bringen, in meiner Fantasie geht die Welt unter und ich kann ihr als Drache, der Feuer speit, auf einen anderen Planeten entfliehen. Warum muss man eigentlich beteuern, dass man gerne lebt, wenn man diesen Film toll fand, da stimmt doch dann was nicht, nicht mit dem Film ist da was verkehrt, wirklich nicht. Drehen sie doch ab, in welches Lager auch immer. „Punk Anarchie Okay“ möchte man da nur sagen und ein Hoch auf den neuen Berliner Literaturpreisträger.
als wenn ein spielerischer und künstlerischer Umgang mit den üblen Themen des auf der Welt seins nicht sein dürfe
Stimmt. Das sehe ich auch immer noch so. (Und da hatte ich ANH auch eigentlich noch widersprechen wollen, der meinte, die Versuchsanordnung sei zu irreal, realitätsfern. In den möglichen Welt der Poesie sollte doch alles gehen. Warum sollte man denn da auf einmal dem Primat des Rationalen oder Wahrscheinlichen folgen?)
Tut mir leid, war gerade etwas diskussionsmüde, und dann sollte man wohl besser von Diskussionen lassen – aber zumindest bei Ihnen brennt das Feuer noch… Chapeau, madame!
au weia, das Feuerzeugfeuer der Biederkeit vielleicht. Labsal am und Baden im echten Leid der anderen, tief gerührt von der allzu grossen Anteilnahme am Leben der Helden, die totkrank Literatur verfassen „die mich versteht“. Igitt. Ich könnte durchaus so sein wie der Adler, sagt die anmassende Eselin, wenn sie mich doch nur liessen. Wenn ich es nicht so stinkgemütlich (bis auf ein bisschen Depri aus Langeweile) und komfortabel hätte, hier unten angepflockt meinen Herren dienend.
Ja klar, leben und sterben müssen immer nur die anderen, man selber hat ja kein Leben und auch kein Sterben und die, die es komfortabel haben, schon mal gar nicht, erschießt Voltaire, hängt die Weißbauchigel, wir wollen Löwen, geißelt die Langeweile und fühlt euch so verdammt überlegen in eurem echten Elend, worin genau besteht das, so im Vergleich zu meinem?
Die Antwort ist doch auch wieder bloß die buchhalterische Verrechnungslogik auf der Basis von Pflaschenpfand, aber bitte, wems gefällt. Was Sie hier machen ist doch igitt, sie führen die Segregation ex negativo wieder ein, hier, die erbarmungwürdige Eselin, die hier ab und an schreibt, wenn sie den Dialog sucht, das angepflockt schnell hinzuerfunden, damit es schön sklavisch klingt, und da die einsam kreisenden Adler und Eulen, alles im Blick, stolz und rein, da sag ich aber au weia und, das hat noch niemanden weiter gebracht, kann man aber gern so weiter halten, wenn man da so kreist als Adler im luftigen Hamsterrad, auch hinzuerfunden, aber bitte.
Endlose Rhetorik, furchtbar zwar, weit verbreitet und ganz lieb gemeint. Laissez passer, merkt ja (fast) keiner. Alles Gute! Passt schon!
@Agnes zur Endlosigkeit. Ich habe >>>> keine Zeit, in Erfahrung bringen zu können, welchen Strauß Sie da mit Frau Diadorim ausfechten zu müssen meinen, es interessiert mich eigentlich auch nicht, doch sollten Sie in diesem Kommentarbaum zumindest eine eigene Position zu seiner Wurzel, also zu >>>> Lars von Triers Spielfilm, formulieren oder auch überhaupt erst mal eine gewinnen, bevor Sie schreiben. So kann ich nicht anders, als den Vorwurf einer leerlaufenden Rhetorik oder einer, die von allem Anfang an leer sei, auf Sie direkt zurückzuspiegeln und, hoffentlich, in Sie hinein, so daß Sie vielleicht beginnen werden, solcher Leere, da Sie sie nun spüren, wenigstens ein Mobiliar zu geben.
Danke für die Schützenhilfe und gutes Gelingen fürs Hörstück.
