Untriest 90. Mittwoch, der 20. Mai 2015.


Arbeitswohnung, 6.20 Uhr
Guten Morgen, Herz,

bin seit fünf Uhr auf, um den Backofen anzuheizen, das heißt, als das Gas vor sich hinbrannte, habe ich mich noch mal ‘ne Viertelstunde aufs Ohr gehauen, weil mir geträumt hatte, ich sei nicht nur mit Dir und Deinem Ehemann, nein, auch Deinem Kind unterwegs gewesen, einem sehr freundlichen Jungen von ungefähr acht. Interessant war, daß er, also der Mann, mich später beim Frühstück zurechtwies: meine fast ständig dunkle Stimmung lasse ihn vor mir noch alle Achtung verlieren; ich solle mich gefälligst am Riemen reißen. Da wollte ich nun wissen, das wirst Du verstehen, wie der Traum ausging, der uns am Abend zuvor in die Oper geführt hatte, uns alle vier, aber nicht bei Euch in Triest, sondern, auch dem Namen nach, in die Komische hier in Berlin – nur daß ich den überdies riesigen Saal nicht erkannte, ihn wirklich nicht kannte; entfernt erinnerte er an die Alte Oper Frankfurtmain. Ich hatte Presse- und Steuerkarten, die ich aber nicht abholen zu müssen meinte; irgendwie scheute ich die Begegnung mit den Damen des Hauses, wurde von ihnen auch gar nicht erkannt. Dennoch lavierte ich Euch ein bißchen in Panik an ihnen vorbei.
Jedenfalls bekamen wir keinen Platz mehr, auch nicht oben in der Galerie. Die Leute standen noch bis auf die Gänge, drängend, man kam kaum voran. Als wir endlich drinnen waren, war jeder Platz besetzt, sogar mehrfach teils, man saß einander auf den Schößen. So hatte ich die Idee, einen Bühneneingang zu benutzen, ganz unten, weshalb wir wieder hinabmußten. Man ließ uns da auch rein, aber es war keine freie Sicht auf die Bühne. Statt dessen fuhren auf der Hinterbühne riesige Traktoren und Trucks, aber jedes Gefährt war schwer lädiert; dennoch bewegten die Fahrzeuge sich, rumpelten, schnauften, schleppten, röhrten weg ins freie Land. Denn dieses Opernhaus öffnete sich direkt hinter der Bühne ins Freie, und zwar über die gesamte Breite des Gebäudes bis zur Schnürbodenhöhe hinauf. Wir staunten, vielmehr blickten irritiert in ein agrarisches Hügelgebiet, das sich unter dem weithin gewölbten Frühsommerhimmel bis zum Horizont ausbreitete.
Mehr weiß ich von dem Abend nicht, auch nicht, wie und wo wir die Nacht verbrachten. Sicher ist, daß wir zum Frühstück beisammensaßen und mich Dein Mann zurechtwies. Seltsamerweise wurde ich nicht sauer, nahm es hin, war nur tief betroffen, daß Ihr später abreisen und mich alleinlassen würdet, für immer, wie ich ahnte, aber nicht wissen und auch nicht mehr erfahren konnte, weil ich ja erwachte. Und weil ich in der mir nach Anheizen des Backofens zugegebenen Viertelstunde wider Willen doch nicht mehr weiterträumte, ist dies nun der allerseltsamste Abschiedstaum, den ich jemals, glaube ich, hatte.
Dafür wird das Brot sehr schön, schau hier:



Ich bin so früh daran, weil ich um neun Besuch bekomme; die Pressedame von >>>> mare sei heute, schrieb sie mir gestern, in Berlin und habe morgens ein Zeitfenster frei; ob wir uns treffen wollten? Klar wollte ich und will ich. Es gebe einiges zu erzählen, des, Du weißt schon, >>>> Traumschiffes halber. So schlug ich vor, hier in der Arbeitswohnung zusammen Latte macchiato zu trinken und eben von dem Brot zu nehmen, dessen Rezept ich vorgestern fand. Toscanisches Landbrot, gib zu, klingt verlockend. Ich habe, um es auszuprobieren, ein halbes Glas Wein im Teig mitverarbeitet, bin gespannt; im Rezept stand so etwas nicht; auch anderweitig habe ich es ein wenig modifiziert. Ich weiß schon, das wundert Dich nicht; Anweisungen sind für mich fast immer Empfehlungen von allenfalls regulativer Natur. So bleibt es bis zum Anschnitt spannend.
Und etwas anderes nahm ich stoisch hin. Ich hatte gestern vergessen, die Pavoni auszuschalten, merkte es erst nachts. Wahrscheinlich war sämtliches Wasser heruntergekocht, wahrscheinlich hat sich die Heizspirale überhitzt, ist vielleicht verschmort; jedenfalls mag mein Maschinchen heute morgen nicht mehr. Es geht nicht mehr an. Ich zuckte beinah nur die Schultern, seelisch; so sehr ist Abschied mir Leben geworden. Klar will ich‘s reparieren lassen, fürchte indes, das wird teuer werden, und Geld hab ich grad halt keines. Also holte ich meinen Miniatur-Espressokocher vor, den ich beim Campen immer nehme:


Dabei hatte ich mich drauf gefreut, vor der Pressedame mit meiner Pavoni ein bißchen angeben zu können: ein kleines harmloses Eitelkeitsfreudchen, ich lächle drüber selbst. Nu isses nix damit.

Gestern den Daudet ausgelesen, am Abend noch ein Stück daraus >>>> in Die Dschungel gestellt, das mir unmittelbar ins Herz griff. Außerdem bin ich endlich mit den >>>> Witzel-Exzerpten fertiggeworden, elf eng bedruckte Seiten, und werde heute tatsächlich mit der Kritik anfangen können, vielleicht sie sogar fertigbekommen. Erst einmal aber bin ich gespannt, was mir mares Pressedame erzählen wird. Mittags dann zum Sport, und abends Spargel mit Broßmann essen, bei ihm vielleicht, vielleicht bei mir.

Hab einen lockeren, leichten, Dich mit Blütensüße umduftenden Tag!
Alban

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