leicht in Panik – n o c h nur leicht. Was sich leider ändern kann. Denn gestern kam die Absage für das Berlinstipendium, das mich ökonomisch gerettet hätte. So habe ich ab Juni schlichtweg keine Einnahmen mehr, und Rücklagen hatte ich leblang nie. Erst wenn ab September die >>>> Traumschifflesungen beginnen, kommt wieder Geld herein. Das vergangene Jahr, mit all den geplatzten Seminaren und den wie endlosen Verzögerungen des Kreuzfahrthörstücks, ist ein tiefer Einbruch gewesen, der sich zwar überbrücken ließ bis jetzt in den Mai, aber danach ragt die Brücke ins Leere. Also brauche ich dringend einen Vertrag und/oder Vorschuß. Oder mir läuft eine Mäzenin über den Weg, oder ein Mäzen. Und das nächste Hörstück ist erst für den Herbst in Aussicht genommen.
Es ist ja an sich schon peinlich, wenn man sich als Sechzigjähriger für ein Stipendium bewerben muß, um durchzukommen; gibt‘s dafür dann noch eine Absage, geht das tief an den Stolz. Daran kaue ich gerade herum. Außerdem kam die Absage für eine Veranstaltung, die für das Traumschiff wichtig gewesen wäre, und sie, die Absage, ist auch noch so formuliert, daß man zusammenzuckt.
Also gestern überlegte ich, ob ich mir nicht einen Job suche. In der Kneipe bedienen, zum Beispiel. Sowas. Ich könnte auch Tipparbeiten übernehmen. Jedenfalls weiß ich gerade nicht weiter. Meine, für den Triestroman, geplanten Reisen kann ich so oder so in die Tonne treten.
Wenigstens ist es draußen hell (wir haben viel Sonne, und es ist endlich warm geworden).
Wenigstens stehe ich in einer Tradition (bin ja nicht der erste und einzige Künstler, den sowas erwischt).
Sogar auf den Gedanken, mich einer Drückerbude zu verpflichten, die Finanz„geschäfte“ macht, bin ich gekommen; immerhin war ich mal lizensiert und kenne die Strukturen. Doch einmal abgesehen von den (a)moralischen Implikationen habe ich den Kopf so voll nächster Literaturen, daß ich gar nicht weiß, ob ich es hinbekäme, mich wieder derart umzustülpen. Anders als damals käme es mir wie ein Verrat vor, zu dem ich mich nötigen ließe.
Aber erst einmal die Fahnen, des Traumschiffs, die heute kommen werden und auf Korrekturen durchgesehen werden müssen. Ich hatte mich darauf gefreut; jetzt muß ich mir diese Freude neu einreden. Irgendwo habe ich mal von „bewußter Verdrängung“ gesprochen, ein Eisenholz, das man aus Notwehr schmiedet, obwohl man weiß, daß es verbrennt. Erinnerst Dich? >>>> „Du hast keine Chance, aber nutze sie.“ Die alten Zeiten holen uns ein, doch verwandelt; auch sie haben sich, Schönste, weiterentwickelt. Es ist absolut blöde, sich nicht rühren zu können, sondern festzustecken. Man braucht viel Feuer, muß es schüren mit Hoffnung und Trotz. Ein Segen, daß meine Miete nicht hoch ist.
So saßen wir gestern vorm >>>> Südblock, zwei Jungprofessores, ein Fotograf, ein Werber und mein eigenes, das eines Schriftstellers, Ich. >>>> Uwe Schütte hatte zum Herrenabend gerufen. Alle fünf von Herzen Väter. Übers Vatersein sprachen wir auch. Und über Pop, jedenfalls die andren. Ich passe dann immer, weiß ja nix, bin nicht affiziert. Aber wie sie mit Leidenschaft und Kenntnis sprachen, über eine vergangene Zeit, die an mir, wiewohl ich älter bin, mich quasi unberührend vorbeistrich, merkte ich auf und spürte ein mir fremdes Interessiertsein, das gleichwohl theoretisch ist und weiß, es bräche in der Praxis zusammen – also wenn ich die vier zu einem der Konzerte begleiten würde und dann vollkommen fremd, weil eben unberührbar von dieser Musik, bei ihnen säße. Allein meine Ausstrahlung wäre die eines Spielverderbers. Ich kenne das umgekehrt ja gut, bzw. schlecht, wenn meinerseits ich jemanden mit ins Konzert oder gar in die Oper nehme, restlos mitgehe, aber meine Begleitung bleibt kalt. Man hat dann das Gefühl einer Schändung. – Nein, schon aus Freundschaft, zu Tocotronic, Neil Young und Bob Dylan gehen die vier besser ohne mich, auch wenn ich unterdessen aus theoretischem Interesse – oder weil ich spüre, eine Zeit „verloren“ zu haben – diese Lust entwickle, mir solche Konzerte mal anzuhören. Es ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, daß meine poetischen Arbeiten so oft auf Unverständnis oder Ablehnung stoßen, weil mir eben diese Gemeinsamkeit fehlt: etwas, über das sich ganze Generationen verständigen konnten und können. Mein ästhetischer Weg, eben gerade auch der Rezeption, hat sich zu früh vom allgemeinen abgespalten. Mag sein, daß so etwas eine besondere Qualität erzeugt, irgendwann und eben auch nur „mag sein“, in jedem Fall bleibt man ausgeschlossen. Erst wenn die Zeiten zusammengewachsen sind, viel später in sie zurückgeschaut, wächst auch die Lücke zu, wird zumindest unbedeutend aus der fernen Perspektive – so, wie wir heute, nach der Postmoderne, über die Urteile nur den Kopf schütteln können, die seinerzeit die ästhetischen Fraktionen geradezu zu Feinden machten. Heute können wir, zum Beispiel, Stravinski und Berg, Webern und Schreker, Strauss und Schönberg, Puccini und Martin sehr wohl zusammenhören, ja gerade die Differenzen schenken uns ästhetischen Reichtum. So mag es eines Tages auch mit den sog. Realistischen und Phantastischen Literaturen sein – dann, wenn auch die Themen nicht mehr akut sind. Celan verließ die Gruppe 47 – verlacht. Er soll geweint haben. Heute ist er Klassiker wie manche seiner Verhöhner.
Ich würde alldies gerne ohne diesen ökonomischen Druck durchdenken, der einen, um ihn auszuhalten, in radikale Positionierungen zwingt. Man müßte nicht nur sagen, sondern es auch empfinden können: „Ach, was soll‘s?“ Und tut dann seinen Teil einfach weiter.
Ein Arschloch hat mir gestern einen Kommentar unter mein Journal geschrieben; erst hab ich geantwortet, dann, auf Anraten der Löwin, beides gelöscht. Ecco, ach was soll‘s. Einen „Schleimer“ nannte er mich. Ausgerechnet. So auf den Hund ist sogar die Verführung gekommen.
Bis die Fahnen eintrudeln, lese ich jetzt >>>> den Witzel weiter, schreibe vorher aber noch ein paar Briefe.
A.
Sie sollten nicht zuviel Energie beim Sorgenmachen verheizen – Sie werden sie für die Fahnen brauchen!
Herzlich:
TT
Dank@TT. Und wie das Geschick es will, kamen die Fahnen fast zeitgleich mit Ihrem Kommentar – als hätten sie ihn unterstreichen wollen.
Lächelnd,
ANH