Der Jesuit ODER Döblins Großinquisitor. Wallenstein (3).

“Weißt du, Kind, was Jesus gesagt hat. Du mußt es dir merken. ‚Weide die Schafe‘; er hat es zu Petrus gesagt. Ist ein Schaf ein vernünftiges Tier? Das mußt du dich fragen. Ein großer Mann, der unserer gesegneten Gesellschaft angehörte, hat viel darüber nachgedacht. Jesus hat nichts von sich gegeben, as belanglos wäre. Die Schafe sind unvernünftige Tiere, sie sind vielleicht die unvernünftigsten. Sie haben Triebe und Begierden und weiter nichts. Du siehst, wie Jesus von den Menschen gedacht hat und welche Aufgabe er der Heiligen Kirche zuerteilte. Wir sollen sie führen und weiden, wir wollen wissen, wen wir vor uns haben; wir sollen also keine Leithammel sein. Petrus nahm den Hirtenstab und übte das Hirtenamt. Weißt du, mein Kind, wer wohl als Leithammel zu betrachten ist?“ „Nein, Ehrwürden.“ „Nun“, er flüsterte, „wir sind ja nicht weit vom Schuß. Es sind die Fürsten, Könige und Kaiser. Sie sind der Kirche danach untertan, ja eigentlich ihr Eigentum; denn was kann der Herde besser geschehen, als daß der sachkundige Hirt sie besitzt. Aber es ist eine Verwirrung eingetreten, die Gewalt triumphiert; kaum daß sich unser Heiliger Vater in seinem Leben gegen die wildgewordenen Lämmer behaupten kann. Ach, wir haben noch viel Arbeit vor uns, mein Kind. Frei dich deiner jungen Knochen.“
Als der Alte seufzte, meinte der andre leise: „Lange bleibt der Kaiser aus.“ „Wir werden warten“, seufzte der Alte. Nach einer Weile: „Ein sonderbarer Schlag Mensch, ein Fürst. Sie sind etwas für sich. Das Volk spürt es. Als Priester wirst du deine besondere Meinung über sie haben, Kind. Sie sind fast die schlimmsten der Unvernünftigen. Es ist gewiß, daß die Menschen von Natur frei sind. Ist ja doch jedes Lamm und Schaf, jeder Hund frei; er kann laufen, wohin er will. Und der Hirsch, die Wanze, der Floh. Warum nicht der Mensch? Frei bleibt der Hirsch aber nur, solange es keinen – Jäger gibt. Eine Muskete überredet den Hirsch, seine Freiheit aufzugeben, eine Muskete hat große Überzeugungskraft. Was die Könige Herzöge und Grafen in ihren Ländern tun, ist von dieser Art. Das wirst du einsehen. Wenn ich einen Hirsch einsperre, so übe ich damit kein Recht, sondern eine große Geschicklichkeit.“ „Warum läßt Gott dies zu?“ „Du bist nicht töricht, mein Kind. Gott ist noch nicht an der Reihe. Weil die Fürsten die Gewalt haben, glauben sie die Vernunft, den göttlichen Gedanken entbehren zu können. Niemand ist so Verwirrungen ausgesetzt wie ein Fürst. Sie verlieren den Boden unter ihren Füßen und rennen ins Leere. Ihre Völker können sie mit sich ziehen. Wir müssen uns der Fürsten bemächtigen, und wenn uns das nicht gelingt, der Völker. Wir dürfen nicht nachgeben und vor nichts zurückschrecken. Nur die Heilige Kirche wird die Menschheit von dem Abgrund zurückhalten.“
