Untriest 61. Donnerstag, den 9. Apil 2015. Mit Witzel und Schultens ff, möglicherweise aber auch Seel.


Arbeitswohnung, 11 Uhr
Wenn ich von etwas überzeugt bin,
Geliebte,

dann gebe ich nicht auf. Nie. Es mag aber sein, daß meine Aufmerksamkeit sich zwischendurch auf etwas anderes richtet, so daß Menschen manchmal denken, ich hätte mein Ziel aus den Augen verloren. Darin irren sie sich. Lediglich schieben sich andere Dringlichkeiten vor, so, als ich über knapp zwanzig Jahre hinweg an den Andersweltromanen saß, aber andere Bücher dazwischenkamen, auch kommen mußten, weil ein Verlag nicht in Aussicht war oder einer verloren und ich deshalb, quasi, pausierte. Wirklich pausiert hab ich nie. So geht es auch, darüber schrieb ich schon anderwärts, mit manchen Gedichten, von denen nur zwei Zeilen stehen, oder drei, und ich komme nicht weiter. Manchmal plötzlich, Monate können vergangen sein, scheinen sie auf und rufen nach Fertigstellung, die dann nicht selten innerhalb eines einzigen Tages gelingt, ja bisweilen in nur zwei Stunden. Oder Freundschaften ruhen, doch blitzschnell reaktivieren sie sich, und es ist, als wäre die lange Zeit gar nicht gewesen.
Schaut man sich das von oben an, im Gleichnis gesprochen, sieht es aus, als würbe ich in Sprüngen; anderthalb Jahrzehnte schien etwa Heinrich Schirmbeck völlig für mich vergessen zu sein. Dann nehm ich ihn vor aus irgend einem Anlaß, und alles ist wieder präsent.

Wie komm ich darauf? Ja-wie-komm-ich-darauf?
Ach schwindel nicht, mein Herz! (als ob Du‘s nicht wüßtest – !)

Wieder von Frank Witzel muß ich Dir schreiben, also >>>> von seinem Roman. Einhundertachtunddreißig Seiten habe ich gestern gelesen, rund sechshundertsechzig liegen noch vor mir. Aber schon jetzt kann ich sagen: grandioses Buch! Imgrunde mag ich zu lesen gar nicht aufhören, so schwungvoll kommt das daher, so gleichzeitig, ohne Aufdringlichkeit, gebildet. Wer, schrieb ich heute früh an >>>> Matthes & Seitz, käme denn auf die Idee, sich auf die >>>> legenda aurea zu beziehen – bei diesem Thema? Man muß wohl schon Meßdiener gewesen sein. Allein die hübschen Seiten über die Seelenverwandtschaft von Judas und Pilatus… das eingebettet in Jungenerinnerung, den, nun ja, „Duft“ der Sechzigerjahre, meiner… fappierend, wie vieles in mir wieder aufsteigt, das ich vergessen wähnte. Witzel ist meines Jahrgangs. K2R, du meine Güte! Pelikanol. Nur erzählt er auch eine andre Geschichte, weil er musikalisch anders sozialisiert ist, anders als ich generationengemäß. Und dennoch. Tchibo, zum Beispiel, allein die Seiten über Tchibo… – Doch der Text geht weit über Erinnerung hinaus. Er konstruiert eine literarische Wirklichkeit, die sich hier fast nur über die katholische Prägung des Autors erklären läßt, indessen ich nach protestantischem Leistungsgestus erzogen wurde, dem Sexualität nie ein Thema war, jedenfalls keines, das berücksichtigt zu werden hatte. Und wußtest Du, weshalb Krähen schwarz sind? Sie waren einmal weiß…. – Auch so etwas füllt dieses ungeheuer lebenspralle Buch, zum Beispiel die Eifersucht Apolls.
Hin und weg bin ich, weg und, Liebste, hin. „Was ist an einem Buch gelegen, das einen nicht einmal über alle Bücher hinwegträgt?“ fragte Nietzsche. Dieses hier tut‘s – auch über meine eigenen mich. (Zuletzt ging‘s mir beim >>>> Fahlmann so).
Ich werde auch gleich weiterlesen.
Hab aber nachdenken müssen, hab sogar, o peinlich!, >>>> Argo einmal vorgeholt, um zu schauen, ob ich denn „mithalten“ könne, war mir wirklich unsicher, dann indessen beruhigt. Witzel wird – und soll! – aber Erfolg haben, weil er etwas berührt, das viele Leser:innen kennen, während Anderswelt in die Zukunft schaut, auch wenn die imgrunde längst Gegenwart ist. Aber es gibt viel weniger direkte Identifizierungsmöglichkeiten; ich nahm ja ans Herz, was Abwehr verursacht.
Trotzdem, natürlich, vergleicht man.

Übrigens steht jetzt der Sendetermin für das Kreuzfahrthörstück fest: 7. und 8. Juni. Ich werde das in Der Dchungel aber noch eigens annoncieren. Den Pressetext soll ich heute schreiben. Komisch, ich habe gedacht, es längst getan zu haben. Aber ich finde die Datei nicht mehr, und auch meine Redakteuerin findet sie nicht. Also auf ein Neues.
Wir telefonierten gestern. Da sich >>>> Schultens auf meine Anfrage einfach nicht meldet, was ich nicht sehr professionell finden kann- (wozu mir dennoch einfällt, daß ich unbedingt noch meine Volltext-Rezension zu >>>> Schultens‘ neuem Gedichtband in Der Dschungel einstellen will) -, habe ich dem WDR nunmehr Frank Witzel für ein neues poetisches Hörstück vorgeschlagen. So gerne ich auch eines über Schultens schriebe und inszenierte, ganz sicher werde ich ihr nicht hinterherlaufen. Schade, freilich, für >>>> den Verlag. Wobei mir gerade noch eine andere Idee kommt. Auch die Verlegerin selbst, Daniela Seel, hat mich einmal mit Gedichten beeindruckt, und लक्ष्मी, Geliebte, hat sie sogar benommen gemacht.
Gut, z w e i mögliche Projekte also, eines vielleicht für den Deutschlandfunk.

Ein neues Krustenbrot „bäckt“, sagte meine Großmutter, im Ofen; es duftet bereits. Und eben kommt Nachricht von >>>> Mare; meine Lektorin und ich müssen für die Fahnen noch ein paar kleine Hinweise zusammenstellen. Das wird meine Witzellektüre ein bißchen hemmen. Ach, Schönste, sei‘s drum:

Sonne.

Helligkeit.

Und Dein unrasierter Faun.

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