Untriest 57: Ostersonntag, den 5. April 2015. Mit Dietmar Dath und José Luís Peixoto.


Arbeitswohnung, 8.36 Uhr
Jarrett, Tokyo Concert 2005



Wenn ich Dir heute einen Brief, Liebste, schriebe,

wäre es eine Osterbotschaft? Verzeih mir den kleinen Größenwahn, aber es ginge um Helligkeit, Fruchtbarkeit, Hoffnung. Etwa, daß man unser Bewußtsein, bevor es verschwindet, in eine andere Welt laden könnte, die tatsächlich konkret ist, konkreter jedenfalls als ein religiös geglaubtes Jenseits, insofern nämlich, als wir mit ihr kommunizieren können. Es ist die nun schon nicht mehr junge Idee, Bewußtseine ins Netz zu laden, „hochzuladen“: Schon der Begriff spielt auf den „Himmel“ an. Vor gestern war mir das nicht bewußt.
Der Himmel spielt auch mit, so blau strahlt er heute über Berlin, selbst wenn es für Ostern noch objektiv zu kalt ist. Trotzdem, ich habe gestern „abgeheizt“, alle Ofenutensilien in den Keller geschafft, den Ofen selbst geleert und die Asche weggetragen. Dann kam meine Kameruner Madame Pascale, um die Wohnung zu richten, und hat es ausgezeichnet getan. Derweil saß ich vorm >>>> Beaker‘s unten, trank Pfefferminztee mit Ingwer und las dazu >>>> Peixoto, ein nun freilich dunkles Buch, das mir, wie fast jeder Roman des großen Lobo Antunes ist, auch ein Reflex auf die portugiesische Diktatur zu sein scheint, unerachtet des Umstands, daß der 1974 geborene Peixoto für persönliche Erinnerungen an diese Zeit zu jung ist. Auch ist Portugal allenfalls imaginär “Spiel“ort, denn zwar fahren Autos, gibt es modernen Verkehr, aber die „höheren“ Stände halten noch Sklavinnen, auch über deren Leben sie verfügen können, wobei der Begriff Sklave selbstverständlich metaphorisch gebraucht sein könnte. Jedenfalls fand ich zwei Stellen, die sich für den >>>> Triestroman ausgezeichnet als Motti eignen. Sie aber dafür zu nehmen, davon halten mich spachliche Ungenauigkeiten des Buches ab, von denen ich freilich nicht weiß, ob sie durch die Übersetzung verschuldet sind. Etwa wird der Irrealis fast durchgehend falsch gebraucht, so, wie es sich unterdessen in unserer Umgangsspache eingeschliffen hat – nicht ohne eine dahinterstehende Absicht, wie Dietmar Dath, dessen Roman >>>> „Venus siegt“ ich direkt vorher gelesen habe, ausgespochen deutlich macht:

„… dabei habe ihn am meisten betrübt, wie schwer es inzwischen sei, die Kenntnisse der alten Sprachen dort wirklich zu nutzen, auf deren lebendigen Gebrauch er sich so sehr gefreut habe. Es gibt keine Haupt- und Nebensatzkonstruktionen mehr, wenn man dort Deutsch redet, sagte er. Und wenn man Englisch redet, stellt man fest, die Leute haben ihre Konjunktive vergessen (…), oder wenn sie Französisch reden, dann gibt es den Subjunktiv nicht mehr (…). Das zieht sich zwar, das hat vor Jahrhunderten angefangen, aber es ist diese schreckliche Gleichmacherei überall da, wo der Informationsfluß ein zäher Lavabrei wird,, eine Gleichmacherei nach unten, auf das dümmste Niveau hinab. Und diese Gleichmacherei kommt daher, daß auf der Erde seit Jahrhunderten längst überflüssige Hierarchien geschützt werden, indem man das kaputtmacht, was sich dagegen artikulieren müßte. Man erstickt sogar die Möglichkeit und Notwendigkeit der Rechtfertigung dieser Hierarchien, weil da schon Kritik ansetzen könnte, es ist gar nicht mehr diskutierbar, denkbar, daß was anderes sich machen ließe. Und die Leute, denen das angetan wird, das ist das Schlimmste, die machen das aktiv mit, die sehen das nicht als politische Entrechtung. (…)“
Sie wandte sich mir direkt zu und fuhr mit Nachdruck fort: „Verstehst du, Nikolas, es gab Leute hier, neben mir, Freunde von mir, die fragten mich nach dem Vortrag: Was war denn das für ein elitäres Gelaber, was will er denn, Konjunktive und lange Sätze (…) -, wer braucht denn das? (…) Man hörte das dauernd, das war regelrecht das Erziehungsziel an der Wirtschaftsschule: bei Bewerbungen bitte keine sogenannten Schachtelsätze, und vermeidet den sogenannten Schwurbel, und bei Texten generell keine schwierigen Zeitsorten (…) und mit Ärmeren bitte niemals so elitär reden, das sind Schwellen, das ist undemokratisch, wir wollen doch alle frei blubbern, und alle, alle verhielten sich dann freudig wie gefordert. Sie hatten es gefressen, man hatte ihnen die Instrumente weggenommen, etwas anderes zu denken als das, was sie umgab, und es störte sie nicht, weil sie glaubten, sie seien freier, wenn sie blöken konnten, wenn die Geschichten, die sie sich anschauten oder lasen, ihnen runtergingen wie Öl, wenn nichts mehr da war, was lehrte, daß sich das Leben in Widersprüchen bewegte. Wenn du keinen komplexen Satz mehr bilden kannst, kannst du auch keinen komplexen Zusammenhang mit wenigen Invarianten und vielen abhängigen Varianten mehr schildern. Dann bleibt nur noch übrig: Subjekt Pädikat Objekt, die Sprache der Befehle und der Unterwerfung (…).“

