Der fünfte auf den sechsten Tag: Am Morgen etwas Sonne. In den Abend (10)/Traumschiff 17. PP142, 5. (ff) und 6. April 2014.

[Sonntag,
8.50 Uhr.]

Etwa die Hälfte, vielleicht etwas mehr, liegt für die Überquerung des Indischen Ozeans hinter uns; wir fahren noch immer durch Regengebiet, heute früh sind auch die Wellen etwas höher, mir durchaus angenehm, aber nicht allen; und erstmal hat sich, es gibt sie also noch, die Sonne sehen lassen: pünktlich zum Frühstück:



Aber wer hätte das für möglich gehalten? ich doch am allerwenigsten: daß ich eines Tages beginnen würde, demn Luxus einer Suite zu schätzen? Doch es war so. Den ganzen Tag über Grau und Grau, wenngleich das Meer in diesen Breiten selbst bei Meilen über Meilen schwarzverhangenem Wolkenschild mitunter ein nicht faßbares Blau annimmt, das gleichzeitig tief und dunkel und aber eben auch hell ist… – jedenfalls war ich draußen über die Decks gestreift, hatte mich immer wieder vollregnen lassen, es ist ja nicht kalt, und in meiner Kabine, das war die erste konkrete Lockung, waren dumpf und laut die Schläge des Schiffsbugs in die Wogen zu hören; es geht von meinen Fenstern, die bis zu meinen Füßen hinabreichen, vielleicht vier Meter bis an den Meeresspiegel hinunter, nicht mehr; da bekommt man auch die fliegende Gischt mit, die aufgeschossen kommt. Und statt mittagzuessen hatte ich einen ziemlich harten Workout absolviert, Kraft u n d Kondition und obendrein zwei Saunegänge angefügt, tiefunten im Spa-Bereich des Schiffs, einen Aufguß inklusive, der mich schaffte, geb ich zu, und statt nun kalt zu duschen, schlang ich mir das Handtuch um die Hüften und hing den Bademantel lose über die Schultern und eilte die sechs Treppen zum Bootsdeck hinauf, wo außer mir, weil es so goß, niemand war, und zog mir einen der Liegestühle an die Reling, breitete den Bademantel darauf aus und ließ mich hineinfallen und bestürmen und beregnen. Grandios, dies so mitten auf einem Ozean, und man pfeift nicht nur aufs schlechte Wetter, sondern dreht es sich zur Wohltat herum.
Doch halt nicht lange. Irgendwann geht die Fröstelei los, da sollte man heiß duschen. Was man sowieso tun sollte von Zeit zu Zeit. Und dann überkam‘s mich: Ich hab doch eine Couch, kann mich auf sie legen und von ihr aus hinaussehn, die Wellen ansehen, die Brecher ansehen, die Gischt ansehen, und eigentlich könnte ich hier lesen und/oder dösen und/oder nachdenkend träumen. Und so, nachdem ich mir noch eine Bloody Mary besorgt hatte, t a t ich:



>div align=justify>In dieser Vefraßtheit, freilich, komme ich mit dem Roman nicht voran, oder allenfalls kaum. Außerdem merke ich, wie meine Schreibdynamik von ihm, dem Roman, durch diese Berichte abgesogen wird; was ich eigentlich vorhatte, nämlich das ganze Buch hier an Bord zu schreiben, wird sich nicht mehr realisieren. Ich zerteile mich zu sehr: zum einen in den „Mich“, der Ihnen diese Erzählungen schreibt, zum anderen, was aber wichtig und richtig ist, in das „Mich“, das hört, für das Hörstück, und dafür auch Gespräche führt und recherchiert und beobachtet, und schließlich noch in das „Mich“, das einfach nur diese Reise genießt und auch jede Unbill – sie ist immer nur scheinbar – in ein Erlebnis herumdreht, das ich nicht missen wollte. Es ist wirklich grandios, den Ozean bei Regenwetter, immer hart an der Kante des Sturms, zu überqueren, und berauschend, minutenlang nichts zu tun, als Wellen zu beobachten, ja Welle im Inneren selbst zu werden. Da ist dann für Gregor Lanmeister aber kein Platz mehr, oder der war es noch nie, und deshalb sehe ich ihn auch nirgends.
Aber andere. Ich habe begonnen, Namen zu vergeben, Charakternamen wie den der „zwei Abenteurer“, für Patrick und John, dort sitzen sie am Achterdeck und, ja, Abenteurer tun das, rauchen:



Ich bin mir sicher, in dem Roman werden sie eine Rolle bekommen. –
(Wenn ich hier aus dem Fenster sehe, ich muß nur den Kopf nach „starboard“ wenden, habe ich gerade den Eindruck, wie flögen dahin!




