10.45 Uhr:
[Kardinalswohnung, Kaminraum.]
Amelias obere Piazza lag, entgegen der Verlaubarung, still und menschenfrei; die parkenden Kleinautos hatten sie besetzt. Weshalb wir, der Freund und ich, hinab in >>>> die Pizzaria Porcelli spazierten, die voller küssender, weiblicherseits jugendlich schwellender Schweinchen war, über die ich, sofern es >>>> Giacomo zuläßt, gerne ein Gedicht schreiben möchte. Nirgendwo so wie im Süden stellen die jungen Frauen ihre Reize aus; es ist im Zeigen der auch verborgensten Brüste und Hüften eine Virtuosität erreicht, die der Anlaß, sich zu Silvester „etwas“ aufzuputzen, geradezu wie Blüten brennen ließ, die zugleich ihre Früchte blecken, die späteren, wie wenn sie schon empfangen und tierhaft ausgetragen wären; dem geht ein Stolz zur Hand, der durchaus abweist, was er anlockt. Nun war ich sowieso schon, von Shakespeare, dessen Sonette wir, vorher, gelesen, seelisch im Triebe aufgeschnitten worden, so daß meine Krawatte sehr am Platz war. Die jungen Testosteroner, im tiefen Schlauch des Restaurants, lärmten und jubelten um den Tisch, und die zum Irrewerden schlanken Östrogenae ließen Schärpen wehen, ja Schleppen, die lose um die Leiber langten oder eben in diesem Wind, der ihr Verlangen war, sich plusterten, und sie lächelten, sage ich Ihnen – lächelten! – oder waren dunkel vor Geschlechtstiefe, ernst wie das Meer, das nicht weiß, wie und wen es ertränkt, doch daß es nehmen will. All das muß in dieses Gedicht hinein; ich wußte es sogleich. Da ich im Italienischen nicht wirklich mitflirten kann, was aber unbedingt notwendig ist, wenn man sich für dieses Spiel qualifizieren will, blieb ich in der Beobachtung und formulierte mit den Augen. Das nahmen die Frauen freilich wahr, so daß ich irgendwie doch, wenn auch am Rande, der Fremde im Anzug mit dem Cigarillo Raimund Harmstorfs, dessen Schicksal, aber, mir erspart bleiben möge
Wie wir den Abend begonnen, mit gregorianischen Chorälen, so schlossen wir ihn, indem wir abermals zum Shakespeare griffen und uns an Karl Kraus‘ Kommentar zu Stefan Georges Übersetzungen erfreuten („Befund hoffnungslos. Totholz jede Zeile.“). Vorher war Parallalie auf Friedrich Rückert zu sprechen gekommen, weil wir uns Koženás Interpretation der Kindertotenlieder Mahlers, unter dem alten Abbado, angehört hatten. In die spätere Interpretation, die >>>> über die Digital Concert Hall abrufbar ist, kamen wir leider nicht hinein, denn im Kaminraum ist die Wlan-Verbindung zu schwach, um den Ansprüchen der meisterhaften Berliner Toningenieure gerecht sein zu können. Wir werden es heute von anderswo aus noch einmal versuchen. Jedenfalls sei es, so der Freund, des Rückerts Problem, daß er „zu perfekt“ sei, alles, wirklich alles stimme. Die Bemerkung rief meinen entschiedenen Widerspruch hervor, auch wenn es – denn Aslaam – zur Perfektion gehöre, Fehler mit einzuweben – ganz im poe‘schen Verstand, demzufolge eine höchstrangige Schönheit sich immer durch ein gewisses Mißverhältnis in ihren Proportionen zeige. Tomas Tranströmer, dann, wurde vorgelesen, und eh wir uns versehen hatten, war es halb drei nachts und fast die ganze „Dama“ Weines getrunken; dazu unten bei den schwellenden Schweinderln je ein Bier und der Sekt und, nachmittags noch, zur Begrüßung, jeder einen Grappa. So ward‘s denn, die schöne böse Literatur her und hin, Zeit für die Betten.
Jetzt, soeben, bereitet der Freund sich das Frühstück, während ich tippe; er hat auch schon übersetzend etwas gearbeitet, und ich erhielt Post von Prunier: Ende Januar werde er mir seiner Übersetzung der >>>> Isabella Maria Vergana, deren Cover ich leider, rechtehalber und jedenfalls einstweilen, ändern mußte, vorschlagen, damit Die Dschungel dann auch eine französische Ausgabe als eBook in den Markt speisen könne. Und nachdem der Freund gleich gespeist haben wird, werden wir damit anfangen, unsere Joyce-Arbeit zu beenden, damit auch sie als Buch erscheinen kann, sowohl „real“ als auch als eBook.
Es gibt einige Wellen, die in diesem 13er Jahr auf mich zurollen werden, das jenes sein wird, in dem sich die Anderswelt-Trilogie nun vollendet. Auch dazu möchte ich heute noch schreiben, auch noch, aber später, nicht mehr jetzt, da ich allen meinen Leserinnen und Lesern wünsche, was sie selber, für sich, sich ersehnen. Möge es Ihnen erfüllt sein.
16.30 Uhr:
[Beethoven, op. 59 Nr. 3. Andante con moto, quasi allegretto. Budapester Streichquartett.]
Die jedenfalls frechste Nachdichtung eines Literaturstücks von um 1915 stammt heute gewiß von mir: