[Peter Huchel für >>>> Böhmer.
Ingeborg Bachmann für >>>> Gomringer.
Georg Büchner für >>>> Goetz.
Ergänzend schlage ich vor:
Heinrich von Kleist für >>>> Eigner.
Alfred Döblin für >>>> Krausser.]
Das Literarische Weblog, gegründet 2003/04 von den Fiktionären.<BR>Für Adrian Ranjit Singh v. Ribbentrop.
[Peter Huchel für >>>> Böhmer.
Ingeborg Bachmann für >>>> Gomringer.
Georg Büchner für >>>> Goetz.
Ergänzend schlage ich vor:
Heinrich von Kleist für >>>> Eigner.
Alfred Döblin für >>>> Krausser.]
Generationswechsel ist gut. Aber ist das nun subtile Ironie? Endlich kommen auch die Männer über 60 Jahren zum Zuge. Einzig Krausser gehört einer für die Literatur noch (halbwegs) jungen Generation an. In Abwandlung eines Buchtitels von Peter Bürger läßt sich vom Altern der Postmoderne sprechen. Wenn einstmals literarisch Innovatives alt geworden und die Literaturkritik ihr Grau in Grau malt, werden endlich auch die Preise vergeben. Immerhin ist spät besser als nie. Bei Goetz bin ich jedoch gespalten. So wie er Gutes schrieb, existiert bei ihm ebenso der „Abfall für alle“, Ranz und Reigen der Beliebigkeiten wie „Rave“ oder „Celebration“. Damit hat er für das Schreiben von Literatur einerseits neue Wege markiert, andererseits ein Pop-Schreib-Maschinen-Assoziations-Sound seiner Epigonen hervorgebracht, der bloß noch beliebig ausfällt, weil sich Einfall an Einfall und gehörte Musik an erlebte Abende reihen. Zwischen Alk und Zigarettendampf: Schreibwut oder Drogenkrampf. Diese Assoziations- und Beziehungswut, die Bedeutungen auflöst oder umpolt oder aber bloß beliebig Namen von öffentlichen Personen aneinander kettet, mag als Einmaliges wie u.a. in „Festung“, „Krieg“ (immerhin Theaterstücke und damit Büchner gerecht werdend) sowie in der Prosa „Hirn“ gut funktionieren. Aber wie sieht es mit den Halbwertszeiten solcher Texte aus? Leben solche Texte nicht mehr von den Effekten als aus der Komposition heraus? Das macht man einmal, aber dann nicht mehr, und es hat dieses Vorgehen etwas Kalkuliertes. Als Absatzbewegung von einer bestimmten Literatur der alten weißen Männer, die man mit bestimmten Namen der 50er, 60er Jahre verknüpft, mochte dieser Sound frischen Wind in die Küche bringen. Nun aber gehören auch die einstmals hungrigen jungen Männer jener Riege an und wurden im Laufe der Zeit alt und weiß im Haar. Oder mit F.W. Bernstein und der Titanic in jener absurden Verdrehung geschrieben: „Die schärfsten Kritiker der Elche, waren früher selber welche.“
Thomas Bernhard zählte übrigens 39 Lenze, als er den Preis erhielt. Hans Magnus Enzensberger war 34 Jahre jung, Peter Handke 31 Jahre. Man könnte insofern auch behaupten, daß die Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zunehmend konservativer in der Preisvergabe verfährt. Goetz ist mittlerweile über 60.
@bersarin. Es ist schlichtweg so, daß der Generationenwechsel seinen eigenen Kanon generiert – was bedeutet, daß vormals für wichtig erachtete Literaturen weniger wichtig werden und eine neue Traditionslinie definiert wird. Der „Fall“ Böhmer ist da noch viel bezeichnender als Goetzens. Das Interessante daran ist, daß eben nicht nur „neue“ Autor:inn:en favorisiert werden, sondern sich in diesen Preisvergaben sehr wohl auch ein geschichtliches Bewußtsein ausdrückt – und eine Erkenntnisleistung derer, die die Preise vergeben.
Wobei, in Ihrer Haltung und Stellungnahme, die Begrifflichkeit der Halbwertzeit auffällt. Ob etwas von Dauer sei, also bleibe, scheint mir schon selbst eine zumindest fragwürdigte, auf jeden Fall sogar vormoderne Kategorie zu sein. Viel wichtiger ist, wie etwas gewirkt hat und in den Folgen weiterwirkt. Eine solche Wirkung und Einwirkung ist bei Rainald Goetz völlig unfraglich; es ist auch egal, ob man seine Bücher nun für gute Romane hält oder nicht oder nur manche usw. Auf jeden Fall hat er die Ästhetiken der nachfolgenden Poetengenerationen nachhaltig beeinflußt und tut es noch jetzt – jedenfalls um astronomische Größen mehr als etwa, um zwei extrem bildhafte Beispiele kanonisierter Autoren zu nennen, Siegfried Lenz oder Martin Walser – ja selbst als Peter Handke. Und der steht nun weitest über denen.
Eine Kunstkritik bzw. eine Kunstbetrachtung, die nicht nur nach bestimmten Reflexen oder von bestimmten Einsichten her agiert (Walser heute langweilig, weil konventionell), verfügt über mehrere Kanons, die plural und nebeneinander stehen können. Werke verhalten sich diachron. Ebenso richtig ist jedoch, daß es eine bestimmte geschichtliche oder soziale Tendenz gibt.
Ob etwas bleibt, ist die zentrale Frage der modernen Kunst, sofern man noch mit dem Begriff des Avancierten in der Ästhetik arbeiten möchte. Weshalb sonst beschäftigen wir uns heute noch mit den Theaterstücken Goethes und Kleists, jedoch weniger mit denen August von Kotzebues? Ausgenommen vielleicht ein dekonstruierendes Theater im Sinne Castorfs. Weshalb läßt uns Kafka nicht los? Ob ein Text auch nach zwanzig, fünfzig oder auch einhundert Jahren noch hält, bleibt eine entscheidende Frage. Viele Texte sind nur noch Teil der Literaturgeschichte, ansonsten aber ohne Bedeutung. (Wobei ich denke, daß man diese Bedeutung in manchen Fällen vermittels einer gekonnten Interpretation reaktualisieren kann.) Und auch anders herum geht es: Kleist etwa war zu seiner Zeit ohne breitere Wirkung, ebenfalls Hölderlin. Ebenso erfährt Ihr Werk (und das vieler anderer) nicht die Resonanz, die es benötigte und verdiente.
Goetz prägte eine neue Generation – das ist wahr. Ob nur zum Guten lasse ich mal hintenangestellt.
Manches macht man in der Kunst einmal, dann ist es die wiederholte Wiederholung des Wiederholten. Die Frage ist also, ob es mehr um einen bestimmten Effekt oder aber um ein anhaltendes Werk geht, das auch nach dem Puff und dem Knall noch für sich besteht. Bestes Beispiel sind Dada und der Wiener Aktionismus. Womit kann man nach diesen Phänomenen heute noch schockieren und Wirkung erzielen? Mit nicht viel mehr. Es ist natürlich nicht unmöglich, aber die Grenzen ziehen sich enger. Ich denke nach wie vor, daß die beste Wirkung immer noch gelungene Werke erzielen. (Wobei hier die Differenz von bildender Kunst und Literatur beachtet werden muß.)
