Fahrlässigkeit und Geschick ODER Wie man Fehler zum künstlerischen Prinzip macht. Die Erste Montage (Erste Fassung). Die Vorhänge der Wirklichkeit (9). Daniel F. Galouye.

Donnerstag, der 3. Mai:
Einen klassischen Fehler habe ich gestern gemacht; mag sein, es lag an der Zahngeschichte. Klassischer Fehler, meistens, sind Anfängerfehler, zum Beispiel, wenn man an der Börse einen Verkaufsauftrag erhält, aber in der Eile versehentlich das „Buy“ ankreuzt. Macht jeder mal; die „Kunst“ besteht dann darin, sich auf der Affäre möglichst elegant wieder herauszuwinden – was kein Problem ist, wenn der „Irrtum“ gutgehen sollte; verliert man aber dabei, zeigt sich, wer geschickt ist. Das habe selbstverständlich auch ich in der Geschichte meines Lebens stehen, als Anekdote, glücklicherweise; es hätte damals auch eine Katastrophe werden können.
Katastrophe war es auch diesmal nicht, aber kostete sehr viel Zeit. Nämlich waren mir vorgestern nacht beim Abhören der >>>> Probemontage zwei Fehler im Text aufgefallen, die ich unbedingt korrigieren wollte. Zum einen erzählt das Typoskript von einer jungen Frau, die in der Science Galery die Führungen mache; gesprochen wird der Part aber von Barrientos, die eine vortreffliche Sprecherinnenstimme hat, aber keine, die auch nur ungefähr nach Jugend klänge. Also muße das „junge“ herausgeschnitten werden; zum zweiten gibt mein Text an, es sei „vollkommen still, bzw. still wie in einer Kirche“, aber ich lege zugleich eine permanente Geräuschkulisse, nämlich den tatsächlichen O-Ton, darunter, der auszugsweise sogar zu einem akustischen Leitmotiv des Stückes wird. Das widersprach sich.
Soweit okay und soweit auch durch Kürzung und Umstellung innerhalb der Tondatei zu korrigieren. Nur finden sich die Fehler in der durchlaufenden Sprecherdatei des ARD Hauptstadtstudios, und weil ich sie ganz oben als Spur 1 einfach durchlaufen lasse und dann jeweils die Takes schneide, aber als Hauptspur weiter durchgehen lasse, haben die an sich nur kleinen, in Sekunden berechenbaren Korrekturen die gesamte Anlage der Montage zeitlich durcheinandergebracht; Hunderte Tonschnipsel saßen dann unkorrekt, weil die Hauptspur nun immer, wenn ein neuer herausgeschnittener Einsatz kam, an falschen Stellen begann.

Dadurch geriet die gesamte Montage ins Wanken, Zittern, Vibrieren, war teils restlos unverständlich. Dabei hätte ich nur die zwei Passagen, um die es eigentlich ging, kopieren, als getrennte Dateien neu anlegen, dann korrigieren und schließlich an die vorherigen Stellen einfügen müssen. Aber ich dachte einfach nicht dran – und hatte den Salat. Da half es auch nichts, daß ich selbstverständlich die Probemontage getrennt abgespeichert hatte, denn auch sie bezieht sich direkt auf die originalen Tondateien.
Echter Anfängerfehler, ich darf nicht klagen.
Alles, somit, von vorne bis hinten durchgecheckt und noch den kleinsten Tonschnipsel korrigiert – das sind Hunderte unterdessen. Stunden zusätzlicher Arbeit. Doch aber, nun zum Geschick, kam mir genau während und wegen dieser Arbeit die Idee, wie ich Galouyes Roman „Simulacron 3“ für die Akustik sinnlich machen könne: ich ließ nämlich ein paar der Fehler nicht nur stehen, sondern baute jetzt bewußt nach vorne hin weitere solche und auch ganz anders geartete Fehler ein, unterlegte sie jeweils mit einem elektronischen Alarmsignal und mischte insgesamt auf die O-Töbe ab. Schließlich, da war es 22.30 Uhr, seit morgens um neun hatte ich drangesessen mit der Unterbrechung, siehe Arbeitsjournal, durch einen Zahnarzt und einen Kieferchirugen – schließlich also, als ich das Stück zur Nacht parallelsichern ließ, hatte ich insgesamt fünf der neun noch fehlenden Minuten „eingespielt“.

