Zum Donnerstag (31.1.13):
Bis abends um halb 22 Uhr, seit morgens um sechs, saß ich daran. Beim letzten Abhören des Stücks merkte ich, daß noch zweidrei Stellen ummontiert werden sollten, war aber so müde, daß ich dies auf heute verschob, weil ich mir nicht mehr sicher sein konnte, ob ich noch objektiv genug entscheiden kann.
Zum Verfahren selbst erhielt ich die Email einer Kollegin:(…), ich lese diese Tage sehr ausführlich Ihr Arbeitsjournal und verstehe eines nicht: Warum tippen Sie erst die Interviews ab und trennen dann die Clips, wobei Sie doch sicher Stellen löschen, die Ihnen als nicht geeignet erscheinen – wär´s da nicht logischer, erst die Clips zu produzieren, zu nummerieren, mit Zeit zu versehen, und da n n erst abzutippen?Ich gebe gerne weiter, was ich gelernt habe, und habe darauf folgendermaßen geantwortet:Nein, ich tippe die Aufnahmen – es sind ja oft lange Files – ab und lösche prinzipiell gar nichts. Erst aufgrund des Protokolls kopiere ich einzelne Stellen aus den Files zu Clips, die ich dann „putze“ und durchnumeriere. Das ist sehr viel Arbeit, hat aber den Vorteil, immer wieder auf noch andere Stellen der Interviews rückgreifen zu können; denn die Entwicklung eines Stücks nimmt bisweilen Wendungen, die Sie nicht vorhersehen konnten. Dann brauchen Sie solche Stellen; wenn Sie da genau wissen, zu welcher Sekunde Sie sie finden, ersparen Sie sich ein oft Stunden währendes, manchmal auch ganz vergebliches Suchen.
Die Genauigkeit ist außerdem wichtig, weil Sie die Länge eines Stücks zwar abschätzen können, aber niemals exakt im Kopf haben. Der Sender gibt Ihnen aber eine genau Zeit. Dann müssen Sie ggbf. kürzen – wie heute ich: um ganze zehn Minuten -; dieses tun Sie sinnvollerweise aufgrund des nächsten, je angepaßten Typoskripts aus den Clips, wobei die Originalfiles nie angefaßt werden sollten, damit sich darin die von Ihnen protokollierten Zeiten nicht ändern; sonst geht es nämlich ebenfalls mit der Sucherei los.
Generell gilt: Je genauer Sie protokollieren, desto mehr Zeit können Sie später auf die künstlerische Arbeit verwenden. Seien Sie so pedantisch, wie Sie nur können und revidieren Sie auch jeweils die Skripte, erst per Hand, auszeichnend, dann übertragen in das Tyoskript, wobei Sie jeweils als neue Fassung abspeichern sollten, damit die alten Fassungen erhalten bleiben; Fassung 1, Fassung 2 usw., und jeweils, auch das empfiehlt sich, mit dem neuen Datum. Gerade, wenn Sie montieren, werden Sie für solche genaue Arbeit dankbar sein. (Im Film ist dafür extra jemand zuständig, die oder der das die ganze Zeit über tut und genau dafür bezahlt wird).
Morgens nämlich, als ich die Rohmontage zuende angelegt hatte, saß ich bei 1h4min statt der erforderten 54min; zehn Minuten sind sehr viel Holz. Es half deshalb nichts, als noch einmal durch das ganze Typoskript zu gehen und zu streichen, was nicht unbedingt nötig war.
Imgrunde könnte ich heute abend oder nacht fertig sein. Ich bin aber noch unzufrieden mit dreivier Atmos, die sich für mein Ohr noch nicht organisch mit den drüberliegenden Stimmen legieren. Da werde ich herumprobieren müssen, aber das erst dann tun, wenn die Montage der Sprechpartien endgültig steht.
Zum Freitag (1.2.13):
Als erstes wird heute also überprüft werden, ob die Umstellungen, die ich gestern nacht für notwendig, bzw. sinnvoll hielt, durchgeführt werden müssen. Daran werde ich mich jetzt gleich setzen. Dem Ergebnis entsprechend muß eine Zweite Fassung des Typoskripts erstellt werden, in der dann auch die Atmos mitnotiert sind. Meine Entscheidung, diesmal ohne jede Musik zu arbeiten, ist endgültig; ich habe deshalb gestern mit meiner Redakteurin telefoniert, weil ich mir das InOrdnung holen wollte und bekam. Es gibt Sendemodule, bei denen die Verwendung von Musiken vorgeschrieben ist, um „Hörer zu halten“; generell gilt eine Regel, durchlaufende reine Sprache scharf zu vermeiden. Möglichst soll mit Popmusik gearbeitet werden, was ich allerdings so gut wie immer unterlaufen habe. Noch gibt es Redakteur:inn:e:n, die nicht ausschließlich mit ihr sozialisiert, also geprägt worden sind.