Preise werden eher selten für Wirkungen, sondern für ein Werk verliehen. Zudem gibt es keine Wirkungen ohne Werk. Daß der Wahrheitsgehalt eines Kunstwerks ebenso an seinen Zeitkern gebunden ist, steht außer Frage. Ich meine, daß man insofern beide Ebenen zusammennehmen muß. Den Wirkungen wohnt für sich genommen ein tief beliebiges Moment inne. In den 80er, 90er Jahren etwa waren Texte von Goetz, Bernhard und Schwab ungemein en vogue. Schwab ist heute nahezu vergessen. Irgendwann einmal sprachen alle vom Fräuleinwunder der deutschsprachigen Literatur sowie vom Judith-Hermann-Ton im Werk einer bestimmten Schreibgeneration. Wirkungen unterliegen den Konjunkturen. Das spricht nicht gegen das Werk von Schwab oder Bernhard, der weitgehend aus den Theatern verschwunden ist und nicht für das von Hermann. Natürlich ist es interessant, sich solche Konjunkturen zu betrachten. Weshalb ist Beckett momentan und weitgehend ein toter Hund, obwohl doch im gegenwärtigen Diskus wieder die Instanz des Autors sowie die Stimme, die spricht, in der Prosa zunehmend von Belang ist?
Interessant sind die Wirkungen in der Tat dort, wo sie ein neues Moment hervortreiben. Da stimme ich Ihnen zu. Aus diesem Grunde ist auch der Wandel im geschichtlichen Bewußtsein bzw. der ästhetischen Begrifflichkeiten bedeutsam und wichtig. Goetz erhält den Preis zu recht. Schöner wäre es, hätte er ihn 10 oder 20 Jahre früher bekommen. Aber ich denke, man wollte in diesem Falle keinen zu jungen Autor, sondern einen Klassiker – wenn auch einen wilden. Gut abgehangen.
Und was die Moderne betrifft: Nach der Moderne, ist vor der Moderne. Aufgrund dessen, daß sich ein Kanon bildete, der nicht unbedingt zum besten ausfiel und der altbacken auftrat, hat sich leider auch ein pop- und postmoderner Ablehnungston herausgebildet, dem es lediglich um die abstrakte Negation geht. Und es muß immer noch ein abgefuckterer Autor gefunden werden, der hochgejazzt wird. Bis wir irgendwann bei der Micky Mouse sind, deren Sprechblasen als subversiv gehypt werden. Insofern halte ich auf meine alten Tage ebenso die guten alten Geschichten hoch. Was nicht heißen muß, Neues bzw. junge Autorinnen/Autoren aus dem Blick zu verlieren. Um aber zu sehen, ob etwas hält, geht es auch hier wieder um das Werk.
Ja, man „gönnt“ ja Goetz den Preis und das ist schon Teil des Problems. Aber er ist so gut im Betrieb vernetzt, geriert sich zum Teil als eine Art Narr des Feuilletons, da war es irgendwann wirklich an der Zeit, ihm den Büchnerpreis zu geben. Und ich stimme bersarin zu, was die Frage nach der langfristigen Wirkung solcher Kunst nach sich zieht. Aber wenn man danach ginge, würde der Büchnerpreis vermutlich nur alle 7 oder 11 Jahre verliehen, wenn man da ganz sicher sein kann. So gab es durchaus einige PreisträgerInnen, die dann Weidermann „mickrig“ nannte – hingegen er in SpOn Goetz‘ Bepreisung feierte, vermutlich in Amnesie einer eigenen Kritik von“ Johann Holtrop“ drei Jahre zuvor. So isser halt, „der Betrieb“, Er schenkt seine Preise denen, die lange genug antichambriert haben, weswegen ein Dieter Forte, eine Gerlind Reinshagen (allesamt betagte Vergessene) ihn nicht bekommen haben bisher und ein Peter Kurzeck ihn auch nie mehr bekommen wird. Mal sehen, wie man mit Krausser oder Clemens Meyer umgehen wird; an jemanden wie Ecker wird man wohl nie denken.
@Keuschnig zu Ecker. Das, Herr Keuschnig, hängt auch von – u n s ab. Ganz zweifelsfrei ist Ecker als Romancier von völlig anderer, unvergleichlich größerer Bedeutung als Goetz. Nicht aber in seiner auch befreienden Wirkung als Literat. Insofern sehe ich diese Büchnerpreisverleihung als grandios an – völlig unabhängig davon, ob meine eigenen literarischen Kategorien mit den seinen, Goetzens, übereinstimmen. Was ja, ich deutete es oben an, selten der Fall ist.
