Fotos im Saal, vorm TRAFO Berlin & am Schreibtisch: ANH/iPhone.]
Das gelang wahrscheinlich auch, weil Katie Mitchell in Berlin keine unbekannte Regisseurin mehr ist – seit dem der Staatsopernleitung selbst überraschenden, so berechtigten wie riesigen Erfolg ihrer >>>> Inszenierung von Nonos „Al gran sole“ im TRAFO, dem aufgelassenen Berliner Kraftwerk Mitte:
Plötzlich füllen sehr kleine Gesten ganze Minuten – und auch kleine Requisiten, um an das Spiel der Tücher zu denken, das sie hier von einem breiten gespannten Tuch als das Segel über das Tisch- und schließlich Leichentuch bis zu dem Tücherl durchdekliniert, das den Bräuten je als Hochzeitschleier über den Kopf gelegt wird – alle, alle in Weiß, das für Tristans Hoffnung steht, als er die Geliebte auf seinem Sterbebett erwartet. Und sie kommt auch, doch zu spät:
Es ist von einer ungeheuren Konsequenz, daß das schwarze Segel allein in der Behauptung von Tristans später Gattin Realität wird, also allein in seiner Fantasie. Da aber verlöscht – unmerklich geradezu; man ist schockiert, als es plötzlich fehlt – das Feuer, das in der Mitte des Bühnenhintergrunds allerzeit geflackert hatte: Erinnerung an die Kamine des Mittelalters, aber auch an die offenen Feuer der Kriegs- und Nachkriegszeiten, die in Blechfässern brannten, Sinnbild gleichzeitig des Überlebens wie der lohenden Liebe des Paars, das nun sein Dasein hinweggibt. Sein Leid war, daß es nie sein durfte, die Hoffnung aber, die es über all die Jahrhunderte bleibend vermittelt, daß es dennoch war.
Kaum ein schöneres Zeichen ist die Richard Wagner wahrscheinlich zu bescheidene, Frank Martin indessen nahe, weil grad in ihrer Märchenhaftigkeit strenge Sage, es sei, nachdem die Liebenden je zur Seite einer Apsis zu letzten Ruhe gebettet, aus Tristans Grab eine Brombeerranke hinüber zu dem der Isolde gewachsen, habe sich in es hineingesenkt und sei, trotz mehrfacher Versuche, es auszuroden, zu einem Buschgestrüpp gewachsen. Das ist auch formal streng; bereits im vierten Bild erzählt der Chor, Tristan sei nach dem Liebestrank gewesen, als hätte „ein wilder Brombeerstrauch mit spitzen Dornen und duftenden Blüten (…) seine Wurzeln in seines Herzens Blut“ versenkt; ein bißchen schade, daß das Programmheft nur die deutsche Übersetzung und nicht auch das französischsprachige Original des Librettos an die Hand gibt. Ich nehme an, das hat Urheberrechtsgründe, für die wie so oft ein Urheberwille nichts zählt; bei Nono waren das italienische Original und die deutsche Übersetzung noch zu vergleichen. Aber es gibt ja das Netz – Alors!:
In der Tat bewahrt die Idee der unbedingten und immerwährenden Vereinigung unsre tiefsten Kinderwünsche; damit hat sie Teil an der Kraft der Utopie. Genau das wird er gemeint haben, wenn Martin über seinen Tristan schreibt: „daß auch der Tod darin seinen Frieden bringe, nach all den Beglückungen und Ängsten der Leidenschaft“. Daß er von Frieden, nicht etwa von Erlösung spricht, hält sein Le Vin herbé von jeder ideologischen Weltverneinung frei. Unterm Strich wurde einfach eine Geschichte erzählt, die zum einen nicht auf dramatische Effekte fokussiert ist, sondern auf Sukzession; zum anderen hat die zeitliche Entfernung ihre Gültigkeit als Legende bewahrt. Genau das unterscheidet, trotz der Ähnlichkeiten im Prozeß der Distanzierung, Martin von Brecht. Le Vin herbé ist kein Lehrstück, sondern ist „reine“ Erzählung und seine Personen sind wie Treibgut, das die Wellen bisweilen an die Oberfläche des Lebensflusses spülen, aber auch schnell wieder in sich zurücknehmen – in die „große Verbindung“, von der ich zu Anfang geschrieben.
LE VIN HERBÉ
Ein weltliches Oratorium
Inszenierung Katie Mitchell Co-Regie Joseph W Alford
Ausstattung Lizzie Clachan Licht James Farncombe
Dramaturgie Katharina Winkler
Narine Yeghiyan – Anna Prohaska – Evelin Novak – Virpi Räisänen
Katharina Kammerloher – Stephanie Atanasov – Thorbjørn Gulbrandsøy
Matthias Klink – Peter Gijsbertsen – Arttu Kataja – Ludvig Lindström
Jan Martiník
Mitglieder der Staatskapelle Berlin:
Lothar Strauß – Barbara Weigle – Yulia Deyneka – Matthias Wilke – Sennu Laine
Claire So Jung Henkel – Matthias Winkler -Sarah Tysman
Musikalische Leitung Franck Ollu
Die nächsten Vorstellungen:
29. Mai,
1., 7., 9. und 13. Juni.
Je um 19:30 Uhr
>>>> Karten.
Dieses Stück steht leider viel zu selten auf den Spielplänen der Theater. Ich hatte einmal ein mystisches Schlüsselerlebnis auf der Bühne in der Rolle der Brangäne, so intensiv erlebte ich diese Musik damals. Der Schlusschor ist das Schönste, was ich je an Liebestod-Musik gehört habe. Es gibt übrigens einen Mitschnitt, leider nicht sehr gut abgemischt, aber falls Sie mal reinhören wollen: bei Gelegenheit!
Herzliche Grüße – T.
@Terpsichore zum Vin herbé. Sehr sehr gerne!
(Ich wollte eigentlich auch noch mehr und genauer auf die Musik eingehen, etwa auf die Passacaglia-Artigkeit vieler Partien, die gerade bei einer so eigentlich zarten Instrumentalbesetzung auffällig ist; aber meine Rezension ist ohnedies schon sehr lang. Das erste Stück, über das ich Martins Musik kennenlernte, i s t bezeichnenderweise eine Passacaglia – die seine, so auch genannte, von 1944 in der Originalfassung für Orgel. Das Stück ist schuld daran, daß ich beinahe rauschhaft begann, Variationssätze zu lieben. Die Schallplatte (Vinyl) trägt eine sehr frühe Nummer meines Archivs und wurde 1976 gepreßt, da war ich einundzwanzig. Wenn Sammlungen Geschichte bekommen, werden sie beinahe überreal, nämlich magisch.)
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