Faun Nichtfaust im Untriest 65. Des Halbzeitaprils 2015 Mittwoch.



Nun hast Du, Geliebte,

fast drei Tage lang nichts mehr von mir gehört, bitte verzeih. Ich war einfach mit den beiden Durchgängen der >>>> Traumschiff-Fahnen beschäftigt, dem ersten am Bildschirm, dem zweiten im Papierausdruck, bin zweimal noch einmal die ganze Schiffsreise mitgefahren und habe tatsächlich noch eine ganze Menge gefunden, das leicht modifiziert werden sollte; was seinerzeit, im Skript der ersten Fassung, schon Delf Schmidt genervt hatte, Lanmeisters häufige Verwendung von „das“ statt „es“, nervte nun auch mich. Schon mit meiner Lektorin habe ich da ja einiges geändert, aber es genügte noch nicht. Einmal stimmte eine erzähllogische Abfolge nicht, ein paarmal ersetzte ich auch einzelne Wörter, suchte nach besseren als den verwendeten Begriffen usw. Daneben waren sechs >>>> Hurenkinder einzuholen. Aber jetzt ist alles geschafft und auch, damit wir unsere Korrekturen vergleichen können, an die Lektorin abgesendet.
Dann saß ich gestern mal wieder hilflos da, was meistens nach Abschluß einer längeren Arbeit so ist, wartete auch schon auf Rückmeldung aus Wien, die indessen ausblieb. Allerdings eilt es nicht, denn die Fahnen abgeben müssen wir erst am Freitag. Ich wollte schon deshalb nicht drängen, und wenn es mich auch in den Fingern juckte, rief ich drüben nicht an. Lenkte mich irgendwie ab, was bei mir ja nicht selten heißt, daß ich mich durch Pornoseiten „zappe“; dabei hätte ich zu lesen, aber auch zu schreiben gehabt. Es kam tatsächlich mal wieder ein kleiner Auftrag von der FAZ, so daß ich „nachlegte“ und anfragte, ob ich wohl zu Jarretts Siebzigstem etwas schreiben dürfe; eine neue CD wird im Mai herauskommen. Aber gut, erst einmal die wunderbare Aufnahme Możdżers und seiner Mitspieler vom vergangenen Frühjahr. Sie läuft jetzt; ich höre sie gewiß zum zehnten Mal.
Zudem, Liebste, war mir wieder nach Gedichten. Und über den Tod dachte ich nach, gerade angesichts der schäumenden Rammeleien: – was er wohl sei, wie ich ihn mir vorzustellen hätte? Dieses große, sehr große Fragezeichen, auf das wir nur fantasierend antworten können. Bei der Liebe, trotz ihres Mysteriums, ist das anders. Ihr können wir sogar physiologische Ursachen zuschreiben, Reaktionsmuster ganz sicher, die sich aus Prägungen ergeben und gemeinsamen Ewartungsmodellen, selbst dann, wenn dieses „gemeinsam“ ein Ergebnis von Projektionen sein sollte. Sie selbst sind ja Chemie, also chemisch basiertes Bewußtsein. Wie aber ohne dieses? Was man – und ob man etwas – wahrnimmt, wenn keines mehr ist, läßt sich nicht fühlen, erst recht nicht denken. Kurz, das Nichts läßt sich nicht denken, so wenig wie Unendlichkeit oder ein Vor- und nach-der-Zeit.
Besser, ich stand auf.
Besser, ich stand früh auf und beschäftigte mich mit einem neuen Brot, dessen Rezept ich im Netz gefunden hatte, pane vallemaggia aus dem Ticino. Die Biga hatte ich schon vorgestern angesetzt. Nun also, anstelle des Latte macchiatos einen kurzen Caffè, dann die Mehle gemischt und die Biohefe aufgelöst; ich wollte nicht mit meinem Hefewasser experimentieren, auch nicht mit meinem Lievito madre, sondern diesmal strikt nach dem Rezept vorgehen. Geknetet. Zwischendurch die Löwin geweckt, schon um sieben, weil sie einen Termin hat. Überknetung vermeiden. Witzigerweise ist das Paket mit dem Nachschub an Farina Manitoba gestern, weil ich vielleicht die Klingel nicht gehört habe, bei der Bäckerei Ecke Stargarder abgegeben worden. Das kommt sonst nie vor. Der Paketbote scheint gespürt zu haben, daß Mehl zu Mehl gehört. Schon seltsam.
Jetzt „geht“ der Teig. Mein letzter Cigarillo, der erste dieses Morgens. Für einen zweiten muß ich mich auch dafür um Nachschub kümmern. Und ich habe diese Neigung, für alle meine Lieben Brot zu backen. Auffälliger Versorgungsinstinkt. Dabei ist das Geld knapp. Hier liegen lauter Erledigungszettel, die durchzusehen wären:


