Aus dem Saal: ANH/iPhone.]
Vielleicht ist Neuwirth auch deshalb einen völlig anderen Weg gegangen; hier steht nämlich nicht der Versuch in der Mitte des Interesses, den Intentionen Bergs möglichst nahe zu kommen, sondern die Komposition ist bereits selbst als eine Interpretation des Stückes aufgefaßt und wird in eine satte Botschaft umgespitzt. Das nimmt der Hauptfigur, dieser lolitahaften Femme fatale ohne, meint man, Gewissen, die Tiefe ihrer Ambivalenz. Man kann auch sagen: Neuwirth verflacht sie, indem sie die simple Geschichte eines anfangs naiven Mädchens erzählt, das von Flittchen über Ehefrau, Showstar und Edelprostituierter zunehmend virtuos auf der testosteronen Klaviatur des Patriarchates spielt
Vielleicht hat sie den Beischluß aber gar nicht bemerkt. Das freilich wäre peinlich.-
Dunkel.
Verhaltenes, geradezu ungerecht verhaltenes Klatschen, bisweilen, wenn die Sänger sich verbeugen, kaum ein stärkeres Klatschen für Johannes Kalitzke, der das Stück nicht nur mit Eleganz und Verve sondern auch ausgesprochen durchsehbar dirigiert hat, besonders verhaltene Aufnahme der Komponistin. Ungerecht, ja, vor allem für die über weite Strecken große Musik, über die aber dann – leider leider leider – eine gerade für die Geschichte der Frauenbewegung allzu grobe, zudem banale Agitation den Schatten eines so schlechten Geschmacks geworfen hat, daß die Oper da nicht mehr herauskam, bei aller kompositorischen Raffinesse. Das, ungerechterweise, bleibt. Und alle müssen drunter leisen, ob das sehr gut intonierte Orchester, ob der sowohl sängerisch wie darstellend hinreißend agierende Dr. Bloom Claudio Otellis, ob die intensivst präsente Lulu Marisol Montalvos, ob Rolf Romeis Jimmy; nur bei der Eleanor, also Geschwitz, Della Miles‘ hätte sich mit Recht nicht jubeln lassen, weil sie, da sie allein über Mikrophon sang, zu den anderen in gar keinem sängerischen Verhältnis stand und man allenfalls hätte ihre Schönheit beklatschen können. Das hätte nun kaum im Interesse dieses Emanzipationsstücks gelegen. Hinzu kommt der arge Verdacht eines den Autorinnen womöglich gar nicht bewußten Mißbrauchs der Geschichte der schwarzen Befreiungsbewegung zugunsten mehr oder minder lesbischer Agitation; denn mindestens heikel ist ganz ebenso die in dem Stück als zwangsläufig vorgeführte Allianz einer lesbischen Neigung mit der gesellschaftlichen Aufklärung über die Unterdrückung der Frauen an sich. Unter der haben gelitten, und leiden teils auch heute noch, heterosexuelle Frauen nicht minder. Ob man einen Küchentisch, eine Schrankwand, ein Auto, einen Mann begehrt oder eine andere Frau, hat hier reinweg nichts zu suchen – es sei denn, man legt Wert nicht auf Wahrheit, sondern eben – auf Ideologie.
Olga Neuwirth
AMERICAN LULU
Gesamtkonzept und Neuinterpretation von Alban Bergs Oper Lulu
von Olga Neuwirth (2006-2011)
Musikalische Leitung Johannes Kalitzke.
Inszenierung / Ausstattung Kirill Serebrennikov.
Dramaturgie Johanna Wall, Sergej Newski.
Licht Diego Leetz Video Gonduras Jitomirsky.
Marisol Montalvo, Della Miles, Jacques-Greg Belobo,
Claudio Otelli, Rolf Romei, Dmitry Golovnin, Philipp
Meierhöfer, Hans-Peter Scheidegger, Frank Baer, Jane-
Lynn Steinbrunn.
Orchester der Komischen Oper Berlin.
Die nächsten Vorstellungen:
6.10, 10.10., 6. und 17.11. 2012
30. 6. 2013.
>>>> Karten.
Nachträglicher Gedanke zur American Lulu. Was mich bereits gestern beschäftigte, war das Unternehmen einer Österreicherin, ihren Stoff in englischer Sprache statt in ihrer eigenen zu präsentieren; Neuwirth begründet das mit dem neuen Handlungsort ihrer Lulu; die spiele in den USA, also müsse auch das Libretto US-amerikanisch sein.
Ich glaube diese Erklärung nicht. Wenn ich einen Roman schreibe, der auf Sizilien spielt, muß er nicht in sizilischem Italienisch verfaßt sein; ebensolches gilt für eine Oper, die in China spielen würde; auch da würde niemand von einem Nichtchinesen ein chinesischsprachiges Libretto erwarten. Sogar der hochpolitische Verdi hat seine Oper nach Shakespeares „Macbeth“ nicht auf die englische Sprache komponiert, noch den Don Carlo auf die deutsche.
Meine Vermutung geht dahin, daß Neuwirth mit ihrer Entscheidung den Weltmarkt bedienen will, so, wie das unterdessen auch mit dem Spielfilm gehalten wird: die Drehbücher, auch deutsche, auch italienische, sind von vornherein englischsprachig. Damit schließt sich der Markt auf. Die Einzelkulturen werden ausgedörrt, nein – sie tun es von sich aus, dörren sich „freiwillig“. Um mehr Brösel vom Tisch der Macht heruntergewischt zu bekommen. Es ist die Anbiederung des Unterworfenen an seinen imperialen Herrn: affirmative Akzeptanz der faktischen Macht. Dem entspräche denn auch die seltsam plakative Darstellung der in der Oper selbst behaupteten Emanzipation.
Lulu bei Berg nach Wedekind. Schön: Was bist du?
Lulu (leise): Ein Tier.