Ich weiß ja inzwischen, dass Leute, die mich durchaus mal meinten zu schätzen irgendwie nicht damit klar kommen, dass ich es so stinkgemütlich und komfortabel habe, freilich sind die Parameter dafür etwas grob, aber das stört sie meist nicht weiter, in dem Moment flüchten sie sich mit jedem, den sie dafür noch kriegen können auf die Seite derer, die es ja so viel schwerer haben als ich und werden zum Sniper. Mein Empfinden war immer, dass die Biederkeit vor allem da regiert, wenn jemand eine Kanone auspacken muss, sobald er einen Spatz erblickt und das Spielfeld so markiert, dass man gut sortieren kann, wer auf welche Seite gehört. Dann warten sie auf die Revolution, während der Spiegel den Untergang Europas herbeischreibt. Ja, jeder Künstler muss auf die ein oder andere Weise mit seiner Marginalität klar kommen, meist hilft es null, die in den Dreck zu treten, derer man gerade noch habhaft werden kann, aber, man tut es trotzdem, um sich irgendwie noch ein Stückchen drüber erheben zu können. Daneben hält man mir dann gerne meine Unproduktivität vor, die ich nie als solche Empfinde, denn ich mache eigentlich immer was, nicht das, was solche Menschen anerkennen würden, aber, nun denn, die Grenze des Marginalen haben sie ja bestimmt, nicht ich, ich erlaube mir durchaus, sie nicht anzuerkennen. Ob man jetzt 2 Bücher von mir ignoriert oder 20, ob man jetzt ein Blog von mir nicht liest, oder anonyme Kommentare in 20, das war mir persönlich eigentlich immer schon egal. Ich erlaube mir einfach, dann zu schreiben, wenn mir danach ist, und da zu schreiben, wo es mir gerade gefällt, wieso auch nicht.
@Diadorim Prima Ansage.
Ja, echt spitze, weiter so!
Voll supi, dein Beitrag!!!
Küsschen
So. Das muss ich jetzt zur eigenen Psychohygiene noch loswerden:
Solange ein Jack (nicht Jack Bauer, sondern Jack, Justines Boss) seine Untergebene an der Existenz bedrohen und es dann wohl auch verwirklichen darf, da sie ihm die Perversität seines Verhaltens eindrucksvoll vor Augen führte, als sie von der Entlassung des vor zwei Tagen erst eingestellten Tims erfuhr, weil der ihr den verdammten Slogan nicht unter dem Steiß hervorzuleiern vermochte, obwohl er von ihr – ausgerechnet am Festabend ihres Hochzeitstages – gefickt wurde, solange sich ein John (der andernorts als Jack in Erscheinung trat, was soll’s, das spielt nun auch keine Rolle mehr), mit seinem immensen Betrag an Ausgaben für die dümmliche Feier der ’nouveaux riches‘ über das Empfinden Justines zu bestimmen legitimiert, solange jemand ihre Schwester am Kinn fassen darf, um ihr zu sagen: „schau mich an, wenn ich mit dir rede“, solange machtgeile Männer in ihrer selbstgefälligen Ignoranz auf ihre monetäre Werthaltigkeit bedacht sein dürfen, solange menschliche Beziehung in Schwanzlängen und Portemonnaiedicken gemessen wird, solange Depression als etwas, ich weiß nicht: Selbstverschuldetes angesehen wird, dem gleichzeitig mit dieser Distanzierung auch die Verpflichtung zur chemischen Neutralisierung an die Kniescheibe genagelt wird, um die Umgebung mit den Auswirkungen nicht zu belästigen, solange geht mir [… nachträglich gekürzt, mit dem Ausdruck des Bedauerns…]
Na ja, das Geld der Jacks und Johns, das geht Justine in gewisser Weise schon auch am Arsch vorbei, ich glaube nicht, dass es das allein ist. Beobachte ich mich, denke ich, was mir nicht am Arsch vorbei geht, ist die Deutungshoheit, was mir am Arsch vorbei gehen darf und was nicht, und die Geld- und Leistungswelt reißt sie an sich, ja, aber es gibt keinen Neid, eher eine Art des Befremdens, dass man sich ausschließlich mit Geldvermehrung und Leistungsparametern befassen mag, weil es eben zb Kunst und Kunstgeschichte gibt, die mir nicht am Arsch vorbei geht und das letzte Hemd nun mal immer noch keine Taschen hat. Ansonsten gebe ich ihnen Recht, wie schrieb ich mal:
„Die Verdinglichung der Welt, die den Menschen aus dem Weichbild zu verdrängen beginnt, hielt früh schon Walker Evans in bedrückend plastischem Silbergrau fest. Alabama in den dreißigern: mit Aufstellern dichtet man die Hütten ab und Coca Cola triumphiert mit geschwungenen Lettern noch im letzten Winkel in the Middle of Nowhere, oder als Vase auf einem Kindergrab, als Depression noch ein gesellschaftliches Phänomen beschrieb. Zeiten der totalen Petrifikation; lebendig begraben, die Dinge sind wir: damaged Goods, Menschen in Hotels, Tiere in Architektur.“
Die Brieftaschen der anderen sind mir allerdings bis heute ziemlich schnuppe, ich will mir durch Raffgier anderer nicht eine Reaktion aufzwingen lassen, ich will mir eben überhaupt keine Reaktion aufzwingen lassen, ich will einfach dem nachgehen dürfen, was mich gerade lockt. Insofern tauge ich auch nicht zur Wall Street Besetzung, das einzige, wozu ich tauge, sind melancholische Texte, und die mache ich einfach auch weiterhin.
