Pubertät & Zaubertrank. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 25. Mai 2013. Zum Vornachtsfest des LCBs.

9.40 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Eigentlich wollte ich – und will es noch immer – von dem schönen Fest gestern schreiben, einem Sandwerderjubel, aber dann kam mir eben die Puberträt dazwischen: mal ausnahmsweise, mein Sohn, nicht die währende meine, sondern begonnene Deine. Ein Vater-Sohn-Gespräch ist erfordert, das für uns beide nicht angenehm ist, aber dessen Ergebnis Dir, so möchte ich’s, letzten Endes Klarheit bringt: was will ich, was ist mein Ziel, und was ist, um es zu erreichen, nötig? nötig nämlich tatsächlich und nicht, weil Du anderer Leute Ansprüchen genügen sollst. Es geht um Deine eigenen Ansprüche, denen Du genügen mußt, um Deine eigenen Wünsche und Begehren. Ich bin da nur, als Dein Vater, derjenige, der Dir die verschiedenen Wunschschichten, die da ineinander verfilzt sind, auseinanderzuzupfen hilft. Meine Emotionen haben dabei nichts zu suchen, wiewohl sie da sind, Enttäuschung, Verärgerung, all das – Unfug, beiseite damit und den Blick ganz allein auf Dich gerichtet. Und daß man Scheiße baut, sowieso, immer wieder, das fängt jetzt alles erst an; aber daß man danach zu ihr steht und sie vielleicht auf eine Weise wieder wegbekommt, die einen schließlich stolz macht. Der Schritt vom Kind zum Jugendlichen ist nicht ohne Tücken, nicht ohne Härten, Fehler sind geradezu vorprogammiert, ja es wäre verdächtig, geschähen sie nicht: d a n n liefe etwas wirklich schief. Das Heikle, für die Eltern, in dieser Phase ist, daß keine Sanktion den Widerstandsgeist des Kindes brechen darf, sondern im Gegenteil müssen die Sanktionen diesen Widerstandsgeist stärken, indem sie ihn mit Inhalten füllen, die es wertvoll machen, daß man widersteht. Dann nämlich entsteht auch Stolz auf die eigene Haltung. Es geht also nicht darum, Kinder zu lehren, daß sie gehorchen; das gerade wäre falsch. – Und jetzt bist Du grad losgeschossen, um auszuwetzen, was Du verbockt hast; kriegst Du das hin, werden nicht nur wir Eltern stolz auf Dich sein.

(Auch das muß er begreifen: Er ist jetzt auf einer Waldorfschule, der humanistische Inhalte wichtiger gelten als dingliche. Das kommt seinem Charakter, ja seiner Mentalität sehr entgegen; er liebt es, dort zu sein. Aber auch das hat Konsequenzen, will etwas von ihm, und zwar mit vollem Recht.)

So, und jetzt zum gestrigen Fest:

Fünfzig Jahre LCB:

Irgendwie ist es dann d o ch Familie, und zwar eine, die bei solchen Anlässen auf ihre Geschichte zurückblickt – nicht ohne bittere Töne, die Michel Krügers Festvortrag durchzogen, der das Kunststück fertigbrachte, zugleich zu feiern wie zu betrauern, was man verloren habe, eine nicht unresignative Bilanz der „gesellschaftlich relevanten“ Schädigungen, die der Dichtung nach ’68 zugefügt wurden; ich erinnere mich gut meiner eigenen Schulzeit, selbst noch am Abendgymnasium, wo den Deutschunterricht eine Art Doktrin prägte, es sei viel weniger wichtig, wie künstlerisch etwas gemacht sei als daß es die richtige politische Botschaft vermittle. Ich erinnere mich ebenfalls gut, wie ein Hörer wütend eine meiner ersten Lesungen verließ, und zwar mit dem Satz: „Dem kommt es ja nur auf die Dichtung an!“ Dieses „nur“ empfand ich schon damals als skandalös. Daß Krüger, fast möchte ich schreiben: notwendigerweise, auch, freilich nur in einem Nebensatz, auf das Internet einhackte, fand ich nicht einmal ärgerlich, sondern ich dachte bei mir: nun ja, eine Generation, die den Anschluß verliert – nicht, weil sie nicht auf der angemessenen intellektuellen Höhe wäre, sondern allein wegen der Sukzession von Lebenswelten. Auch Goethen wäre schwindlig geworden, hätte er von der Kutsche auf eine wie immer auch noch langsame Eisenbahn umsteigen müssen, und es war keine Hysterie, daß Leute bei der Uraufführung von Ravels Bolero ohnmachtig wurden oder entsetzt zu schreien anfingen. Allein der permanente Hintergrundkrach unserer Städte wäre für Menschen des, sagen wir, achtzehnten Jahrhunderts überhaupt nicht erträglich gewesen; wir hingegen merken ihn nicht einmal mehr. Die Wahrnehmungsformen verändern sich und die Fähigkeit des Umgangs mit Neuem. Wenn ich heute ein neues Mobilchen bekomme, verzweifle ich erst mal über Stunden, wenn ich die Bedienung, ja, echt, „studiere“; mein Dreizehnjähriger hingegen ermächtigt sich des Geräts, und zwar komplett, in knapp fünfzig Minuten. Er ist mir da objektiv voraus, und daß er mir voraus ist, ist nichts, das man schmälern dürfte. Sondern es ist eine Leistung, zu der meine Generation objektiv nicht mehr befähigt ist. In jedem Neuen steckt eine starke Hoffnung, auch wenn es, selbstverständlich, Gefahren birgt. Es ist grundfalsch zu meinen, vorher sei es besser gewesen; meistens war es vorher nur auf andre Weise bedenklich – und schlimmer als das. Die großen Pogrome sind Teil des Zwanzigsten Jahrhunderts und damit nicht etwa Ergebnis der Neuen Medientechnologien, nicht Ergebnis der kybernetischen Ausrichtung, sondern immer noch – die Abgrenzung ist unscharf, ich weiß – der dinglichen. Gestern abend war bis tief unter die Haut der Generationenwechsel zu erleben, mit allen Fürs und Widers.