Insgesamt wird dieses neue Stück in gar keiner Weise nach einem Kunstwerk, sondern wie eine journalistische Arbeit klingen, wiewohl vieles hoch künstlerisch gebaut ist – merkbar aber allein an der Abfolge und Dichte und Kombination der gesamten Clips, ihrem „Rhythmus“ eben, merkbar auch daran, daß seitens des Autors überhaupt keine Wertung vorgenommen wird, sondern diese ergibt sich ebenfalls nur aus den miteinander kombinierten Clips. Eine tatsächliche Haltung müssen die Hörer:innen selbst finden; ich selbst und meine Meinungen finden sich alleine im Handwerk. Es gibt auch keinerlei Erklärungen, nur die puren, miteinander dissonierenden oder harmonierenden „Dokumente“.
Nun also einen Cigarillo anstecken und los:
15.55 Uhr:
Die erste Montage, wahrscheinlich auch das Stück insgesamt, ist fertig und sch9on auf CD gebrannt, die ich an einem ganz anderen Gerät ein erstes Mal jetzt abhören werde, ohne Papier, ohne Stift, einfach nur, um auf mich wirken zu lassen. Erfahrungsgemäß bringt es sehr viel, die Abhörgeräte zu wechseln, weil der Eindruck ein tatsächlich immer anderer ist. Gern würde ich heute abend nochmals ganz woanders, nämlich an einer „einfachen“ Anlage, am besten sogar einem Radio in der Küche, abhören. Ich werde mal Broßmann fragen, ob wir das bei ihm tun können. Aber zuerst mein Probehören hier.
Mit der Redakteurin telefoniert: Sie komme am Sonntag erst dazu, das Stück zu hören. Insofern ist kein Druck. Da sich diese Arbeit radikal von meinen anderen Stücken unterscheidet, bin ich auf Reaktionen ausgesprochen gespannt.
Nachtrag am 2.2.:
Dann d o c h nur alleine gehört; keiner der Freunde konnte, bzw. war Broßmann gar nicht erreichbar. Ein Satz im Stück muß noch hinzumontiert werden, weil die Skype-Aufnahme, in der >>>> Parallalie spricht, an einer Stelle – aus technischen Gründen – völlig unverständlich ist; wo das an anderen Stellen ebenfalls so war, habe ich eine Sprecherin mit demselben Text druntergelegt und aber diese eine Stelle vergessen. Als Platzhalter sprach‘s ich gestern dann selbst; das geht, bricht aber doch die Ästhetik etwas, obwohl ich mir sicher bin, daß es überhaupt keiner hörte. Aber ich höre es – das ist für den Künstler der letzlich einzig gültige Maßstab; aller anderen Meinungen bestätigen oder relativieren: was viel ist, aber im Eigentlichen von keiner anderen Bedeutung, als daß man sich gut oder schlecht fühlt, angenommen oder nicht, geliebt oder abgelehnt. Das Werk selbst tangiert dies nicht.
Jetzt also dies noch fertigstellen, dann die Tondatei als mp3 in die Dropbox der Redakteurin legen und abwarten, was sie am Montag sagen wird.
Nachgefragt zur Zeit …eine Frage zum Verfahren stellte sich mir eben, vielleicht fragen sich das andere Leser ja auch: Wenn Sie e r s t die O-Töne protokollieren, also abtippen, und aus diesen Protokollen das erste (?) Manuskript schreiben, jedenfalls als Gerüst, wie können Sie da die Zeiten berechnen, die da noch nicht bekannt sind? Schätzen Sie?
@Gast. Ja. Ich habe unterdessen ein Gespür dafür, wußte also diesmal ziemlich genau, daß ich bereits viel zu viel Material hatte – aber genau das ist, bei meiner Arbeitsweise, sehr fruchtbar, weil ich tatsächlich aus dem Vollen schöpfen kann. Ich baue dennoch aus fast allen Tönen ein Gerüst, also aus den Protokollen, das in sich einer bestimmte Dramaturgie verfolgt. Und auf die hin kürze ich dann die Clips, wobei es immer etwas schmerzlich ist, später Stücke wieder herausnehmen zu müssen, auf die es einem eben auch ankam. Aber das gehört einfach zu dieser Art Arbeit hinzu.
Zum Ungenügen am Realismus. Siehe >>>> dort im Arbeitsjournal vom 13.2.