Dietmar Dath, Venus sieht, S. 167/168

Und dennoch, Liebste, gibt es Sätze in diesem Peixoto, die es auch in der deutschen Übersetzung wert sind, bewahrt zu werden, und vor dem Triestroman wirklich sehr schon dastünden:

Heute weiß ich, daß ich dich liebe bedeutet, heute weiß ich, daß ich dich liebe; du bist ganz mein, bedeutet, niemals, in keinem Augenblick wirst du mein sein. Traurig um einer Traurigkeit der Liebe willen. Traurig um einer Taurigkeit willen, die ich dort, in jenem von der Decke und dem Gasofen erwärmten Raum nachvollziehen konnte.José Luís Peixoto, Das Haus im Dunkel, S. 112

Denn zumindest dies steht ja nun fest, daß die Tiestbriefe ein Roman über Verfallenheit sein werden, so, wie der andere, auf ihn folgende Roman, dessen Idee ich Dir >>>> dort schon, gegen Ende des Briefes, angedeutet habe, einer über Verlorenheit sein wird. Selbstverständlich gehören beide Themen zueinander; sozusagen sind sie auseinander abgeleitete Funktionen, von denen ich mir aber nicht sicher bin, welche die spezielle und welche die allgemeine ist.

Jetzt allerdings mag ich hinüber zu meiner quasiFamilie; die Zwillingskindlein warten ungeduldig auf mich, damit sie endlich die Ostereier suchen können, die ihre Mama nachts in der gesamten Wohnung versteckt hat. Und schau einmal!

Ich habe einen Hefe-Gugelhupf gebacken, der mütterlicherseits in meiner Familie zur Ostertradition gehörte. Nun, da ich Brot zu backen weiß, nehme ich diese Tradition wieder auf.

Und wenn ich wieder zurücksein werde, werde ich noch bisserl arbeiten, dann ein weniges Zeug packen und zu meinem Freund, dem Profi, in sein und seiner Frau Inselhaus fahren, um dort den Abend und den Ostermontag zu verbringen, lesend, auch etwas arbeitend vielleicht, vor allem aber plaudernd und, begleitet von meiner sanften Sehnsucht nach Dir, die „vom Eise befreit“e Havel entlangspazierend.

Dein, in stiller Treue,
Alban

3 thoughts on “Untriest 57: Ostersonntag, den 5. April 2015. Mit Dietmar Dath und José Luís Peixoto.

  1. (Morgen, übrigens, will ich, wenn ich es schaffe, meine Hebbel-Laudatio auf Christopher Ecker einstellen. Dann kannst Du sie, falls Du magst, nachlesen. ’s ist halt ein bißchen Arbeit mit der Netzformatiererei. Spätestens soll sie aber am Dienstag in Der Dschungel stehen.)

  2. Hefe-Guglhupf Leider kann ich meinen Hefe- Guglhupf nicht mehr fotografieren. Er war ganz schnell weg. Er heißt Aranygoluska, sprich „Orongoluschka“. Das ist ungarisch und heißt Goldknödel. Das Rezept stammt ebenfalls von meiner Mutter, und die hatte es von ihrer. Die halbe Nacht habe ich mit vorbereiten, gehenlassen und backen verbracht. Er muss ganz frisch verspeist werden, sonst schmeckt er weniger lecker. Ging zum Frühstück gerade noch.
    Frohe Ostern!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .