Hähne. Im Buchmessen-Arbeitsjournal 3: Freitag, der 16. Oktober 2015.


[Die No 3:




Nach der Buchmesse werde ich
alle sechs Sätze noch einmal in
einem eigenen, dann nur unter >>>>
Videos
gestellten Beitrag zusammennehmen.]



[MöFe Sachsenhausen, 6.08 Uhr,
Britten, Suiten für Cello solo (>>>> Mørk)]

Sicher das Unvermutet„st“e gestern ist sicher Uwe Schüttes zweiseitige >>>> Traumschiff-Besprechung in >>>> Volltext gewesen; unvermutet nicht, weil ich nicht gewußt hätte, daß er über den Roman schreiben würde, sondern unvermutet, weil er den Roman ausführlich in den Kontext der Andersweltromane stellt. Darüber hinaus hatte ich ein wenig gebangt, weil meine forciert nachpostmoderne, dabei an die Traditionen der Moderne anschließende, aber auch an „antik“klassischen Erzählverfahren orientierte Ästhetik namentlich der Trilogie vom Traumschiff gleichsam unerlaufen, mindestens konterkariert wird. Bei einem an, sagen wir, avantgardistischen Ästhetiken interessierten Literaturdenker wie Schütte hätte genau dies danebengehen können. So ist sein ausführlicher Text durchaus eine kleine Steinfall-, ja -fällung von meinem Herzen gewesen, auch von dem, hatte ich den Eindruck, meines Verlages. Nun erreicht Volltext vor allem Literaturbetriebler, ob Autoren, ob Vermittler, ob die Kritik, weniger „normale“ Leser:innen. Aber indem Schütte noch einmal meine – er nennt sie eine „eigenartige“ – Position, nämlich eigentlich keine, im deutschen Feuilleton benennt, könnte diese Rezension der Anlaß zu etwas wie einem Umdenken sein; „Umfühlen“ täte freilich „nöter“, da es in meinem Fall imgrunde nicht um Denkprozesse geht, sondern letztlich um Ressentiments, die mit den Texten selbst eigentlich gar nichts oder nur kaum zu tun haben.
Allerdings, daß ich dies hier wieder so schreibe, macht die Situation nicht einfacher. So steht in mir auch auf dieser Messe die psychisch gleichsam ewige Frage im Vordergund, wie weit Anpassung und, ja, Unterwerfung sei es der Denkprozesse, sei es des Temperamentes (bzw. der Mentalität) als Voraussetzung für Akzeptanz gefordert werden und daß man sich eben, wenn, dem in gar keinem Fall beugen darf, und zwar aus viel weniger literarischen denn politischen Gründen. Ob man sich in den je einzelnen Fällen irrt, bzw. geirrt hat, ist allein argumentativ, nicht aber aus einem als wie auch immer „allgemein“ deklarierten Konsens zu bestimmen.
Hierhin gehören auch Frage und Befragung des Tabus, der Künstler dürfe sich zu Besprechungen seiner Arbeiten nicht selbst äußern. Äußert sich außer ihm niemand anderes, bleibt einem gar nichts anderes übrig, da viele Konsense, wahrscheinlich die meisten, nicht aufgrund selbstbewußten Reflektierens zustandekommen, sondern über, so nannte ich es nun schon mehrmals, Einschliff; es sind eben keine begründeten, sondern als Meinung übernommene Urteile, die außerhalb der Ichs sich vollziehenden Psychodynamiken unterliegen und deshalb in mehr oder minder weitem Sinn, zu dem gehören, was man einst ein wenig naiv Massenpsychologie genannt hat (ich zöge es unterdessen vor, von „Community“psychologie zu sprechen).
Jedenfalls ist die von Schütte gezogene Linie einer „eigentlich verschütteten Tradition phantastischen Erzählens in der deutschsprachigen Literatur (…) von Niebelschütz über Thelen“ zu Argo nicht ohne eine gewisse, aber ziemlich reizvolle Kühnheit, die freilich diesem Autor entspricht. Daß Schüttes Denken intellektuell-interpretierten Pop-Modellen folgt, macht seinen Text noch einmal, für mich und meinen „Fall“, besonders wertvoll.
