Mit verhangener Seele. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 16. August 2013.

8.46 Uhr:
[Arbeitsjournal.]
Kein guter Tag heute; hab ziemlich zu knapsen. Das Gefühl von Sinnlosigkeit. Lastend, unhell. Daß >>>> Argo untergehen wird, daß die Lesesäle, wenn ich vortrage, leer sein werden: eine Tortur, der ich mich mit Bajazzolächeln aussetzen werde, weil ich die Honorare, und zwar dringend, brauche.
Sport treiben, laufen nachher, das hilft immer, aber der Antrieb fehlt gerade.
Vielleicht heute einfach nur lesen, dachte ich vorhin und trieb ohne Antrieb im Netz rum. So habe ich zwei Stunden herumgestumpft.
Mich an die O-Ton-Aufnahmen für das Neapel-Hörstück setzen, schon mal einiges zurechtschneiden. Vielleicht. Vielleicht mich in eine Erinnerungs>>>>mauer nach Amelia versetzen. Auch die Druckfassung des >>>> Giacomo Joyce muß noch einmal durchgesehen werden.

Sowas. Irgendwie.

Ich werde nicht gewollt und, weil man mich damit am härtesten trifft, meine Arbeit auch nicht.

Nicht nur nicht dazuzugehören, sondern abgelehnt zu sein. Jemanden wegtreten, bis er nur noch Matsch ist. Jemanden denunzieren und dann mit diebischer Freude zuzusehen, wie ihm ein Pfahl die Fresse zu Brei schlägt. Menschen.

Die Hilflosigkeit, die Wut, den Haß wegbekommen.

Keine Ahnung.

Kindheit.

Nichts wird einem so übelgenommen, wie wenn man sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht. Wie wenn man sich nicht endlich anpaßt.

Meine Arbeit ist mein Zopf.

„Du mußt Demut lernen!“ Mein Vater, der vereinsamt umfiel und starb.

„Du mußt lernen, dich anzupassen!“ Ewiger Familiensatz.

Deutschland. 1933 bis 1945.

Mainstream.

Sich abzufinden lernen. So schwer.

Ich will mich nicht abfinden. Resignation wäre Anpassung.

Aber wie in einer Gummizelle: Rasen gegen Marshmallows. Marshmallow ist jede Wand. So ist mein Schreiben: ein Rufen in Schaumspeck.

Ein wieder nächstes Buch beginnen, weil das vorige bereits, als es erschien, ertrunken ist und zu Meergrund gesunken. Weil man diesen ständigen Verlust, dieses ständige Verlieren, nicht aushält. Und jedesmal, während man das Neue schreibt, hoffen, bisweilen auch glauben, begeistert werden, dann überzeugt sein, auch mit Recht überzeugt sein, künstlerischem Recht, und dann, kaum kommt auch dieses Buch heraus, begreifen, daß solch ein Recht nicht zählt. Und daß man keine Chance hat. Aber die, schrieb Achternbusch, solle man nutzen. Welch ein Humorist!

9 thoughts on “Mit verhangener Seele. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 16. August 2013.

  1. ARGO wird nicht untergehen. Es sei denn, Sie fänden, dass „Zettels Traum“ untergegangen ist. Demut – lernt man beim Golfen, sagen viele; ich auch: Lächelnd steht man über dem hole in one u n d dem Schlag ins Rough, ungläubig, tapfer (was natürlich nie immer gelingt – aber ohne das keine arbeits- und lebensnotwendige Lockerheit). Ihre Literatur ist gut. Nicht alles natürlich (so weit ich das beurteilen kann) – aber wer kann denn schon von sich sagen alles? Anpassung, nun ja, da kommen wir nicht zueinander, ich hätte das, was nötig ist, Diplomatie genannt, Charme. Und kämpft man nicht immer gegen Resignation? Irgendetwas ist doch immer.
    Beste Grüße, lieber ANH!
    NO

    1. Na, reich geworden ist der Herrn Schmidt nit von de Zettel und seinem Traum, also
      wenn ma reich wern will, muss man Bücher mit sprechenden Hunden schreiben.
      Gibts eigentlich Hundezombiebücher, da wäre noch was zu machen.

  2. Revolte und Kunst Nein, es gibt keine Chance, es gibt nur Schreiben. Ein Schriftsteller hat nur diese Möglichkeit (als Chance). [Scheitern als Chance hieß es mal bei Christoph Schlingensief. Und als einer, der Beckett (zusammen mit Kafka) für die bedeutendsten Literaten des letzten Jahrhunderts hält, hat dieses Changieren im Scheitern – als Versuch und als Chance sowie als Möglichkeit genommen – auch literarisch etwas für sich.] Texte und neue Texte. Und es gibt die Leserinnen und Leser, die in den Sog eines Textes gezogen werden. Diese Leserinnen und Leser haben Sie sicherlich.

    Mein einziges Elixier sind die (imaginären) Leserinnen meines Blogs und die Betrachterinnen meiner Photographien. Aber vielleicht erweist es sich am Ende als ein Elixier des Teufels.

    Ich bin sicherlich nicht gehalten, Ihnen Ratschläge zu geben (die ich gar nicht erteilen kann) oder Ihnen in Ihr Arbeitsjournal einen Kommentar über einen Betrieb hineinzuschreiben, von dem ich wenig verstehe, wenngleich ich im weitesten Sinne aus der Branche bin: Aber was kümmert mich am Ende der Betrieb? Ich betreibe die Dinge, die mir wichtig sind, unabhängig von jedem Betrieb. Ich bin (leider) derartig narßistisch veranlagt, daß ich mir in der Betrachtung meiner eigenen Photographien und Texte genüge. Es ist für mich das Tun ein Selbstzweck. [Freilich kann dies auch dazu führen, daß einer stagniert.]

    Im übrigen denke ich, daß Ihre Oktober-Lesung im Literaturhaus Berlin hinreichend gut besucht sein wird. Mindestens einen Gast werden Sie sicherlich in einer der Stuhlreihen finden. Er hält in der einen Hand ein Weißweinglas (das Mitbringen von Weinflaschen wird sicherlich verboten sein) und in der anderen schwingt locker eine Leica, Nikon oder Lumix.

    1. @Bersarin. Nein, das ist nicht verboten meines Wissens; es wäre nur unten, im Cafébereich, nicht gerne gesehen. Aber der ist vom Veranstaltungsort getrennt. Also bringen Sie Ihren Wein ruhig mit. .Alles, was Sie riskieren, ist: aufzufallen – und daß vielleicht jemand etwas abhaben möchte.

      Selbstgenügsamkeit: Solche Ratschläge sind wohlfeil, wenn man nicht von dem, worum es geht, auch lebt, bzw. sogar Kinder ernährt. Aber auch dann kann es zu tiefen Kränkungen kommen, wie bei jeder anderen Art von Mobbing, die Schäden hinterlassen (und sie ja auch hinterlassen sollen; das ist ja grad „Sinn“ des Mobbings: es will verwunden). Indes, wie Sie heute >>>> dort lesen können, bin ich bereits wieder gut gefaßt.

  3. Mit verhangener Seele Lieber Herr AN Herbst.
    Für einen Autor wie Sie ist Resignation nicht Aufgabe sondern Verrat. Darf ich Ihnen einige Sätze von Heinrich Schirmbeck mitteilen,
    „Literatur wie ich sie verstehe, ist kein beziehungsloses Wortkunstwerk, sondern in ihrer potentiell-zeugenden Struktur ein das Leben mitgestaltendes Element der Welt. In diesem Sinne bekenne ich mich zur untrennbaren Einheit von Leben und Werk des Autors. Das Grundkriterium aller Literatur ist für mich die Wahrheit. Diese Wahrheit aber kann sich sowohl für den Autor als auch für den Leser nur aus der Zusammenschau von Text und Intention ergeben. Das heißt: die existentielle Situation des Autors, die notwendigerweise im Vorhinein seine Weltsicht mitbestimmt, formt auch die Wahrheit und Überzeugungskraft seines Werks. Der Text an sich ist lediglich ein schillernder Komplex unendlicher Ausdeutungen. Seine Bestimmtheit gewinnt er erst in dem existentiellen Kontext, in den er einverwoben ist“.

