Das fünfte Frankfurtmainer Buchmessen- und abends dann, für die Rückfahrt nach Berlin, auch wieder Arbeitsjournal, das am Sonntag, dem 14. Oktober 2012 geschrieben wird.

9.07 Uhr:
[Magdalena Kožená, Lettere amorose.]
Das hat es auch noch nie gegeben, jedenfalls erinner ich mich an anderes nicht, daß ich eine Lesung schwer betrunken bestritten habe – so sehr betrunken, daß ich das Wort „international“ nicht über die Zunge bekam; dreimal, glaube ich, setzte ich an, doch erst beim vierten kam es durch und dürfte dann nach „i‘nernaschonal“ geklungen haben. Neu waren aber auch die Rückmeldungen, daß mein Vortrag als, ausgerechnet, ‚charmant‘ empfunden wurde, „gerade bei diesem“, sagte >>>> Kiehl, „perfekt durchgeformten theoretischen Text“. Mehr noch. In meiner Erinnerung, nachdem Barrientos mich aufgerufen hatte, schritt ich beeilt ans Podium und stellte ein Buch vor mich, der auf das Leinen geprägte Titel dem Publikum sichtbar, stellte es so also auf seine Kanten und erzählte, was auch wahr ist, daß mich mein Verleger von >>>> Elfenbein nachmittags, auf der Messe, habe beiseitegenommen, um mir innig und freundlich eine Art Rat zu geben. Unterm Strich: Er habe von unserem Projekt, Argo, mit einigen jetzt gesprochen, und überall sei ihm sowohl für seinen Mut als auch meine Arbeit Achtung entgegengebracht worden, ja Zustimmung. Aber viele Leute hätten Angst vor mir, vor meinem

Zorn.

Ob ich. Vielleicht. Ein bißchen.
Zu meinem eigenen Guten.

Ich hatte viel Slivovitz getrunken, bei Wieser. Bei den horen zwei Grappa. Irgendwo Wein. Und nichts gefrühstückt. Deshalb war ich sehr milde, sogar, kann man sagen, nachdenklich. In der Tat ist die „Sache“ nicht ohne Bizarrerie, die dem >>>> Geschmack der Götter entspricht, wenn sie sich amüsieren wollen. Denn dieser Zorn entstand doch als Reaktion aufs Ausgegrenztwerden, nicht umgekehrt. Daß er nun, gewissermaßen, für den Grund ausgegeben wird, dessentwegen man mich meide, kann einen freilich auch dann amüsieren, wenn man nicht einmal ein Halbgott ist – ich spreche von antiken Göttern, wohlgemerkt, diesen losen, frechen, begehrenden, un-allwissenden Geschöpfen, die in Sizilien machmal aus einem Koniferenbusch auf der Macchia hervorspringen, nicht selten mit erhobenem, vor Erregung zitterndem Glied, von dem es auch noch tropft. Deswegen kann ich ihnen auch nicht wirklich böse sein, schon gar nicht in dem bacchischen Zustand, im dem ich da gerade war. Weshalb sie sich, die launischen Götter, plötzlich auf meine Seite warfen, mich bei der Hand nahmen, an jeder hatte ich mindestens drei, und zu >>>> zu Klampen führten, wo es dann lag, >>>> dieses Buch: Der Zorn. Eine Hommage. Herausgegeben von Helmut Ortner. .

Und >>>> bei Wieser wieder gab‘s noch eines drauf, also ein nächstes Buch: >>>> Gerechter Zorn. Womit mich diese Götter also genugsam gewappnet hatten, in den Abend zu gehen und vor meine zungenweiche, sozusagen von Nässe herunterlappende eigentlicheLesung aus dem „St..t…t…t..egreiffff“ (uff, geschafft!) eine Art Manifest zu halten. Danach las, sehr gut stehend, Phyllis Kiehl:

Nachdem wir alle vier gelesen, wurde noch gesprochen und wieder getrunken, wobei ich das Kunststück fertigbrachte, mich tatsächlich wieder nüchternzutrinken; jedenfall, als wir, Kiehl, ihr Lebensgefährte und ich, gegen halb Mitternacht bei Reicherts einrollten, konnte ich nicht nur gerade stehen, das war mir allezeit möglich geblieben, sondern auch wieder gerade sprechen. Was wichtig war. Das hab ich auf Sizilien gelernt, überhaupt in Italien, womit ich alles unterhalb der Po-Ebene meine, aber vor allem den Mezzogiorno. In dessen Mitte Pans Stunde, von der ein ganzes Kapitel des >>>> Wolpertingers handelt.

