Veni Creator Spiritus! Marek Janowski und das Radio-Sinfonie-Orchester Berlin interpretieren Beethovens Neunte. Ein Jahresabschlußkonzert.




Beethovens Neunte ist heikel, gerade wegen ihres berühmten, fast in den Pop eingegangenen, von ihm in jedem Fall oft mißbrauchten Choralsatzes, jener Freude eines schönen Götterfunkens, deren sich ebenfalls die Werbung bediente und immer wieder neu bedient.
Sie reagiert auf seine, dieses Vierten Satzes, Falschheit, die doch zugleich voll Tragik ist und damit angefüllt von einer Wahrheit, die Werbung wie Pop nicht brauchen, nämlich nicht benutzen können und um die sie die Sinfonie deshalb berauben. Doch werden in unserer derzeitigen politischen Situation gleichermaßen Falschheit und Tragik ganz besonders spürbar: Das „Seid umschlungen, Millionen“ wäre nur allzu wünschbar und ist doch allzu unmöglich. So hat sich denn schon Goebbels des Pathos dieser großen Beethovenarbeit recht gerne bedient, und besonders die DDR machte eine quasi Nationalhymne draus, indes schon früh nicht wenige kritische Stimmen eine gewisse Planheit des vierten Satzes beklagten. Der allerdings weit mindere Komponist Spohr nannte ihn monströs, trivial und geschmacklos, Thomas Mann später „verzettelt“, Celebidache einen „scheußlichen Salat“, Hermann Hesse gar „barbarisch“, und den erdensinnlichen und politisch klugen Heinrich Heine erfüllte er mit einem Grauen, das sich keine hundert Jahre nach seinem Tod furchtbar bestätigt hat:


Wiederum Janowski selbst, der die Sinfonie alljährlich neu einstudiert, läßt zumindest Skepsis durchscheinen, wenn er mit Recht den d r i t t e n Satz – das „sangbare“, aber eben nichtgesungene Adagio – für den eigentlich vollkommenen erklärt. Tatsächlich hat sich die öffentliche Aufmerksamkeit, schon gar ihr Gefallen, auf die dem Choral vorhergehenden drei Sätze niemals ziehen lassen, die allein es aber sind, auch aus dem vierten die Wahrheit, von der ich eingangs sprach, herausscheinen zu lassen, Tragik also – eine schicksalhafte Ambivalenz nämlich, sowie vor allem eine Sehnsucht, deren Nichterfüllung und in Beethovens Fall Nie- m e h r-Erfüllbarkeit ihn nicht zu dem machen, als was er erscheinen will, sondern zu einem hochkünstlerischen Dokument des Schmerzes – nicht nur des persönlichen eines in Trotz und Taubheit vereinsamten, unheilbar verbitterten Komponisten, sondern der Menschheit allgemein. Gelänge es eines Tages, aber ich weiß nicht wie, den Choralsatz so zur Aufführung zu bringen, stünden wir in der Tat vor dem Kunstwerk, als das es die UNESCO vor fünfzehn Jahren regelrecht heiliggesprochen und damit ein- für allemale zum Kitsch hat werden lassen. Es ist ja nicht so sehr die von Beethoven beschworene Menschenbrüderlichkeit, die den Choralsatz einzigartig macht, sondern ihr – und eben auch kompositorisches – tatsächliches Mißlingen; gerade darin, dieses erklingen zu lassen, fände die verschüttete Wahrheit zu sich. Imgrunde ist der Satz ein Veni Creator Spiritus, also die Anrufung, es möge, was nicht ist, doch werden – möge, wer fehle und den es nicht gibt, nämlich der liebende Gott, gütig sich zu uns herabsenken; die Betonung aber liegt auf dem Fehlen, nicht auf dem Sein, erst recht nicht s c h o nSein.
Dieses gedenkend, tun die vertonten Schillerzeilen – wem es je gelungen, eines Freudes Freund zu sein, und wem es nicht gelungen: daß der sich weinend aus dem Kreis zu entfernen habe -, tut dieses in Wirklichkeit Weinen Beethovens, d e r sich entfernen muß, nur noch weh. Da ist zum Jubeln keinerlei Anlaß. Vielmehr, wer genau hinhört, sieht den Mann sich ins Abseits schleppen, derweil die andern brüllend feiern, wozu er selbst ihnen die tschingderassabummende Musi geschrieben… Hörten wir dies, begriffen wir dies, wir stünden nicht vor einem, wie vorgetäuscht wird, erhebenden, sondern vor einem erschütternden Werk –
… und … – halt! nämlich: Halt! – Janowskis Interpretation macht es ja deutlich: Im vierten Satz gibt es zwischen dem zum Sieg laufenden Helden und den neuerlichen Götterfunkenfreuden ein strenges orchestrales Zwischenstück, das die vorangegangenen drei Sätze kurz wieder herholt und quasi abermals durchführt, von Janowski und seinen Musikern als atemlos wühlendes Presto in Szene gesetzt; da ist die ganze Wahrheit plötzlich da. Und da wird auch klar, daß die von Beethoven beschworenen, von ihm umschlungenen Millionen gar nichts von ihm wissen wollen; sie hätten vielmehr dem grantelnden, eigensinnigen Mann einen Arschtritt versetzt oder ihn, was noch viel wahrscheinlicher ist, hämisch zusammengeprügelt, wie es die auch mit dieser Neunten aufgeheizten Horden mit den „unwerten Leben“ taten und wie sie es in jeder Diktatur tun, die sich mit diesem Musikstück garniert. Genau, daß dem so ist, macht die Neunte auch für den Pop und die Werbung, als Ästhetik des Kapitalismus, derart nutzbar, sprich: für die Manipulation von Massen. So gesehen ist die im Programmheft betonte Bedeutung des Musikstücks besonders für die Arbeiterbildungsbewegungen des ersten Drittels des Zwanzigsten Jahrthunderts ausgesprochen bezeichnend. Zwischen „Seid umschlungen, Millionen“ und „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“ besteht nicht wirklich ein Unterschied. Noch Leonard Bernstein, 1989, hat nolens volens gezeigt, als welch ein Instrument der Verblendung die Sinfonie dienen kann: als wäre der Fall der Berliner Mauer tatsächlich von um ihre Freiheit kämpfenden Menschen errungen und nicht aufgrund letztlich ökonomischer Umstände im diplomatischen Hinterzimmer herverhandelt worden – lange, bevor in der Öffentlichkeit auch nur die Ahnung des kommunistisch-staatskapitalistischen Bankrotts aufgekommen wäre. Nicht anders jubelten die Massen Obama zu, als er unter den vergoldeten, erigierten Kanonen des Großen Sterns seine Berliner Rede hielt. Nicht ist unterdessen Guantánamo geschlossen; eher sind weitere Guantánamos hinzugekommen. Und die Tausende Flüchtlinge, die in ihrer Not in Europa einströmen, werden hier mitnichten liebend umschlungen –
Aber es gibt die Utopie. Alleine ihr hat der Komponist in seinem vierten Satz Ausdruck verleihen wollen; die drei vorhergehenden Sätze beweisen es. Insbesondere die beiden ersten, oft nah an Dissonanzen und deutlich in einem ständigen, ringenden, beethoventypisch trotzigen Kampf – erlangen die erlösenden Themen nur mühsam in harter motivischer Arbeit, nicht selten unter bös-insistenten, tragisch dräuenden Klangwogen. Gerade sie werden von Janowski deutlich betont. Zu sentimentaler Kuschelei ist kein Platz.