    1. @Helga Schirmbeck. Dank Ihnen für das gute Zitat, dem ich grundsätzlich zustimme; ein Fragezeichen habe ich lediglich hinter „Wahrheit“ zu setzen, insofern dieses Wort hier als ein emphatischer Begriff verwendet ist (ich könnte auch sagen: als religiöser), nicht als einer der Faktizität. Ich teile zwar diese Wahrheitsauffassung, aber sie hilft real deshalb nicht weiter, weil sie notwendigerweise unscharf ist, also ausgelegt werden kann (und muß). Wobei die Präzisierung, die in diesem Zitat Schirmbecks letzter Satz vornimmt, die Wahrheit so sehr auf den Autor zurückspiegelt, daß ihre Übertragbarkeit relativiert wird – die aber gerade, als Aussage wahrer Sachverhalte (Übereinstimmung von Aussage und Gegenstand), Voraussetzung des Wahrheitsbegriffes ist.

      Uneingeschränkt gut allerdings Ihr Satz: „nicht Aufgabe, sondern Verrat“.

    2. Lieber ANH, grad eben las ich etwas leider auch auf unsere Zeit und diese Stadt in gewisser Weise Zutreffendes, ich zitiere das mal, denn es beschreibt zum einen die Ablehnung des Geistigen, Künstlerischen selbst durch die Institutionen desselben, ist aber zugleich, weil es der Protagonist des Romans (be-)schreibt, eben auch Stoff für den Künstler: „Die grüne Haut der Kuppeln, das mattgeschwellte Fleisch der Säulen, der laszive Geruch der galanten Etablissements, die Salons der Haute Couture, das höfische Antichambrieren in den Vestibüls der großen Unternehmungen, der Literaturklatsch, die Intrigen in den Zirkeln der Jurys, das Scharwenzeln um die Gunst der Kultur-Wesire, der Vorrang des Mondänen vor den Verdiensten des Geistes (…) machte diese Metropole zu einer Stadt, die den Geist entnervte. (…); Geist war nicht gefragt.“
      (Heinrich Schirmbeck: Ärgert dich dein rechtes Auge. 1957, 2005. S.332) Das ist, wie Sie, gerade Sie, sehr gut wissen, der Schauplatz des Kampfes gegen eine Verkitschungs- und Verblödungsindustrie. Aber ich weiß ja, daß Sie nicht – nie wirklich – resignieren ob der Lage, sondern sich nur einen Moment zurückziehen, um die Wunden zu lecken und wieder Kraft zu schöpfen!

    3. @Schlinkert. „Zurückziehen“ kann man das nicht nennen, weil es kein eigener Entschluß ist, sondern mich, mich hart runterziehend, überkommt; da ist wirklich keinerlei Feiheit dabei, im Gegenteil, schon gar nicht Klugheit, die Wunden versorgt. Deshalb ist dieser Zustand nicht wirklich produktiv, andererseits aber, wie ich >>>> heute morgen geschrieben habe, hygienisch, bzw. hygienisierend. Wobei der Umstand, daß ich über solche Zustände, die man doch „mit sich allein ausmachen“ soll, öffentlich schreibe, ist selbst schon ein Teil des Widerstandes, auch wenn eben kein – in den jeweiligen Zeitspannen – bewußter. Ich teile dann „nur“ mit, was ist.

      Zur Resignation >>>> antwortete ich eben schon Frau Schirmbeck. Es ist ein Riesenglück, daß meine Mentalität zur Melancholie nicht wirklich neigt, auch wenn sie mich überkommt. Sondern mental bin ich glücksbegeistert vitalistisch, das bricht immer wieder durch. Für Resignation ist da auf Dauer kein Platz, wohl aber für Wut, dann wieder für taghelle Begeisterungen. Doch manchmal hat einen die graue Galle halt am Wickel, zumal’s genügend Gründe gibt.

    4. Sie haben recht, denn so etwas ist eher ein Zurückgezogenwerden, ein Niemand zieht einen in seine dunkle Höhle, aus der wir zuerst nicht mehr herauszukommen glauben – ich kenn’s ja selber, aber dann tut inwendig etwas einen Schritt, ein Funke, eine Idee ist da, und schon tritt man blinzelnd wieder ins Licht. Gut so.

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