Das Arbeitsjournal des Montags, dem 12. Dezember 2011. Mainz.

5.59 Uhr:
[Auf dem Berg Bauhaus.]
Gegen Viertel nach acht Uhr abends kam ich gestern an; M. holte mich ab; lange saßen wir mit A., ihrer Schwester, erst auch noch mit den Kindern am Tisch, später noch A und M und ich, dann nur noch M und ich, einen schweren Roten leerend. Während der Herfahrt von Braunschweig im ziemlich überfüllten ICE mit Freund Leukert, fluchtartig im Speisewagen verschanzt, da aber dann die Anekdoten: „Wie ist er denn gewesen, Nono, Dallapiccola?“ Leukert kennt sie ja alle. „Er hatte solch einen Überbiß und rauchte unentwegt aus einer langen Zigarettenspitze. Aber immer, war eine Zigarette aufgeraucht, entnahm er einem Döschen eine Pfefferminzpastille und schob sie sich vorn hinter die Zähne. Derweil er lutschte, drehte er die nächste Zigarette in die Zigarettenspitze und zündete sie dann auch gleich an. Er gab mir auf jede Frage eine Anekdote zur Antwort. Erst viel später, als ich die Bänder auswertete, begriff ich, wie präzise diese Antworten waren.“
Auch schön ist, daß man sich in seinem Hause nie direkt gestritten habe, gestritten aber sehr wohl und auch scharf: „nur aber immer mit literarischen Zitaten, die man sich an den Kopf warf.“
Bilder.

Seit direkt nach dem Tod meiner Mutter hatte ich weder A noch M mehr gesehen; nun leben die beiden Schwestern direkt nebeneinander in eigenen Bauhäusern, die freilich nach Arbeiterwohnung gar nicht mehr aussehen: auch das eine Art, wenn man es denkt, sich Geschichte zu vergegenwärtigen. Aber wir sprachen lange über Frauen und Männer, Familienkonstellationen. Kinder, Liebhaber, Frauen halt und Männer. Zwischendurch immer mal wieder hinaus auf das Emporchen am Garten, um eine Zigarette zu rauchen. Drinnen ist rauchfrei. Für Pfeifenraucher ist das blöd, wenn wir nicht grade Sommer haben. Also rauchen sie Zigaretten. So is‘ das. (Bauhaus mag keine Funksticks, übrigens. Wackelnetz.)

Das Training beginnt um neun Uhr; ich werde vor dem späten Nachmittag kaum wieder an Die Dschungel kommen. Momentan schläft hier noch alles. Ich nutze die Zeit, um den Jungenroman II durchzusehen: was ich von ihm schon habe. Den Kopf lockern. Es muß gespurtet werden.

Steht man in der noch nur von Fensterlichtern angrenzender Häuser durchschimmerten Schwärze im Garten, ist nahbei der Verkehr einer Autobahn oder eine Zubringers zu hören, was nach einem unentwegten Wasserfallrauschen klingt, doch einem, das elektronisch erzeugt ist. Und die Espressomaschine will, daß ich dauernd das Abtropfbeckchen leere; tu ich dies, soll ich es abermals leeren. Und wieder und so dauernd weiter. Leck mich, denke ich. Da spricht er nun anders zu mir. Ich dürfe jetzt, sagt er und fordert mich, als der Espresso durchgelaufen ist, auf: „Prod entnehmen“. Ja, derart verkürzt spricht er jetzt, offenbar verstimmt. Ich überlege eine knappe Minute lang, ob ihm von meiner Kindheit erzählen. Aber ich bezweifle ernstlich, daß ihn sie wirklich interessiert.

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