Duldungsstarre. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 2. September 2015.


[Arbeitswohnung, 6.44 Uhr]

Mein letzter Cigarillo.
Seit zehn nach fünf auf. Ein Video korrigiert, das aber erst in drei Tagen in >>>> die Serie eingestellt werden wird; so weit habe ich jetzt bereits vorproduziert. Den >>>> Clip von heute liebe ich. Dennoch war es gut, mich davor noch einmal der frühen Arbeiten zu vergewissern, vor allem meiner Intentionen damals, meines bei allem Aufbegehren Optimismus’.

Bei Säuen spricht man, wenn der Eber über sie kommt, von Duldungsstarre. Bei mir ist es ein finanzieller Keiler, offenbar radikal schwul, und ich bin weniger starr als lethargisch, gucke schon gar nicht mehr nach etwaigen Geldeingängen; manche Post öffne ich gar nicht erst, weil ich ja doch nix ändern kann. Es steht noch ein bißchen was aus, aber die Göttin allein weiß, wann das kommen wird; es hängt an Büchern, die noch nicht erschienen, für die ich aber Aufträge hatte, Sie wissen schon, die kleinen Dinger, weißt Du?, die ich im Juli schrieb.
Die Miete krieg ich diesen Monat grad noch so hin, Krankenkasse auch. Aber ich mußte sogar meinen Sohn bitten, auf sein Taschengeld bis in die kommende Woche zu warten. Die Löwin will wieder mal helfen, auch Amélie leiht mir 500 Euro. So bleibt das Gröbste noch auf Distanz; noch ist die Zeit der Gerichtsvollzieher nicht wieder angebrochen. Aber sie klopft schon unten an der Haustür und scharrt mit dem Huf.
So guck ich mir neuerdings die Obdachlosen mit einer Art von fragender Sympathie an. Is‘ allerdings ‘ne schlechte Jahreszeit dafür.
Diogenes, hm. Griechenland hat nicht unsre Winter.
Was könnte ich jobben?
Kassenkraft, putzen gehen, sowas, Telefoncenter.
Dann wär‘s allerdings mit der neuen Serie vorbei, ich hätte gar nicht mehr die Zeit, auch nicht für die Bücher.
Zuviel ist zugleich weggebrochen, das als ökonomische Brücke diente.
Hab ich eigentlich ein schlechtes Gewissen?
Nein. Nur Angst.

(Eigentlich wollte ich gar kein Arbeitsjournal schreiben, mich vielleicht nur noch über die Videos melden; ich hätte ja selbst, als Leser, keinen Bock auf dieses ständige Klagen. Aber ich hatte es mir vorgenommen, damals, als ich Die Dschungel begann, alles, was es bringen würde, zu protokollieren, dieses mein Künstlerleben. Die Höhen und Begeisterungen, und die Tiefen.
Sofort, als ich nicht auf die Longlist kam, wußte ich, was werden würde; meine Panik war nicht grundlos. Nein, es geht hier nicht um meinen Narzissmus.)

Verzeihen Sie, es fällt mir derzeit schwer, einen leichten, sei‘s auch nur spöttischen Ton zu finden. Wenn ich aber an den Videos arbeite, bin ich ruhig, ganz bei mir. Für die neuen Romanprojekte fehlt es mir derzeit an Kraft, an Zuversicht. Das Leben als einen Roman begreifen, so hieß hier >>>> eine lange Reihe, doch die wenigsten guten Bücher gehen gut aus. Das hätte ich eigentlich wissen müssen.

4 thoughts on “Duldungsstarre. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 2. September 2015.

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