Naja, Diadorim, im M o m e n t ging’s Justine am Arsch vorbei. Doch sie erleidet die Konsequenzen gewissermaßen systemgehorsam und sie ist nicht MANNs genug, diese schweigend zu erdulden. Sie wird ernsthaft, weil lebensbedrohlich, krank.
Das Potenzial der Krankheit liegt in der Entdeckung der eigenen Widerstandsfähigkeit, und wenn sie auch nur die Abgrenzung vom bislang systemisch bedingt Geglaubten umfasst. Am Ende wimmern sie nicht, die Jacks und Johns und machen sich, ganz männlich, endgültig lang. Vor der Zeit. Selbstmord aus Angst vor dem Ende. Dieses Paradoxon geistert immer wieder durch die Gesellschaftsseiten sämtlicher Print- und Internetmedien. Wie heroisch.
Und im übrigen pervertiert sich Kunstverständnis dadurch, dass lebensentscheidende Erkenntniseinschnitte nonchalant aus dem Blickfeld gebogen werden. Justines Mutter, zum Beispiel, ist die erste Frau in dem Film, die sich jämmerlicher männlicher Grandiosität expressis verbis entgegenstellt. Dass Justine ganz zu Beginn ihre Aufmerksamkeit in den Pferdestall zu Abraham lenkt, ist noch als Form von passiver Aggression zu interpretieren. Denn sie weiß natürlich genau, was sie an diesem Abend erwartet. Das ist ein Durchblick, den haben wohl nur Geisteskranke in ihren Wahnvorstellungen.
Ach, was soll’s.
Ich würd‘ den Film auch nicht mit einem Klaus Kinski diskutiert haben wollen.
Ich glaub eins haben Depressive ganz gut raus, sie blasen den Gegner nicht unnötig auf, die Rache ist, keinen Widerstand mehr zu leisten. Ignore the ignorant, anders kann ich auf Jacks und Johns nicht antworten, als dass ich mir ihre Welt nicht soweit vorschreiben lasse, dass ich mich mehr als nötig damit beschäftigen muss. Mit Kinski hätte ich nie und über nichts diskutieren wollen. Männer solchen Schlags kann ich jenseits der Bühne nicht für voll nehmen. Der John war mir im übrigen auch nicht unangenehm, der hat sich umgebracht, weil seine Berechnung nicht stimmte und weil er den anderen nichts mehr vormachen konnte, Männer und Fehler, difiziles Feld… Meine Erfahrung, Männer empfinden eine viel größere Scham bei Fehlern, wenn sie nicht ganz stumpf sind, können sich meist ganz schlecht entschuldigen und es sich noch schlechter eingestehen, dass das so ist, vermutlich denken sie, wenn man ihnen schon ungerechtfertigterweise eher zuhört, dann muss es auch alles irgendwie richtig sein. Nein, ehrlich gesagt fand ich den John nicht furchtbar, er war halt steinreich und hat halt auch nicht alles richtig gemacht, dafür verurteile ich niemanden, egal wie reich oder arm.
John hat – ihr hysterische Neigungen unterschiebend – manipulativ versucht, Claire von Informationsgewinnung abzuhalten. Disgusting.
Was kann es bedeuten, wenn jemand seinen Lebens- und Liebespartner, unter den gegebenen Umständen seines Hingeschiedenseins ansichtig geworden, ungerührt mit Stroh bedeckt? Gewiss keine landläufig empfundene Trauer. Eher Ernüchterung. Es sei denn, man unterstellte v. Trier Weltfremdheit. Dafür wäre ich allerdings nicht zu gewinnen.
@Kienspan. John hat – ihr hysterische Neigungen unterschiebend – manipulativ versucht, Claire von Informationsgewinnung abzuhalten.Abgesehen davon, daß das auch die Gestes eines Liebenden sein kann, der schützen möchte, so lange es noch geht, ist das Unternehmen selbst lächerlich in den Zeiten von Google und sehr vieler anderer Suchmaschinen. Wer Informationen w i l l, bekommt sie, egal, wie jung und in welcher Position jemand ist.