Aber denken Sie einfach mal an Hoppe als Büchnerpreisträgerin. Bei aller Sympathie, doch d a und nicht bei Goetz dreht sich die Poetik im Grab rum, das solche Vergaben ihr schaufeln. Zumal, antichambiert hat Goetz ja wohl nie, meines Wissens; eher antichambrierte man bei ihm.
An Hoppe musste ich auch denken. Und natürlich dreht sich die Poetik bei Goetz als Preisträger nicht im Grab um. Aber er ist eben Preisträger, unter anderem w e i l er bei einem großen Verlag und w e i l er gut vernetzt ist. So entsteht irgendwann das Gefühl, da sei einer „fällig“. Und dann passiert das eben.
Lesen Sie „loslabern“ oder sehen Sie sich die auf youtube vorhandenen Videos von Goetz bei Harald Schmidt an. Vielleicht ist antichambrieren das falsche Wort, aber Goetz macht nie einen Zweifel an seiner Affirmation des Betriebs, den er dann auch ein bisschen bloßstellen darf. Machten das früher nicht die Hofnarren?
Und ich glaube, Sie überschätzen die Kraft des virtuellen Literaturraums. Er kann gegen die Institutionen nicht bestehen, außer er institutionalisiert sich selber. Als fluides Medium schlüpft er durch die Maschen der Wahrnehmung. Eine einzige Erwähnung von Ecker von Denis Scheck in seiner merkwürdigen Fernsehsendung bringt dem Autor mehr Aufmerksamkeit und auch Reputation als jede lobende Rezension in einem Onlineportal.
Womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass das institutionelle Literaturbetrieb ein Fels in der Brandung ist. Die Auflösungserscheinungen sind ja sichtbar. Aber sie fallen nicht auf, weil auch insgesamt die Bedeutung der Literatur in der Gesellschaft stark rückläufig ist. Was wiederum mit der Bildung zu tun hat, usw.
@Keuschnig zu den Auflösungserscheinungen. Ihre Beobachtung teile ich wie die Bewertung. Allerdings („Wo Gefahr ist, wächst das“ usw) glaube ich, daß das Netz mehr wenden kann, als auf Anhieb ersichtlich. Ausgerechnet Paulus Böhmer hätte es ohne die jungen Dichter:inne:n nicht zum Huchelpreis geschafft, wäre da nicht über das Netz nunmehr seit Jahren entsprechend kommuniziert worden. Ich sehe an meinem Fünfzehnjährigen sehr gut, wie meinungsbildend es gerade bei den Jugendlichen ist; so etwas prägt fürs Leben.
Im „klassischen“ Literaturbetrieb geht es letztlich darum, die Bedeutungshoheitsstellungen noch so lange zu halten, bis man in Rente geht; es geht schlicht und einfach (auch) um Geld. Dazu kommen mehrerlei, sagen wir, sentimentale Wirkgründe, die auch mich selbst mitbestimmen: Wiewohl ich es „besser weiß“, hänge ich am traditionellen Buch, sogar sehr. Das schwächt mich und füttert wiederum die Macht des Betriebs, von dem ich auf diese Weise abhängig bleibe, egal, mit welcher kritischen Distanz ich ihn sehe. Hinzu kommen, und zwar nicht zuletzt, die existentiellen Aspekte – weder bekommt man für Netzarbeiten Tantiemen, also finanziellen Lohn, noch werden namentliche Literaturpreise oder auch nur sonstige namentliche Förderungen für Dichtung im Netz vergeben, was ebenfalls mit den Deutungshoheiten zumindest eng zusammenhängt.
Dennoch ist extrem deutlich, fast banal, zu erkennen, daß nicht die Dichtung gefährdet wird, wohl aber ist es das bisher gängige Medium ihrer Verbreitung.