Journale zwischen den Jahren. Das dritte ist des Donnerstags, dem 29. Dezember 2011. Ein weiterer Geburtstag, nunmehr in der Erinnerung an eine Tote. Konsolidierung mit Saint-Exupéry.

8.40 Uhr:
[Arbeitswohnung. Uri Caine, The Drunmmer Boy: Improviationen auf Mahler.]
Eigentlich möchte ich heute, das Buch „einschiebend“, den ganzen Tag lang >>>> Nachtflug lesen.

Werde damit auch beginnen, nachdem ich noch gestern nacht schon die sieben ersten Seiten las. Noch und schon. Und höre Uri Caine dazu, über den ich heute schreiben muß und will: es wäre gut, ginge meine Rezension heute noch bei der FAZ ein. Abermals „noch“. Vielleicht schreibe ich also, bevor ich lese. Hätte dann aber nicht mehr den gewünschten Effekt. Der aber rein persönlich ist und rein erahnt. Zu viel Reinheit schon wieder, vielleicht schon wieder zu viel „Ziel“.
Immerhin erst um acht Uhr auf. Konsolidierung beginnt mit kleinen Schritten. Erster Latte macchiato, erste Morgenpfeife. Heute wäre meine verstorbene Mutter 81 Jahre alt geworden. Ihr Geburtstag hat in meinem Leben so gut wie nie eine Rolle gespielt, außer der meines Lebens – was noch vor zehn Jahren ein bitterer Satz gewesen wäre; „noch“: heute ist er nur noch Feststellung. Momentan würd ich mich gern den ganzen Tag lang nicht bewegen, äußerlich. Um halb zwei Uhr Fußpflege aber, die, wie Sie wissen, meiner Konsolidierung so dienlich ist, wie wenn Frauen ihr Haar waschen. Dazu, jedenfalls, muß ich hinaus.(Twoday ist mal wieder down. Wie sich langsam unsere Sprache, Wort für Wort, ersetzt.)

11.45 Uhr:
[Zum bestimmt nun sechsten Mal:
Uri Caine, Two Blue Eyes, aus: >>>> The Drummer Boy.]

Fertig geworden mit der Rezension. Ich fange an, eine eigene Sprache für Musikkritiken zu entwickeln:…bevor ein weiteres Kindertotenlied erklingt, viertels wie von Berio gesetzt, halb im Groove nächtlich schwarzer Straßenschluchten, in denen es aus Bars heraufklingt, die eine Garbo-Sopranette ihr Mikrophon behauchen lassen: im letzten Viertel verloren, wie in Henzes Tristan die Kinderstimme ist.Auch meine Kritiken möchte ich gerne e r z ä h l e n.
Eine Stunde nun den Text abhängen lassen, dann ihn noch einmal durchsehen und wegschicken.
Mach ich mir einen dritten Latte macchiato?

18.34 Uhr:
In einem Zug >>>> NACHTFLUG gelesen – was nicht schwierig ist, weil die Erzählung kurz, kompakt, wenn auch sehr dicht ist. Ich werde gleich gesondert dazu schreiben. Sie ergreift, aber eben auch mit Ambivalenz. Nachdenklich danach Meyer Kupfermans Konzert für Cello, Tonband und Orchester angehört, versunken in Gedanken, die ungriffig nicht schwirrten, sondern schwebten. Nachdenken über den Pflichtbegriff, vielmehr: seine möglichen Inhalte, nachdenken auch, notwendigerweise, über den Mißbrauch, der mit ihm getrieben wurde und auch ihn fast völlig desavouiert hat. Mehr noch: Saint-Exupérys Der Mensche brauche etwas, gegen das er sich austauschen könne – jenes Höhere, Individualübersteigende, das auch den Tod mit einschließt, und Opfer, und mindestens ebenso, als Forderung und affimieres Bewußtsein, jederlei Mißbrauch, bis zum Furchtbarsten, ist ausgesetzt gewesen und ist zugleich doch Säule fast jeder Moral und Religion, muß es sein. Aber ich erzähl schon zuviel von meiner „Kritik“.
Dann rief der Profi an. Endlich einmal wieder gesprochen. Familiäres hielt und hält ihn ab, wohl auch praktisch Politisches, über das er nicht sprechen darf. Eventuell treffen wir uns noch nachts. Bis dahin will ich lesen und eben auch zum Nachtflug schreiben. Sowie >>>> d a s, leise doch unausgesetzt, beschäftigt mich weiter. Indem ich davon schreibe, auch hier, besprech ich‘s mich mit mir selbst.

2 thoughts on “Journale zwischen den Jahren. Das dritte ist des Donnerstags, dem 29. Dezember 2011. Ein weiterer Geburtstag, nunmehr in der Erinnerung an eine Tote. Konsolidierung mit Saint-Exupéry.

  1. Kräfte in Bewegung “Dans la vie, il n’y a pas des solutions. Il n’y a que des forces en marche: il faut les créer et les solutions suivent.”

    Antoine de Saint-Exupéry, Vol de Nuit

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