Sowieso ist die Neunte recht eigentlich, was schon die Dritte, die Eroica, war, Revolutionsmusik. Wir hören – bei Janowski mehr als in jeder anderen Interpretation, die ich in den vergangenen Tagen zum Vergleich herangezogen habe, ausgenommen allenfalls Norringtons schroffe auf Originalinstrumenten der Zeit – die Eroica auch immer wieder durchklingen; doch schon deren Finaletriumph war nicht „wahr“ – „wahr“ und „falsch“ immer, wie Adorno es meinte, moralemphatisch gesprochen. Beethoven mußte es selbst erfahren, und wütend strich er nach Bonapartes Selbstkrönung die Widmung wieder durch. Doch insgesamt hat sowieso Beethovens „öffentliche“ Musik – in schmerzlichem Gegensatz zur „privaten“, namentlich der späten, einer innerlichsten, Kammermusik – fast immer dieses hart Auftrumpfende, so als wäre erreicht, was zu erreichen erst, allenfalls, ist; enorm viel von Agitation und „sieg“reiches Heldenbambam; schon das Tatata-taa der Fünften ist ja grauslich, öffnet Demagogen Tür und Tor und Kirchen.
Vielleicht deshalb hat Janowski nicht auf eine der Gefahren des Schlußsatzes geachtet – Fischer-Dieskau, >>>> unter Fricsay, unterläuft sie durch fast deklamierende Legati –, oder er hat g e r a d e auf sie geachtet und wollte sie so: nämlich allzu hart stakkierende Intonationen. Es klingt bei ihm, als würde jede neue Silbe hart von einem Beil abgeschlagen, und dauernd – etwas, das dem Vortrag besonders des Basses, der überdies mehr nach Wotan klang als nach einem Rufer um Erlösung, etwas Hektisches gab, das sich schwerlich als schön empfinden ließ; zudem das Mezzo war deutlich flach, als fehlte Seele, und der Sopran zu aufgesetzt – allein der Tenor, so daß ich fast Mitleid bekam, stand für suchende Menschlichkeit und gab ihr eine helle, zugleich wärmende Farbe. Man sah es ihm, >>>> Andreas Schager, sogar an, wie sehnend er bemüht war, jede Phrase mit dem rechten Arm begleitend, mit den Händen sie hebend, anhebend, der ganze Mann ein wallendes Bitten –
– und allerdings davor die „himmlischen Längen“ des d r i t t e n Satzes! Nicht nur der trotzhaft „revolutionäre“ Beethoven leuchtete in den instrumentalen Stücken auf, sondern hier auch das, was musikalisch einmal werden würde und wurde: Daher also, dachte ich (empfand es), hat Gustav Mahler seine unendlichen Melodien bezogen, hier ist ihr Quell zu finden, hier und im zweiten Satz der Sechsten, jener verträumten Szene am Bach, auf die sich dieser dritte der Neunten bezieht, sich immer neu in sich verschlingend, bis durchs Blech der erste Rettungsruf ertönt, dann aber schon wieder, mit sehnenden Streichern, beruhigt neu verschlungen –. Unendlich schön, wie Janowski seine Musiker das spielen und in absteigenden Terrassen das aufbrechende, ein falsches doch!, Pathos melancholisch mildern ließ, so daß wir uns zurück an den Bach setzen konnten, um zu träumen. Die wirkliche Utopie liegt hier, nicht im Choralsatz: >>>> Jesaja 65,25.
Doch vermag Janowski sogar das Pathos zu vermenschlichen, fast erschreckenderweise – nämlich ausgerechnet im schweren Blech. Selten habe ich Horn und Posaune derart warm und zugleich w e i t gehört: als wäre da tatsächlich ein Raum, der Himmel nämlich, h i n t e r dem Raum, den wir das Diesseits nennen, und hätte diesen Klang bekommen, damit er uns erscheint. Mein tiefstes Kompliment an diese Bläser! Dazu noch das Schlagwerk, das nie einen Zweifel daran ließ, daß der Kampf eben n i c h t vorbei ist und der Himmel eben n i c h t betreten: Während wir entrückt noch die Zehen vom Bach umplätschern lassen, schleicht sich hinten etwas an – so auch warnt das von mir schon erwähnte orchestrale Zwischenspiel des vierten Satzes, bis der verblendete Chor es, zu aller Schaden, niederjubelt und die Millionen Flüchtlinge der ganzen Welt umschlingt, indessen sie ersticken. Der vom falschen Jubel zukonsumierte Bürger aber, der, tja, geht erhoben heim.
Dabei hat der alte Beethoven doch nur erzählt, wie in Wahrheit allein er sei. Und daß er sich wie räudig davonstehlen müsse:O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet und erkältet, wie unrecht tut ihr mir (…). Wie ein Verbannter muß ich leben; nahe ich mich einer Gesellschaft, so befällt mich eine heiße Ängstlichkeit-
Ludwig van Beethoven, Heiligenstädter Testament (1802)
Diese, die Ängstlichkeit, ist es, die das Triumphieren des Choralsatzes überspielen will; das ist sein Falsches, unter das sich vereinsamt, ertaubt und bang das Wahre verkroch, um sich, darin zitternd, zu verbergen.




Konzerthaus Berlin
30. Dezember 2015

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 9 op. 125

Jacquelyn Wagner Sopran
Karen Cargill Alt
Andreas Schager Tenor
Egils Silins Bass

>>>> Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Rundfunkchor Berlin/Nicolas Fink
Marek Janowski

2 thoughts on “Veni Creator Spiritus! Marek Janowski und das Radio-Sinfonie-Orchester Berlin interpretieren Beethovens Neunte. Ein Jahresabschlußkonzert.

  1. „Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HErr.

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