Aléas Ich im europäischen Projekt-Journal des Dienstags, dem 10. September 2013. Zur Konstruktion des weiblichen Geschlechts. Sowie totale Planungskonfusionen.


Le divin pose sur l’illusoir
le frôlement de ses doigts déliés.

Aragon, Le Paysan de Paris:
Le Sentiment de la Nature aux Buttes-Chaumont. XIV.


7.15 Uhr:
[Arbeitsjournal. Händel, Partenope (Mortensen).]
Eigentlich wollte ich mit Henze beginnen, den Nachtstücken nach Bachmann und dem wundervollen Being Beautious, doch dann dachte ich: jetzt hör ich mal Partenope durch und halte so am historischen Napel fest, momentan noch, weil ich, nachdem die Vorschnitte nun sämtlichst fertiggestellt sind, das Projekt vorübergehend wechseln und mein Exposé zu Europa skizzieren will; es geht da um eine Grundfrage, die ich formulieren und auf der alles diesbezüglich Weitere aufbauen muß; man kann sagen, es gehe um eine Ausschreibung, eine Art Ausschreibung, zu der ich mich hier aus strategischen Gründen aber noch nicht äußern sollte. Immerhin wird bereits dieses Exposé bezahlt; das Projekt selbst hat alles Zeug, für mich eine ebensolche Herzenssache zu werden wie der Sterberoman, für den ich ja nun gerne auf diese Kreuzfahrt gehen würde, zu der die Astor aber bereits am kommenden Montag ablegt. Das bringt mich in Bedrängnis, zumal für Neapel die Sprechertemine noch nicht stehen. Außerdem müßte ich andere Termine absagen. Was ich alles aber erst dann tun kann, wenn eine für die Kreuzfahrt grundlegende Angelegenheit geklärt ist, ob ich nämlich den Hörstückauftrag bekomme oder nicht. Dafür warte ich heute auf einen Anruf. Danach muß eventuell alles sehr schnell gehen, wirklich Holterdipolter; und wenn, dann wäre ich eben bereits am Montag auf dem Schiff und bis zum entweder 1. oder 3. Oktober unterwegs; für den Roman ideal, für alles übrige heikel. Der Tag heute, eventuell erst morgen, wird also Weichen stellen. Im übrigen müßte sowieso eine Kabine freigeblieben sein, um mitgenommen zu werden, und sowieso muß sich der Veranstalter erst überzeugen lassen. – Mein Kopf schwirrt.
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Mein Interesse an Aléa Toriks Büchern ist wieder geweckt. Ich las heute früh bei >>>> Literaturkritik.de eine sehr einfühlsame, geradezu empathische Rezension, deren Autorin sie mit einem sozusagen Witz abschließt, der der Fiktion ein großes Recht über die, sagen wir, Positivität einräumt:Übrigens stößt man seit Erscheinen des Textes gelegentlich auf einen gewissen Claus Heck, Jahrgang 1966, Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft. Er tritt als Autor von „Aléas Ich“ auf und gibt Lesungen aus dem Roman. Aber wir haben ihn natürlich sofort als Schauspieler entlarvt, engagiert von Aléa Torik.
Svenja Frank >>>> dort
Wenn man s o – derart auf der Seite der Imaginationskraft stehend – an die Dinge geht, müssen die Vorbehalte verstummen, weil sie sich andernfalls als kleinlich vorführen würden; gerade Frau Franks angespielter Vergleich mit Felicitas Hoppes Hoppe-Konstruktion verdeutlichte mir das. Also werde ich, wiewohl ich – aber eben aus persönlichen Gründen – mit Toriks Literatur nichts mehr zu schaffen haben wollte, dieses neue, ihr zweites Buch lesen. Die Autorinnenfiktion ist unterdessen zumal so weit gediehen, daß sie nun auch auf Rumänien übergreift: im Februar 2014 wird Torik >>>> in Hermannstadt lesen. Das Interessante daran ist, daß auf diese Weise die Rezeption des Romans in seine Konstruktion nachträglich mit einbezogen wird – etwas, worauf es Torik >>>> mit ihrem Weblog – das wiederum Frau Frank offenbar unwesentlich findet – ohnedies immer abgesehen hatte. Ihr literarisches Unternehmen bleibt dem meinen durchaus verwandt; die Differenz besteht darin, daß ich in das meine auch mein tatsächliches Persönliches hineintu, indessen Toriks selbst schon ein fiktives ist. Nun kann man darüber streiten, welcher Ansatz eine stärkere Wirklichkeitsdurchdringung oder, mit Benn formuliert, –durchstoßung möglich werden läßt; aber nicht jeder Literatur muß sie angelegen sein; die Entfaltung „rein“ fiktiver Räume ist nicht nur ästhetisch legitim, sondern oft ja gerade das, um dessentwillen Menschen überhaupt lesen. So gesehen, arbeitet Torik traditioneller als ich. Aber an den Seitenkanten berühren wir uns, auch wenn ausgerechnet ich, der literarische Mann, von ästhetischen Ansätzen „der“ Frauenbewegung(en) entschieden beeinflußter bin als sie, die literarische Frau, bzw. das literarische „Mädchen“, als das sie sich im Weblog inszeniert hat. Schon dies ist einiges Nachdenken wert. Für mich ist meine Geschlechtsidentität ästhetisch fundamental, für Torik ist es der Geschlechterwechsel – aber eben nicht, wie man denken könnte, die Geschlechterindifferenz. Sondern Toriks Bücher sind – bis man ihr das Gegenteil beweist – weiblich; genau das scheint mir ihre Größe zu sein. – Selbstverständlich schreibe ich dies ins Unreine, nämlich im Vertrauen auf Frau Franks Rezension, für die ich es allerdings wunderbar fände, wäre auch sie, die Rezensentin, nicht eigentlich Frau – ein Gedankenspiel, das ich hier bewußt ohne jede Überprüfung und ohne weitergehende Spekulation stehen lasse. Wenn es stimmt, daß Frauen erst einmal ihren eigenen Körper unabhängig von männlichen Kategorien zu sehen lernen müssen, daß eben dies ein grundlegendes Moment ihrer Emanzipation sei, so dürfte dasselbe für Männer gelten, aber eben nicht umgekehrt, sondern indem sie ihn symbolisch auflösen. Daß Torik dies nicht tun konnte, ohne ihrerseits genau die Vorgaben der „männlichen“ Ästhetik zu bedienen, macht die männliche Konstruktion von Frau, daß sie – als Geschlechtsbild – konstruiert eben i s t, geradezu erschreckend klar: nicht von ungefähr haben so viele Männer, als sich Toriks Fiktivität entschleierte, wie verletzte, weil als solche abgelehnte Liebhaber reagiert, nämlich als würden sie ihrem eigenen Frauen-, bzw. Mädchenideal als Mann nicht genügen. Wie Stavrogin jenen Rittmeister an der Nase, in >>>> Die Dämonen, hat Torik die Männer an ihren Schwänzen durch den Raum geführt, dessen Wände aus der patriarchalen Ästhetik bestehen. Nicht von ungefähr stammen die beiden ausgesprochen guten – weil eben klugen – Rezensionen, die ich über Toriks Bücher las, von, jedenfalls dem Leseanschein nach, Frauen.