Außerdem hat‘s wieder aufgeklart, in den wenigen Zehnminuten, die ich hier nun sitze und tippe)

– Und so auch der Mann mit der Pudelmütze, der den ganzen Tag über auf dem Achterdeck in der überdachten Raucherecke sitzt und Kreuzworträtsel löst, eines nach dem anderen; dazu trinkt er vom frühen Morgen an Bier, leise, aber entschieden. Er aber auch, wie alle die anderen Passagiere, sind auf die Sonnenseite des Lebens gekommen, der Alters, verglichen mit jenen alten Menschen, die in Berlin लक्ष्मी betreut. Hier wie dort lagert das Sterben am Weg bereits, aber für meine Mitreisenden und, ja, auch für mich, hat es ein Lächeln aufgelegt. Wohin wir geraten, ob aus eigener Befähigung, eigenem Kampfgeist oder ob aus Mangel und angeblicher Selbstverschuldung, letztlich, sieht man den Gründen bis auf den Boden, ist es allein eine Frage des – Glücks. Ob man Glück gehabt hat, so oder so, oder nicht. Daß dieses, Glück gehabt zu haben, eine ontologische Kategorie ist, wird mir gerade erst bewußt. Es könnte einer der entscheidendsten Gedanken Gregor Lanmeisters sein. (Zum Beispiel, daß sich die Leute, die hierher gekommen sind doch wohl, um auf dem Meer die Zeit zu spüren und wie sie eben stillesteht, sich dann zusammenfinden, um sie zu – vertreiben; so geht das Wort: zum„Zeitvertreib“ … das Kostbarste vertreiben, das wir haben: unsere Zeit:



„Ich glaube eher, es lebte sich hier.“ Glaubte oder „meinte“? Jedenfalls Rilke, Malte.)



Abends setzte ich mich zu Christian, dem Hoteldirektor – das wäre wohl auf Schiffen, die keine Passagiere befördern, der Quartiermeister, oder wär es gewesen -, und dem Chef des Servicepersonals und fragte und ließ mir erzählen: etwa, wie man es hinbekommt, daß das Gemüse ständig frisch ist, eben nicht gefroren und wieder aufgetaut, das müssen riesige gekühlte Lagerräume sein, und sind es; erfuhr von der bisweilen diffizilen Versorgungs-Logistik sowohl von hier auf der Astor als der von anderen, meist sehr viel größeren Schiffen mit eintausend und mehr Leuten allein an Personal, wo deshalb eng an eng die Passagierkabinen, „das rechnet sich nur über Masse“, so daß für die Lagerräume kaum mehr ein angemessener Platz bleibt, „zumal“, so Christian, „wissen Sie, als die Astor gebaut wurde, war sie von vornherein für Weltreisen angelegt; nicht so die riesigen Kreuzfahrtschiffe; die waren erst einmal nur für Wochentouren in Europa gedacht. Dann begann der Markt zu boomen, alles änderte sich, und diese Riesendampfer sind mit Bedürfnissen konfroniert, zu deren Erfüllung sie nie entwickelt wurden.“ Ich werde in den nächsten Tage gucken gehen dürfen, werde auch mit der Mannschaft essen, die Seiten, sozusagen, wechseln; vielleicht ziehe ich auch einen Blaumann an.



Nachtsog


Dann steh ich an der Reling, Bootsdeck wieder, bin allein, denn es regnet luv, in scharfen dichten Spitzen. Unter mir formen sich die Wogen, zerfallen wieder, klatschen, rauschen, um die beiden Schornsteine und sämtliche Verstreben sing der Wind. Ich beuge mich weiter vor. Besser, ich steck mein Ifönchen in die Hosentasche, stecke alles hinein, was ich in Händen halte, denn der Sog ist so groß, es fallen zu lassen. Es würde fallen und sinken, immer weiter sinken, Hunderte, ja Tausende Meter hier. Ich weiß das genau, bin mir bewußt, aber es ist solch ein Reiz da, solch eine Lockung, die ihn halb zog, halb sank er nicht hin, sondern riß sich noch beizeiten los, schritt das Deck bugwärts weiter, öffnete die Tür und ging hinein und zur Bar, um seinen Whisky zu holen. Und hat nicht bemerkt, wie jemand ihn beobachtet hat. Mir wird das erst klar, als ich, in meiner Kabine zurück, vom Nachtsog ins Notizbuch skizzier und mir dafür die Szene noch einmal vergegenwärtige. Er ist also d o ch da.