Wenn wir aber mal von einem realistischen Szenario absehen – das müssen wir bei dem Film sowieso, sonst wär das gesamte Setting falsch; es wäre sonst, wie oben schon gesagt, bereits seit wenigstens Wochen eine Katastrophe, und zwar spürbar, an die andere gereiht und für den Wagnermißbrauch gar kein Ohr -, dann kehrt hier des monotheistischen Gottes Sintflut wieder, die ebenfalls schon ein faschistischer Akt gewesen ist, aber ohne den Gerechten (Noah), vor allem aber: ohne Prometheus. Daß wir uns wehren und Nein! sagen und uns auch erheben können, zum Widerstand, wird „melancholisch“ durchgestrichen, damit auch jedes Menschenrecht und jede Emanzipation – und die Individuation sowieso.
Die Szene, in der Claire den toten Ehepartner ungerührt mit Stroh bedeckt, zeigt, klinisch betrachtet, daß Justines Depression nunmehr Claire völlig erfaßt hat, daß sie sie angesteckt hat: ihr hysterischer Schutzschild ist zusammengebrochen. Auf diese Fähigkeit von Depressionen bei entsprechend disponierten Menschen (ich gehöre selber zu ihnen) habe ich ebenfalls schon hingewiesen. Hier ist der Film vollkommen realistisch, also in der beschreibenden Pathologie.
Ihr, Kienspan, Ärger in Ehren. Aber Justine hätte doch längst dieser Familie den Rücken kehren und ein eigenes, dann natürlich „einfacheres“ Leben anfangen können, anstelle in der Glamourwelt selbst mit herumzusurfen. Das hat sie aber nicht getan, sondern ist in dieser Welt geblieben, deren Luxuriösitäten ihr offenbar so gut gefielen, daß sie sie einer eigenen, zugegebenermaßen kleinere, sagen wir sogar: bescheidenen Wohnung bisher vorgezogen hat. Sie hätte auch, als Jack Bauer ihr die Hochzeit ausrichten wollte, sagen können: Nö, du, ich feiere lieber im kleinen Kreis. Ja, sie hätte den Wohlstand der Familie schon mit sechzehn/siebzehn fliehen, hätte einfach abhauen können. Undsoweiter. Das alles tat sie nicht, sondern nahm die vernichtenswerten Annehmlichkeiten offenbar lieber hin, als die Unannehmlichkeiten eines normalen Berufsalltags ertragen zu müssen.
Unabhängig davon ist ihre Krankheit als Krankheit zu sehen, selbstverständlich.
Völlig richtig. Deshalb habe ich eben meinen damals allzu überspitzt formulierten Ärger oben „entschärft“. Es ist unzulässig, anderen die schmerzhaft aufflammende Erinnerung eigenen familiären Erlebens an die Nase zu tackern.
Hätte ich das nur vorher gelesen, … dann wäre mir viel erspart geblieben:
„Am Ende weiß man selbst nicht mehr, was an dieser Welt noch rettenswert sein soll. Und als Melancholia schließlich den ganzen Himmel einnimmt, spürt man wie Justine vor allem eines: Erlösung. Gewaltigeres kann ein Film nicht leisten.“ schreibt Hanna Pilarczyk im SPIEGEl lobesschwül und untergangsgeil unter dem Titel „Apokalypse Wow“.
Ich lese nie vorher Kritiken. Aber da hätte ich es tun sollen. Denn dann wäre mir klar gewesen: Entweder ist der Film so blöd, wie diese Kritikerin oder er hat solche Kritiken nicht verdient, fordert sie aber heraus.
Ich denke, das erste trifft zu.
Eine kandierte Wasserstoffbombe @Melusine. Ich denke, mit dieser Beschreibung hat man Melancholia und ganz erfaßt, was die Leute sich kathartisieren läßt, wenn sie vom Kitsch kathetisiert worden sind: sie lieben einfach Kandis; je größer noch der braune Zucker, um so doller ihre Ergreifnis.
Aber bitte… … dann auch schön zum Feierabend in der warmen Stube serviert. Irgendwer hat für die betreffenden einmal den schönen Begriff «Gemütsmob» gefunden (sollte ihn niemand sonst beanspruchen, gehört er im Zweifelsfall mir).
Wäre Ihnen ein echter Oppenheimer lieber: „Now, I am become death, the destroyer of worlds“? –
Ich bitte Sie, eine SPON-Kritik? Pop liegt doch auch im Auge des Betrachters. Ich kann auch Schönberg als Pop hören, rein ikonographisch. Dass jemand dies mit diesem Film tut, beweist zunächst einmal nichts.