In der gleichen Ausgabe übrigens, ein spannender, weil nicht unprovokanter Aufsatz Ernst-Wilhelm Händlers zu den (!) Regeln der Gegenwartsliteratur. Hier wäre gewiß zu antworten. Überhaupt ist sie, diese Ausgabe, geradezu eine Insel der Antiverflachung im Meer der Feuilletons, indem Dichtung nach wie vor als, sagten wir früher, gesellschaftlich relevant und nicht etwa wie eine auch da nicht wirklich bedeutende Spielecke des Entertainments, aber eben auch nicht als eine die Gesellschaftsprozesse begleitende Moral-„Konsistente“ aufgefaßt wird oder als eine Diensterfüllungsnische der Anzeigenabteilungen.
Schön dabei, wirklich schön, ist es, auf dieser Messe >>>> Witzel zu beobachten, wie er nun in einer Mischung aus Glück und Skepsis auf seinem – ich wiederhol‘s: berechtigten – Erfolg schwimmt. Im übrigen gab‘s gestern dann noch einen kleinen Krach, weil mir meine „Apodiktik“ ziemlich apodiktisch vorgeworfen wurde, und als da mein Temperament sich rührte, kamen die Argumente über „sei mal ein wenig ruhig“, „sei ruhig“ usw. nicht hinaus. Ich fragte nach und nach, doch alles blieb im Ungefähren, Behaupteten; es ging auch deutlich nicht um das, was ich gesagt hatte oder was irgendwie verstanden oder nicht verstanden worden war, sondern immer um‘s, offenbar, wie. Daß man etwas nicht einfach so nur meint und denkt, sondern dies selbstverständlich auch von Emotionen begleitet ist, eben der von mir erwarteten, bisweilen auch geforderten Nicht-Distanz, stößt immer wieder auf Abwehr, zumindest Unverständnis. Eine Art Gelassenheit wird gefordert, die aber jemand, der permanent an der Existenzgrenze entlangschrabbt, allenfalls dann aufbringen kann, wenn er (oder sie) seine (oder ihre) Arbeit als unverbindlichen Akt auffaßt, kurz: sich der Uneigentlichkeit verschreibt. Indessen ist, uneigentlich zu lieben, keine Liebe, sondern allenfalls ein „Beziehungs“-Pflegeakt. Zur Liebe dagegen gehört, daß man bisweilen die Übersicht verliert, also die Autonomie. (Daß ich hier von Berufen spreche, nicht von Jobs, ist selbstverständliche Voraussetzung). Liebe ist nie bequem, ja, das ist apodiktisch; wie könnte es da ein Beruf sein?
Gelassenheit, Abstand – alles Wörter oft, die zwischen Sein und Welt eine schußsichere Glasscheibe schieben sollen, und zwar auf allen vier Seiten, und dann sitzt man selbst mittendrin und kann sich nur noch nach der Decke strecken – in der Hoffnung, daß nicht auch sie zum Deckel wird. Im übrigen ist es eigentlich ganz naturhaft, daß es gelegentlich, trifft Dominanz auf Dominanz, zu kleinen Hackstückereien kommt, die überdies gewiß nicht unwitzig sind, weil sie vor allem unter Männern den komikklassischen Charakter von Hahnenkämpfen haben. Denke ich mir. Will sagen: Imgrunde werden völlig andere Inhalte „verhandelt“, als die Dynamik sie zeigt. Psychodynamisch handelt es sich um Verschiebungen, möglicherweise sogar, in Gegenwart von Zeugen, sinnvolle. Nur daß man sich hinterher unter vier Augen verständigen sollte – eine Adresse, die durchaus mit an mich selbst geht.

Ein nächstes Interview heute am Mittag, abends das edle Ledig-Essen (ich hatte bis gestern vormittag keine Ahnung, daß mich Rainer G. Schmidt ausgerechnet zu Rowohlt bestellt hat); die Tage sind randvoll.
Eine letzte Bemerkung zu Volltext noch: abermals – Österreich. S c h o n auffällig.

[Bach, „Wir eilen mit schwachen, doch emsigen Schritte“,
Cantata BWV 78]


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