Wir schwärmten umher und aus und umeinander; die Familienmitglieder sind einander nicht unbedingt hold, auch wenn sie so tun; das hat diese Familie mit jeder anderen gemein. Es gibt Fraktionen, es gibt Einzelne, es gibt fraktionierte Einzelne. Doch man war gemeinsam da. Und tanzte. Und plauderte. Und erzählte sich von den Projekten, an denen man saß oder die man abgeschlossen hatte. Es gab plötzliche Verbrüder- und Verschwisterungen, Umarmungen, Lachen, hie und da Spott. Es gab auch die übliche Falschheit, aber sie blieb, des gefeierten Anlasses wegen, auf spätere Ausführung verschoben: eine AusZeit, die sich freischweben durfte. Das ist erholsam. Ich war sehr froh, manche Minute hindurch sogar glücklich, dortzusein und hab sogar – getanzt. (Seltsam, übrigens: Es ist ja nun wirklich nicht meine Musik – Judith Kuckart, die ich nach ziemlich viel Zeit wiedersah, nölte auch etwas -, aber wenn ich zu tanzen Lust habe, ist mir das völlig wurscht; ich hör dann einfach auf den Grundschlag und blende alles andere aus; über den Grundschlag improvisier ich mit Schritten oder, wenn ich richtig gut drauf bin, gestalte ihn mit dem, was ich aus meinen Tanzschulzeiten noch kenne und spontan improvisiere, oder ich vollziehe harmonische Gesten der Musik mit körperlichen nach. Jedesmal dann merke ich, wie gerne ich tanze. Das braucht aber immer einen Anlaß; auf die Idee, einfach „nur“ tanzen zu gehen, komme ich nicht, vielleicht weil es meiner innren Leistungsorientiertheit fremd ist, etwas „einfach nur so“ zu tun. Eigentlich ist das schade, daß dieses, kann man sagen, arbeitskonzentrierte Muttererbteil so in mir durchschlägt; es hat was blöd Calvinistisches. Steh ich aber erstmal auf dem Parkett, fällt es gänzlich von mir ab.)
Lange innig mit Delf Schmidt beisammengestanden, den die schöne Verlagsvorschau zu Argo fast, hatte ich den Eindruck, glücklicher macht als mich, und immer wieder Umarmungen mit Gil, seiner Frau; den klasse Rainer G. Schmidt sah ich wieder, auch Loschütz war da, Renate von Mangold, die im Alter geradezu edel wirkt, dann der Kreis um Johan de Blank, Ulli Schreiber, Leiter des Internationalen Literaturfestivals, mit dem ich zwar nicht lange sprach, aber wir grinsten uns wie pfiffig Verschworene an; ferner die viertelsganze neue, junge Generation von Autor:inn:en und sogar Hermann Peter Piwitt, der verschmitzte, stille alte Hochstilist; Hartung sah ich, aber er erkannte mich nicht, der einst so hübsch über das, wie er’s in der FAZ genannt, „Ding mit dem Ei“ geschrieben hatte – eine kleine Erzählung in meinen >>>> Arndt-Novellen, worin ich den Anspruch des Geistes travestierte, auch über den Körper voll zu herrschen, wiewohl der sein einziger Grund. Leider verlor ich den Mann in den Scharen aus den Augen; hätte gern dreivier Sätze mit ihm gewechselt. Gleich zu Anfang beisammen mit Christa Schmidt, immer wieder mal eine Berührung, oft nur mit den Augen, weil man in ihre so hineinfallen kann, halb spöttisch dabei von ihnen weiterbetrachtet, halb aber auch wie in ein warmes Wasser gelegt, das wohler tut als irgend ein Whirlpool. Und eine wirkliche Erscheinung, empfand ich, unmittelbar berührend, da, wo die Seele an eine Synapse der Empfindung geknüpft ist; davon sprangen Flämmchen: >>>> Angelica Ammar. Ich geb aber zu, daß ich da schon etwas betrunken war. Auf Sizilien hab ich immerhin gelernt, mir alkoholbedingte Einschränkungen nie anmerken zu lassen; spüre ich, daß mir der Griff entgleitet, mach ich mich sofort davon.


Nachts auf dem Plafond des SBahnhofs Wannsee. Mit Johann de Blank.

Nach eins erst kam ich in die Arbeitswohnung zurück und erst nach acht aus dem Bett. Daß es draußen regnet, allerdings, und wir, mein Sohn und ich, nachher wahrscheinlich in diesem Regen laufen müssen, ist gemein. Abends als Belohnung aber >>>> Premiere: Frank Martin, Le Vin herbé mit Anna Prohaska und Katharina Kammerloher. Eine gnadenlos gute Besetzung. Wenn’s nicht immer weiter schüttet, nehm ich auch diese Tour als Training und fahre mit dem Rad hin.

[Frank Martin, Et la Vie l’emporta.]

(Ob ich heute wirklich zum Arbeiten kommen werde, ist ein bißchen ungewiß. Erstmal, nachher, den Alkohol aus dem Körper laufen. Dann vielleicht Administration: hier liegen einige Briefe herum, die ich einfach zu öffnen vergaß.)

14.22 Uhr:
[Frank Martin, Der Sturm.]
Dauerregen. Das wird nix mit dem Laufen, da es überdies kalt ist. So gut ist unser beider, meines Sohnes und meine, Kondition noch nicht, daß uns klammes Dauergefröstel nichts anhaben könnte. Vor allem er muß Kondition überhaupt erst aufbauen. – Ärgerlich, aber gut, einen Tag Pause sollte man ja ohnedies immer einlegen.
Also den >>>> Giacomo Joyce vorgenommen. Mal sehen, wie weit ich heute mit meiner Aneignung kommen werde; auch >>>>Parallalie http://parallalie.twoday.net , bei dem es ebenfalls piove come il dio lo manda, wird sich vielleicht daransetzen. Bei ihm könnte man eigentlich sogar ein paar Scheite in die stufa legen und herrlich flackernd dahinbrennen lassen.

4 thoughts on “Pubertät & Zaubertrank. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 25. Mai 2013. Zum Vornachtsfest des LCBs.

  1. Ihre Schilderungen solcher literarischer Ereignisse haben immer etwas, das es in der modernen (Zeitungs-)Welt nicht mehr gibt – so als seien Sie, ein wenig in der Art des Regierungsrates Meseritscher aus Musils ‘Mann ohne Eigenschaften’, Gesellschaftskorrespondent in Abendgarderobe mit Monokel. Natürlich kenne ich das LCB, wenngleich ich dort nichts zu suchen habe, so daß sich so also vor meinem geistigen Auge die ganze Veranstaltung abspielt, als sei ich dort gewesen. Was will ich mehr!

  2. Als Handies noch echte Monster waren Was das Internet und Handies etc betrifft ist es schon sehr erstaunlich, welche Entwicklung in so einer schnellen Zeit stattgefunden hat. Ich denke sehr oft an meine Eltern, mein Vater starb 1985 und meine Mutter 1988 in einem Flugzeugcrash.
    Beide kannten weder Computer noch Handies.
    Ich träume oft, sie wären zurückgekehrt und ich könnte ihnen erklären, was das ist, was ich ständig benutze. Ich stelle mir ihre verstörten Blicke vor, wenn ich Fotos mache mit dem dünnen, leichten Telefon. Das letzte, was sie sahen, waren die Telefone mit der Nummerntastatur und dem gedrehten Kabel. Selbst schnurlos gab es da noch nicht.
    Kurz nach dem Tod meiner Mutter legte sich der Nachfolger meines Vaters das erste Handy zu. Es war riesig. Und schwer. Wahrlich ein Monster und ich war beeindruckt. Seit damals fliegt die Zeit und nimmt die IT Entwicklung mit sich. Irgendwie auch beängstigend. Wenn ich es ihnen doch nur EINMAL zeigen könnte, einen kurzen Moment lang,. Ich glaube, ich wäre glücklich !

  3. mit scheiten ist seit märz nichts mehr. da helfen nur noch zaubertränke und kollektives beisammensitzen und -essen, um dann gelegentlich mit der zigarette vor der donnernden regenwelt zu steh’n, aber auch nur für die länge derselben.

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