Morgens in Mitte. Viel ruhiger als erwartet im Aufnahmeort; die Tür zum Gendarmenmarkt stand auf, so daß aber Verkehrslärm in den Showroom fest beherrschend eindrang. Ich nahm dennoch Töne, etwa zwanzig Minuten am Stück, die ich später geschnitten unterlegen werde.
Vierfünfmal alle Passagen gesprochen, schließlich auch laut und ungewzungen. Vorher hatte mich die „Wachhabende“ angesprochen, gefragt, was ich vorhätte, um eine Kopie des Hörstücks gebeten. Klar, bekommt sie. Nebenan das moderne GlasStahlGebäude der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; es führt eine kleine Tür von Max Planck dort hinein: mehrfach ihr Öffnen und Schließen auf Band, auch jemanden, die die Treppe hinaufgeht.
Auch Außenaufnahmen gemacht.
Man wird jemand anderes, wenn man nicht nicht nur, aber vorwiegend über die Ohren wahrnimmt: der sonst lästigste Lärm wird Errlebnis, bekommt Fülle, Tiefe, Geheimnisse auch. Ich bin dann ein bißchen autistisch; ein sehr ähnliches Grundgefühl, wie ich es letztes Jahr beim Tauchen hatte, unter Wasser. Es läßt sich auch nicht eigentlich mit anderen kommunizieren, weil man keine willentliche Störung in die Hörerlebnisse bringen will.
Nachdem Barrientos fort war, noch einmal ums Karree geschritten, Behrensstraße, Friedrichstraße, Unter den Linden. Auch das aufgenommen. Was ich erreichen will, ist, die hohe Künstlichkeit in Dokumentation zu verankern, so daß das ganze Stücke stark realistisch akzentuiert ist; da ist besonders für ein Sujet reizvoll, das auch dann nach wie vor als „Science Fiction“ gilt, wenn vieles von dem, was Galouyes Literatur erzählt, beinah schon Wirklichkeit geworden ist. Erkenntnistheoretisch spannend dabei ist die auch in anderer Science Fiction zu erkennende Renaissance des Platonismus: die Idee als das Wirkliche realisiert sich im Primat des Beswußtseins anstelle eines der materiellen Objektivität.
Nachmittags kam Broßmann, um seinen Part durchzusprechen. Ich ließ ihn und meinen Jungen wechselsprechen, das funktionierte so làlà. Wir zogen dann ins Beaker‘s runter, während mein Sohn Cello übte. „Wie lege ich dieses an, wie lege ich jenes an?“ Dort sachlich, Nachrichtensprecher, hier szenisch, spielen, „sei aufgeregter, ergriffener“. Daß man, was ich mit diesem Stück wieder schaffe, ein „Feature“ nicht eigentlich mehr nennen kann, ist klar. Es ist aber auch kein Hörspiel, sondern bewegt sich ständig an den Grenzen der Kategorien; soll aber spanend sein. Mal sehen.
Mit wurde über den Tag auch das Verfahren deutlich, das ich für die Klanggestaltung anwenden will. Also: Der Text wird in richtiger Reihenfolge montiert, als Tondatei. Dann höre ich ihn ab, und setze mich ans Cello dabei. Während er läuft, improvisiere ich vor dem Mikrophon auf dem Instrument. Die Wavedatei wird dann unter die Sprechermontage gelegt, ein nächstes Mal wird gemischt; wieder geht die Datei in den Player, wird wieder gespielt, während ich nun aber das Akkordeon nehme. In Echtzeit lege ich auch diese so entstandene Tondatei unter die Montage. Jetzt wähle ich, was als Klang gut ist und fülle nachher mit immer neuen Cello-/Akkordeongängen Leerstellen auf. Das Akkordeon wird mir vor allem für die Herstellung von Raum dienen, untere Register, denke ich mal, besonders. Noch, denke ich, geht es nicht um Musik. Die wird es erst in einem späteren Hörstück werden.
Morgen die professionellen Aufnahmen im ARD-Hauptstadtstudio. Danach werden mir nur noch paar Einzelstimmen fehlen, Zufallsstimmen, die ich, wie >>>> im Ricarda-Junge-Hörstück, wo das aber das tragende Prinzip war, irgendwelche Menschen sprechen lasse, denen ich auf der Straße, im Café oder sonstwo begegne, vielleicht auch morgen in der ARD-direkt. Das sind Sekundentakes, nicht mehr.
Und ich muß einmal aufs Pissoir, pinkeln, Hände waschen, die Türen dazu. Gehört ins Stück. Meine Idee ist, daß all sowas den Realismus verstärkt. Theorie: Der ästhetische Realismus ist kein Realismus, sondern ganz besonders hergestellt. Diese Kritik läuft unter all meinen Arbeiten immer mit. Es ist eine am Dokument-selbst. Nach wie vor.