*****

Noch vier Tage der reinen See. Dann werden wir Mauritius erreichen, „L‘Île Maurice“.


Sugar sinniert in den Regen.
MS Astor, nachts.
Oberes Achterdeck vor der Sonnenterrasse.


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*******

[12.20 Uhr (6.4.).
27 51‘02‘‘ S/ 79 55‘14‘‘ O

Launisches Windwetter, aber immer wieder kommt kräftig die Sonne jetzt durch. Übern Bug gehen bisweilen Gischtnebel, wenn sich drunten eine Welle direkt am Schiff gebrochen hat. Die Gischt anderer Wellenkämme, die sich weiter fort auf See, aber gegen den Wind brechen, wehen gleich fatamorganen Fahnen, stehen sekundenlang über dem Meer, zerstäuben. Es ist, als näh,men manche Wogen Anlauf, die Astor hebt sich und senkt sich, aber versucht, die Dünung zu schneiden. Wir „machen“ 17 Knoten.
Ich steh lange draußen, erst oben am Achterdeck, dann vorn am Bug, um den nicht nur singenden, nein, in den gespannten Drähten und Haltungen jaulenden, lauthals jaulenden, wimmernden, heulenden Wind aufzunehmen. In der Ferne begegnet uns ein Riesentanker, zu weit weg indes, um zu grüßen; die Kapitäne werden über Funk miteinander gesprochen haben:



Auf den Sonnenterrassen werden bereits die Cocktails serviert, allerdings die Gäste auch wieder vertrieben, weil uns eine Wolkenmasse, so sieht es aus: verfolgt. Ich warte auf sie, an die obere Relign gelehnt. Schon sind wir eingeholt, und sofort beginnt es zu sprühen, aber nicht nur von, wie zu erwarten, achtern, sondern auch vom Vorne her, das un sim Rücken liegt: Wir sind von den Wolken in die Zange genommen.
Die Wellen schaukeln sich auf, werden länger, immer länger, auch höher, so daß das Traumschiff mitschwingen muß über seine ganze Länge, ganze Höhe. Aus den Fenstern meiner Suite, in der ich das nunmehr schreibe und die aufgenommenen Töne als Dateien sichere, sieht es wieder aus, als ob wir flögen, und Schaum ist – weißer, als wenn er Schnee wäre, Feim: selbst hier herein hört man das dumpfe schlagende Klatschen, und sogar das Sirren, wenn die Milliarden Bläschen platzen, meine ich, vernehmen zu können. Mit einem Mal ist es nachtschwarz, hat sich in Bruchteilen von Sekunden eingedunkelt, klart aber schon wieder auf, und im ganzen Rund der Horizonte gleißen Lichtinseln her.

(Meine Haut schmeckt nach Salz, meine Handflächen fühlten sich taub an, zugleich schmierig; auch dies kam vom Salz, das auf den Decks wie Staub auf jedem Holz liegt; es bleibt haften an den Fingern, ist leicht klebrig. Das Meer ist hoch in die Luft gestiegen.


3 thoughts on “Der fünfte auf den sechsten Tag: Am Morgen etwas Sonne. In den Abend (10)/Traumschiff 17. PP142, 5. (ff) und 6. April 2014.

  1. Sie bekommen es noch hin, daß ich, der Reisemuffel par ex­cel­lence, mein Täschlein packe und Leipzig den Rücken kehre. Der Aspekt, dem Tag Struktur zu verleihen, ist spannend. Die Tatsache, daß man neue Leute nur kennenlernen kann, wenn man seine Hütte verläßt, ist mental zwar stets klar, bleibt jedoch statisch und erzeugt nur Schicksalergebenheit. Durch Ihre Aufzeichnungen gerät die Statik ins Wanken und jene Hirnregionen werden stimuliert, die einen Hikikomori wie mich vielleicht doch noch umstimmen bzw. antreiben könnten, etwas zu ändern.

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