Freitag, der 4. Mai:
Jetzt werde ich das Ergebnis erst einmal in Gänze abhören, vielleicht aber auch vorher noch in die Straßen hinab, um mir die letzten Zufallsstimmen zu holen, die ich nun unbedingt brauche. Die Zeit, befriedigend noch mit Platzhaltern arbeiten zu können, ist bei erreichtem Stand des Hörstücks definitiv vorbei; ich muß allerdings auch noch auf die eingesprochenen An- und Absagen der Redakteurin warten. Erst wenn all das eingefügt worden ist, läßt es sich exakt auf die Sendezeit hin arbeiten.
Zudem will ich heute schon einmal erste Versuche mit Cello und Akkordeon machen, auch wenn ich mir mittlerweile nicht mehr ganz sicher bin, ob das Stück überhaupt Musik, bzw. Außenklänge noch braucht.

20.25 Uhr:
Die Montage ist prinzipiell fertig, auch die noch fehlenden Stimmen sind drin… was dauerte, weil ich heute sehr viele Freiwillige nicht fand, vor allem nicht schnell, und weil dort, wo ich aufnahm, einiger Verkehrslärm herrschte. Also waren die kleinen Tondateien hier noch zu bearbeitet, zu schneiden ja sowieso. Dennoch blieb ich noch runde sieben Minuten unter Soll; ob ich die auffüllen könne, also organisch, etwa mit Cello und Akkordeon, kann ich bis jetzt nicht sagen. Aber ich hatte aus dem Höreindruck heraus eine völlig neue Idee, die eines Epilogs, wie er bei Galouye in seinem letzten Roman auch wirklich steht. An sich brauchte ich, um ihn einzusprechen, noch einmal einen Termin im ARD HS, aber erinnerte mich einer Idee Freund M.‘s: „Probier das mal aus: stell einen Stuhl auf den Tisch und verhänge ihn mit Decken. Innen positionierst du das Mikro und sprichst dann deinen Text in den Stuhl und die Decken hinein. Du wirst staunen.“
In der Tat. Für diesen Epilog ging das prima, woraus ich jetzt schließe, daß ich, wenn ich in Zukunft Rezensionen für den Funk sprechen werde, das genau so tu. Spätestens, wenn man die Sprachaufnahme auf mp3 runterzieht, ist eine Differenz nicht mehr zu hören. (Ja, es fehlt an natürlichem Baß und natürlicher Fülle, vorausgesetzt, man hat sowas in der Stimme auch drin. Für Zweckhörer ist das aber wurscht. Nicht so, selbstverständlich, in Hörspiel und Hörstück, also in künstlerischen Bereichen. Nur daß in diesem Fall jetzt der etwas flachere Ton exakt zu dem paßt, was Galouye in seinem „Regenesis“ genannten Epilog entwickelt.)
Gut, einzweimal hör ich mir das Resultat heute noch an. Morgen früh experimentiere ich dann mal mit den Instrumenten; wie das ausgehen wird, kann ich allerdings nicht sagen. Außerdem fehlt eines eben doch noch: die An- und Absage meiner Redakteurin; beide sollen ins Stück montiert sein. Da muß ich auf die morgige Post oder auf die von Montag warten. Hier, zu Ihrer Erbauung, die Tonschnipselei:

Ich liebe es zu schneiden; perfekte Schnitte – es gibt auch hochinspirierte – können sogar Abfall zu lupenreinen Diamanten schleifen.

>>>> Galouye 10
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