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Grippes End. So schrieb ich gestern und mache es heute wahr. Mittags werde ich wieder laufen, wenn auch erst nur fünf Kilometer, um den Körper wieder einzustimmen; ein bißchen Bauchmuskeltraining noch. Aber morgen wird wieder „normal“, anderthalb Stunden lang, geschwommen. Doch hat mich heute nacht neuerlich der Zahn gequält; wenn es mit der Kreuzfahrt etwas werden soll, muß ich auch das noch in dieser Woche zu einem und sei es erst mal provisorischen Abschluß bringen. Also es spricht doch manches gegen die Kreuzfahrt, nur daß die nächste Möglichkeit, jedenfalls mit der Astor, erst im Mai realisiert werden könnte, was mir für den Roman sehr spät vorkommt. Allerdings, hm, ich könnte die Fahrt auch bis nur zum 28. 9. mitmachen und in Messina aussteigen, Sizilien, dann von Catania aus heimfliegen, am 29. wieder in Berlin sein und am 30.9. oder 1.10. die Sprecher für Neapel im Studio aufnehmen; das alles müßte aber jetzt noch, in dieser Woche, geplant und terminiert werden, und sowieso hängt das Projekt insgesamt davon ab, ob endlich die erwarteten Gelder bei dem Freund eingehen; falls nicht, könnte ich ja nicht einmal die Anreise nach Bremerhaven bezahlen.
Welch ein Chaos.

