Es liegt wieder Schnee.

Zu schneien begann es gestern nachmittag, als ich mit den Zwillingskindlein beim >>>> Moritzhof war, wo wir jede/r ein Stück Kuchen aßen. Staunend stand ich vor dem wie aufgeblähten Schaf, derart viel Wolle hat es. Die rechteckigen Pupillen, außerdem, einer riesigen Ziege: kleine Schubladen von einer schwarzen Leere, die man, wären es welche, aus dem umgebenden Weiß herausziehen könnte. Die Zwillingskindlein erkletterten das Dach des Schuppens, wollten, daß ich‘s ihnen gleichtäte. Ich fühlte mich zu alt, wäre mir albern vorgekommen; daß mich die Dachpappe nicht trüge, war eine innere Ausrede.
Immerhin hat sich das Finanzproblem, jedenfalls für die kommenden anderthalb Monate, gelöst: Im Briefkasten lag, worauf ich so gewartet habe. Mit ein bißchen Vertrauen auf die nächste Zukunft könnte ich morgen sogar Neapel buchen. In diesem Beruf, wenn man lebt wie ich, braucht man es dringendst, andernfalls paßt man sich an, wird korrupt. Aber es kann furchtbar schiefgehen. Dennoch, ein ziemlicher Ziegel ist von meiner rechten Schulter gerutscht. Ich begann sogar, an ein nächstes Gedicht zu denken. Freunde riefen an, die >>>> mein Arbeitsjournal gelesen hatten, rieten, sprachen zu; der eine will, daß ich schwimmen gehe, täglich eine halbe Stunde, die andere, daß ich mich einfach mal gehen lasse, die nächste verlangt, daß ich nach Leipzig zur Messe fahre: „da bist du Handlungsereisender, vergiß das nicht, es geht nicht um Dichtung, sondern allein ums Geschäft, auch darum, einfach da zu sein, um zu zeigen, man bekommt dich nicht klein. Du hast Ansehen bekommen in den letzten Jahren, auch wenn die Kritik das nicht spiegelt, und du weißt es. Du bist der, der sich nicht anpaßt. Das ist für die jungen Autoren ungeheuer wichtig, daß es so einen gibt. Der einfach seine Arbeit macht, egal, was die Welt von ihm denkt. Und der sie auch kann.“ Daß ich zweifelte, wandte ich ein, daß ich manchmal selbst nicht mehr wüßte, ob das denn gut ist, was ich schreibe. „Ich bitte dich! Allein diese Szene, wo dieser Alkoholiker zu spät ins Krankenhaus kommt, und seine Freundin ist schon gestorben – wie du das beschreibst, welchen Blick du daraufwirfst, welcher Traurigkeit du Worte findest, das ist ganz groß. Das ist die Arbeit, die du kannst. Alles andere ist unwichtig, wird nicht bleiben. Es paßt nicht in die Schickheit der Zeit, und es paßt ihr nicht, daß du das schreibst, aber wundert dich das wirklich? Also klage ruhig, tu dir ruhig ein bißchen selbst leid, aber dann schüttel das ab und mach weiter.“
An ein, wie schon geschrieben, Gedicht dachte ich, man hört dann in sich so einen Ton, ganz ungefähr, wirklich nicht konkret; vielleicht summt eine Zeile, oder es summen zwei; sie summen um einen Reim; oder es ist nur ein Rhythmus. Zur Konkretion fehlt noch der Anlaß, der nicht Selbstmitleid sein darf. Deshalb dachte ich an ein h a r t e s Gedicht, ein sexualhartes, obwohl mir nach einer anderen als bloß imaginierten Sexualität gar nicht zumute war; ich cancelte sogar ein Treffen und war nachts froh, es gecancelt zu haben. Der wirkliche Umgang mit einem wirklichen Körper wäre mir, da Körper immer Seele ist, verläßlich und offen nicht möglich gewesen; ich wär mir schuldig vorgekommen. Erektionsrückzug also: die Eichel wenden, wenn sie sich bläht. Schlechtes Bild. Nicht das Blähen, sondern das Wenden; immer dreht man sich mit.
Die Klage über das Kinderbuch, den Jungenroman. Wenn ich nach Leipzig fahre, um vor den vielen Kindern zu lesen, lese ich aus einem Buch, dem zweiten Band, der noch gar nicht erschienen ist. Zwar erhielt ich längst den Vorschuß, nachdem vor einem Jahr das lektorierte Typoskript abgegeben war, aber der Verlag zögert und zögert das Erscheinen heraus, ohne Angabe von Gründen. Frage ich nach, kommt nur Schweigen. Das alles ist völlig absurd. Da habe ich eine neue Person erfunden… Ja verkleide mich zu den Lesungen und werde auch wirklich nicht wiedererkannt, bewege mich anders, spreche anders, all das war eine Idee meines damaligen Lektors, meines damaligen Verlegers und von mir; „hältst du das durch?“, klar halte ich, aber wie, wenn plötzlich überhaupt kein Rückhalt von dem Verlag mehr da ist, wenn die Bücher nicht mehr erscheinen, wenn für sie auch gar nichts getan wird? 1500mal hat sich das erste Buch verkauft. „Das ist doch ein Wunder!“ rief Freund UF aus. „Das ist ein absolutes Wunder, wenn niemand weiß, daß es das gibt.“
Imgrunde könnte ich mich „outen“, könnte über Die Dschungel erzählen, wer ich als Kinderbuchautor bin, wie ich aussehe usw., die Inszenierung ist ohnedies in den Sand gesetzt worden. Und eben nicht von mir. Sondern von einem Verlag, der einen anderen übernahm und sich da nur die Rosinen herauspickt, die sowieso schon jeder haben will; alles andere läuft auf die Makulatur zu. Schmerzhaft ist das, weil es nicht um ein einziges Buch geht, sondern um eine Serie, die nun kaputt ist. Über Facebook schreibt mir der Lektor, der den neuen Verlag schon verlassen hat: „Die Idee ist nicht verschossen, das Buch ist sehr schön und die Kinder, die es kennen, sind zu wenige, ich weiß, lieben es. Das Marketing dafür wurde versemmelt, weil es vermutlich keins gab, Presse dito.“ Wenn man das immer und immer wieder erlebt, wird man müde. Wenn man etwas nicht selbst in der Hand haben kann. Man kann nicht alles selbst in der Hand haben. Aber wird dafür haftbar gemacht, wenn es schiefgeht. Weiter geht‘s zum nächsten Produkt.
Das ist doch nur eines von dem, was mich drückt –