(Es ist, sehe ich, bereits nach zehn Uhr. Ich will noch einmal auf die Messe – um Kinderbücher zu besorgen, die ich immer mitbringe, wenn ich von Buchmessen heimkomm. Deshalb will ich erst später weitererzählen, vielleicht im Zug heute nacht, sowie ich dort mein Tagespensum Argo geschafft haben werde, vielleicht auch erst morgen vormittag vom eigenen Schreibtisch.
Guten Morgen. Bevor ich gehe, sagen Sie mir bitte schnell, was ich heute anziehn soll… und muß ich mich wirklich schon wieder rasieren?)

15.28 Uhr:

[ICE 374 Frankfurtmain-Berlin. Bordbistro.]
Rückfahrt. Der Zug ist, erwartungsgemäß, sehr voll. Also hab ich erst gar nicht nach einem Sitzplatz in den Abteils geschaut, sondern bin sofort ins Bistro, auch wenn ich mir dann den Reiseliter Milch gekauft habe, ohne ihn trinken zu können; statt dessen steht ein alkoholfreies Weitzenbier vor mir: gesund nach solch einer Nacht, wie jeder Sportler weiß. Zumal fiel mir, als ich nach Kinderbüchern schaute und sehr sehr fündig wurde („pfündig“ ist ein ebenso treffendes Wort, wenn Sie an meinen Rucksack denken, also an das, was ihn nun füllt), – fiel mir also eine Frau in die Arme und gleich darauf in ein Bett, das man so nicht bezeichnen kann: eine weitgespannte Matte, frei schwingend, halb im Nieselregen freilich, doch war das für die Hitze gut: um sie zu verlängern. Dann ging ein Schreien über die Messe, einen der Parkplätze freilich dahinter, wie ich ihn zuletzt in Kenia bei einer Löwenbegattung gehört. Das ist nun fünfundzwanzig Jahre her und immer noch tief im Erinnern. Vielleicht lebt es schon gar nicht mehr, das damals gezeugte Großkatzenbaby.
Mein Eindruck ist, daß wir zu langsam fahren. Die Wolken hängen dunkelgrau tief, und Schleier ziehen über das Land. So empfindlich ich da gegen bin, normalerweise, so wenig erreicht es mich grad. Seit morgens fast eine Hochstimmung, sonniges Herbstlächeln; Sie können von Beruhigung sprechen. „Ist das nicht eigentlich gerecht“, fragte morgens Wien, „daß Ihre Krisen ebenso radikal wie Ihre Räusche sind?“
Ich werde jetzt an Argo gehen, bis der Akku des Laptops leer ist; für danach hab ich genug zum Lesen mit. Das handkorrigierte Typoskript liegt, wie Sie sehen, auf dem Tisch.

19.28 Uhr:
Bis Argo TS 575 unten gekommen, nahezu die ganzen vier Stunden durchgearbeitet, und der Akku, tatsächlich, hat da mitgemacht. Ich bin entzückt. Jetzt aber sind es nur noch 9 Minuten, die ich ziu arbeiten hätte, sagt das System. Also schließ ich mal bis Berlin. Wir haben 34 Minuten Verspätung; in fünfzehn muß ich sowieso raus: Spandau dann, von dort mit der Bahn. So gegen 20.30 Uhr werde ich in der Arbeitswohnung sein.
Bis gleich.

20.55 Uhr:
[Magdalena Kožená, Lettere amorose.]
Zurück an meinem Schreibtisch. Verspäteter Sundowner: das wirklich letzte Restchen Ardbeg Alligator. Abend-Cigarillo. Dazu die wunderbare Kožená.
Horstmanns Untier in der SBahn. – Bevor ich nun auspacke und mit zurück an den Schreibtisch setze, rauch ich erst mal auf. Post, außer zwei erwarteten Rechnungen, ist während der ganzen Woche nicht gekommen, wohl aber sind es zwei Päckchen, die im DINOR Feuerlöschservice abgegeben wurden, wo am Sonntag menschlicherweise geschlossen ist.

2 thoughts on “Das fünfte Frankfurtmainer Buchmessen- und abends dann, für die Rückfahrt nach Berlin, auch wieder Arbeitsjournal, das am Sonntag, dem 14. Oktober 2012 geschrieben wird.

  1. Was Sie anziehen sollen? Gestern jedenfalls hätte Ihnen sicher ein Matrosenanzug gut gestanden (Hauptsache Anzug), mit Hose selbstverständlich, also nicht so wie Donald Duck, den ich mir aber auch gut betrunken vorlesend und auch gut zornig ob all der Unbill und Ungerechtigkeit der Welt vorstellen kann. Doch wie sagte man als Kind: Aufgeben gildet nicht!

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