Langsam rege auch ich mich etwas auf, aber zum Gemütsmob gehöre ich gerne und pfeif‘ mir was candiertesten Italo-Pop rein: http://www.youtube.com/watch?v=blE7jOssfqU
(Ich würde gern ausführlicher antworten – dies vielleicht später)
Süß. Einem in diesem Rahmen Mike Patton als postmodernen Kandis verkleidet unterzujubeln! Sie sind, Phorkyas, ein doppelbödiges Schlitzohr, mit Verlaub. 😉
Und: einer SPONnerei Beweiskraft zuzuschreiben würde diese in der Tat über Gebühr adeln. Nichtsdestotrotz: bisweilen sind die Dinger durchaus zumindest als Warnschild zu gebrauchen. (Was nichts daran ändert, dass ich mir Melancholia trotzdem noch ansehen werde.)
Abgesehen davon: der Gemütsmob findet im Prinzip fast überall sein Zuckerchen, das hängt nur marginal mit Pop im engeren Sinn zusammen.
Sirup Worin soll denn bitte die „kathartische Wirkung“ dieses Films bestehen?
(@brsma: Vielen Dank, das ging runter wie Öl – oder Honig? – Ich bin auf Ihre Eindrücke gespannt, bis dahin..)
@Kehrmann zu Sirup. Das genau wüßte auch ich gern.
@ ANH
Was den Film betrifft, liegen wir auseinander. Weit. Ich schrieb bei mir im Blog seinerzeit eine Besprechung: https://bersarin.wordpress.com/2011/10/12/stardust-memories-lars-von-triers-%E2%80%9Emelancholia%E2%80%9C/
Mit Schmierentheater läßt sich freilich jeder Filme, seit es Filme gibt, abtun. Die meisten Filme funktionieren nicht, wenn ich den Plot nehme, wenn ich mir die Konstruktion der Geschichte oder einzelne Szenen und Handlungszusammenhänge betrachte. Vielleicht liegt das am Medium Film. Sie werden in fast allen Filmen schlecht gebaute Szenen oder eine Handlung finden, die in sich nicht stimmig oder überzeichnet ist und das wird sich im Detail jeweils bündig nachweisen lassen. Das gilt für „Fahrraddiebe“, das trifft auf Godards „Verachtung“ zu, das gilt für Pabsts „Die freudlose Gasse“. Aus diesem Grunde überzeugt mich Ihre Widerlegung des Films nicht. Nennen Sie mir irgend einen Film, einen der Filme, die als ästhetisch gelungen anzusehen sind, und ich streiche Ihnen Stellen heraus, die überkonstruiert sind. Ich schreibe Ihnen, wenn Sie wollen in den nächsten Wochen einen Verriß dazu. Auch zu den von mir geschätzten Filmen. So gesehen sind übrigens auch „Don Carlos“, das „Käthchen“ und der „Faust“ Schmierentheater. Im Sinne des Begriffes.
Ich will in einem Satz zusammenfassen, weshalb ich „Melancholia“ für gelungen halte: Es ist die Kombination von Satire vermittels dieser derart dick aufgetragenen Übersymbolisierung und Überdeterminierung und einer tiefen ernsten Einsicht als Gedankenexperiment: Was werden Sie, was werden wir machen, wenn dies die letzten zwei Stunden Ihres oder unseres Lebens wären? Beide Aspekte schießen bei Trier zusammen bilden (als Geflecht) das „System“ des Films. Trier emotionalisiert diesen Gedanken in einer schwülstigen und zugleich abgründigen Weise, indem er ihn aufs Individuum bezieht. Nicht ein Kollektiv wird im Angesicht der Vernichtung gezeigt, sondern eine kleine Gruppe (sozusagen die matriarchiale Kleinfamilie), und alle Genderfreund:inn:e:n, die Langeweile für ein ästhetisches Kriterium halten, müßten sich noch dazu freuen: die Männer sind quotengerecht, bis auf einen Jungen, in Feigheit davon und tot.
Trier kombiniert filmische Elemente wie Pathos, Kitsch, Dogma-Ästhetik, greift zum Zitat (Vinterbergs „Das Fest“, Tarkowskis „Solaris“), aber diese Mittel dient nicht als Selbstzweck. Das zeigt sich etwa darin, daß der Film funktioniert, auch wenn man manche der Anspielungen nicht versteht. (Anders als bei Peter Greenaways Filmen.) Dieses Emotionalisieren funktioniert nicht anders als Lynchs Schwärze. Es gibt Filme, die leben von der Überzeichnung. Mich interessieren Filme, die ein gefälliges und zugleich überzeichnetes Element haben, ohne sich gefällig zu machen.