Die Erschießung des Ministers. Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 3. Oktober 2015.

[Arbeitswohnung, 5.48 Uhr]
Seit zehn nach fünf auf.
Gestern nacht noch das nächste Video eingestellt, über dessen Buch ich schon bei Facebook angekündigt habe, es sei ein wenig was drüber zu erzählen:


(Dolfinger 1)

>>>> Dolfinger 2

Ich schrieb den Text, nach einem Abenteuer-Fünfhundertseiter, den ich mit 15/16 verfaßte und der hier immer noch herrumliegt, obwohl ich ihn sicher nie veröffentlichen werde, zwischen 1979 und 1980 als eigentlich meinen ersten Roman; er war es, der den seinerzeit in Bremen lehrenden >>>> Arno Münster mir nahelegen ließ, meinen Namen zu ändern ( „großer Text, aber unter deinem furchtbaren Namen wirst du in Deutschland nie ein belletristisches Buch veröffentlichen können“), und nachdem ich das getan hatte – vielmehr hatten es die Freunde getan –, bekam ich auch tatsächlich fast sofort einen Vertrag für ihn, von List in München. Aber kurz vor Beginn des Lektorats rief mich mein Lektor an und teilte mit, die Verlagsleitung habe Bedenken bekommen; man habe bereits einen anderen monologischen Romantext im Programm und hätte deshalb gerne etwas anderes. Ob ich nicht bereits an einem zweiten Roman sitze, den List statt dessen herausbringen könne?
Tat ich, nämlich >>>> Die Verwirrung des Gemüts; es fehlten von den sieben Kapiteln aber noch zwei. „Schreiben Sie sie fertig, dann nehmen wir d a s!“ – Aufklären, was der wirkliche Grund damals war, wird sich wohl nie. Heute vermute ich, schon dieser Vorgang habe mit dem eigentlichen Titel des Buches zusammengehangen: Die Erschießung des Ministers. Der 77er Deutsche Herbst, den Münster im Roman erkannt hatte, der tatsächlich mein Schreibanlaß gewesen war und der mir nun meinen Nachnamen gegeben hatte, lag noch zu nahe. Die Verlagsentscheidung war, denke ich, eine politische.
So begann für das Buch eine Irrfahrt durch die Verlage; erst fünf Jahre später legte es bei Herodot in Göttingen an; mein Lektor war dort Otto Lorenz, seinerzeit rechte Hand Heinz-Ludwig Arnolds bei text + kritik. Abgesehen von gewaltigen Strichen, die er in bestimmten Szenen vornehmen wollte, sah auch er den Titel des Romans als „unmöglich!“ an; anders als mit seinen Strichen setzte er sich damit durch; ich hatte schlichtweg keine Wahl, wollte ich dieses Buch denn endlich herausbringen. So kam es zu dem, wie ich ihn später oft genannt habe, „neuen-deutschen-Filmtitel“. Als vierzehn Jahre später >>>> Dielmann und ich an >>>> die Ausgabe Zweiter Hand gingen, war der ursprüngliche Titel zwar „möglich“ geworden, wir überlegten also hin und her, aber eine Entscheidung für nunmehr ihn hätte die Bibliografie durcheinandergeworfen und vielleicht auch unnötigen Ärger bei Leser:inne:n hervorgerufen, die das Buch schon kannten und wegen des neuen Titels unwissentlich noch einmal bestellten. Deshalb blieb es bei dem Filmtitel.
Lorenz, übrigens, wollte vor allem diejenigen Szenen streichen, bzw. entschärfen, in denen Dolfinger (dessen Name im Roman nie genannt wird) sexuellen Fantasien nachhängt, die um seine jugendliche Tochter kreisen. Er war/ist selbst Vater zweier Töchter. Das hielt ich ihm entgegen, und wir gerieten in einen heftigen Streit, der nie beigelegt wurde.
Der Roman ging denn bei herodot auch unter; schon damals gab es keinerlei Reaktion im „klassischen“ Feuilleton, gleichwohl über Arnold jeder, aber wirklich auch jeder Weg offengestanden hätte.
Der herodot-Umschlag sieht übrigens so aus:

 

Er gibt den ersten beiden Dolfinger-Clips, den zweiten werde ich morgen einstellen, das zentrale Motiv. Als dritten Clip, für übermorgen, habe ich meine Lesung vorgesehen, die 1983 in Klagenfurt mitgeschnitten worden ist; sie steht schon im Netz, aber ich will die Aufnahme noch auf die Lesung-allein zurechtschneiden. Bilden Sie sich dann selber ein Urteil. Der Umstand, daß ich quasi in >>>> Rainald Goetzens Blut las, mag Ihnen die Stimmung erläutern, in die mein ebenfalls aggressiver Text hineinrief – und einige der ablehnenden Reaktionen auf ihn.

Übrigens las ich aus dem Roman gegen den Willen meines List-Lektors Graf, der von dem Buch, das er ja einmal angenommen hatte, nun gar nichts mehr wissen wollte. Anders als heute, übrigens, kannten damals die Klagenfurtjuror:inn:en die Texte nicht vorher.
Libuše Moníková las damals auch, stieß auf ein fast noch schlimmeres Unverständnis als ich und wurde von der Jury mit „Nu‘ gehnSe aber bitte, küß die Hand“ vom Podium hinabkomplimentiert. Nach dem (jaja, Doppelsinn:) Durchfall meines zweiten Klagenfurtauftritts dreizehn Jahre später erhielt ich von ihr eine Postkarte: „Das war ein großer Text! Lassen Sie sich nicht beirren!“ Bis heute bewahre ich sie auf und schau sie, wenn ich ganz unsicher bin, wieder an. Denn sie mochte mich nicht, nicht wirklich, mochte meinen von so vielen offenbar immer wieder gefühlten Machismo nicht. Aber in „Sachen“ Literatur war sie unbestechlich vorurteilsfrei. Große Frau.

*
Um acht kommt noch einmal meine Madama LaPutz, wahrscheinlich zum vorerst letzten Mal. Ich kann sie mir momentan schlichtweg nicht mehr leisten. Jedenfalls muß ich die Küche in Ordnung bringen, damit sie saubermachen kann. Die Arbeitsflächen um den Schreibtisch herum zu ordnen, aber, das schaffe ich nicht mehr, will‘s auch nicht. Die soll sie aussparen.
Während sie putzt, werde ich zum Laufen gehen. Bin erstmals wieder bei zehn Kilometern; mein nächstes Ziel werden „die alten“ dreizehn sein.Übrigens schrieb ich in den Endsiebzigern zwischen dem Jugend-Abenteuerroman und der Erschießung n o c h einen längeren Text, Das Haus, von dem ich manchmal denke, ich sollte ihn mir ohne Bedenken wegen seines mehr oder minder pubertären Symbolismus‘ und seines starken Kafkabezugs vielleicht doch noch einmal vornehmen, auch deshalb, weil hier zum ersten Mal eine Figur im Zentrum steht, die Hans Deters vorausahnen läßt, und nicht nur, weil sie denselben Vornamen trägt. Aber das – wär was fürs Alter. Wenn die Ideen versiegen und man, wie Goethe meinte, die Jugendfrüchte sichtet und sie vielleicht heimholt.

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