So, ans Europaprojekt. Bis sich meine Redakteurin meldet.

15.22 Uhr:
[Henze, Nachtstück und Arien auf Ingeborg Bachmann.]
Nicht zu fassen, wie schnell sich zu einer Konfusion gleich eine nunmehr kuriose nächste addiert: Ich versuchte, den Geschäftsführer der für die Astor zuständigen Bereederung ans Telefon zu bekommen, was ständig mißlang, so daß ich ihm eine Email schrieb, auf die mich die Fehlermeldung erreichte, meine Nachtricht sei unzustellbar. Also recherchierte ich. Und in dem Moment, in dem mich wiederum die Nachricht meiner Redakteurin erreicht, ja, der WDR wolle dieses Hörstück haben, erfahre ich, daß die Bereederung gewechselt hat und ich nunmehr gar keinen Ansprechpartner habe, geschweige einen mir bekannten. Das bringt nun alles ins Schwimmen. Ich habe selbstverständlich an das neue Unternehmen geschrieben, aber ebenso selbstverständlich noch keine Antwort bekommen. So wird denn alles eventuell s e h r ad hoc werden, bzw. ist meine Schiffsreise ab Montag nunmehr höchst unwahrscheinlich geworden.
Da ich aber nun den Funk-Auftrag habe, werde ich mich ggbf. nach einem ganz anderen Kreuzfahrer umschauen; insofern ich, anders als >>>> seinerzeit, an Bord keine Lesungen halten muß, kann es ja auch gut ein nichtdeutscher sein; auf keinen Fall aber will ich eines der schwimmenden Mietskasernen nehmen.

(Sagen Sie, was Sie wollen: Dichterleben können ganz schön spannend sein.)

Beim Laufen dafür, immerhin d o c h 7,7 Kilometer vorhin, wonach ich dringend schlafen mußte und schlief, ist mir eine ziemlich, glaube ich, gute Idee zu dem Europaprojekt gekommen, die ich jetzt gleich notieren und auch in eine der Bildideen umformulieren will. Und grad bricht draußen ein Unwetter sondergleichen los. Was ein Glück, daß mich das nicht beim Laufen erwischt hat.

3 thoughts on “Aléas Ich im europäischen Projekt-Journal des Dienstags, dem 10. September 2013. Zur Konstruktion des weiblichen Geschlechts. Sowie totale Planungskonfusionen.

  1. Verdi, Don Carlo, 21.9. 18 Uhr Premiere Erfurt Ich weiß, es passt hier nicht, aber ich möchte unbedingt die Empfehlung für die Premiere im Theater Erfurt, Verdi, Don Carlo, 21.9., 18 Uhr, Regie Stefano Poda, abgeben – seine erste Regiearbeit in Deutschland, endlich, nach 80 in Südamerika und Italien etc.

    1. Erfurt@Helbig. Das werde ich, liebe Frau Helbig, sehr wahrscheinlich nicht schaffen, eigens nach Erfurt zu reisen. Aber falls Sie das tun, würde ich mich freuen, schrieben Sie hier drüber.
      Herzlich,
      Ihr ANH

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