Vor einem hohen Wandbild blieben sie verschnaufend stehen; auf dem Schoß der blaumanteligen Jungfrau spielte das Kind mit einem goldenen Buch. Sie stockerten weiter. Der Alte wies rückwärts mit dem Daumen auf das Bild: „Das Buch. Das Buch. Damit glauben nun unsre Schäflein zu haben, was sie brauchen. Jetzt sind sie die Herren. Wer lesen kann, hat Zugang zu Gott.“ „Das ist ja Ketzerei.“ „Nun, hast du einmal nachgedacht darüber, wer schuld ist an der Ketzerei? Luther? Huß? Ei was. Sie sind Betrogene. Es sind alberne flache Köpfe; es reicht bei ihnen nicht zu einem Betrug. Das Buch. Was war Sünde, uns ist es längst klar, die Schrift Laien preiszugeben, sie überhaupt schreiben zu lehren. Die heiligen Worte heilig zu halten, wäre wichtiger als alles andere gewesen. Die heiligen Worte hätten von Papst zu Papst mündlich überliefert werden müssen, und niemand hätte von ihnen hören dürfen, als die der Papst heranzog. Von diesem Baum der Erkennt­nis können einfache Menschen nicht essen.Nun ist das Unheil geschehen, und was ist die Folge? Die Massenketzerei. Sie fußen auf der Bibel. Hast du das einmal gehört von den Prädikanten: auf der Bibel? Diesen Tonfall? Das klingt so stolz, als wenn einer sagt: das hat Lamez gelehrt, das hat Vitelleschi gefordert. Sie können, mein Sohn, ebenso sagen, sie fußen auf der Natur, der Tierwelt, den Sternen, auf den Kristallen, den Meerfischen, dem Schindanger. Denn was ist gesagt mit: Bibel? Ein Manuskript voll von Sätzen, von Silben, Buchstaben, Schriftzeichen, hebräisch griechisch lateinisch. Meine Augen gleiten darüber hinweg, ich finde dieses Wort, jenes, zähle zusammen l-o-g-o-s, es gehört schon ein Entschluß dazu, logos zu sagen. Ich steige, kaum ich meine Augen bewege, ins Geistige – die geschriebene Bibel verschwindet. Mein Geist herrscht.“ „Ehrwürden hält nichts von der Heiligen Schrift?“ „Die Heilige Schrift nichts? Freilich. Wenn du stark bist und nicht erschrickst, Kind: sie ist in gewisser Hinsicht nichts.“ „In gewisser Hinsicht?“ „Eine Papiersammlung, ha, du brauchst nur einen Indianer fragen, ob ich nicht recht habe. Jeder Vogel wird es dir bestätigen. Male die Buchstaben der Bibel auf eine Sammlung Lebkuchen, gieße sie mit weißem Zucker genau nach dem Urtext; du wirst eine Kuh als natürliche Autorität hinzuziehen – sie soll dir sagen, ob das die Bibel oder Lebkuchen ist. Sie frißt das ganze Paket auf und du darfst dann kein Wunder von dem Tierdarm erwarten; was die Kuh später von sich gibt, ist ein Kuhfladen wie jeder andere. Verzeih – ja, du lachst, Kind – ich will nur sagen, diese lutherische Kuh hat brav gehandelt, aber sie ist auch trotz des lutherischen Bekenntnisses unsre gute Kuh geblieben.“ „Ich verstehe.“ „Und machen wir erst diesen Schritt, so machen wir alle. Dieser Buchstabenglaube, sag ich dir, ist ein Rückfall ins Judentum. Weh dem, der glaubt, weil er zwei Füße hat, er könne auch alleine aufstehen. Unser Glaube hat Freiheit, der Heilige Geist hat die Evangelien diktiert, er ist mit dem Papst. Nur mit dem Heiligen Geist ist die Freiheit. Wir werden ernstlich einmal darangehen müssen, der Kirche und dem Papst die Bibel wieder zu erobern; wir müssen die Schafe vor dem Wahnsinn und dem Tod schützen.“
Gänge, Türen, Treppen,. Sie stiegen ernst über die Holzdiele. Hinter den Fenstern des Erdgeschosses saßen sie, blickten in den Wald hinaus. Sie warteten, Ein Diener brachte ein niedriges Tischchen mit Äpfeln und Zuckerwasser. Der Novize öffnete vor dem Priester ein Fenster. Erfrischende Luftströme.


Alfred Döblin, Wallenstein >>>> S. 695 ff.
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