[Arbeitsjournal. Lutosławski, Konzert für Orchester.]
Hätt ich nicht gedacht, auch heute so früh hochzukommen. Es war halb eins, als ich schlafen ging. Ein enorm spannendes Soko Leipzig, >>>> Zeugen der Anklage, das eine Kleist-Position erzählt: „Ich werde mich stellen und nicht leugnen“, sagt nach Eva und Volker A. Zahns Drehbuch der selbsternannte Ankläger, Richter und Vollstrecker, der für seinen Schauprozeß vier Leute entführt hat, zum Kommissar, „wenn das hier vorüber ist“. Die vier waren die vier maßgeblich Beteilten in einem Prozeß, an dessen Ende der Angeklagte, des Rechtsgrundsatzes in dubio pro reo wegen, freigesprochen werden mußte; jetzt, fünfzehn Jahre später, hat ihn der neue Stand der Technologie ohne Zweifel überführt, aber eben nachträglich. Dennoch kann er, eines nächsten Rechtsgrundsatzes wegen, nicht abermals zur Verantwortung gezogen werden. Das übernimmt nun der Entführer selbst, dessen junge Tochter, damals, ermordet worden ist. Ein Wahnsinniger, also, meint man, der den Verlust nie verwunden. Das ist es indessen nicht, was diese Serienfolge interessant macht, sondern daß sie einer bestimmten Grundhaltung Ausdruck verleiht, die mit Verantwortlichkeit und Pflicht zu tun hat. Der Entführer will Gerechtigkeit, auch wenn sie gegen das Recht verstößt, und er ist bereit, dafür den eigenen Kopf zu geben. So etwas kennt die Literatur nur von Kleist: daß jemand einer höheren, eigentlichen Gerechtigkeit folgt und sie durchsetzt, im Gegenzug aber aber sich selbst opfert, damit die weltliche Gerechtigkeit nicht beschädigt wird, der zu folgen allgemeine Pflicht ist und das auch sein muß.
Zwei schwere Rechtsgüter stoßen hier aufeinander und auf die, auch von mir vertretene, Ächtung der Todesstrafe. Kommissar Trautzschke ruft sogar aus: „Wir sind nicht in den USA!“ – was ein zusätzliches Feld öffnet, wenn man daran denkt, an wem wir uns politisch orientieren, vom Umbau der sozialen Marktwirtschaft in die ZweiKlassenGesellschaft bis zum Rauchverbot; auch die Ächtung der Folter von Gefangenen ist hier zu nennen, um ein weiteres Mal das noch immer nicht geschlossenen Guantánamos anzumahnen. Und der entführte damals vorsitzende Richter erklärt: „Ich kann nicht jemandem verurteilen, wenn die Indizienlage auch nur einen Zweifel offenläßt, egal, ob ich von der Schuld eines Angeklagten überzeugt bin oder nicht.“ Das Mädchen bleibt aber tot, und dem Rechtssystem nach bleibt der Mörder ungestraft. Nur: Ist er fünfzehn Jahre später noch der, der gemordet hat? Auch das wird in dieser Folge gefragt und einige Antwort gegeben, die auf Nein lautet. Was abermals eine Frage von Gerechtigkeit aufwirft, die in unserer Gegenwart durchaus, in kantschem Sinn, „praktisch“ ist. Selbstverständlich gibt es keine Antwort, die harmonisch wäre, wir verbleiben, alle, in einer Ambivalenz, die uns normalerweise unklar ist und das vielleicht sogar sein muß, damit wir leben können. Der nachüberführte Mörder, der jetzt auch wirklich gesteht, wird von dem Entführer eigenhändig erhängt, die Polizei trifft endlich ein, aber – eine Art Antwort des Drehbuchs – für den Erhängten zu spät, der Entführer, nun zum Mörder des Mörders geworden, wird abgeführt, ohne daß er, wie er es auch angekündigt, sich wehrt; die anderen alle bleiben so ratlos wie wir selbst, die Zuschauer des Stücks, mit unseren Fragen zurück: Fragen nach der Moral, Fragen nach der Ethik, die wir immer mal wieder theoretisch stellen mögen, doch bequemerweise meist wohl auch das nicht, deren Konsequenzen hier aber vorgeführt sind. Das ist Fernsehen als ein Theater in seinem besten, seinem schärfsten Sinn. Auch hier das Tragödische wieder, das mich nun schon so lange beschäftigt und wieder und wieder beschäftigen wird. Alle Beteiligten sind von Leid gezeichnet, besonders auch der Mörder und sein Ankläger, beide intensivst gespielt, dieser übrigens von >>>> Florian Mertens, den ich am Sonnabend, irrer- wie komischerweise, für einen mir persönlich Bekannten gehalten habe, als er auf dem Elterntreffen im Birkenwäldchen herumstand.
Jedenfalls aus diesem Grund kam ich nicht pünktlich ins Bett. Die Fragestellung des Films ging mir noch beim Aufstehen nach und wird mich über den Tag wohl weiter begleiten. Sehen Sie ihn sich an, so lange er noch in der Mediathek steht. Hier >>>> ein zweites Mal der Link.
Jetzt also erst einmal wieder die weitere Übertragung meiner Argo-Handkorrekturen; bin auf Seite 349 unterdessen und, insofern ich hiermit im September fertigwerden wollte, gut in der Zeit. Dafür liegt Die Neue Fröhliche Wissenschaft immer noch weiter unbearbeitet herum. Ob ich das Buch noch in diesem Jahr fertigbekomme, wird immer ungewisser; ich hoffe, daß >>>> Abendschein mir das nachsieht. Argo geht aber vor, ich muß die Anderswelt-Trilogie endlich abschließen, der dritte Band muß nach so viel verstrichenen Jahren endlich erscheinen, auch schon, damit ich es aus dem Kopf habe und mich den neuen Arbeiten zuwenden kann. Überdies drängt mein Artikel über >>>> Peter H. Gogolin; er selbst wird am Donnerstag hier bei mir sein, damit wir das Gespräch führen können, das ich als eine Grundlage nehmen möchte.
Nach Argo, sowas gegen acht, wenn ich die Wiener Löwin geweckt haben werde, geh ich dann ans neunte Stück des >>>> Giacomo Joyce. Zwischendurch muß ich mir einen Aufnahmetermin im ARD Hauptstadtstudio holen, >>>> A.L.Kennedys wegen, vielleicht schiebt man mich heute noch rein. Und ich muß meinen Jungen für den zehntägigen Französisch-Intensivkurs des Institut français anmelden, den ich übrigens auch gern gemacht hätte, aber er überschneidet sich leider, da werden bereits Herbstferien sein, mit der Frankfurter Buchmesse.
8.45 Uhr:
Während ich arbeite und dabei Lutosławskis Orchesterkonzert höre, spüre ich eine zuvor unvermutete Nähe zu >>>> Pettersson und wechsle die Musiken: Petterssons Streicherkonzerte. Wenn aber eine Seite s o aussieht:
Der nächste Joyce von Giacomo.
Bitte nicht diesen Fehler!!! Mittwoch – nicht Donnerstag
Im Terminkalender. Steht es richtig. Hab es >>>> soeben revidiert.
Bis nachher!