Bildungsballast, Musik und IS: Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 4. November 2015.


[Arbeitswohnung, 7.31 Uhr]

Um neun werde ich das Haus verlassen und den gesamten Tag über >>>> dort sein. Es tat schon gestern abend gut, mich unter Leute zu begeben, die Ähnliches denken wie ich, jedenfalls in „Sachen“ Musik. Heute wird es sich noch intensivieren, denke ich.
Barenboim fehlte beim Empfang, und nachher wird er nur zur Begrüßung und dem Gespräch hinkommen, das er mit dem Hirnforscher Zatorre führen will. Danach geht’s gleich wieder ab in die Probe – Meine Moderation beginnt erst am Mittag, dehnt sich aber dann bis zum Abend hin. Sehr enggetaktetes Programm, ich werde vor allem strukturieren müssen, also die Wortmeldungen. Es ist nicht einmal Zeit, die Referenten vorzustellen; „steht doch alles in den Programmunterlagen“, sagte Linda Reisch dazu. Mir gefällt das gut: Kein redundantes Wort.

(Das „t“ meiner Tastatur hakt. Obwohl ich sie ausgetauscht habe. Nervig.)

Zum neuen Video, >>>> d o r t:
Daß ich dieses Gedicht wieder vornahm, rührt >>>> daher, also gestern aus dem Kommentargespräch mit Sabine Scho. So ist dieser Clip weniger eine Interpretation als die Darstellung dessen, was Anlaß des Gedichtes war und in welchem Kontext es zu lesen ist, nämlich dem einer Abtreibung. Dem Text selbst kann es nur jemand entnehmen, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Dann aber ist alles ganz offenbar. Nötig allerdings war – das ergab ein nächtliches Gespräch mit der von dem Clip sehr betroffenen Löwin -, daß erklärt wird, was eine Svava ist. Ich glaube, schon im >>>> Traumschiff wird den meisten Leser:inn:en nicht bewußt sein, wenn Senhora Gailint auftritt, was eine Walküre eigentlich ist, was ihre Aufgabe ist. Auch Lanmeister verwendet den Begriff, ohne sich über seine Bedeutung im klaren zu sein; er weiß gar nicht, daß er instinktiv erkannt hat, und es ist ebenso anzunehmen, daß selbst die Gailint es nicht weiß, für was sie steht und an Bord ist.
Ich habe immer wieder mit einem Seelenwissen gearbeitet, von dem ich heute einsehen muß, daß es fast restlos verlorenging – und verlorengehen sollte und weitersoll, weil Bildung nicht im Interesse der Ökonomie liegt, die Folgsamkeit will. Gestern abend sprach ich kurz mit Pamela Rosenberg darüber. Negt und Kluge haben ganz zu Anfang der Achziger den Prozeß sehr deutlich beschrieben (in >>>> „Geschichte und Eigensinn“, unanfechtbar einem Jahrhundertwerk): als es der Industrie darum gehen mußte, die Arbeitenden auf die Höhe der Produktion zu bringen, kam es zu den berühmten Arbeitsbildungsvereinen, deren Programmen Rücksichtnahmen wie „soviel Konzentration kann niemand aufbringen“ und dergl. Restlos fremd waren, und den Arbeitern waren sie auch fremd. Die moderne Produktion kann Arbeitende aber nicht mehr brauchen, die auf der Höhe der Produktion sind, sondern sie sollen einfach, ohne Kenntnis der Zusammenhänge, tun. Also wird die Bildung, die Jahrzehnte vorher Voraussetzung war, zum Hindernis und – abgeschafft. So sieht es an den Unis heute auch aus; jedes studium generale steht der Produktion grob im Weg, und der Konsumtion. Insofern wundert es nicht, daß von den Hunderten Politikern, die zu dem Symposion eingeladen wurden (als Zuhörer, nicht als Vortragende; Barenboim hat expressis verbis, erzählte mir Reisch, parteipolitische Wahlvorträge ausgeschlossen) so gut wie niemand zugesagt hat. Und ich fürchte, daß die gemeinsame Initiative des Musikkindergartens und der Barenboim-Said-Akademie eben deshalb ins Leere laufen wird, weil Bildung letztlich der (kapitalistischen) Ökonomie ein Dorn im Auge ist. Es soll vielmehr jede Wurzel gekappt werden, die Menschen noch identisch macht; sie müssen austauschbar werden, um universell einsetzbar zu sein: humane Passepartouts. So sehen unterdessen auch die Lehrpläne der Universitäten aus, zu einem studium generale hat niemand mehr eine Chance, der und dem an einem guten Abschluß gelegen ist. Wenn man sich dazu vor Augen führt, daß unterdessen sogar akademische Germanistenkongresse auf Englisch durchgeführt werden, wird einem schlagartig klar, wogegen die Stoßrichtung zielt.
Es ist schon anderwärts bemerkt und formuliert worden, nicht nur von mir: Zugearbeitet – durch seine Desavouierung der Begriffe Treue, Ehre, Boden, Blut – hat diesem Prozeß der Hitlerfaschismus; selbst der tief seiner Scholle verbundene Bauer macht sich verdächtig. Losgelöst werden wir darüber hinaus von unserer Sprache; Einheitssprache ist das Ziel; um es anders zu sagen: Sprache als – darum eben austauschbar – Äquivalenzform. Steht schließlich jemand vor einem Bild Cézannes kann er gar nicht mehr wissen, was er sieht, um von mittelalterlicher Malerei ganz zu schweigen. Nicht anders geht derzeit der „Islamische Staat“ vor, auch er zerstört Herkünfte, will den Leuten den kulturellen Boden wegziehen, um sie widerstandslos zu machen und schließlich zu assimilieren. IS und Kapitalismus sind die beiden Seiten derselben Münze.
Musik kann sie uns wegwerfen lassen. Deshalb das fundamentalislamische Verbot der Musik, das sich im Koran nirgends findet; deshalb die kapitalistische Pop-Profanierung, nämlich Banalisierung der Musik mit ihrem Akzent auf dem Rhythmus: Herzschlag-Manipulation. Ich bin schon im Kindergarten meines Sohnes, der in Barenboims Musikkindergarten, weil es den damals noch nicht gab, noch nicht gehen konnte, erfolglos dagegen angelaufen.
Wenn meine Arbeit also immer wieder Bildungsvoraussetzungen hat, die unterdessen viele Leser:inn:en nicht mehr nachvollziehen können, dann nicht, weil ich „elitär“ gesonnen wäre, sondern weil es darum gehen muß, eine solche Bildung zu bewahren, und zwar aus humanistischen Gründen. Als mir in Klagenfurt 1983 ausgerechnet Gert Ueding, ein Universitätsprofessor, „Bildungsballast“ vorwarf, war der unheilvolle Prozeß längst abzusehen, in den die Kultur geraten war. Allein der Begriff bezeugt Ungeheures: Bildungsballast. Es läßt sich deutlicher nicht sagen.

Insofern, um noch einmal auf den „Abtreibungs“clip zurückzukommen, ist die Erklärung zu Svava, gegen Ende des Videos, notwendig, und insofern hilft vielleicht de Videoreihe zum Verständnis dessen, was ich tue und seit langem getan habe, in meiner Literatur.

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