– mich aber noch über all das andre auszukotzen, ist es nun zu spät, denn die Löwin, aus einem verregneten Wien, rief an und ließ den Schwall über sich ergehen, was egal sei, sagte sie, weil es sowieso regne. Spaziergang zu den Brötchen morgens; bei mir sei es kalt, aber sie bibbere, denn so warm sei es bei ihr eben auch nicht, „Muddel“, sagte sie, was mich unempathisch aufatmen ließ, weil Schnee auf jeden Fall besser ist als klammes Regenfallen; vor allem wird der Tag hell bei Schnee, auch wenn sich wahrscheinlich die Tartanbahn heute nicht wird nutzen lassen. Dabei habe ich gestern sage und schreibe vier Tafeln Schokolade, und eine ganze Menge Schokopralinen dazu, in mich hineingestopft. Während ich einen Film nach dem anderen sah, – eine wunderbare Serie, übrigens, mit einem wirklich hinreißend modernisierten

Sherlock Holmes. >>>> Elementary,

die man als eine tatsächlich zeitgenössische Variation auf Conan Doyles Erfindungen ansehen kann; zum ersten Mal wieder nach >>>> Jeremy Brett, daß jemand nachvollziehbar der ganzen Ambivalenz dieser Figur Format verleiht; >>>> Benedict Cumberbatch fand ich nie wirklich überzeugend (Martin Freeman als Watson allerdings schon); er ist einfach zu blaß, auch zu kindlich irgendwie, während der tätowierte, im Umgang schreiend unangenehme >>>> Jonny Lee Miller

sämtliche Macken eines extrem Hochbegabten ausspielt, nicht anders, als Brett das tat, der freilich reifer war, aber eben auch in der Dekadenz des victorianischen Londons, während, anders als Cumberbatch, Miller anzumerken ist, daß es den Techno gibt, daß es die sexuelle Revolte gegeben hat und daß, diesbezüglich, nicht unbedingt auf die Schippe gesprungen werden muß, Holmes sei eigentlich schwul. Dazu kommt der ironische, vor allem aber freche Umgang mit Zitaten, zum Beispiel das Haus selbst, da in New York, das absolut wie eine nachgelassene Baker Street 227b wirkt, sogar einen Sessel vor einem, freilich ungenutzten, Kamin gibt es; mehrmals wird sogar >>>> Sidney Paget angespielt, einmal sogar, sehr kurz, an eben diesem Kamin direkt; frecherweise sitzt Holmes jetzt links davon, nicht rechts. Bisweilen werden die Zitat auch ausgesprochen, stehen wörtlich im Drehbuch, diese dem Kenner lieben Formulierungen Holmes‘, die aber zugleich ganz unvermutet herüberkommen. Die, sozusagen, Baker St 227b wiederum liegt nun mitten im Village, was auf die naheliegende, hier aber kackfrech aufgehobene Homosexualität Holmes‘ anspielt; selbstverständlich findet er, der Logiker, Sexualität abstoßend „wegen der ganzen Körperflüssigkeiten, aber mein Körper funktioniert nur damit“, großartige Wendung, wie überhaupt Abwehr ein wichtiges und witzig inszeniertes Thema der Serie ist. Außerdem, wie mit Irene Adler umgegangen wird: aus „Für Sherlock Holmes war sie die Frau“ wird ein wirkliches Trauma des jungen, ja Junkies. Aus dem Kokain des klassischen Holmes ist hartes Heroin geworden und Holmes auf Entzug; geradezu fantastisch, wie die Serie die Ersatzsucht zeigt, zu der dem jungen Mann seine Hochbegabung dient, und wie Watson, der hier eine ihm als Betreuerin beigegebene asiatische Ärztin namens Joan Watson ist, das durchschaut, wie fasziniert sie aber wiederum von diesem deduzierenden Genie ist, und wie abgestoßen zugleich; toll auch, wie man – in den USA! – das „Sie“ beibehält, wie natürlich das wirkt, obwohl die beiden unterdessen nicht anders zusammen wohnen, als derweilen der Indienheimkehrer Dr. John Watson und Mr Sherlock Holmes taten. Insgesamt ist die Veränderung der Gesellschaftsmoral beeindruckend auf diese Serie übertragen worden, jede Folge schon deshalb ein Genuß, und genau so gut funktioniert die Verlagerung von London nach New York City, ja eben sie pustet den Staub des Fin de siècle aus den Erzählungen. Und dann… allein die kleine Episode mit der Geige… – also all das half mir gestern ganz gut über den Depri hinweg, der sich heute auch schon wieder im Griff hat, auch wenn er nach wie vor keine Lust darauf hat, mich neu arbeiten zu sehen.

Zweiter Latte macchiato.

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