Vielleicht tu ich‘s, bevor ich meine Jazzkritik schreibe. (Ist es eigentlich Jazz? Die Musik ist mir ihres Synkretismus‘ halber nah, sogar ein Streichquartett spielt mit. Du weißt ja, wie sehr ich Vermischungen liebe, Gegner bin des „Reinen“.)
Die Ablehnung für das Berlinstipendium geht mir nach, heftiger, als ich Dir eingestehen möchte. Da gibt‘s nun so‘ne dunkle Wolke, wenn ich nach vorne gucke in die unmittelbar nächste Zukunft. Denn zwar möchte ich mich auf das Traumschiff freuen, dessen erste Leseexemplare ja bereits Ende Mai vorliegen werden, aber das ist halt genau die Zeit, in der mir das Geld ausgeht. Wenn nicht irgendwas passiert, etwas Unerwartetes, sogar Unerwartbares, das alles noch einmal herumdreht. Ich gebe aber zu, daß mein Leben voll von solchen Unerwartbarkeiten war. Es ist insofern ein gewisser, Liebste, Verlaß. Ohne Seil gelebt habe ich immer. „Notfalls müssen Sie sich Geld l e i h e n“, riet die Löwin. „Sie sind ja nicht der erste Künstler, der es tat.“ Also einen weiteren Notizzettel bekritzeln: bei wem sich etwas pumpen läßt. Ich hatte ihr von meinem Gedanken erzählt, mir einen Job zu suchen, z.B. mal wieder zu kellnern. Würde jung halten; zuletzt habe ich das mit vierundzwanzig getan. Man könnte es literarisch als Formklammer sehen. Wobei sie auf eine ganz andere Idee kam: „Weshalb bieten Sie nicht an, Texte zu lektorieren? Wenn einer das kann, dann ganz gewiß Sie.“ – Stimmt, dachte ich. Eigentlich eine Idee, auch wenn ich damit >>>> Freund Gogolin, vor allem aber auch meiner grandiosen Lektorin ins Gehege käme; eigentlich möchte ich solche, Herz, Aufträge i h r zuschieben. Aber diese Arbeiten ließen sich gut von meinem Schreibtisch aus machen und auch mit meinen poetischen Projekten vereinbaren. Und ich denke auch gar nicht an Lektorate für Verlage, sondern privat, bevor es mit Verlagen überhaupt losgeht. Andererseits, es wird eh schon viel mehr geschrieben als gelesen… Schon die vielen Schreibseminare, insoweit sie über Ausdruckstraining hinausgehen, arbeiten imgrunde an unserer, der Schreibkünstler, Abschaffung, indem wir uns selber den Markt verstopfen.
Auch diesbezüglich, jedenfalls das Thema mit anschneidend, hatte ich ein längeres Gespräch mit der Löwin. Es ging um Ewartungshaltungen und daß ein Text, der zu dicht gewoben ist, sie nicht mehr erfüllt, nicht erfüllen kann, weil er als Einengung persönlicher Freiheit empfunden wird, in diesem Fall der je eigenen Fantasiefreiheiten. Ich muß an Tucholskys Wort über den Ulysses denken: „Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.“ So auch wohl aus >>>> Anderswelt? Was mich gleich zum nächsten bringt, das mich momentan beschäftigt. Wird all das, sowie ich nur erst weg bin, vergessen werden? Immerhin hat jemand wie er, Tucholsky, sich zum Ulysses geäußert; mächtige Stimmen wie seine gab es für Argo keine. Na gut, das Ding steht bereits in den >>>> Literaturgeschichten, aber wer nimmt von so etwas Kenntnis? Jedenfalls am Buchmarkt geht es vorbei.
„Sie müssen einfach weiter das tun, was Sie können“: Nun ja, aber mit sechzig fängt man an, Bilanz zu ziehen, zieht sie immer wieder – und stemmt im Innern die Hoffnung dagegen an oder, wie ich sehr früh schon, Bloch travestierend, formuliert habe: das Prinzip Trotz. Bislang kam ich damit immerhin durch.
Bislang.
„Ein unbeliebter Mensch werden“ ist der Preis, den im >>>> San-Michele-Stück der Teufel aufruft. „Bist du bereit, ihn zu zahlen?“ Doch damals war ich fünfunddreißig, da schlägt man, Liebste, in solch einen Pakt noch ziemlich zuversichtlich ein. Aber irgendwann kommt er, der Hahnenfedrer, und streicht sich die Seele von Tisch: in seinen Beutel. Wenn dann kein Goethe bereitsteht, wird es perfide.

Das Bett machen, das noch offen verwühlte. Dann nach dem Teig schauen, wie weit er gegangen. Die Notizzettel durchsehen. Mit der Kritik beginnen.

Dein
Alban, nicht Faust

*

12.55 Uhr
So, fertiggeworden mit der Kritik und sie auch gleich an meine Lektorin geschickt, die sich quasi in dem Moment gemeldet hat, als ich mein ANH unter den Text schrieb. Nun guckt sie auch ihn durch, bevor wir dann ab 16 Uhr in die Fahnenbesprechung gehen.
Zeit, mittagzuschlafen.
In den Gärkörben gehen die Teiglinge, ein kleinerer, ein großer:


Ich gebe ihnen noch etwas Zeit.

A.

3 thoughts on “Faun Nichtfaust im Untriest 65. Des Halbzeitaprils 2015 Mittwoch.

  1. Freund Gogolin… … kämen Sie nicht ins Gehege. Keine Angst. Er bildet zwar immer noch hin und wieder einzelne Autoren aus, doch nur sehr ausgesucht. Aber er macht schon lange keine Lektorate mehr. Nichts frisst einem die eigene Arbeits- und Lebenszeit so krass weg, wie das Lektorat schlechter fremder Texte. Eine ganz undankbare Sache ist das.

    Mal überlegen, was es sonst noch geben könnte. Erstmal Gruß

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .