Millionär sein. Eine gestrige Tagträumerei in einem heutigen Untriest, der Nr. 53 nämlich. Am Donnerstag, dem 26. März 2015.


Arbeitswohnung, 9.17 Uhr

Wahrscheinlich, Liebste,

hatte solche Gedanken schon jeder. Mich erwischten sie gestern abend auf und von dem Weg zu und von >>>> Penny, als ich noch einen Wein besorgen spazierte.
Der Tag hatte sich wirklich gerundet. Viele Emails und kleine Briefe waren zwischen meiner Wiener Lektorin, >>>> dem Verlag und mir hin- und hergeflogen, noch mehr Kleinigkeiten waren abzustimmen gewesen und abgestimmt worden, und jetzt liegt und lag das lektorierte Typoskript satzfertig in Hamburg. Um den 8. April ist mit den Druckfahnen zu rechnen. Der Verlag hat sich entschieden, vor Erscheinen des Romans nicht etwa nur eine „bound galley“ herzustellen, sondern tatsächlich, wie es die Programmleiterin nannte, „durchzudrucken“ – was bedeutet, daß es im Vorfeld für die Presse und interessierte Buchhändler, auch für mögliche Veranstalter von Lesungen ein sogenanntes Leseexemplar geben wird. Nun sollte freilich ein jedes Buch ein Exemplar sein, das man liest, aber der Begriff hat sich – vielleicht nicht ganz unverräterisch – eingebürgert.
Seit gestern war dann auch die Verlagsvorschau offiziell. Deshalb habe ich sie soeben in einem eigenen Dschungelbeitrag >>>> eingestellt; man kann sie dort auch als Pdf herunterladen. Sie soll sich verbreiten, bekannt werden, die Leute stehen am Kai und winken dem Traumschiff nach und zu.
So dachte ich es, träumte es mir, als ich durch den schon dunklen Abend ging.
Es besteht wirklich eine Möglichkeit, daß dieses Buch ein Erfolg wird; wir alle, der Verlag in Hamburg, sowie Elvira M. Gross und ich, sie in Wien und ich in Berlin, haben getan, was wir konnten – wir beide so, daß nicht wieder gesagt werden kann „alles viel zu kompliziert“, bzw. „zu schwierig“ und „zu komplex“, und doch eine ganz eigene Poesie in den Erzählungen des alten Herrn Lanmeisters wirkt. Es ist tatsächlich nicht mehr „meine“ Sprache, sondern ganz die seine, die in dem Buch zum Laut wird. Und überhaupt, daß ich und wir es schafften in nicht einmal ganz einem Jahr, ist ein Wunder. Ich habe ja überhaupt erst in sieben Tagen >>>> die lange Kreuzfahrt angetreten, also vor zwölf Monaten. Wobei ich die vorhergegangenen Schwierigkeiten und Schmerzen gar nicht unterschlagen will, auch nicht die Nöte und sogar Krankheiten, die mich begleitet haben, seit ich zum ersten Mal die Idee zu diesem Roman gehabt habe, >>>> auf der ersten Kreuzfahrt, 2011. Weil ich eben selbst zu meinem Herrn Lanmeister wurde, dem alten Herrn, der das Buch erzählt.
Jedenfalls hatte ich kaum die breite Baustelle überquert, die seit einem Vierteljahr vor der Duncker 68 die Straße renoviert, da flutete mich der Tagtraum. Was, so flutete es mich (anders, Geliebte, als mit einer Flutung ist es nicht zu bezeichnen) – was, wenn du nun reich wirst? Schon war ich davon ganz erfüllt und ging über Marshmallows weiter. Was tust du dann?
Nichts, dachte ich. Ich lasse alles so, wie es ist. Ich werde in meiner kleinen Arbeitswohnung bleiben, mich nicht vergrößern. Na gut, vielleicht miete ich, wenn eine freiwerden sollte, in meinem Wohnhaus noch eine Wohnung hinzu. Damit es mal ein Schlafzimmer gibt. Damit ich eine Gästewohnung habe. Damit mein Sohn eine kleine Dependance bei mir hat. So etwas läßt sich dann ja finanzieren. Auch damit, wie vohin in Facetime die Löwin bemerkte, ich vielleicht zwei Wände hinzubekomme, an denen ich ein paar Bilder aufhängen kann, die hier nie Platz gefunden haben. Und in Neapel den Traum würde ich vielleicht wahrmachen; auch da kein Luxus, nein, nur ein Basso: Zimmerchen zur Straße mit Kochnische oder, allenfalls, zur See hin. Sollte so sich so etwas finden. Und auch das nur zur Miete. Kein Eigentum, dachte ich, nur ein Nutzrecht. Ansonsten ändere sich nichts. Nur daß ich mir nun keine Gedanken mehr müsse machen, wie ich meinen Sohn durch das Studium bringe, also sofern er studieren will. Und für die quasiFamilie wäre Geld da, für die Zwillingskindlein vor allem; ich könnte, dachte ich, über alle schützend meine Hand halten. Einmal abgesehen davon, daß ich meine Schulden loswürde – etwas, von dem ich überzeugt bin, daß es mich sehr befreite, sehr luftig machte, allein weil die Verdrängungsarbeit wegfiele, die schon aufbringen muß, wer so lebt wie ich.
Unterdessen hatte ich Penny schon betreten, aber außer dem Wein ganz vergessen, was ich, Liebste, n o c h einkaufen wollte. Es fiel mir auch nicht mehr ein. Ich stand sowieso schon in der Schlange vor der Kasse. Und dann dachte ich, irgendwie war ich schon wieder draußen, na gut, vielleicht den Röhrenverstärker, für meine Musikanlage, von dem ich träume, seit ich ein junger Erwachsener war.
Immer noch war die Straße mit elastischem süßen Schaum belegt. Der führte mich jetzt sogar über die Baustelle drüber und blieb als Boden bis vor die Treppen des mittleren Hinterhauses erhalten. Dann mußte er freilich weg, sonst wäre ich die Stufen nicht hochgekommen.
Ich schloß meine Tür auf und sah mich tief befriedigt in meiner Arbeitswohnung um. So sehr entsprach sie mir, entspricht sie mir weiter. Ich würde allerdings einen Tischler beauftragen, mir an den Flurwänden unter der Decke, und ebenso in der Küche, ein paar Schränke anzubringen, damit ich Sachen besser verstauen kann, die momentan noch überall herumstehen oder irgendwo so hineingestopft sind, daß nicht einmal ich selbst sie ohne weiteres wiederfinde.
Die Weinflaschen in den Kühlschank. Blick auf das heute frischgebackene Ciabatta, das ein wenig flach geraten ist, weil ich experimentiert habe. Ich wollte schlichtweg wissen, ob sich das Rezept des Fränkischen Krustenbrotes mit italienischem Mehl vereinbaren läßt, und außerdem meine selbstgezüchtete Hefe verwendet. Für die von mir gemahlene Roggen-, Gerste- und Hafermischung hat sie aber offenbar noch nicht genügend Triebkraft. Schmecken tut es trotzdem; allein mein Sohn verzehrte gestern einen halben Laib; ein weiteres Fünftel nahm er für लक्ष्मी mit hinüber, die nach ihrer anfänglichen Skepsis begonnen hat, meine Brote zu lieben.
Und ich nahm am Schreibtisch Platz, als wäre alles schon wahr geworden.

