Krawatten. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 11. Januar 2016.


[Arbeitswohnung,
>>>> Pettersson, Zwölfte]

Es war gestern die für mich wohl wichtigste Nachricht, daß Volltext Uwe Schüttes bereits im Oktober gedruckt erschienene Traumschiffkritik >>>> nunmehr online gestellt hat, und wenn ich die Entwicklungen betrachte, so ist dieser Roman nun zwar nicht, wie ich gehofft hatte, ja wovon ich fast ausgegangen wäre, ein Bestseller geworden, aber doch auf dem Weg, ein Longseller zu werden – wie so viele andere meiner Bücher. Ich werde mich damit zu Lebzeiten abfinden müssen; ein Bestseller wird auch keines derer mehr werden, die ich folgen lassen möchte. Also nix mit einem kleinen Basso in Neapel, nichts mit, >>>> wie ich‘s mir noch letzten Märzensende gewünscht habe, öfteren Reisen, nix vor allem auch damit, meinem Sohn völlig ungehindert das Studium vollfinanzieren zu können. Meine Einkünfte werden, wenn es gut geht, immer knapp an dem liegen, was ich in meiner bescheidenen Lebensführung brauche, und so, auch die Familie mitnähren zu können. Gegenüber Millionen, ja Milliarden anderer Menschen und angesichts des Flüchtlingselends ist schon das allerdings sehr viel; insofern habe ich zu klagen nicht wirklich einen Grund. Die Klagelieder, aus denen Petterssons Zwölfte besteht, lassen dieses Wissen deutlich klingen.
„Wie sind Sie jetzt wieder auf Pettersson gekommen?“ fragte die Löwin. „Und wenn Sie alle Sinfonien wieder durchgehört haben werden, was hören Sie dann?“ „Seine Konzerte.“ Drauf gekommen bin ich freilich des Katastrophischen halber, >>>> von dem ich gestern schrieb, und weil neulich Broßmann, als ich – mit Glenn Gould – Richard Strauss den bedeutendsten Komponisten der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts genannt habe, ziemlich scharf Pettersson dagegenhielt. Aber es ist eh problematisch, Bedeutungsskalen zu bauen; man muß die Hinsichten sehen: in bezug auf was. (Für die Oper etwa bedeutet Pettersson rein nichts).
Ärgerlicher, als daß nun nicht der ersehnte Geldfluß zu mir strömt, ist, daß ich wegen der nächsten Projekte wieder auf Verlagssuche gehen muß; das wäre anders gewesen, hätte sich Traumschiff zum Bestseller entwickelt (etwas, das ein Buch entweder quasi auf Anhieb oder nie wird). Zu bitten aber, Klinken zu putzen, fällt mir, je älter ich werde, um so schwerer. Man hat einfach nicht mehr diese optimistische Unvoreingenommenheit, auch nicht die nötige Chuzpe, mit der zum Beispiel Thomas Bernhard, bevor er dann berühmt war, Unseld gestalkt hat – ist nicht sehr bekannt, aber man kann es durchaus so nennen. Mit über sechzig ist dergleichen ungehörig; übrigens sagt es einem schon der Stolz. So man ihn hat. Und hat man ihn nicht, ist was gehörig schiefgelaufen. Aber auch deshalb zögere ich wohl, an den Triestbriefen weiterzuschreiben, sie zuende zu bringen. Ähnlich ist‘s mit Die Liebe in den Zeiten des Internets, ein Buch, das hier seit Jahren fast fertig herumliegt; wahrscheinlich wird man‘s eines Tages als posthumes Fragment herausgeben. Ja, es bedürfte dringend nicht nur der Be-, sondern einer basalen Überarbeitung.
Momentan gehen die Gedichte vor. Ich will mich mal wieder um eines der Berliner Literaturstipendien bewerben, was mich aber a u c h wurmt: in meinem Alter, nach all dem Vorgelegten, noch immer um Stipendien anstehen zu müssen. Stipendien sind was für Studenten. Genau so wurmt mich, daß Unterhaltszahlungen an ein Jobcenter geleistet werden müssen. Fürs Selbstbewußtsein ist all sowas nicht gut. Sogar jetzt schon hat mein Sohn an den mangelnden Einnahmen seines Vaters mitzutragen, mit knapp sechzehn. Das ist, um‘s deutlich zu benennen, scheiße.
Hymnen dagegen anschreiben.
Aber was, wenn man einfach keinen Ansatz findet grad? Wenn man zu ahnen beginnt, daß es mit der Imaginations- und Formkraft langsam mau wird? Wenn zu allem die Disziplin sich aufweicht? Wenn die Selbst- und Kunstbeschwörung – >>>> Veni creator spiritus – anfängt, Durchblutungsstörungen zu haben, so daß ihr immer mal wieder ein Bein einschläft? (Man sollte dann sehr viel joggen. Ich weiß, ich weiß.)

Zehn Uhr schon, und nix geschafft. Obendrein verschlafen, weil der iPhoneAkku leer war. Übermorgen beginnt die lange Veranstaltungsreihe, ab Sonntag spätnachmittags/abends werde ich bis fast zum Ende des Monats unterwegs sein. Bringt immerhin Geld und spart Kohlen. – Vielleicht erstmal sich rasieren, duschen, kleiden. Sich eine Krawatte umzubinden ist, wie Zähneputzen, meist schon mal ein Schritt.

[Pettersson, Dreizehnte]

(12.30 Uhr)
Guck an, guck an: >>>> „ungeliebtes Stiefkind“ (fast ganz unten auf der Site). Immerhin, es wird allmählich gesehen – „zugegeben“, wenn man will. Dennoch habe ich auf die Krawatte verzichtet.

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