(Natürlich denkt man auch weiter. Ob ein Erfolg des Traumschiffs vielleicht auch zu einem meiner früheren Bücher werde; ob zum Beispiel der irrsinnig mutige >>>> Elfenbein-Verlag, ohne den >>>> Anderswelt nie abgeschlossen worden wäre, an ihm ein wenig partizipierte, oder sogar sehr. Immerhin liegen auch die mir herzensswichtigen >>>> Elegien bei ihm. Und ob insgesamt, als Folge, die früheren Bücher nunmehr mehr Aufmerksamkeit erfahren.)

Alles dieses, Liebste, sind Kinderwünsche. Aber ich wollte Dir unbedingt von ihnen schreiben. Auch daß sie naiv sind, aber von beinahe Unschuld.

Wie ich Dir einmal schrieb, so nehme ich Dich Feenfeder auch heute in der Taille mit beiden Händen hoch und hebe Dich zum Himmel.

Dein
Alban

4 thoughts on “Millionär sein. Eine gestrige Tagträumerei in einem heutigen Untriest, der Nr. 53 nämlich. Am Donnerstag, dem 26. März 2015.

  1. Aber auch noch andere Folgen könnte das Traumschiff haben; zum Beispiel wäre, hat es Erfolg, eine Gesamtausgabe meiner kleineren Erzählungen denkbar, die bei den Kulturmaschinen ebenso zugrundeverlegt worden sind wie die Essays. Dann hätten sie jedenfalls wieder eine Chance und ich müßte nicht weiter, wie ich es momentan tue, mit dem Gedanken spielen, sie alle unentgeltlich ins Netz zu stellen – damit sie eben n i c h t verloren gehen – etwas, das derzeit nicht nur zu befürchten ist, sondern bereits geschah.

    1. … oder für ein simples weinen, eine art schluchzen fern getöse schreierei und opferfanatismus aus der ( alten ) portokasse

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